Fortbildung Gynäkol Rundsch 1992:32:104-114

II. Universitäts-Frauenklinik. Wien. Österrreich

Sonographie und pränatale chromosomale Diagnostik

Die pränatale chromosomale Diagnostik hat in den letzten Jahren entscheidende Fortschritte gemacht, für jedes Gestationsalter stehen entsprechende Methoden zur Verfügung. Ausschlaggebend dafür sind einerseits verbes­ serte Punktionsmethoden und anderseits verbesserte La­ bortechniken. Im Bereich der Gewinnung von fetalem Gewebe äussert sich dies in der ständigen Verbesserung der Bildqualität der Ultraschallgeräte und durch neue technische Hilfen (z. B. Farb-Doppler, Vaginalscanner, Punktionshilfen). Im Bereich der Labortechnik haben vor allem verbesserte Kultivierungsmethoden, die Direktprä­ paration von Chromosomen und die DNS-Analyse dazu geführt, dass die Zahl der pränatal diagnostizierbaren Erkrankungen ständig zunimmt.

Welche Indikationen bestehen für die fetale chromosomale Untersuchung?

Der wichtigste Punkt in der Reihe von Risikofaktoren ist die Zunahme der Wahrscheinlichkeit für das Auftreten chromosomaler Veränderungen mit steigendem Alter der Eltern. Liegt das Risiko für Frauen unter 35 Jahren unter 0,2%, so steigt es bei Frauen zwischen dem 35. und 45. Lebensjahr bis auf etwa 9%. Mütterliches und väterliches Alter sind die einzigen sicher bekannten Faktoren, die zu numerischen Chromosomenaberrationen führen können. Deswegen nimmt das genetische Risiko der älteren Gebä­ renden eine besondere Stellung unter diesen Risikofakto­ ren ein. wobei nicht nur das Alter der Mutter, sondern auch das Alter des Vaters eine Rolle spielt. An unserer Klinik wird bei Müttern ab dem 35. Lebensjahr und/oder

Univ.-Doz. Dr. J. Deutinger II. Universitäts-Frauenklinik Spitalgasse 23 A -l 090 Wien (Österreich)

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väterlichem Alter über 45 Jahre und/oder Alter der Eltern über 70 Jahre eine genetische Untersuchung des Feten empfohlen. Eine signifikante Zunahme von Chromoso­ menanomalien findet sich vor allem ab dem 40. Lebens­ jahr. Unterteilt man dieses Risikokollektiv in Untergrup­ pen entsprechend dem mütterlichen Alter, so steigt das Risiko bei väterlichem Alter über 45 um eine Stufe. Die Ursache für diese Altersabhängikeit ist unklar. Ein mögli­ cher Grund für diese Tatsache ist die erst späte Vollen­ dung der ersten Reifungsteilung der Eizellen. Man muss sich vorstellen, dass einige Oozyten über Jahrzehnte im Dyktiotänstadium der ersten Reifungsteilung verharren und somit über lange Zeit eventuellen schädigenden Um­ weltnoxen ausgesetzt sind. Numerische und strukturelle Chromosomenaberrationen Indikationen für eine fetale Karyotypisierung liegen dann vor, wenn Patientinnen bereits ein Kind mit nach­ gewiesener Chromosomenaberration geboren haben, bei Vorliegen einer familiären balancierten Chromosomen­ aberration, Geschlechtsbestimmung und anschliessender DNS-Analyse by X-chromosomal rezessiv vererbten Krankheiten, sofern die Mutter Konduktorin ist, eventu­ ell eine Exposition der Eltern mit radiologischen bzw. chemischen Noxen, die eine mutagene Wirkung auf Keimzellen haben können. Ganz wichtig sind solche Indikationen, die sich aus Auffälligkeiten ergeben, die bei einer sonographischen Untersuchung festgestellt worden sind (Hinweise auf fetale Malformation, schwere Wachstumsretardierung. Veränderung der Fruchtwasser­ menge). Durch die fetale Karyotypisierung können grobe Anomalien im kindlichen Erbmaterial festgestellt wer­ den. Unterschieden werden numerische und strukturelle Chromosomenaberrationen. Numerische Chromosomen­ anomalien entstehen durch eine Fehlverteilung («nondisjunction») in der Meiose oder Mitose. Dadurch entste-

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J. Deulinger

schwere Missbildungen und geistige Entwicklungsstörun­ gen zur Folge haben. Derartige Chromosomenanomalien sind die partielle Monosomie des kurzen Arms des Chro­ mosoms 5 - Cri-du-chat-Syndrom - und die partielle Monosomie des kurzen Arms des Chromosoms 4 - WolffSyndrom. Derzeit umfasst die pränatale Diagnose fetaler Erb­ krankheiten bzw. Störungen des kindlichen Genoms fol­ gende Möglichkeiten: fetale Chromosomenanalyse, ot-Fetoprotein-Bestimmung und Azetylcholinesterasebestimmung im Fruchtwasser. Enzymdiagnostik zur Erkennung hereditärer Stoffwechselerkrankungen. DNS-Messung in fetalen Zellen, molekularbiologischc Genomanalyse. Vor­ aussetzung für die Anwendung dieser Untersuchungsme­ thoden ist die Gewinnung von fetalem Gewebe. Welche Möglichkeiten bieten sich heute flir die Gewinnung von fetalem Gewebe an? Dafür stehen heute folgende Methoden zur Verfügung: die Fruchtwasserpunktion, die Chorionbiopsie oder Pla­ zentapunktion und die Nabclschnurpunktion zur Gewin­ nung fetalen Bluts.

Amniozentese

Die Amniozentese ist seit mehr als 20 Jahren etabliert. Sie wird meist zwischen der 15. und 17. Schwanger­ schaftswoche durchgeführt, da zu diesem Zeitpunkt aus­ reichend Fruchtwasser und darin enthaltene Amniozellcn gewonnen werden können. Die Punktion selbst wird mit­ tels einr dünnen Punktionsnadel transabdominal unter Ultraschallsicht durchgeführt. Die Nadel wird unter stän­ diger sonographischer Kontrolle in die Amniohöhle ein­ geführt, anschliessend werden etwa 20 ml Fruchtwasser aspiriert. Primär sollte eine transplazentare Punktion der Amnionhöhlc vermieden werden. Wenn dies wegen einer an der Uterusvorderwand gelegenen Plazenta nicht mög­ lich ist, kann auch durch die Plazenta hindurch die Am­ nionhöhle punktiert werden. Das Abortusrisiko bei der Amnioentese wird mit 0.2-1,0% angegeben. Schwierig­ keiten können sich bei Zwillingsschwangerschaften erge­ ben. Um monoamniotische Zwillingsschwangerschaften auszuschliessen. kann bei der Fruchtwasserpunktion des ersten Zwillings Indigokarmin instilliert werden. Wird bei der Punktion des zweiten Mehrlings kein Farbstoff nach­ gewiesen, weiss man. dass die Zwillinge diamniotisch sind. Neben dieser klassichen Form der Amniozentese gibt es seit kurzer Zeit Versuche, diese in einem früheren Gestationsalter vorzunehmen. Es gibt neuerdings Zen­ tren, die die Fruchtwasserpunktion bereits zwischen der 10. und 14. Schwangerschaftswoche vornehmen. Der Vorteil liegt auf der Hand: Die Patientin erhält früher

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hen Genome mit überzähligen (z.B. Trisomien) oder feh­ lenden (z.B. Monosomien) Chromosomen. Die Hauptur­ sache für die Zunahme der Chromosomenanomalien bei Schwangeren höheren Lebensalters ist die steigende An­ zahl vorwiegend numerischer Chromosomenanomalicn. Numerische Chromosomenstörungen kommen da­ durch zustande, dass in der Anaphase der Zellteilung ein Chromosomenpaar nicht gleichmässig auf beide Tochter­ zellen verteilt wird. Diese sogenannte «non-disjunction» kann in der Meiose oder in einer Mitose eintreten. Wäh­ rend autosomale Monosomien pränatal letal sind, können Kinder mit Trisomie 21 (Down-Syndrom), Trisomie 18 (Edwards-Syndrom). Trisome 13 (Patau-Syndrom) und Trisomie 8 lebend geboren werden, wenn auch mit schwe­ ren Störungen. Sind bei Chromosomenaberrationen die Geschlechts­ chromosomen betroffen, spricht man von gonosomalen Anomalien, sind die Chromosomen 1-22 betroffen, so spricht man von autosomalen Erkrankungen. Numeri­ sche Aberrationen der Geschlechtschromosomen sind zwar häufig mit einer Störung der weiblichen oder männ­ lichen Geschlechtsentwicklung verbunden, sind in ihrem Krankheitswert jedoch weniger gravierend. Als wichtigste Beispiele ist hier das Turner-Syndrome (Monosomie X) zu nennen. Die meisten Chromosomenaberrationen sind nicht mit dem Überleben des Embryos vereinbar. Rund die Hälfte aller Spontanaborte in der Frühschwangcrschaft zeigt eine letale Chromosomenanomalie. Im Ge­ gensatz zu den bei lebendgeborenen Kindern auftreten­ den Anomalien findet sich hier ein weites Spektrum ver­ schiedener Chromosomenstörungen, in denen auch jene Typen enthalten sind, die bei Lebendgeborenen beobach­ tet werden. Die Mehrzahl der Anomalien ist vom «Nondisjunction»-Typ und daher nicht erblich bedingt. Auch in diesen Fällen ist ein mütterlicher Alterselfekt nach­ weisbar. womit die Zunahme von Spontanaborten in der Frühschwangerschaft bei höherem mütterlichem Lebens­ alter zumindest teilweise erklärbar ist. Typische Vertreter von unbalancicrten strukturellen Chromosomenaberrationen entstehen durch Bruchstück­ verluste oder Strukturumbauten von Chromosomenab­ schnitten. Klinisch relevante strukturelle Chromosomen­ aberrationen sind Translokationen, Inversionen, Deletio­ nen, Duplikationen und Ringbildungen. Kommt es bei strukturellen Chromosomenaberrationen nur zur Umla­ gerung oder Umkehr einzelner Chromosomenabschnitte ohne Veränderung der Gesamtheit des Erbmaterials, so spricht man von balancierten Chromosomenanomalien. Diese zeigen phänotypisch keine Auswirkungen und kön­ nen oft unerkannt über Generationen vererbt werden. Unbalancierte Chromosomenaberrationen sind demzu­ folge Veränderungen, bei denen Chromosomenabschnitte fehlen oder hinzukommen. Dadurch kommt es zur Ent­ stehung partieller Trisomien oder Monosomien, die meist

a-Feloprotein- und Azetylcholinesterase-Bestimmung Ein wichtiger Vorteil der Amniozentese liegt darin, dass neben den Chromosomenuntersuchungen auch das a-Fetoprotein (AFP) und die Azetylcholinesterase be­ stimmt werden. Diese Untersuchungen sind bei der Cho­ rionbiopsie nicht möglich. Das AFP wird in der embryo­ nalen Leber gebildet und in die fetale Blutbahn abgege­ ben. Mit zunehmendem Gestationsalter sinkt die Synthe­ seleistung für AFP in der kindlichen Leber. Etwa ab der 25. Schwangerschaftswoche ist das AFP bei unauffälliger Schwangerschaft nur mehr in sehr niedrigen Konzentra­ tionen oder überhaupt nicht mehr nachweisbar. Während der Fetalzeit besteht auch im Liquor cerebrospinalis eine hohe AFP-Konzentration. Bei Vorliegen von Neuralrohr­ verschlussdefekten oder Anenzephalie tritt Liquor in das Fruchtwasser über und führt dort zu starken Erhöhungen der AFP-Konzentration. Auch eine unphysiologische Ex­ position fetaler Kapillaren im Fruchtwasser, wie dies bei ventralen Spaltbildungen der Fall ist (z. B. Omphalozele), kann zu erhöhten AFP-Konzentrationen führen. Das kindliche AFP wird über die Nieren in die Amnionflüssig­ keit ausgeschieden. Liegt ein funktioneller Defekt des fetalen glomerualären Apparats vor, kann dadurch die AFP-Filtrationsrate erhöht werden und somit ebenfalls eine Erhöhung der AFP-Konzentration im Fruchtwasser verursachen. Bei grenzwertigen AFP-Konzentrationen im Fruchtwasser kann die Bestimmung der Azetylcholineste­ rase Zusatzinformationen liefern. Vor allem bei gedeck­ ten Neuralrohrdefekten kommt es häufig nur zu geringer Erhöhung der AFP-Konzentrationen in der Amnionflüs­ sigkeit. Die Azetylcholinesterasekonzentrationen sind so­ wohl bei offenen als auch bei gedeckten Neuralrohrdefek­ ten erhöht. Die Bestimmung der Azetylcholinesterasekonzentrationen wird mittels monoklonaler Antikörper oder einer Polyakrylamideelektrophorese durchgeführt und kann bei fraglichen AFP-Befunden wertvolle diffe­ rentialdiagnostische Hinweise liefern.

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Enzymdiagnostik Hereditäre Stoffwechselerkrankungen beruhen meist auf einem genetisch determiniertem Enzymdefekt. Da­ durch kann es zum Fehlen des von dem entsprechenden Enzym metabolisierten Endprodukts oder zu einer An­ häufung von Intermediärprodukten bzw. zum Auftreten abnormer Abbaustoffe kommen. In einigen Fällen kann auch das Fehlen von Transportproteinen oder eine Stö­ rung in der Bildung von Membranrezeptoren die Stoff­ wechselerkrankungen hervorrufen. Typische Vertreter solcher Erkrankungen sind die Phenylketonurie, das Lesch-Nyhan-Syndrom, familiäre Hypercholesterinämie. Hämoglobinopathien, Immundefizienzerkrankungen, ei­ nige Blutgerinnungsstörungen, Störungen der Kollagenbiosynthese und Mukopolysaccharidspeichererkrankun­ gen. Das Prinzip des Nachweises pränatal diagnostizierba­ rer Stoffwechselerkrankungen beruht entweder im Auf­ decken nichtmetabolisierter intrazellulär angehäufter Stoffwechselprodukte oder in der Dokumentation der fehlenden Enzymaktivität. Der Nachweis von Enzymde­ fekten kann aus Amniozellkulturen oder neuerdings auch aus Chorionzotten erbracht werden. Der Nachweis in Chorionzotten hat den Vorteil, einen Enzymdefekt direkt im Gewebe - ohne zeitraubende Kultivierung - durchzu­ führen zu können, ist aber in einigen Fällen durch die für die Untersuchung notwendige Gewebsmenge limitiert. Die bisher erwähnten zytogenetischen und biochemi­ schen Methoden der pränatalen Diagnose sind metho­ disch begrenzt, da sie nicht in der Lage sind, punktför­ mige Mutationen im genetischen Code, die für Erbkrank­ heiten verantwortlich sind, zu entdecken. DNS-Analyse Die Entwicklung der molekularbiologischen Genom­ analyse ermöglicht es nun. bei bc stimmten Erbkrankhei­ ten durch Einsatz der rekombinanten DNA-Technologie solche punktförmigen Mutationen zu entdecken und den kranken Genlokus selbst darzustellen. Klinische Beispiele für durch DNA-Analyse diagnostizierbare Erkrankungen sind Hämophilie A und B, von-Willebrand-Syndrom, Protein-C-Mangel, Chorea Huntington und die Muskel­ dystrophie Duchenne-Erb.

Chorionbiopsie

1983 wurde zum ersten Mal über eine neue Methode zur Gewinnung von Material zur genetischen Untersu­ chung berichtet: die Chorionbiopsie. Im Unterschied zur Fruchtwasserpunktion kann die Chorionbiopsie zu einem wesentlich früheren Zeitpunkt, nämlich bereits zwischen der 9. und 11. Schwangerschaftswoche, durchgeführt wer­ den. Die frühe Diagnose von Schädigungen des Erbmatc-

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Gewissheit darüber, ob ihr Kind gesund sein wird. Bei 527 solcher Frühamniozentesen lag das Abortusrisiko bei 2,3%. Interessant ist, dass hier die Punktion eher herzhaft erfolgen soll, während man bei der traditionellen Amnio­ zentese die Punktion eher langsam vornimmt. Eine ab­ schliessende Bewertung dieser Methode ist derzeit noch nicht möglich. Versuche mit der Punktion des Dottersackes in der 9.11. Schwangerschaftswoche sind bisher nicht erfolgver­ sprechend verlaufen, das Abortusrisiko lag bei 40%. Die Amniozentese hat natürlich nach wie vor ihren Platz auch in der Spätschwangerschaft zur Fruchtwassergewinnung zur Bestimmung der fetalen Lungenreife und des A45o bei Rhesusinkompatibilität und zur Insulinbestimmung bei Diabetikerinnen.

öffnet: damit werden Sammelkammer und Optik freige­ geben. Nach Instillation von etwa 5 ml physiologischer Kochsalzlösung und Einstellung der Chorionzotten wird die NaCl-Lösung mit den darin flottierenden Zotten in die Sammelkammer gesaugt und durch Schlicssen des Schiebeverschlusses das Material abgeschnitten. Die transabdominale Punktion entspricht im wesentli­ chen der Fruchtwasserpunktion, nur wird hier die Punk­ lionsnadel in die Plazenta eingeführt und ebenfalls eine Saugbiopsie wie beim transzcrvikalen Weg durchgeführt. Das Abortusrisiko der Chorionbiopsie liegt etwas höher als bei der Amniozentese, zwischen 1 und 3%. Seit Anfang 1986 führen wir auch an der II. Universi­ täts-Frauenklinik in Wien die diagnostische Chorion­ biopsie durch. Entsprechend der WHO-Empfehlung soll­ ten zuerst zumindest 50 Übungsbiopsien bei Patientin­ nen mit geplanter nachfolgender Interruptio durchgeführt werden. Nach Gewinnung des Materials wird dieses sofort un­ ter dem Stereomikroskop auf das Vorhandensein von genügend Zotten überprüft, die mehrmals gewaschen, von eventuell vorhandenen mütterlichem Gewebe gerei­ nigt und dann im Brutschrank bei 37 °C mit 5% CCL in Ham-FlO-Mcdium mit 20% fetalem Kälberserum bis zur weiteren Verarbeitung aufbewahrt werden. Bei nicht aus­ reichendem Material wird die Punktion wiederholt. Mittlerweile gibt es in Sammelstatistiken bereits Be­ richte über 50 000 Chorionbiopsien, so dass man diese Methode heute bereits als etabliert bezeichnen kann. Präparation der Chorionzotten Präparation und Darstellung von Chromosomen set­ zen sich aus folgenden Schritten zusammen: Kultivierung des gewonnenen Gewebes (24 h bis 14 Tage), Blockierung der sich teilenden Zellen in der Metaphase, Breitung der Chromosomen, Färbung und Bänderung mit anschlies­ sender Karyotypierung. Die nach der Biopsie gewonne­ nen und von mütterlichem Gewebe gereinigten Chorion­ zotten werden zunächst für 24 h im Brutschrank bei 37 °C in Luft und 5% CCL inkubiert. Nach 24stündiger Kultur in HAM-F10 erfolgt eine Inkubation der Chorionzotten mit Colcemid (0.8 pg/ml) für 2 h. Die Zotten werden anschliessend 10 min in hypotone Natriumzitratlösung eingebracht, in einem Methanol-Essigsäure-Gemisch (3:1) fixiert, in 60%iger Essigsäurelösung dissoziiert, auf Objektträger über einer Wärmeplatte aufgebracht und ausgestrichen. Die Präparate werden zunächst mittels Gicmsa-Lösung gefärbt, die Zahl der vorhandenen Mito­ sen wird überprüft und anschliessend eine Bänderung der Chromosomen mittels G-Banding durchgeführt. Die Be­ funderstellung dauert durchschnittlich 3 Tage.

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rials des Feten und deren zu erwartende Auswirkung reduzieren im Falle eines Schwangerschaftsabbruchs die psychische und physische Belastung der Mutter im Ver­ gleich zur bisher durchgeführten Amniozentese erheblich. Auch aus gynäkologisch-operativer Sicht ist eine Inter­ ruptio im 1. Schwangerschaftstrimenon mit weit weniger Risiko und Belastung für die Patientin behaftet, als dies zu einem späteren Zeitpunkt der Fall wäre. Die Chorion­ biopsie wird entweder transzervikal, d.h. durch den Gebärmuttcrhalskanal. oder transabdominal durchgeführt. Der transabdominale Weg ist obligat bei Kontraindika­ tionen für den transzervikalen Weg. z.B. bei Herpes. Sonst sind beide Methoden gleichwertig. Bei Funduspla­ zenten ist der transabdominalc Weg vorzuziehen, bei Hinterwandplazenten der transzervikale. Als Nachteil der Methode zeigt sich im Vergleich zur Amniozentese, dass die Punktion zu einem Zeitpunkt durchgeführt wird, zu dem die spontane Abortusrate am höchsten ist. Deswegen gestaltet es sich schwierig, einen ursächlichen Zusammenhang zwischen Abortus und Biopsie auszuschliessen bzw. zu beweisen. In den letzten Jahren sind verschiedene Methoden für die Chorionzottengewinnung entwickelt worden: die transzervikale Punktionsmethode unter Ultraschallsicht mittels Katheters oder Biopsiezange als Saug- oder Knips­ biopsie. die transabdominale ultraschallgcleitete Punk­ tion bzw. endoskopisch mittels Chorionoskops. Allen Me­ thoden gemeinsam ist eine exakte präoperative Ultra­ schalluntersuchung über den Zustand, das Alter der Schwangerschaft sowie eine genaue Lokalisation des Cho­ rion frondosum. Als wichtigste Methode hat sich beim transzervikalen Weg die Punktion mittels Katheters durchgesetzt. Der Portexkatheter ist 21 cm lang, mit einem Durchmesser von 1,5 mm, einem Lueranschluss und einem biegsamen Metallmandrin. Nach Desinfektion der Scheide und Anhaken der Portio wird unter perma­ nenter Ultraschallsicht zunächst der Zcrvikalkanal mit einer Uterussonde bis an den inneren Muttermund son­ diert und anschliessend der Katheter bis an das Chorion herangeführt. Nach Entfernung des Metallmandrins und Ansetzen einer mit 5 ml vorgewärmtem HAM-F10-Medium gefüllten 20-ml-Spritze erfolgt durch Evakuierung der Spritze die Saugbiopsie. Danach werden Katheter und Spritze unter Beibehaltung des Vakuums gleichzeitig ent­ fernt. Das Chorionoskop ist eine spezielles Hysteroskop mit einem Durchmesser von 4 mm. Es trägt an seinem Ende etwa 1 cm von der Spitze entfernt eine lOfach vergrössernde Optik mit einer Kammer für die Chorionzotten, einem Schiebeverschluss und einem Instillationskanal. Nach der präoperativen Ultraschalluntersuchung wird das Chorionoskop durch den Zervikalkanal eingeführt und nach Überwindung des inneren Muttermundes am erwarteten Zielort der Biopsie der Schicbcvcrschluss ge­

Die fetale Chromosomenanalyse im späten 2. und 3. Trimenon gestaltete sich bislang problematisch, da diese Untersuchung in der Regel erst bei Vorliegen sonogra­ phisch nachgewiesener direkter oder indirekter Hinweise auf eine fetale Missbildung zur Anwendung kam. Eine zu diesem Zeitpunkt durchgeführte Amniozentese ist wegen der langen Auswertungszeit nur bedingt einsetzbar. Durch die Verbesserung der Präparationsmethoden ist es gelungen, auch in wenigerteilungsaktivem Material Chro­ mosomenanalysen vorzunehmen. Somit konnte der Zeit­ punkt der Trophoblastbiopsie bei entsprechender Indika­ tion ins 2. und 3. Schwangerschaftstrimenon verlegt wer­ den. Indikationen für eine Plazentapunktion in 2. und 3. Schwangerschaftstrimenon sind sonographisch nachge­ wiesene fetale Missbildungen, wie Omphalozele, fetales Nackenödem, obstruktive Harnwegveränderungen, iso­ lierter Hydrozephalus oder indirekte Hinweise auf fetale Missbildungen, wie Polyhydramnion, Oligo- oder Anhydramnie und symmetrische fetale Wachstumsretardation. Zusätzlich wurde in einigen Fällen bei Altersindikation und versäumter Chorionbiopsie oder Amniozentese eine Plazentapunktion durchgeführt, und immer dann, wenn die NS-Punktion ein erhöhtes Risiko darstellen würde (z.B. vermindertes FW und Plazentahinterwand). Die Punktion selbst wird mittels einer mit einem Me­ tallmandrin versehenen Nadel mit einem äusseren Durchmesser von 1,5 mm durchgeführt. Nach Lokalan­ ästhesie mit 1 ml Prokain wird die Nadel unter ständiger Ultraschallkontrolle in Freihandtechnik möglichst tief in die Plazenta eingeführt. Für die sonographische Überwa­ chung der Punktion verwenden wir einen Linear- oder einen «Curved-array»-Schallkopf. Bei Vorliegen einer Hinterwandplazenta wird die Nadel durch die Fruchthöhlc in die Plazenta cingcführt. Eine 20-ml-Spritze mit 5 ml heparinisiertem Kultur­ medium (HAM-F10) wird auf die Nadel aufgesetzt und ein Vakuum von etwa 15 ml erzeugt. Anschliessend wird die Nadel langsam unter Beihaltung des Soges drei- bis viermal zurückgezogen und wieder vorgeschoben und an­ schliessend ganz herausgezogen. Das gewonnene Material wird in eine sterile Petri-Schale gespült, das Vorhanden­ sein einer adäquaten Menge von Chorionzotten unter einem Stereomikroskop kontrolliert, das Gewebe von Blut und eventuellen Deziduaanteilen gereinigt, in fri­ sches Kulturmedium eingebracht und sofort einer zytogenetischen Untersuchung zugeführt. Die hier vorgestellte Technik der Plazentapunktion im 2. und 3. Trimenon weist alle Vorteile der Chorionbiopsie im 1. Trimenon auf, nämlich die einfache Materialgewin­ nung sowie die rasche Befunderstellung. Besonders bei Oligo- bzw. Anhydramnie sollte eine Plazentapunktion erwogen werden.

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Unsere Ergebnisse haben gezeigt, dass mit fortschrei­ tender Reifung der Plazenta der Mitoseindex im Tro­ phoblasten abnimmt und dadurch im Vergleich zur Cho­ rionbiopsie im 1. Trimenon mit einem höheren Prozent­ satz an sogenannten Kulturversagern bei ausreichender Trophoblastmenge zu rechnen ist. Im 2. Trimenon lag in unserem Kollektiv die Kulturversagerquote bei etwa 2% und stieg im 3. Trimenon auf rund 10%. Diese doch rela­ tiv geringe Anzahl an Kulturversagem in Beziehung zur Invasivität und Aussagekraft der Methode konnte mitt­ lerweile weiter reduziert werden und rechtfertigt den Ein­ satz der Plazentapunktion bei entsprechender Indika­ tionsstellung vor allem auch im 3. Trimenon. Wird ein Mosaik im Trophoblastgewebc gefunden, so muss eine Diagnoscsicherung in fetalem Gewebe, entwe­ der durch Amniozentese oder Nabelschnurpunktion, durchgeführt werden, bevor klinische Entscheidungen über die weitere Betreuung der Schwangerschaft mit der betroffenen Patientin besprochen werden. Bei 80% sind bei einer nachfolgenden Untersuchung von fetalem Ge­ webe keine Auffälligkeiten mehr zu finden. Die in der Literatur und auch in unserem Kollektiv beschriebenen Diskrepanzen zwischen fetalem und Trophoblastgewebe betreffen fast ausschliesslich Mosaike, wobei die Mosaik­ bildung erst nach der Differenzierung von Embryo und Trophoblast entstanden sein dürfte. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die trans­ abdominale Plazentapunktion im 2. und 3. Schwanger­ schaftstrimenon eine einfache und schnelle Methode zur fetalen Karyotypisierung bei spezieller genetischer Frage­ stellung ist und die weitere Betreuung einer Schwanger­ schaft entscheidend mitbeeinflusst.

Nabelschnurpunktion (Chordozentese)

Die letzte Methode zur Gewinnung von fetalem Ge­ webe ist die Nabelschnurpunktion. Die Technik der so­ nographisch geleiteten Nabelschnurvenenpunktion ist ein Eingriff, der viel Übung und Erfahrung voraussetzt. Die Nabelschnurpunktion kann etwa ab der 18. Schwanger­ schaftswoche durchgeführt werden. Zu diesem Zeitpunkt steht die Chromosomendiagnostik aus fetalen Lymphozy­ ten im Vordergrund. Um die 22. Schwangerschaftswoche werden Nabelschnurpunktionen in erster Linie für die Diagnostik intrauteriner Infektionen bzw. in Fällen von Rhesusinkompatibilität verwendet. Der intrauterine Blu­ taustausch erfolgt ab diesem Zeitpunkt bis etwa zur 34. Schwangerschaftswoche. Ab der 37. Schwangerschaftswo­ che geht es um den Geburtsmodus, z. B. bei Thrombozy­ topenie. Die meisten in der Literatur beschriebenen Indi­ kationen treffen bei uns nicht zu, denn die Toxoplasmose spielt bei uns wegen des Screenings nur in seltenen Fällen eine Rolle.

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Plazentapunktion

Nun zur Methodik. Hierbei muss zunächst die Nabel­ schnur mittels Ultraschalls aufgesucht und eine geeignete Punktionsstelle eingestellt werden. Als Punktionsstellen kommen die Insertionsstelle der Nabelschnur an der Pla­ zenta oder am Kind in Frage. Auch eine freie Schlinge der Nabelschnur kann zur Punktion verwendet werden, wenn die Nabelschnur im Punktionsbereich an der Uteruswand liegt und somit ein Widerlager für die Punktion gegeben ist. Ausserdem gibt es die Möglichkeit, die Umbilikalvene intrafetal zu punktieren. Am geeignetsten scheint jedoch die Insertionsstelle der Nabelschnur an der Plazenta zu sein, da hier eine sichere Fixierung der Nabelschnur gege­ ben ist. Die Punktion selbst wird mit einer dünnen Punk­ tionskanüle, die in die Vena umbilivalis plaziert wird, durchgeführt. Anschliessend können je nach Gestations­ alter 1-2 ml fetales Blut aspiriert werden. Nach der Punk­ tion sollte sofort überprüft werden, ob auch tatsächlich fetales und nicht mütterliches Blut aspiriert wurde. Dies geschieht mittels Kleihauer-Betke-Test oder neuerdings durch die Bestimmung des mittleren Erythrozytenvolu­ mens. Dieses liegt beim Erwachsenen um 80, beim Feten um 120. Die Abortusrate für die Nabelschnurpunktion liegt in Abhängigkeit von der Indikation bei etwa 2-3%.

II. Universitäts-Frauenklinik. Wien. Österreich

Missverstandene und richtig verstandene genetische Beratung

«Genetisch» wird in medizinischen Lexika zu Recht mit «entwickiungsgeschichtlich» übersetzt: als «Genetik» bezeichnet man demgegenüber die Wissenschaft von den erblichen Merkmalen sowie den Gesetzmässigkeiten (in Fällen monogener Erbgänge) bzw. Erfahrungswerten (in Fällen polygenen Erbgangs) ihrer Übertragung auf die Nachkommen. Der Ausdruck «genetische Beratung» hat sich eingebürgert, die Bezeichnung «Genetikberatung» wäre - zumindest sprachlich - richtiger. A.o. Univ.-Prof. Dr. A. Schaller II. Universitäts-Frauenklinik Spitalgasse 23 A-1090 Wien (Österreich)

Neuerdings kann auch bei Frauen < 3 5 Jahren das individuelle Risiko für das Auftreten eines Down-Syndroms ermittelt werden. Dabei gelangt der sogenannte Triple-Test zur Anwendung (Kombination von AFP-, E-3-, HCG-Bestimmung aus dem mütterlichen Serum und exakter sonographischer Bestimmung des Gesta­ tionsalters). Da dieser Test bevorzugt zwischen der 16. und 20. Schwangerschaftswoche vorgenommen wird, bie­ tet sich bei erhöhtem Risiko die Durchführung einer Amniozentese an. Liegt aufgrund einer Ultraschallunter­ suchung der Verdacht auf Vorliegen einer chromosoma­ len Aberration vor, sollte eine Methode zur Gewinnung von fetalem Gewebe gewählt werden, die rasch ein Unter­ suchungsergebnis bietet. Alle besprochenen Gewebsentnahmen können für die Erstellung des fetalen Chromosomensatzes verwendet werden. Das Vorverlegen der pränatalen Diagnostik in das 1. Trimenon bietet aus humanitären, sozialen und ökonomischen Gründen entscheidende Vorteile. Die El­ tern können nach entsprechender Aufklärung darüber entscheiden, ob sie von den ihnen angebotenen Untersu­ chungsmöglichkeiten Gebrauch machen wollen. Ganz prinzipiell ist zur pränatalen chromosomalen Diagnostik zu sagen, dass am besten eine Beratung vor Eintritt einer Schwangerschaft erfolgen sollte.

Aufgaben der genetischen Beratung

In der Ambulanz für genetische Beratung sollen die Sorgen ratsuchender (Ehe-)Paare bzw. diejenigen von noch nicht, vielfach aber auch von bereits schwangeren Frauen um gesunde Nachkommenschaft angehört, zer­ streut oder bestätigt bzw. für begründet befunden werden. Begründete Besorgnis ist gleichbedeutend mit einer Er­ mittlung der Höhe des Risikos und/oder mit der Aufklä­ rung über Möglichkeiten der pränatalen Abklärung (Cho­ rionbiopsie, Amniozentese, Chordozentese, sonographi­ sches Fehlbildungsscreening usw.) und. im letzteren Falle, mit Überweisung an eine Fachabteilung, die dazu perso­ nell und apparativ in der Lage ist.

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A. Schaller

Schlussbemerkung

Patientinnenkoilektiv

Ratsuchende einer Ambulanz für genetische Beratung lassen sich in der Regel einigen typischen Kollektiven zuordnen: Selber erbkranke Ratsuchende und ratsu­ chende Verwandte erbkranker Probanden mit a priori nicht akzeptierter Kinderlosigkeit bis hin zum dringli­ chen Wunsch nach Nachkommenschaft stellen in der genetischen Beratungsambulanz ein numerisch relativ kleines, dafür fachlich und menschlich um so aufwendige­ res Kollektiv dar, bei dessen Betreuung es erfahrungsgemäss nur ausnahmsweise zu Missverständnissen kommt. In der Regel gilt es, in das Gespräch eingebrachte Vorstel­ lungen aus missverstanden! populärwissenschaftlichem Schrifttum und/oder Meinungen der vom Laien falsch ausgelegten ärztlichen Befunde zu korrigieren. Da in die­ sem Zusammenhang öfter das Problem der Adoption zur Sprache kommt, ist es von Vorteil, die biologischen und psychosozialen Aspekte dieses häufigen Anliegens (unbe­

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einflussbarer genetischer Background, Möglichkeit der Einflussnahme durch das Milieu), vor allem die Rechts­ grundlagen zu kennen (Unbescholtenheit, untere Alters­ grenze für Frau und Mann, Mindestzeitdauer ungewollter Kinderlosigkeit, intakte Partnerschaft, wirtschaftliche Voraussetzungen). Auch die Adoption wird oft missver­ standen: Es geht dabei nicht darum, kinderlosen Ehepaa­ ren zu einem Kind zu verhelfen, sondern vielmehr dar­ um. einem Kind die im Interesse seiner seelischen und körperlichen Entwicklung am besten geeigneten Adop­ tiveltern zu vermitteln. Phänotypisch gesunde Eltern, die trotz und auch ge­ rade wegen bereits erbkranker Nachkommenschaft weite­ ren Kinderwunsch haben, machen ein nächstes charakte­ ristisches Kollektiv aus. Allenthalben verbirgt sich dahin­ ter die Vorstellung von einem weiteren gesunden Kind, dem nach dem Tod der Eltern die Sorge um sein behin­ dertes Geschwister übertragen werden kann - eine schwerwiegende Hypothek für ein ungeborenes bzw. noch nicht einmal gezeugtes Individuum. Im übrigen geht Erbkrankheit vielfach mit Behinde­ rung einher, behindert aber bedeutet bei weitem nicht immer erbkrank. Der in der genetischen Beratungsambu­ lanz tätige Mediziner weiss um zahlreiche Fälle von perinatal zu Schaden gekommenen und dementsprechend behinderten Kindern, deren Eltern nach einem Wieder­ holungsrisiko fragen und die selbst von erfahrenen Ärzten mit einschlägigen Fragstellungen zugewiesen werden. Die bekannten Erbfaktoren von Schwergeburten (Beckenend­ lagen, Weichteil- und Beckendystokin) sind jedoch dabei nicht gefragt (und wären auch schwierig zu beantworten), während die Verhütung erneut auftretender peripartaler Schädigung (Hypoxie, Azidose) Anliegen des Geburtshel­ fers bleiben muss. Bei gesunden bzw. unauffälligen Eltern mit kranker Nachkommenschaft ist naturgemäss die Kausalitätsfrage besonders gross. Für gegenseitige Schuldzuweisung inner­ halb ehelicher Verbindungen bzw. partnerschaftlicher Be­ ziehungen wird gar nicht selten nach Argumenten ge­ sucht, und der beratende Mediziner darf nicht zum un­ freiwilligen Belastungszeugen in der Austragung familiä­ rer Konflikte werden: seine Aufgabe muss es vielmehr sein und bleiben, biologische Daten und Gesetzmässig­ keiten, soweit bekannt, zu erklären und aus (Ehe)PartnerProblemen auszuklammern. Ein Kausalitäts-, vor allem aber ein Informationsbe­ dürfnisbesonderer Art, ist in jüngster Vergangenheit nach Schwangerschaftsabbrüchen pränatal diagnostizierter Fehlbildungen zu verzeichnen. «Welche der (vom Laien in diversen Lexika nachgelesenen) Symptome waren bei dem festgestellten Syndrom tatsächlich vorhanden?» «Können wir den Obduktionsbefund sehen?» «Das (z.B eponymisch definierte) Syndrom, das ist mir/uns zuwe­ nig!» Die Frage nach dem Wiederholungsrisiko bzw.

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Ermitteltes Risiko und erhaltene Befunde werden sorg­ fältig dokumentiert: sie bilden die Grundlage für den zu erteilenden Rat, der in indivisuell anzupassender Ver­ mittlung naturwissenschaftlich wie schulmedizinisch ein­ wandfreier Ergebnisse in wertneutraler zugleich mensch­ lich vertretbarer Diktion an den/die Ratsuchende(n) be­ steht. Drohungen vor den Folgen anderer, mit der erteilten «Familienberatung» nicht konform gehender Entschei­ dungen seitens des/der Ratsuchenden oder gar der Ver­ such, Zwang zur «therapeutischen» Konsequenz auszu­ üben (z.B. «Chromosomenanalyse nur bei erklärter Be­ reitschaft zum Schwangerschaftsabbruch») hiessc die ge­ netische Beratung, hiesse die Vorsorgemedizin überhaupt - die genetische Beratung ist ein Teil dieser - missverste­ hen. «Familienberatung» und «Familienplanung» sind zweierlei. Um Missverständnissen vorzubeugen bzw. die Entscheidungsfreiheit der Ratsuchenden nicht einzu­ schränken, sollten Beratung und Planung nicht «in einem Aufwisch», sondern am besten zeitlich und örtlich ge­ trennt und nicht vom gleichen Mediziner erfolgen, selbst dann, wenn der die genetische Beratungsambulanz füh­ rende Arzt dazu fachlich legitimiert ist bzw. wenn «familienberaterische Bedenken» oder gar «Warnungen vor (weiteren) Schwangerschaften» antikonzeptionelle Mass­ nahmen dringend geboten erscheinen lassen. Was wie­ derum nicht heissen soll, dass die Ratsuchende mit den vorgebrachten Bedenken bzw. Warnungen sich selbst überlassen wird; frühestmögliche Zuweisung an eine Am­ bulanz für Familienplanung mit ausführlichen schriftli­ chen Angaben helfen, der Patientin Wege zu ebnen und zu verkürzen.

bar post partum zwar immer seltener, sollten sich nach sorgfältigem, den aufgezeigten Umstand hervorheben­ dem Aufklärungsgespräch - dessen gleichfalls sorgfältige Protokollierung nicht zu vergessen ist - überhaupt nicht mehr ereignen. Eine Vermittlerrolle kommt dem Arzt, zumindest ge­ genwärtig noch, in der genetischen Beratungsambulanz zwischen der Ratsuchenden mit der Diagnose «Abortus habitualis» und dem zytogenetischen Laboratorium und dessen Kapazität zu. Zunächst muss auf den Ausschluss der Fälle von Abortus habitualis gynäkofunktioneller und/oder gynäkomorphologischer Genese bestanden wer­ den; auch hier ist eine Personalunion von genetischem Berater und Frauenarzt nicht empfehlenswert. Die Zahl der Frauen mit nicht sicher nachweisbarem gynäkolo­ gisch verursachtem Abortus habitualis (Lehrbuchdefini­ tion: Beendigung von 3 oder mehr Schwangerschaften als Abortus ohne zwischenzeitlich über die 28. Schwanger­ schaftswoche ausgetragene Gravidität) bleibt selbst dann noch immer gross genug. Das Dilemma besteht in der Zumutbarkeit einer weiteren - meist der dritten Schwangerschaft mit unsicherem Ausgang für die Frau einerseits und der personalaufwendigen Chromosomena­ nalyse des betroffenen Paares anderseits (Analoges gilt für die immunologische Abklärung eines Abortus habitualis: HLA-Typisierung bzw. HLA-Antikörperbestimmung). Der Arzt in der genetischen Ambulanz muss sein Augen­ merk darauf richten, aufgrund seiner fachlichen Entschei­ dung menschlich nicht abqualifizierl werden zu können und bei besonders grossem Leidensdruck besser schon nach dem zweiten Abortus (Lehrbuchnomenklatur: rezi­ divierender Abortus) die Indikation zur Chromosomen­ analyse beider Partner zu stellen, als sich die Attribute der Ungefälligkeit oder gar Unmenschlichkeit einzuhandeln. Bildanalysengeräte zum Karyotypisieren (Gene Vision®, Cytoscann®) können hier Abhilfe schaffen: auch der So­ zialversicherungsträger zeigt sich diesbezüglich in jüng­ ster Zeit einsichtig. Nicht zuletzt - und besonders wiederum in den Frau­ enkliniken angeschlossenen genetischen Beratungsambu­ lanzen - suchen Schwangere Rat, die - meist in der Früh­ schwangerschaft - chemischen oder physikalischen teratogenen und/oder mutagenen Noxen ausgesetzt wurden. Der Terminus «Keimschädigung» allein ist als Pauschal­ begriff missverständlich. Nach wie vor spricht nichts gegen eine Unterteilung in «Keimschädigung» (Ei und Samenzelle betreffend, also noch vor der Konzeption), «Fruchtschädigung» (Embryo und Fetus betreffend) und Erbschädigung (Gene und Chromosomen betreffend, Ma­ nifestation erst in der oder den nächsten Generation(en)): diese ist auch für den Laien plausibel. Mit wenigen Aus­ nahmen ist in der Regel eine potentielle Fruchtschädi­ gung Anlass zur Sorge. Streng genommen ist eine Subdis­ ziplin der Toxikologie, die Reproduktionstoxikologie, für

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möglichst frühzeitiger pränataler Diagnostik bei der näch­ sten Gravidität folgt dann, wenn überhaupt, überraschen­ derweise ganz zum Schluss. Inwiefern sich hinter dem Misstrauen gegenüber der während der Schwangerschaft gestellten Diagnose der menschlich verständliche Ver­ such verbirgt, sich von der vorausgegangenen Zustim­ mung zum Schwangerschaftsabbruch gleichsam post festum zu distanzieren, bleibt Auslcgungssache. Um derarti­ gen Fragestellungen auf jeden Fall gewachsen zu sein, sollte ein endgültiger (nicht nur ein vorläufiger) Autopsie­ befund vorliegen, wenn das ratsuchende Paar nach dem Schwangerschaftsabbruch die genetische Beratungsambu­ lanz aufsucht. Dafür wiederum, vor allem im Sinne der Befunddiktion, wäre es wünschenswert, dass in eine zwi­ schen dem Pränataldiagnostikcr und dem Genetiker zu haltende Absprache noch vor der Obduktion der Patho­ loge miteinbezogen wird. Ein in aller Regel und insbesondere in Grossstädten kleines Kollektiv bilden Blutsverwandte mit geplanter oder bereits eingegangener Verbindung und mit dem Wunsch auf Nachkommenschaft. Die Furcht vor den Gefahren für die Kinder aus derartigen Verbindungen praktisch immer handelt es sich um ein Anliegen von Vet­ tern und Basen I. Grades - ist gross, besonders gross vor allem bei deren Angehörigen. Einschlägige Genetikkennt­ nisse (höhere Wahrscheinlichkeit homozygoter Heraus­ spaltung autosomal rezessiver Erbanlagen) fehlen begreif­ licherweise und sind dem Ratsuchenden auch nicht ein­ fach zu vermitteln. Der Beratende sitzt dem Problem des autosomal rezessiven Erbgangs und noch dazu in poten­ zierter Form, den phänotypisch unauffälligen Heterozy­ goten, gleichsam gegenüber, deren Einstellung zueinander immer, zu der Nachkommensfrage sehr oft längst be­ schlossene Sache ist. Nach sorgfältig erhobenem und für unauffällig befundenem Stammbaum kommt allen Betei­ ligten die Lebensweisheit entgegen, wonach es gescheiter ist, solange gegen eine Verbindung zu sein, bis es besser ist, für diese zu sein. Die eindringliche Warnung vor Wie­ derholung solcher Verbindungen in weiterer Aszedenz betrifft unmittelbar niemanden, bleibt als Mahnung vor völliger Bagatellisierung des Problems - zumindest im Karteiblatt - stehen. Das grösste Kollektiv in der einer Frauenklinik ange­ schlossenen genetischen Beratungsambulanz stellen Frauen von > 3 5 Jahren und Ehepaare von zusammen > 70 Jahren. Zu einem der schwerwiegendsten aller denk­ baren Missverständnisse kann es dabei kommen, wenn ein der Schwangeren nach Chorionbiopsie bzw. Amnio­ zentese mitgeteilter normaler weiblicher oder männlicher Chromosomensatz als gleichbedeutend mit einem Kind, frei von jeglichen Fehlbildungen und nicht ausdrücklich nur frei allein von chromosomalen Aberrationen interpre­ tiert bzw. verstanden wird. Durch das Ultraschallfchlbildungsscreening werden solche «Zwischenfälle» unmittel­

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wie im Deutschen sachlich falschen Terminus; unterbro­ chen werden kann nur. was sich nachher fortsetzen lässt). An dieser Stelle - und nur der Vollständigkeit halber sei vermerkt, dass es sich um kein Missverstehen mehr, sondern vielmehr um einen glatten Kunstfehler handelt, wenn aus einer eugcnischen (synonym: kindlichen, huma­ nitären) Indikation zum Schwangerschaftsabbruch eine zweifache Behinderung aus Erbkrankheit und Frühgeburtlichkeit für das betroffene Indivodiuum resultiert. Länderweise unterschiedliche legistische Voraussetzun­ gen bergen diesbezüglich ebenso unterschiedliche Riskcn in sich.

Voraussetzungen

Es sind im wesentlichen zwei Voraussetzungen, die erfüllt sein müssen, damit eine Beratung über Wiederho­ lungsrisiko und gegebenenfalls Möglichkeiten der präna­ talen Abklärung erfolgen kann. Zum ersten; Die Ratsuchenden müssen eine exakte Diagnose jener Erkrankung zur Verfügung stellen kön­ nen, über die sie beraten werden sollen. Viel Leerlauf und Enttäuschungen lassen sich vermeiden, wenn seitens des zuweisenden Arztes, des Allgemeinmediziners wie des Spezialisten, der Patient auf diese Conditio sine qua non hingewiesen, am besten bei der Erstellung des erforderli­ chen Unterlagen unterstützt wird. Die weitverbreitete Meinung, es würde ohnedies «alles hier oder anderswo aufliegen», und das womöglich seit Jahren oder Jahrzehn­ ten, ist nicht einmal halbrichtig, sie ist einfach ganz falsch, wenn es darum geht, ein aktuelles Anliegen abzuklären bzw. zu behandeln. Die Vorlage von Befunden oder Arzt­ briefen im Original oder als Kopie gleich bei der ersten Vorsprache in der genetischen Beratungsambulanz würde der Idealvorstellung entsprechen, ist leider beinahe schon eher die Ausnahme als die Regel. Ärztlicherseits ausge­ stellte Zuweisungsdiagnosen übersehen zudem gelegent­ lich. dass Diagnosen von gestern heute nur mehr Sym­ ptome sind (Hydrocephalus congenitus, Epilepsie). Zum zweiten: Für die exakte Erstellung eines Fami­ lienstammbaums sollten Unterlagen nicht nur über Eltern und deren lebende Kindern sowie über deren Fehlgebur­ ten. Totgeburten und Frühverstorbene, sondern auch über die Geschwister der Eltern und deren Nachkommen­ schaft und endlich über die Grosseltern vorbereitet wer­ den. Die genetische Beratung einer Partei muss nicht, kann aber selbst dann noch, wenn diese Voraussetzungen er­ füllt sind und wenn man von Zuhilfenahme der Fachlite­ ratur (in der man das Gesuchte auch finden muss) ab­ sieht, sehr zeitaufwending sein. Die meiste Zeit erfordert - und soll schliesslich auch erfordern - das eigentliche Beratungsgespräch, in dem das Wiederholungsrisiko für

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derartige Fragen zuständig, doch sind bisher nur ganz ver­ einzelt darauf spezialisierte Beratungsstellen eingerichtet worden (sogenannte «Beratungsstellen für Medikamente in der Schwangerschaft»). Wenn entsprechende pharma­ zeutisch-chemische oder physikalische Kausalfaktoren auf die teratogcnctische Terminationsperiode - und das in entsprechend hoher Dosierung - entfallen (Arzneimit­ tel. Röntgenuntersuchungen), steht die Indikation zum Schwangerschaftsabbruch zur Diskussion, und die im Zu­ sammenhang damit gestellte Frage ist stets dieselbe: «Können Sie mir garantieren, dass mein Kind gesund sein wird?» Die Übernahme von Garantien für gesunde (phänotypisch und genotypisch unauffällige) Nachkom­ menschaft ist schon allein deswegen unmöglich und dem Arzt unzumutbar, weil - von den vorgebrachten Noxen einmal ganz abgesehen - für jedes Kind ein Basisrisiko besteht, mit einer oder mehreren Fehlbildungen geborgen zu werden, das sich je nach Population in der Grössenord­ nung von 1 bis 2% bewegt. Als Folge der Contergan-Affäre (Thalidomid-Syndrom) kam es nach 1963 zunehmend zur Rochade der Verantwortung der Arzneimittelhersteller auf die Ärzte­ schaft. und dieser auf die in der genetischen Beratung täti­ gen Mediziner bzw. die wenigen spezialisierten Toxikolo­ gen. Letztlich werden diese in den zweifelhaften Fällen und das ist die überwiegende Mehrheit - die Verantwor­ tung dem Fragesteller, und damit, so bedauerlich das ist, dem Betroffenen selbst zurückspielen müssen, wollen sie nicht über kurz oder lang in einen für sie selbst folgen­ schweren Beweisnotstand geraten. Zweifelhaft ist nicht allein die Noxe per se und die Höhe der Dosis, als viel­ mehr auch die Krankheit selbst, die ihrerseits als teratogener und/oder mutagener Kausalfaktor in Frage kommen kann, ganz zu schweigen vom Zusammenwirken dieser exogenen mit den vorgegebenen endogenen Faktoren im Falle eines multifaktoriellen Erbgangs. Verständigen Ratsuchenden kann die Reaktion eines frühen Schwangerschaftsprodukts auf die unterschied­ lichsten Noxen nach dem Alles-odcr-nichts-Prinzip er­ klärt werden. Im übrigen aber: Wenn es um die negative Beeinflussung der Embryogenesc geht, ist das Studium des einschlägigen Schrifttums über Arzeimittelteratogenität oft wenig befriedigend. Was als Alternative zum Schwangerschaftabbruch bleibt, ist die Möglichkeit eines Ultraschallfehlbildungsscreenings durch einen profilier­ ten Spezialisten (Degum III), letztlich somit das Verteilen oder die Weitergabe der Verantwortung. Der Erfahrene kennt auch die Versuche jener Frauen, die sich ihrer Schwangerschaft gegenüber ablehnend ver­ halten. durch Anführen von zusätzlichen Noxen (« ... und dann habe ich noch diese und jene Tabletten genom­ men») eine Interruptionindikation zu erreichen, um nicht zu sagen zu erzwingen (Interruptio = Unterbrechung; sprachlich richtige Übersetzung eines im Lateinischen

Familienberatung

Für die Spezies Homo sapiens - gleich wie für den uniparen Säuger Mensch - sind die Prozentangaben über Erwartungs- bzw. Wiederholungsrisiken monogener Erb­ merkmale an sich schon problematisch, wenngleich sie auf den ehernen Gesetzen der Biologie, den Gesetzen Gregor Mendels (1822-1884) von 1866 und 1870 beru­ hen: Autosomal dominant (für die Nachkommen eines Heterozygoten): 50%; autosomal rezessiv (für die Nach­ kommen eines heterozygoten Mannes und einer heterozy­ goten Frau): 25% Merkmalsträger und 50% merkmals­ freie Überträger; X-chromosomal rezessiv: 50% der männlichen Nachkommen sind Merkmalsträger, 50% der weiblichen Nachkommen Konduktorinnen. Diese 50 oder 25 «vom Hundert» sind unabhängig davon, wie viele Kinder bereits mit einem bestimmten Merkmal bzw. einer Erbkrankheit - oder ohne diese - geboren wur­ den. Für jedes weitere Kind aus derselben Verbindung ist naturgemäss das Risiko wieder genauso hoch, nämlich 50 oder 25%, Merkmalsträger zu werden. Diese Überlegungen gelten naturgemäss auch für die empirischen Erbprognosen von Merkmalen mit polygenem Erbgang sowie für vererbte (unbalancierte) Translokationen, für die ein 25%-Risiko - bzw. nach Abzug der Monosomien von 33,3% - besteht. Die Vorstellung von der Reduzierung des Risikos mit jeder Geburt eines erb­

kranken Kindes für nachfolgende Kinder ist ebenso menschlich verständlich wie biologisch falsch. Die Besprechung des Krankheitswertes einer vererbba­ ren Erkrankung erfolgt zwischen den davon betroffenen Ratsuchenden und dem davon nichtbetroffenen Ratge­ benden. ist somit an sich schon ein zwischenmenschliches emotionell differentes Problem. Fachlich problematisch wird diese Diskussion, wenn der Arzt über den «Wert» (Manifestationsalter, Belastung. Behinderung für Träger und Angehörige) einer Krankheit eine Erklärung abgeben soll, die er selbst nur aus Büchern - und somit nicht wirk­ lich - kennt; auf viele Erbkrankheiten, insbesondere auf autosomal rezessiv vererbbare Syndrome, trifft das zu. Durch Konsultation von Spezialisten sollte sich der Rat­ geber selbst zuvor entsprechend beraten lassen. Der dringende Wunsch nach Nachkommenschaft in von Erbkrankheiten betroffenen Familien ist gar nicht selten mit übertriebenem Medizinfortschrittsglauben ge­ paart: «Bis mein Kind in dem (Manifestations-)Alter für diese (Erb-)Krankheit ist, wird die Medizin schon so weit sein, dass...» Überlegungen dieser Art sind keine reelle Basis für eine Familienberatung und sollten ärztlicher­ seits auf jeden Fall ausgeklammert werden. Die Beratung sollte aber mit der Ermittlung des Risi­ kos für Nachkommen, der Besprechung des Krankheits­ wertes und dem Hinweis auf gegenwärtige Möglichkeiten der Abklärung und gegebenenfalls der schon pränatal möglichen Therapie nicht beendet sein; der/die Ratsu­ chendein) sollen anschliessend nicht sich selber überlas­ sen bleiben. Wer wann wo was untersuchen kann - gele­ gentlich auch Informationen darüber, welche Kosten dar­ aus erwachsen können - sollen esentieller und abschlies­ sender Teil des Beratungsgespräches sein. Jeder Rat, auch ein vermeintlich unscheinbarer, kann für die Betroffenen eine grosse Hilfe bedeuten.

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eine erbliche Krankheit, die Möglichkeit ihrer Abklärung und ihr Krankheitswert aufgezeigt und der/dem Ratsu­ chenden die Konsequenzen daraus vorgeschlagen werden (z.B. Abraten von einer Schwangerschaft oder weiteren Schwangerschaften oder Austragen oder Abbrechen der Schwangerschaft).

8. Arbeitstreffen des «Zürcher Gesprächskreises» April 1992

Die Einnahme von Ovulationshemmern (OH) ist die zuverlässigste Methode der reversiblen Empfängnisver­ hütung. Sowohl die zusätzlichen günstigen als auch die unerwünschten Wirkungen sind abhängig von der Östro­ gen- und Gestagenkomponente. Es gibt keine «stoffwech­ selneutralen» Ovulationshemmer. Für die Auswahl des Präparates sind die Östrogendosis sowie Art und Dosis des Gestagens Orientierungshilfen. Es gibt grosse Unterschiede in der Pharmakologie beider Komponenten, wobei sich Ethinylestradiol (EE) und die Gestagene gegenseitig beeinflussen. Dies macht eine sorg­ fältige Beachtung der Kontraindikationen und Risikofak­ toren erforderlich. 1 Die kontrazeptive Wirkung wird in erster Linie durch das Gesta­ gen gewährleistet, eine adäquate Kombination mit EE ist vor allem für die Zykluskontrolle wesentlich. 2 Wie bei jeder Pharmakotherapie gilt auch für die Verschreibung von OH das Prinzip «so viel wie nötig, so wenig wie möglich». Für EE ist mit 20 Mikrogramm/Tag die Untergrenze vermutlich noch nicht erreicht. Die Minimaldosis des Gestagens ist von der jeweiligen pharmakologischen Wirkungsstärke abhängig. Beim Vergleich von Präparaten ist aufgrund der gegenseitigen Beein­ flussung von Gestagen und EE die Bedeutung der Dosis beider Komponenten zu relativieren. OH und Medikamente können durch pharmakologische Interaktionen ihre Wirkung verstärken oder abschwächen. 3 Ernsthafte Nebenwirkungen treten unter Einnahme von OH sehr selten auf und sind meistens von der individuellen Disposition abhängig. Voraussetzung für die Verordnung von OH sind des­ halb eine sorgfältige Anamnese, eine allgemeine und gynäkologi­ sche Untersuchung. Bei der Anamnese sind zu beachten: Familiäre Häufung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Diabetes mellitus, Gerinnungs­ störungen: in der Eigenanamnese: zusätzliche Faktoren wie z.B. Rauchen und Medikamente. Die Untersuchung muss Blutdruck­ messung und Zervixzytologie cinschliessen. Bei anamnestischen Hinweisen sind weitergehende diagnostische Massnahmen emp­ fehlenswert (z.B. Lipoproteine, AT III. Protein C und Protein S. oraler GTT. Augenhintergrund). 4 OH dürfen nicht verordnet werden bei akuten und chronisch pro­ gredienten Lebererkrankungen. Störungen der Gallcnsekretion, intrahepatischer Cholestase (auch in der Anamnese), vorausge­ gangenen oder bestehenden Lebertumoren, thromboembolischen Erkrankungen, Stoffwechselerkrankungen mit sekundären Gefässschäden. Mammakarzinom, schwer behandelbarem Blut­ hochdruck. schwerer Hypcrtriglyzeridämie. Bei relativen Kon­ traindikationen muss über die Verordnung individuell entschie­ den werden.

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5 Vor geplanten Operationen mit erhöhtem Thromboembolieri­ siko sowie bei längerfristiger Immobilisierung sollten OH recht­ zeitig (4-6 Wochen vorher) abgesetzt werden. Wenn dies nicht zeitgerecht möglich ist, lassen sich zur Zeit keine bindenden Empfehlungen geben. 6 Ernsthafte Nebenwirkungen wie z.B. kardiovaskuläre Erkran­ kungen sind selten: Bei den arteriellen Thrombosen ist vor allem das Gestagen, bei den venösen das EE ursächlich beteiligt. Das Risiko einer Atherosklerose wird auch durch eine langjährige Einnahme von OH nicht erhöht. 7 OH-induzierte Leberzclladenome sind eine extrem seltene Kom­ plikation. Sie bilden sich nach Absetzen der OH weitgehend zurück und stellen keine Kontraindikation für eine nachfolgende Schwangerschaft dar. 8 Es gibt keine überzeugenden Hinweise auf eine Steigerung des Mammakarzinomrisikos durch die Einnahme von OH. Die in einzelnen epidemiologischen Studien gefundene leicht erhöhte Inzidenz lässt sich durch Früherkennungsmassnahmen erklären. Mammakarzinome werden in der Regel bei Pillencinnehmerinnen in einem prognostisch günstigeren Stadium gefunden. Ob eine erhöhte Dysplasierate der Cervix uteri durch die kontrazep­ tiven Steroide selbst oder durch begleitende andere Faktoren, ins­ besondere Virusinfektionen, hervorgerufen wird, ist ungeklärt. Ein Zusammenhang zwischen OH und malignem Melanom konnte nicht bestätigt werden. Unabhängig von ihrer Genese wird die Prognose dieser Erkrankungen durch regelmässige Früherkennungsmassnahmen entscheidend verbessert. 9 Einer Verordnung von OH steht medizinisch bei gegebener Indi­ kation nach Eintritt der Menarche nichts im Wege. Frauen über 40 Jahren können die Einnahme von niedrig dosierten OH fortsetzen, wenn ein altersbedingtes gesundheitliches Risiko ausgeschlossen wurde. Die Einnahme von OH. auch niedrigstdosierter, verhindert zuverlässig einen durch Östrogenmangel bedingten Knochenmas­ severlust. Wegen der möglichen kardiovaskulären und hepati­ schen Wirkungen sind OH jedoch kein geeignetes Mittel zur Behandlung klimakterischer Beschwerden. In diesen Fällen sind Präparate mit natürlichen Östrogenen idiziert. (Siehe Zürcher Empfehlungen zur Substitutionstherapie: DÄ März 1992.) 10 Das Risiko eines Endometrium- und Ovarialkarzinoms wird durch OH mit zunehmender Einnahmedauer und auch danach reduziert. Ausserdem haben OH einen günstigen Einfluss auf ver­ schiedene Erkrankungen und Beschwerden wie z.B. gutartige Brusterkrankungen, funktionelle Ovarialzysten. Blutungsstörun­ gen. Dysmenorrhoe und Akne. Sie verhindern zuverlässig unge­ wollte Schwangerschaften und die damit verbundenen Komplika­ tionen. Sie haben keine langfristigen Auswirkungen auf die Fertili­ tät und keine nachteiligen Wirkungen (z.B. Abort. Fehlbildungen) auf nachfolgende Schwangerschaften, auch wenn sie unmittelbar nach Absetzen eintreten. Es gibt keine Hinweise auf teratogenc Effekte, wenn während der Frühschwangerschaft OH eingenom­ men wurden. Dies gilt auch für Schwangerschaften, die unter der Einnahme von OH eingetreten sind.

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Empfehlungen zur oralen Kontrazeption

werden im Konsens getragen von (/'. Bettendorf, Hamburg II. Kahl, Frankfurt M. Breckwoldl, Freiburg B. Rmmebamn, Heidelberg P.J. Keller, Zürich .•1.7’. Teichmann, AschafTenburg

[Sonography and prenatal chromosome diagnosis].

Fortbildung Gynäkol Rundsch 1992:32:104-114 II. Universitäts-Frauenklinik. Wien. Österrreich Sonographie und pränatale chromosomale Diagnostik Die...
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