Originalarbeit

Soziale Unterschiede in der körperlich-sportlichen Aktivität bei Jugendlichen: Analyse der MoMo-Daten mithilfe der metabolischen Äquivalente (MET)

Autoren

K. Schott1, M. Hunger2, T. Lampert3, S. Spengler4, F. Mess4, A. Mielck1

Institute

Die Institutsangaben sind am Ende des Beitrags gelistet

Schlüsselwörter ▶ körperlich-sportliche Aktivi● tät (KSA) ▶ MET-Stunden ● ▶ soziale Ungleichheit ● ▶ Setting ● ▶ Jugendliche ●

Zusammenfassung

Abstract

Einleitung:  Eine genaue Erfassung der körperlich-sportlichen Aktivität (KSA) ist über den Energieverbrauch möglich, das heißt über ‚metabolische Äquivalente‘ (MET). Bei den Arbeiten zu den sozialen Unterschieden bei KSA ist diese Möglichkeit bisher kaum genutzt worden. Methoden:  Die Analysen basieren auf Daten des Motorik-Moduls (MoMo) der KiGGS-Studie (N = 1 757, Alter 11–17 Jahre); KSA wird in 3 Settings erfasst (Sport-AG, Verein, Freizeit). Es wurden 3 abhängige Variablen gebildet, durch Kombination folgender Kriterien: zumindest 21 MET-Stunden/Woche, Intensität zwischen 3 und 6 METs, mindestens 7 Stunden/Woche. Die zentralen unabhängigen Variablen sind Schulart und sozioökonomischer Status (SES) der Eltern. In ‚two part Modellen‘ wurde untersucht, ob KSA vorhanden ist und welche Unterschiede es in der Anzahl der MET-Stunden bei den sportlich Aktiven gibt. Ergebnisse:  Die Frage nach KSA wird in den beiden oberen Statusgruppen deutlich häufiger bejaht als in der unteren. Bezogen auf die Anzahl der MET-Stunden zeigen sich bei den sportlich Aktiven aber nur relativ geringe soziale Unterschiede (Regressionskoeffizient unterer vs. ­oberer SES: 1,15; 95 % KI 0,99–1,33). Schlussfolgerung:  Soziale Ungleichheit zeigt sich vor allem beim Anteil der sportlich Aktiven, nicht bei Ausmaß und Intensität der sportlichen Aktivität innerhalb der Gruppe der sportlich Aktiven. Die zentrale Forderung muss daher lauten, bei den Jugendlichen aus der unteren Statusgruppe den Anteil der sportlich Aktiven zu erhöhen.

Introduction:  Energy consumption, i.  e., the metabolic equivalent of task (MET), provides a precise assessment of physical activity (PA). Studies on social inequalities of PA have hardly used this possibility, however. Methods:  The analyses are based on the ‘Motorik-Modul (MoMo) of the KiGGS study (German Health Interview and Examination Survey for Children and Adolescents) conducted between 2003 and 2006 (n = 1 757; age group 11–17 ­years). PA has been assessed in 3 settings (sport club in school, other sport club, leisure time). 3 dependent variables were distinguished by combining the following criteria: at least 21 METhours per week, intensity between 3 and 6 METs, at least 7 hours a week. The main independent variables are: type of school and socioeconomic status (SES) of the parents. ‘Two part modelsʼ have been used to assess social difference in PA among those who are physically active. Results:  PA is much more common in the higher SES groups. Looking at the MET-hours, though, there are just little differences among those who are physically active (regressions coefficient for low vs. high SES: 1.15; 95 % conf. interv. 0.99–1.33). Conclusion:  Social differences can be seen mainly for the proportion of adolescents being physically active, not for the extent of PA among those who are physically active. Therefore, the central request should be to increase the proportion of adolescents performing any PA in the low SES group.

Einleitung

Übergewicht steigt in dieser Altersgruppe in den USA, in Europa und sogar in Teilen von Afrika und Asien [2–4]. In Deutschland weisen 15 % der Heran­wachsenden Übergewicht auf, ein Drittel davon sogar Adipositas. Der Anteil der Überge-

Key words ▶ physical activity ● ▶ metabolic equivalent of task ● (MET) ▶ social inequality ● ▶ setting ● ▶ adolescents ●

Bibliografie DOI http://dx.doi.org/ 10.1055/s-0034-1398556 Online-Publikation: 2015 Gesundheitswesen © Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York ISSN 0941-3790 Korrespondenzadresse Dr. Andreas Mielck, MPH Institut für Gesundheits­ ökonomie und Management im Gesundheitswesen Helmholtz Zentrum München Ingolstädter Landstraße 1 85764 Neuherberg [email protected]





Die motorische Leistungsfähigkeit von Kindern und Jugendlichen ist in den letzten Jahren um mehr als 10 % gesunken [1]. Die Prävalenz von



Schott K et al. Soziale Unterschiede in der …  Gesundheitswesen

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Social Differences in Physical Activity among Adolescents in Germany: Analyses Based on Information Concerning the Metabolic Equivalent of Task (MET)

wichtigen ist in den letzten 30 Jahren um ca. 50 % gestiegen. Jugendliche aus sozial niedrigen Statusgruppen sind fast 3-mal so häufig adipös wie ihre Altersgenossen aus den oberen Statusgruppen [4]. KSA kann nicht nur einen entscheidenden Beitrag zur Behebung einer der Ursachen von Übergewicht und Adipositas leisten [3], sondern auch die begleitenden Beschwerden verringern [2], den Abbau körperlicher Funktionen verzögern [5] sowie die psychische Stabilität im Jugendalter verbessern [2]. Es ist daher wichtig, KSA bereits frühzeitig zu fördern [6]. Dabei muss berücksichtigt werden, dass der soziale Status großen Einfluss auf das Gesundheitsverhalten haben kann [7]. Dies zeigt sich z. B. an der geringen Beteiligung von sozial benachteiligten Jugendlichen an den Angeboten der Sportvereine [8, 9]. In der vorliegenden Studie wird der Zusammenhang zwischen KSA und Sozialstatus bei Jugendlichen in Deutschland untersucht. Der soziale Status wird dabei zum einen über die Schulart und zum anderen über den sozioökonomischen Status (SES) der Eltern erfasst. Die Erfassung der KSA geschieht mithilfe ‚metabolischer Äquivalente‘ (abgekürzt MET, vom Englischen ‚metabolic equivalent of task‘). Die Arbeit mit METs ermöglicht die Aufsummierung verschiedener Aktivitäten, da jede Aktivität entsprechend ihrem Energieverbrauch gewichtet ist. Der Wert ‚1 MET‘ entspricht dem Energieverbrauch einer kcal pro kg Körper­ gewicht und Stunde [10]. Laut WHO sollten sich Kinder und Jugendliche pro Tag zumindest 60 min moderat bis anstrengend körperlich bewegen [11]; dies entspricht einer Intensität von 3 bis 6 METs [12]. Auf die Woche hochgerechnet bedeutet dies ‚zumindest 7 Stunden pro Woche‘ (also zumindest 21 MET-Stunden), auch wenn diese auf die Woche bezogene Umrechnung in der WHO-Empfehlung nicht explizit vorgenommen wird. Hierbei stellt sich die Frage: Wie groß ist der Anteil derjenigen, die diese Empfehlung einhalten? Die bisherigen Studien liefern hierzu unterschiedliche ­Ergebnisse. Die Ergebnisse unterscheiden sich nach dem Verfahren zur Messung der KSA (z. B. Fragebogen oder Accelerometrie) [13], nach Land [14], Geschlecht [9, 14–16] und Altersgruppe [9, 15, 16]. Gemäß der Zusammenfassung von Ekelund et al. [13] halten 30–40 % der Kinder und Jugendlichen diese Empfehlung ein; in Deutschland variieren die Angaben zwischen 10 % [16] und 29 % [15]. Der Zusammenhang zwischen sozialem Status und Einhaltung der Empfehlung ‚pro Woche zumindest 21 MET-Stunden‘ wurde bisher kaum untersucht. Die Studien aus Deutschland [15, 16] beinhalten keine detaillierten Analysen. Auch aus anderen Staaten liegen kaum Ergebnisse vor. Die vorliegende Arbeit will dazu beitragen, diese Lücke zu schließen. Mess und Woll [8] zeigen, dass der Zusammenhang zwischen SES und Sportbeteiligung vom Setting abhängig ist. Daher sollen auch hier unterschiedliche Settings betrachtet werden. Anders als in den bisherigen Analysen über Einflussgrößen auf KSA [8] wird dabei zusätzlich das Setting ‚Sport-Arbeitsgemeinschaft in der Schule‘ (SportAG) einbezogen. Die Analysen sollen dazu beitragen, die allgemeinen Bewegungsempfehlungen für die unterschiedlichen ­Statusgruppen settingbezogen zu spezifizieren.

Methoden



Die KiGGS-Studie [17] wurde zwischen Mai 2003 und Mai 2006 vom Robert Koch-Institut (RKI) durchgeführt. Sie erfasst den Gesundheitszustand von 17 641 Kindern und Jugendlichen ­ (Altersgruppe 0 und 17 Jahre) [18, 19]. Für die detaillierte Schott K et al. Soziale Unterschiede in der …  Gesundheitswesen

­ estimmung der KSA im Teilmodul MoMo (Motorik-Modul) B wurden 4 529 Kinder (4–10 Jahre) und Jugendliche (11–17 Jahre) zufällig ausgewählt und erneut befragt. Zusätzlich führten sie einen Test zur motorischen Leistungsfähigkeit durch [20]. Die Test-Retest Reliabilität des MoMo-Fragebogens im Abstand von 7 Tagen liegt bei r = 0,68; die Validität ist zufriedenstellend (Werte zwischen r = 0,26 und r = 0,51) [21, 22]. Die Korrelation der Fragebogen- mit den Accelerometer-Daten war hoch signifikant (r = 0,29) [22]. Weitere Details zum Studiendesign sind bei Woll et al. 2011 [23] und Kamtsiuris et al. 2007 [24] beschrieben. Der MoMo-Fragebogen beinhaltet Fragen zu Dauer, Häufigkeit, Saisonalität (Anzahl sportlich aktiver Monate pro Jahr) sowie zur Art der sportlichen Aktivität in 3 Settings: Sport-AG, Vereinsund Freizeitsport. 3 abhängige Variablen wurden (jeweils dichotom) definiert: (a) Bei der ersten steht die Frage im Vordergrund, ob die Empfehlung ‚zumindest 21 MET-Stunden pro Woche‘ erfüllt wurde, aufsummiert über alle 3 Settings. (b) Bei der zweiten wird geprüft, ob die Erreichung des Ziels ‚21 MET-Stunden pro Woche‘ verbunden war mit ‚zumindest 7 Stunden KSA pro Woche‘. (c) Bei der dritten abhängigen Variablen wird zusätzlich danach gefragt, ob die Intensität pro Sportart zwischen 3 und 6 METs lag. Die WHO empfiehlt eine moderate bis anstrengende Intensität [11], dies entspricht 3 bis 6 METs [12]. Durch diese Variable soll vermieden werden, dass ‚21 MET-Stunden pro Woche‘ durch eine lang ausgeübte Aktivität geringer Intensität ( 6 MET) erreicht wurde. Die Definition der zweiten Variablen würde, auf die Woche hochgerechnet, der WHO-Bewegungsempfehlung entsprechen [15]. Diese 3 abhängigen Variablen ­erfassen somit unterschiedliche Grade der Zielerreichung. Zusätzlich wurde die stetige Variable ‚MET-Stunden‘ gebildet. Die Intensität jeder sportlichen Aktivität ist auf Basis des ‚Compendium of Energy Expenditures for Youth‘ [25] in MET-Werte ­umgerechnet worden. Die Berechnung der MET-Stunden erfolgte dann durch Multiplikation der MET-Werte mit der Zeitdauer (Stunden/Woche) [10], unter Einbeziehung der Angaben zur Saisonalität [17]. Wie schon bei Spengler et al. [17] sind die MET-Stunden für jedes Setting getrennt berechnet und anschließend aufaddiert worden. Die unabhängigen Variablen sind SES und Schulart. SES wird über den Winkler-Index erfasst [26]. Bei der Schulart wird unterschieden zwischen Hauptschule, Realschule und Gymnasium. Die Schulart ‚Gesamtschule‘ erlaubt keine klare Zuordnung in diese Hierarchie, die Gesamtschüler (N = 219) wurden daher aus der weiteren Analyse ausgeschlossen. Wie auch bei Lampert [27] werden Förder- und Sonderschüler zu den Hauptschülern gezählt. 6 Variablen sind als Kofaktoren einbezogen worden, neben Alter (11–17 Jahre) und Geschlecht auch Migrationshintergrund, Wohnortgröße, Bundesland und Übergewicht. Jungen treiben deutlich mehr Sport als Mädchen [8, 16], und mit zunehmendem Alter sinkt die KSA [8, 11]. Die Variable ‚Migrationshintergrund‘ wurde wie folgt definiert: Jugendliche, die (a) entweder aus ­einem anderen Land zugewandert sind oder bei denen (b) zumindest ein Elternteil nicht in Deutschland geboren ist oder nicht die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt [28]. Bös et al. [9] zeigen, dass Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund bei der Teilnahme am Vereinssport unterrepräsentiert sind. Die Variable ‚Wohnortgröße‘ wurde entsprechend der Einwohnerzahl in 4 Gruppen eingeteilt [29]: ländlich (  100 000); die Wohnortgröße kann sich z. B. auf die

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Originalarbeit

Teilnahme am Vereinssport auswirken [8, 9]. Bei der Variablen ‚Bundesland‘ wird zwischen alten und neuen Bundesländern unterschieden, wobei Gesamt-Berlin den alten zugerechnet wird [30]; auch diese Variable kann sich auf KSA auswirken [8, 9]. Übergewicht wird definiert als Body-Mass-Index (BMI) über dem 90. alters- und geschlechtsspezifischen Perzentil [31]; die Angaben zu Körpergröße und -gewicht basieren auf Messdaten [17]. So plausibel ein Zusammenhang zwischen KSA und Übergewicht auch sein mag, eindeutig belegt werden konnte dies bisher kaum [7]. Für die binären Zielgrößen wurden logistische Regressions­ modelle gerechnet. Dabei sind nur die Kofaktoren einbezogen worden, bei denen in bivariaten Analysen ein signifikanter Zusammenhang mit der abhängigen Variable gefunden wurde (Chi-Quadrat-Test, p 

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