Leitthema Nervenarzt 2014 · 85:57–66 DOI 10.1007/s00115-013-3895-4 Online publiziert: 21. Dezember 2013 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013

T. Pollmächer1 · T.C. Wetter2 · S. Happe3 · K. Richter4 · J. Acker4 · D. Riemann5 1 Zentrum für psychische Gesundheit, Klinikum Ingolstadt, Ingolstadt 2 Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Schlafmedizinisches

Zentrum, Universität Regensburg am Bezirksklinikum, Regensburg 3 Abteilung für Neurologie, Klinik Maria Frieden, Telgte 4 Psychiatrische Klinik, Klinikum Nord, Nürnberg 5 Zentrum für Schlafmedizin, Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie, Universitätsklinik Freiburg

Schlafmedizinische Differenzialdiagnostik in Psychiatrie und Psychotherapie

Die Erfragung von Schlafstörungen und Tagesmüdigkeit ist Teil jeder sorgfältigen psychiatrischen Untersuchung. Abgesehen von der primären (nichtorganischen) Insomnie [1] sind Störungen des Schlaf-Wach-Verhaltens allerdings nicht diagnostisch richtungsweisend für bestimmte psychiatrische Erkrankungen, weshalb sie oft zu Recht als Symptom der Grunderkrankung und nicht als eigenständiges Problem diagnostisch bewertet und therapiert werden [2]. Und doch sind bei einer erheblichen Zahl psychiatrischer Patienten Schlafstörungen oder Tagesmüdigkeit durch eine zusätzliche genuine (komorbide) schlafbezogene Erkrankung verursacht. Umgekehrt verursachen schlafbezogene Erkrankungen, wie z. B. das Schlafapnoesyndrom, nicht selten psychopathologische Auffälligkeiten, besonders depressive Symptome. Insgesamt finden sich deshalb eigenständige schlafmedizinische Erkrankungen im Patientengut von Psychiatern und Psychotherapeuten weit häufiger, als es der zufällig zu erwartenden Komorbiditätsrate entspricht. Deshalb sollte jeder Psychiater und Psychotherapeut die Grundzüge schlafmedizinischer Diagnostik kennen, um entweder deren Ergebnis für sein eigenes Vorgehen zu berücksichtigen oder den Pati-

enten zur weiteren Diagnostik und Therapie an einen schlafmedizinisch versierten Kollegen bzw. an ein schlafmedizinisches Zentrum zu verweisen. Im Folgenden werden zunächst die zur Verfügung stehenden diagnostischen Methoden von der gezielten Anamnese bis zur Polysomnographie kurz beschrieben. Danach wird der differenzialdiagnostische Einsatz dieser Methoden anhand der drei häufigsten Leitsymptome „Ein- und Durchschlafstörungen“, „gestörte nächtliche Motorik“ und „erhöhte Tagesmüdigkeit“ unter dem Blickwinkel von Psychiatrie und Psychotherapie dargestellt.

schon am Abend außerhalb des Bettes), die auf ein Restless-legs-Syndrom hinweisen können. Bezüglich des Nachtschlafes sind neben seiner Dauer und Anzahl von Unterbrechungen vor allem Schnarchen und fremdanamnestisch beobachtete Atempausen von Relevanz. Komplexe Bewegungen, wie etwa Aufstehen, Aufsetzen im Schlaf und insbesondere nächtliche Selbst- oder Fremdverletzungen, bedürfen immer einer sorgfältigen Abklärung bezüglich des Vorliegens einer Parasomnie, einer nächtlichen Bewegungsstörung oder einer Epilepsie (Fremdanamnese!).

Methoden der schlafmedizinischen Diagnostik

D Besonders wichtig ist die Unter-

Anamneseerhebung Die schlafmedizinische Anamnese umspannt stets den gesamten 24-StundenTag. Zum einen ist die Erfassung des gestörten Schlafs in der Nacht essenziell, zum anderen sind Vigilanz und Müdigkeit/Schläfrigkeit während des Tages untrennbar mit der Qualität und der Quantität des Schlafes verbunden. Bezüglich des Einschlafens sind dessen Dauer und begleitende schlafstörende Emotionen/Kognitionen sowie vegetative Symptome von Bedeutung, aber auch Missempfindungen und Bewegungsdrang beim Einschlafen (oder aber auch

scheidung zwischen Schläfrigkeit mit erhöhter Einschlafneigung und Müdigkeit ohne Einschlafen. Selbstverständlich sind die Befindlichkeitsstörungen schlafgestörter Patienten am Tage immer im Zusammenhang mit dem psychopathologischen Befund zu sehen. Wird Einschlafen am Tage berichtet, muss immer geklärt werden, ob es zu ungewolltem, eventuell sogar imperativem Einschlafen kommt, weil dann eine erhebliche Gefährdung im Straßenverkehr oder beim Bedienen von Maschinen besteht. Schlafstörungen unterliegen ganz erheblichen Fluktuationen über die Zeit hinweg, weswegen neben dem Beginn der Der Nervenarzt 1 · 2014 

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Leitthema

Abb. 1 9 Graphische Darstellung einer aktigraphischen Messung. Es handelt sich um einen sog. Doppeltplot, d. h. in jeder Zeile sind zwei 24 h Episoden versetzt dargestellt, um die Übersicht zu erleichtern. Erkennbar ist ein teilweise regelmäßig, streckenweise aber auch sehr unregelmäßiges SchlafWach-Muster mit einer angedeuteten Tag-Nacht-Umkehr des Schlafverhaltens am 17. und 20. Mai. Die Aktigraphie eignet sich hervorragend zur Erfassung der Variabilität des SchlafWach-Verhaltens über die Zeit, aber nicht dazu, reliabel Schlaf und Wachen quantitativ zu trennen. (Aus [2])

Beschwerden auch Phasen der Remission und andere Veränderungen der Symptomatik von Bedeutung sind. Wichtig ist auch stets die Frage, welche äußeren Faktoren (z. B. häusliche Umgebung, Genussmittel) die Symptomatik beeinflussen.

Fragebögen Es existiert eine Reihe von Instrumenten zur quantitativen oder semiquantitativen Erfassung von schlafbezogenen Beschwerden, die nicht nur zu Forschungszwecken nützlich sind, sondern auch im klinischen Alltag wertvolle Informationen liefern können. Zumeist handelt es sich dabei um Selbstbeurteilungsinstrumente. Der Pittsburgh Sleep Quality Index (PSQI; [3]) ist ein Fragebogen zur retrospektiven Erfassung der Schlafqualität. Er erfasst den Zeitraum der letzten 4 Wochen und erhebt die Häufigkeit schlafstö-

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render Ereignisse, die subjektive Schlafqualität, die üblichen Schlafenszeiten, die subjektive Einschlaflatenz und Schlafdauer, die Einnahme von Schlafmedikationen sowie die Tagesmüdigkeit, aber auch Phänomene wie Schnarchen und Atempausen. Eine diagnostische Differenzierung gestatten die Ergebnisse nicht, jedoch erlaubt der PSQI dem Kliniker anhand der einzelnen Antworten eine schnelle Übersicht über Art und Ausmaß der Störung. Zudem eignet sich der PSQI zur Verlaufsmessung des Schweregrades von Insomnien. Die Epworth Sleepiness Scale (ESS; [4]) ist ein Instrument zur Erfassung erhöhter Tagesschläfrigkeit. Acht Fragen zu bestimmten Situationen oder Tätigkeiten, die mit einer Einschlafneigung einhergehen können, erlauben eine Graduierung der subjektiv erlebten Einschlafwahrscheinlichkeit in 4 Stufen von 0 bis 3, so-

dass maximal 24 Punkte erreicht werden können; 10 Punkte und mehr deuten auf eine klinisch relevante Einschlafneigung hin. Die Schwere der Ausprägung eines Restless-legs-Syndroms (RLS) kann anhand einer von der Internationalen Restless Legs Syndrome Study Group validierten Schweregradskala (IRLS; [5]) quantifiziert werden. (Infos im Internet und download: http://www.awmf.org/leitlinien/detail/ ll/030-081.html). Das Münchner Parasomnie-Screening (MUPS; [6]) ist ein Screeninginstrument zur Erfassung der Häufigkeit von Parasomnien und schlafbezogenen Bewegungsstörungen. Es handelt sich um ein Selbstbeurteilungsinventar für Erwachsene, das insgesamt 21 Merkmale erfasst. Der Fragebogen kann unterstützend zur Anamneseerhebung im klinischen Alltag eingesetzt werden, da auch seltene

Zusammenfassung · Summary nächtliche Verhaltensweisen aufgenommen sind. Die hohe Variabilität schlafbezogener Beschwerden über die Zeit macht in vielen Situationen eine prospektiv-longitudinale Erfassung mithilfe eines Schlaftagebuches sinnvoll und notwendig. Hierzu werden vom Patienten selbst Variablen wie der Zeitpunkt des Zubettgehens, die geschätzte Einschlafdauer, Schlafunterbrechungen, Zeit des Aufstehens, Tagschlafepisoden über einen Zeitraum von z. B. 2 Wochen notiert. Es existiert eine Vielzahl strukturierter Schlaftagebücher. Prinzipiell können strukturierte Textaufzeichnungen von graphischen Varianten unterschieden werden. Unabhängig davon, welcher Typ verwendet wird, ist die darin enthaltene Information von hohem Wert für die Diagnostik, aber auch für das Verständnis des Patienten für seine eigene Schlafstörung und für die Beurteilung der Effizienz von Interventionen.

Aktigraphie Als Aktigraphie wird die kontinuierliche Messung von Bewegungsaktivität bezeichnet. Verwendet werden hierzu sog. Aktometer (handliche Geräte in der Größe einer Armbanduhr), die am Handgelenk des nicht dominanten Armes getragen werden und Aufzeichnungen über mehrere Wochen erlauben. Die Daten erlauben die kontinuierliche graphische Darstellung der Aktivität über die Zeit (. Abb. 1) und damit eine sehr gut Einschätzung von ungefährer Länge und Position der Hauptschlafepisode, längerer Unterbrechungen und längerer Tagschlafepisoden. Manche Hersteller bieten Software zur rechnerischen Detektion von Schlaf aus aktimetrischen Daten an. Es muss darauf hingewiesen werden, dass die benutzten Algorithmen meist nicht nachvollziehbar validiert sind und wenn, dann nur an gesunden Probanden. Deshalb sollten aktimetrische Daten stets nur zur Beurteilung des Ruheaktivitätsmusters benutzt werden. Die Unterscheidung von Schlafen und Wachen muss der Polysomnographie vorbehalten bleiben.

Vigilanzmessung und Leistungsdiagnostik Schläfrigkeit am Tage kann nicht nur subjektiv z. B. mit der ESS erfasst werden, sondern auch objektiv mit dem multiplen Schlaflatenztest (MSLT; [7]). Zusätzlich kann auch die Fähigkeit, tagsüber wach zu bleiben, mit dem sog. Maintenance of Wakefulness Test (MWT; [8]) gemessen werden. Ferner kann die Aufmerksamkeit am Tage untersucht werden. Die Methoden reichen von einfachen Reaktionszeittests wie dem Psychomotor Vigilance Task (PVT; [9]) über bestimmte Tests zur Erfassung der Daueraufmerksamkeit bis zur systematischen Erfassung der Leistung in Fahrsimulatoren.

Kardiorespiratorische Polygraphie Zur orientierenden Diagnostik schlafbezogener Atmungsstörungen eignet sich besonders die kardiorespiratorische Polygraphie. Hierbei werden typischerweise kontinuierlich während des Nachtschlafes Atemfluss, Atembewegungen, Sauerstoffsättigung, Schnarchaktivität, Elektrokardiogramm und die Lage im Bett gemessen. Diese Biosignale erlauben die Detektion von Atempausen und Entsättigungen (. Abb. 2). Diese Untersuchungen können mit relativ geringem technischem Aufwand zuhause beim Patienten durchgeführt werden, weshalb die Polygraphie als Screeninguntersuchung ausgezeichnet geeignet ist. Ihre Aussagekraft ist allerdings durch eine Reihe von Faktoren limitiert. Die fehlende Möglichkeit, technische Fehler während der Aufzeichnung zu korrigieren, führt häufig zu Aufzeichnungen, die nicht gut interpretierbar sind. Da weder bestimmbar ist, ob der Patient schläft, noch in welchem Schlafstadium er sich befindet, versagt die Polygraphie häufig bei Insomniepatienten, da eine nächtliche Atmungsstörung in ihrem Ausmaß umso mehr unterschätzt wird, als die Schlafqualität herabgesetzt ist.

Kardiorespiratorische Polysomnographie mit Videometrie Die Polysomnographie (PSG) ist der Goldstandard zur Messung des Schlafes und damit assoziierter pathologischer Er-

Nervenarzt 2014 · 85:57–66 DOI 10.1007/s00115-013-3895-4 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013 T. Pollmächer · T.C. Wetter · S. Happe · K. Richter · J. Acker · D. Riemann

Schlafmedizinische Differenzialdiagnostik in Psychiatrie und Psychotherapie

Zusammenfassung Klagen über einen gestörten Schlaf oder erhöhte Tagesmüdigkeit gehören zu den häufigsten Beschwerden, die Patienten gegenüber ihrem Psychiater und Psychotherapeuten beklagen. Solche Beschwerden können Symptom einer psychiatrischen Störung sein, aber auch hinweisend auf andere oder zusätzliche Erkrankungen. Deshalb sind Grundkenntnisse in der schlafmedizinischen Differenzialdiagnostik von erheblicher klinischer Bedeutung für Psychiater und Psychotherapeuten. In der vorliegenden Übersicht wird nach einer Darstellung der diagnostischen Methoden das differenzialdiagnostische Vorgehen orientiert an den klassischen Leitsymptomen, nämlich Ein- und Durchschlafstörungen, gestörte nächtliche Motorik und erhöhte Tagesmüdigkeit, dargestellt. Schlüsselwörter Schlafstörung · Psychiatrische Störung · Schlafmedizin · Leitsymptome · Tagesmüdigkeit

Sleep medicine differential diagnostics in psychiatry and psychotherapy Summary Complaints about disturbed sleep or increased daytime sleepiness are among the most frequent symptoms reported to psychiatrists by patients. Such complaints can be symptoms of an underlying psychiatric disorder or indicative of a separate or comorbid sleep disorder. Hence, basic knowledge in the differential diagnosis of sleep medicine pathologies is pivotal for psychiatrists and psychotherapists. In the present overview following a description of the diagnostic methods, the diagnostic work-up according to the major symptomatic clusters, namely disturbances in initiating and maintaining sleep, abnormal nocturnal movements and excessive daytime sleepiness will be presented. Keywords Sleep disorder · Mental disorder · Sleep medicine · Main symptoms · Daytime sleepiness

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Abb. 2 8 Darstellung der Ergebnisse einer kardiorespiratorischen Polygraphie. Hierbei werden zur Erfassung der nächtlichen Atmung neben dem Luftfluss an Nase und Mund (Flow) die Atembewegungen an Thorax und Abdomen, die Schnarchgeräusche sowie die Sauerstoffsättigung gemessen. Typisch für nächtliche Apnoen ist der Abfall der Sauerstoffsättigung, wie in der untersten Zeile der Registrierung über weite Strecken zu erkennen ist

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Bettgehzeit Aufwachzeit Aufstehzeit Einschlafzeit (min)

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Wachzeit (min) Schlafzeit (min) Schlafeffizienz (%) Tagschlaf (min)

72,1 (64,0) 270,0 (270,0) 56,3 (56,3) 0,0 (0,0)

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Abb. 3 8 Graphische Darstellung der Schlaf-Wach-Rhythmik verschiedener Phänotypen der Insomnie basierend auf Schlaftagebuchdaten über 14 Tage. Grau unterlegt sind jeweils die Wochenenden. Die eingezeichneten Balken beruhen auf den Patientenangaben zur Zubettgeh- und Aufstehzeit. Grau gekennzeichnet in den Balken sind jeweils die subjektiv erlebten Wachzeiten, Schlaf wird schwarz symbolisiert. Die Zahlenangaben spiegeln die subjektiven Einschätzungen zur Einschlaflatenz und zu den nächtlichen Wachliegezeiten und zum frühmorgendlichen Erwachen wider. Das Erwachen im Verlauf der Nacht ist immer in einer Summe für die ganze Nacht in der Mitte des Gesamtbalkens dargestellt – eine genaue zeitliche Zuordnung ist im Rahmen des Schlaftagebuchs nicht möglich und auch nicht erwünscht. (Datenquelle: Schlaflabor der Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie, Universitätsklinik Freiburg)

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Wachzeit (min) Schlafzeit (min) Schlafeffizienz (%) Tagschlaf (min)

99,2 (93,8) 291,7 (278,9) 61,6 (58,3) 0,4 (0,5)

Tab. 1  Indikationen zur Durchführung einer Videopolysomnographie zur Differenzialdiag-

nostik unklarer nächtlicher motorischer Störungen (Mod. aus [18]) Evaluation nächtlicher motorischer Störungen, die aufgrund des Lebensalters, der Dauer, Häufigkeit oder motorischer Verhaltensweisen atypisch sind Verdacht auf nächtliche epileptische Anfälle Progredienz von Frequenz, Ausprägung und Dauer der Ereignisse Abklärung schlafbezogener Verhaltensweisen, die (potenziell) selbst- und fremdgefährdend sind Anamnestische Angaben lassen keine sichere Zuordnung des Zeitpunktes der Ereignisse zu Verdacht auf das Vorliegen einer REM-Schlaf-Verhaltensstörung oder anderer zusätzlicher Schlafstörungen wie PLMD oder einer schlafbezogene Atmungsstörung Patienten älter als 30 Jahre oder Erstmanifestation der Störung im Erwachsenenalter Die Symptomatik spricht nicht auf eine Behandlung an Forensische Fragestellung PLMD „periodic limb movement disorder“, REM „rapid eye movement“.

eignisse. Eine Vielzahl von Biosignalen erlaubt die Bestimmung der Vigilanzzustände (Schlafstadien), die Detektion von Störung der nächtlichen Atmung, der nächtlichen Motorik und die Registrierung epilepsietypischer Aktivität im Elektroenzephalogramm (EEG). PSG-Untersuchungen werden typischerweise in mindestens zwei aufeinanderfolgenden Nächten in speziellen schlafmedizinischen Zentren mit gleichzeitiger Videometrie durchgeführt. Ein Nachteil der PSG ist der hohe zeitliche, technische und personelle und damit finanzielle Aufwand, weswegen die Indikation zurückhaltend gestellt werden muss.

Symptomorientierte Differenzialdiagnose Die symptomorientierte Differentialdiagnose hat zum Ziel, ausgehend von den Hauptbeschwerden des Patienten, die Erkrankung einer der 80 verschiedenen Schlaf-Wach-Störungen zuzuordnen, die in der ICSD (International Classification of Sleep Disorders) -2 klassifiziert sind [10, 11]:

Ein- und Durchschlafstörungen Im Rahmen der klinischen Anamnese muss man sich in einem ersten Schritt mit gezielten Fragen einen Eindruck über die durchschnittlichen Schlafzeiten eines Patienten verschaffen. Entsprechende Fragen sind sowohl im PSQI als auch im Schlaftagebuch, das in der Regel über 14 Tage erhoben werden sollte, enthalten. . Abb. 3 zeigt zur Erläuterung graphische

Darstellungen von Schlaftagebüchern (jeweils 14 Tage) insomnischer Patienten. Besondere Bedeutsamkeit muss für das Symptom frühmorgendliches Erwachen angenommen werden, das als Erwachen vor dem eigentlichen Weckzeitpunkt mit der Unfähigkeit, wieder einzuschlafen, definiert ist. Dies wird charakteristischerweise als Symptom somatischer/melancholischer Depression aufgefasst. Für viele Forschungsuntersuchungen, insbesondere im Bereich der Psychopharmakologie, hat sich inzwischen etabliert, dass eine subjektiv geschätzte Einschlafzeit von ≥30 min als auffällig gesehen wird, wobei für eine Durchschlafstörung nächtliche Wachzeiten (WASO, „wake after sleep onset“) ≥30 min als auffällig betrachtet werden. Diagnostisch relevant ist nicht das seltene oder nur gelegentliche Vorkommen gestörten Ein- und oder Durchschlafens, sondern eine Persistenz der Beschwerden über mindestens 4 Wochen, die mit einer Beeinträchtigung der Tagesbefindlichkeit einhergehen. Neben der Erfassung des Schlafverhaltens ist in diesem Kontext deswegen die Einschätzung der Folgen der Insomnie wichtig, also die Frage, wie beeinträchtigt fühlt sich ein Patient durch den gestörten/ verkürzten Nachtschlaf. Neben der Beschreibung der Folgen durch den Betroffenen wird man hier unter Umständen auf neuropsychologische Testverfahren bzw. Fragebögen/Testverfahren zur Vigilanzeinschätzung zurückgreifen. Klagen über Ein- und/oder Durchschlafstörungen sind zuerst einmal sehr unspezifisch. Bislang orientierte sich der differenzialdiagnostische Prozess daran, festzustellen, ob es ich um eine pri-

märe oder sekundäre Insomnie handelt. Die primäre Insomnie ist nach dem DSM (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders) -IV (nichtorganische Insomnie in der ICD [International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems] -10) als Ausschlussdiagnose definiert. Die Diagnose wird dann gestellt, wenn andere Ursachen, wie z. B. eine somatische oder psychische Erkrankung oder eine Substanzeinnahme als Ursache der insomnischen Beschwerden auszuschließen sind bzw. nicht die Hauptursache dafür sind. Ebenso darf keine andere Schlafstörung (etwa eine schlafbezogene Atmungsstörung) der insomnischen Beschwerde zugrunde liegen. Gerade bei Patienten mit psychiatrischen Erkrankungen liegt oft gemeinsam mit den insomnischen Beschwerden eine nächtliche Atmungsstörung vor. Auch bei Frauen und im Alter kann die Insomnie führend sein, während das prototypische Symptom der Müdigkeit fehlen kann. Deshalb ist bei psychiatrischen Patienten mit insomnischen Beschwerden die Indikation zumindest für eine ambulante polygraphische Diagnostik der nächtlichen Atmung sehr großzügig zu stellen. Weiterhin muss eine gründliche psychiatrische Untersuchung erfolgen. Depressive Erkrankungen gehen extrem häufig mit gestörtem Schlaf im Sinne einer Insomnie einher [12], sodass für die differenzialdiagnostische Einschätzung der Ausschluss einer aktuellen depressiven Erkrankung oder einer früheren depressiven Erkrankung zielführend ist. Entsprechend muss nach dem aktuellen affektiven Zustand und nach anderen depressiven Symptomen aktiv gefragt werden. Ein Überblick über alle psychischen Störungen, die mit insomnischen Beschwerden einhergehen können, findet sich in . Infobox 1.

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Eine Vielzahl an Medikamenten kann Schlafstörungen verursachen Ebenso können natürlich die Einnahme, der Missbrauch oder auch die Intoxikation mit oder das Absetzen von Substanzen jeglicher Art den Schlaf verschlechtern. Diesbezüglich können sowohl ärztlich Der Nervenarzt 1 · 2014 

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Leitthema Tab. 2  Antidepressiva, für die mindestens ein Fallbericht vorliegt, ein Restless-legs-Syndrom

verursacht zu haben (Mod. aus [21]) Antidepressivum Trizyklika Heterozyklika NARI SSRI

SNRI MAO-Hemmer SNA NDRI MT1- und MT2Agonist

Amitriptylin Maprotilin Trazodon Reboxetin Citalopram Escitalopram Fluoxetin Fluvoxamin Paroxetin Sertralin Duloxetin Venlafaxin Moclobemid Tranylcypromin Mirtazapin Mianserin Buproprion Agomelatin

n >5 − − − 1 1 4; 3 in Kombination mit Mirtazapin − 2; 1 in Kombination mit Quetiapin 1 − 2 − − >9; 3 in Kombination mit Fluoxetin 9 Hinweise auf Besserung des RLS durch Bupropion –

NARI Noradrenalinwiederaufnahmehemmer, NDRI Noradrenalin- und Dopaminwiederaufnahmehemmer, RLS Restless-legs-Syndrom, SNA serotonerg-noradrenerg-wirkende Antidepressiva, SNRI selektiver Serotonin- und Noradrenalinwiederaufnahmehemmer, SSRI selektiver Serotoninwiederaufnahmehemmer.

verordnete Medikamente als auch die in unserer Gesellschaft üblichen Genussdrogen sowie illegale Drogen eine große Rolle spielen [13]. In Bezug auf Medikamente ist hier z. B. an β-Rezeptoren-Blocker zu denken, die bei 5–10% aller Patienten als Nebenwirkung gestörten Schlaf erzeugen können [14]. Eine medikamentöse Verursachung liegt dann nahe, wenn ein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen der Medikamenteneinnahme und dem Auftreten der Schlafstörung besteht. Besonders häufig liegen Alkoholkonsum bzw. -missbrauch bzw. -abhängigkeit insomnischen Beschwerden zugrunde [15]. Alkohol hat zwar initial nach Einnahme vor dem Schlafengehen einen schlafanstoßenden, sedierenden und sogar tiefschlafvermehrenden Effekt, der sich allerdings im Verlauf der Nacht bei Abfall des Alkoholspiegels in sein Gegenteil, d. h. vermehrte Wachzeiten, umkehrt (Rebound-Effekt). Weiterhin ist es im Rahmen der Diagnosestellung einer primären Insomnie relevant, andere Schlafstörungen als Ursache auszuschließen. Die korrekte differenzialdiagnostische Einordnung ergibt sich nicht zuletzt daraus, welcher Symptomkomplex führend ist und in welcher

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zeitlichen Abfolge sich die Symptome herausgebildet haben. Im differenzialdiagnostischen Inventar wird neben der klinischen Anamnese dem Einsatz von Schlaffragebögen und -tagebüchern der größte Stellenwert zukommen. Die Aktigraphie wird insbesondere dann eingesetzt werden, wenn eine Schlaf-WachRhythmusstörung vermutet wird (etwa ein Syndrom der verzögerten Schlafphase). Eine Polysomnographie ist sehr hilfreich zur Abklärung/Bestimmung anderer Schlafstörungen (etwa schlafbezogene Atmungsstörung und motorische Phänomene) und sollte bei insomnischen Patienten mit chronischen therapierefraktären Störungen immer erfolgen. Abschließend muss noch angemerkt werden, dass eine primäre Insomnie auch als komorbide Störung diagnostiziert werden kann, falls sie zeitgleich mit einer anderen organischen oder psychischen Erkrankung oder einer Substanzeinnahme vorliegt. Diese Sichtweise beruht auf den Ergebnissen einer „state of the science conference“ des National Institutes of Health [16] und wird durch die Etablierung einer diagnostischen Hauptkate-

gorie „insomnia disorder“ im DSM-5 bestätigt [17].

Gestörte nächtliche Motorik Die Merkmale nächtlicher motorischer Störungen umfassen ein breites Spektrum von Bewegungsmustern ohne Krankheitswert (Normvarianten) über repetitive, stereotyp auftretende Bewegungen bis hin zu komplexen nächtlichen Verhaltensweisen mit potenziell selbst- oder den Bettpartner gefährdendem Verhalten. Auch wenn die aus dem Schlaf heraus auftretenden motorischen Störungen häufig im Vordergrund der Beschwerden stehen, können Symptome eines nichterholsamen Schlafes bzw. Schläfrigkeit am Tage vorhanden sein. Eine Beeinträchtigung der Erholungsfunktion des Schlafes ist bei bestimmten schlafbezogenen motorischen Störungen eine notwendige Voraussetzung, um überhaupt eine Diagnose stellen zu können. Die Grundlagen des differenzialdiagnostischen Prozesses umfassen die eigenund fremdanamnestischen Angaben, insbesondere die möglichst detaillierte Beschreibungen der motorischen Auffälligkeiten durch den Bettpartner oder auch die pflegende Person. Hilfreich können der Einsatz eines Schlaftagebuches oder eines spezifischen Schlaffragebogens sein, um nächtliche motorische Störungen einzugrenzen (Münchner Parasomnie-Screening; [6]). Zur Objektivierung der motorischen Aktivität über einen längeren Zeitraum eignen sich die Aktigraphie oder auch nächtliche Videoaufzeichnungen in der gewohnten Umgebung. Bei Verdacht auf zugrunde liegende oder assoziierte neurologische Erkrankungen sind weitere technische Untersuchungen (z. B. EEG, kraniale Computertomographie [CCT], Magnetresonanztomographie [MRT]) notwendig. D Die Video-PSG ist der Goldstandard

in der Differenzialdiagnostik unklarer nächtlicher motorischer Störungen. Aufgrund des aufwendigen Untersuchungsverfahrens sollten die spezifischen Indikationskriterien für eine Video-PSG geprüft werden (. Tab. 1).

Infobox 1  Psychische Störungen, die mit insomnischen Beschwerden einhergehen können F Depressive Störungen F Abhängigkeitserkrankungen F Demenzielle Erkrankungen F Psychosen F Essstörungen F Persönlichkeitsstörungen F Angsterkrankungen Periodische Bewegungen der Extremitäten („periodic limb movement disorder“) sind durch periodisch auftretende Episoden stereotyper Bewegungen der Extremitäten, meistens der Beine, während des Schlafes (seltener auch im Wachzustand) gekennzeichnet. Typisch sind eine Extension der großen Zehe sowie eine Flexion von Sprunggelenk, Knie und Hüfte. Die Symptomatik führt nur dann zu einer Diagnose, wenn die repetitiven Beinbewegungen polysomnographisch nachgewiesen wurden und die betroffene Person gleichzeitig über nichterholsamen Schlaf bzw. Tagesschläfrigkeit klagt [10]. Bestehen keine klinischen Beschwerden, werden die Beinbewegungen als motorische Aktivität ohne Krankheitswert betrachtet. Beim nächtlichen Zähneknirschen (Bruxismus) tritt im Schlaf eine rhythmische Aktivität der Kaumuskulatur vor allem im Non-REM-Schlaf auf, die zu Schädigungen der Zähne, des Zahnhalteapparates und des Kiefergelenkes und auch zu Kopfschmerzen führen kann. Seltener berichtet der Patient über Schlafstörungen bzw. nichterholsamen Schlaf. Bruxismus kann primär oder sekundär im Rahmen anderer psychiatrischer, neurologischer oder schlafmedizinischer Erkrankungen auftreten. Charakteristisch für schlafbezogene rhythmische Bewegungsstörungen im engeren Sinne sind repetitive Aktivitäten großer Muskelgruppen, die den Kopf oder den ganzen Körper betreffen und meistens beim Wach-Schlaf-Übergang auftreten. Die Dauer beträgt meist mehrere Minuten, manchmal werden sie bewusst als Einschlafritual ausgelöst [18]. Die Diagnose sollte nur dann gestellt werden, wenn die nächtliche Aktivität die Erholungsfunktion des Schlafes beeinträchti-

gt oder es zu selbstverletzendem Verhalten kommt. Entscheidend ist somit die Fremdanamnese. Eine polysomnographische Untersuchung ist aus differenzialdiagnostischen Gründen bei ausgeprägten Schlafstörungen oder bei Selbstverletzungen indiziert. Ein Bewegungsdrang und nächtliche Missempfindungen in den Extremitäten mit Besserung durch Umherlaufen sind typisch für das das Restless-legs-Syndrom. Um die Diagnose zu stellen, müssen vier essenzielle Kriterien [19] erfüllt sein. 1. Bewegungsdrang der Beine mit unbehaglichem Gefühl, 2. Beginn oder Verschlechterung während Ruhe oder Inaktivität, 3. Besserung durch Bewegung (teilweise oder vollständig), 4. Verschlimmerung am Abend oder in der Nacht. Darüber hinaus sind unterstützende und assoziierte Merkmale definiert worden (s. auch Beitrag von Krenzer et al. in diesem Heft). Die meisten Patienten mit RLS weisen auch periodische Beinbewegungen im Schlaf auf. Andere unangenehme sensorische und motorische Symptome, die mit Ruhe oder Schlaf assoziiert auftreten, wie z. B. Einschlafmyoklonien (nur sehr selten von Krankheitswert), schlafbezogene Beinkrämpfe, eine Akathisie oder Polyneuropathien, müssen differenzialdiagnostisch vom RLS abgegrenzt werden. Zur Unterscheidung des idiopathischen vom symptomatischen RLS müssen entsprechende Veränderungen ausgeschlossen werden. Von besonderem Interesse sind hierbei ein Eisenmangel, die Urämie und eine Schwangerschaft. Medikamente wie Antidepressiva sowie Dopaminantagonisten (Neuroleptika und Antiemetika) können ein RLS auslösen oder verstärken ([20], . Tab. 2). Das Schlafwandeln gehört zu den Aufwachstörungen aus dem Non-REMSchlaf (Arousalstörungen) und ist durch ein partielles Erwachen aus dem Schlaf gekennzeichnet. Dadurch können Verhaltensmuster in Gang gesetzt werden, die aus dem Tiefschlaf heraus zu komplexen, scheinbar zielgerichteten motorischen Aktivitäten während des Schlafes führen, wie das Verlassen des Bettes und Umherlaufen. Häufiger kommt es aber zu relativ einfachen motorischen Handlungen (z. B. Aufrichten im Bett). Nach dem Erwachen

sind die Betroffenen häufig desorientiert, und es besteht eine Amnesie für die Ereignisse. Auslösend können Fieber, Schlafentzug, emotionale Belastungsfaktoren und im Erwachsenenalter Psychopharmaka bzw. deren Entzug sein (. Tab. 3). Im Vordergrund der Therapie stehen Maßnahmen zur Sicherheit des Patienten, die Vermeidung möglicher Auslöser wie unregelmäßige Schlafzeiten und Schlafentzug [22]. Zur Gruppe der Non-REM-Parasomnien wird auch der Pavor nocturnus gezählt, der typischerweise von einem lauten Schrei sowie vegetativen Zeichen und Verhaltensmustern einer intensiven Furcht (Mydriasis, Tachykardie, Tachypnoe, Schwitzen) begleitet ist. Bei der Verhaltensstörung im REMSchlaf (Gruppe der REM-Schlaf-Parasomnien) treten einfache oder komplexe, z. T. sehr heftige, und daher potenziell auch selbst- oder den Bettpartner gefährdende Verhaltensweisen im Zusammenhang mit bedrohlichen Traumerlebnissen auf. Etwa 80–90% der Betroffenen sind Männer ab dem 65. Lebensjahr. Eine akute REM-Schlaf-Verhaltensstörung kann auch Ausdruck toxisch-metabolischer Störungen (z. B. Alkoholentzug, Psychopharmaka) sein. Ursächlich für die chronische Form können u. a. neurodegenerative Prozesse und vaskuläre Läsionen sein. Diese Schlafstörung kann der klinischen Manifestation einer neurodegenerativen Erkrankung um mehrere Jahre vorausgehen [25]. Albträume, die ebenfalls zu den REM-Schlaf-Parasomnien gezählt werden, sind angst- und furchteinflößende Träume, die zum sofortigen Erwachen führen können. Der Trauminhalt kann sofort und meist detailliert erinnert werden. Albträume treten vorwiegend in der zweiten Nachthälfte auf, es besteht in der Regel keine auffallende motorische Unruhe. Die Gruppe der nächtlichen Frontallappenepilepsien (NFLE) kann gegenüber den oben genannten Parasomnien differenzialdiagnostische Schwierigkeiten bereiten. Hilfreich kann die Verwendung der Frontal Lobe Epilepsy and Parasomnia Skala sein, die Dauer der Ereignisse, Zeitpunkt des Auftretens, Clustertendenz, Stereotypie, Erinnerungsvermögen und Vokalisation abfragt [26]. Eine deutsche Version liegt bisher allerdings nicht vor. Erlaubt Der Nervenarzt 1 · 2014 

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Leitthema Tab. 3  Psychopharmaka mit potenzieller

Induktion oder Verstärkung von Parasomnien (Mod. aus: [23] [24]) Aufwachstörungen aus dem Non-REMSchlaf – Lithium (in Kombination mit anderen   Psychopharmaka) – Thioridazin – Perphenazin – Chlorprothixen – Olanzapin – Trizyklische Antidepressiva – Paroxetin – Sertralin – Benzodiazepine (schlafbezogene   Ess­störung) – Nonbenzodiazepine (Schlafwandeln) REM-Schlaf-Parasomnien – Fluoxetin – Venlafaxin – Mirtazapin REM „rapid eye movement“.

die Video-PSG keine eindeutige Zuordnung, ist bei Verdacht auf eine NFLE eine umfassende neurologische Abklärung inklusive Video-EEG-Monitoring in einem spezialisierten Zentrum indiziert [27].

Erhöhte Tagesmüdigkeit Tagesschläfrigkeit, Müdigkeit und Erschöpfung sind häufige Symptome in der psychiatrischen Sprechstunde. Die zugrunde liegenden Ursachen werden in der Praxis oft nicht erkannt, eine Differenzierung ist aufgrund der großen Häufigkeit aber ein relevantes Problem. Wichtig ist dabei, auf der einen Seite Müdigkeit und Erschöpfung – oft auch Fatigue genannt – von Tagesschläfrigkeit auf der anderen Seite abzugrenzen. In Prävalenzstudien wurde Müdigkeit leichter Ausprägung (an mindestens 3 Tagen pro Woche) von 4–20% der befragten Bevölkerung berichtet, während schwere Müdigkeit bei ungefähr bei 5% der Bevölkerung auftrat [28].

Spezifische Anamneseerhebung bei Müdigkeit und Tagesschläfrigkeit

Wichtig ist eine präzise Anamneseerhebung, um gegebenenfalls weitere zielführende Untersuchungen veranlassen zu können. Müdigkeit ist ein unspezifisches

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Symptom, welches von sehr vielen Patienten angegeben wird. Die detaillierte Befragung zeigt häufig, dass aus subjektiver Sicht der Patienten Müdigkeit sehr viel mit Erschöpfung, nachlassender Spannkraft, Erholungsbedürftigkeit zu tun hat, oft auch mit einem Mangel an Antrieb und Interesse, ganz häufig aber nicht mit einer erhöhten Einschlafneigung einhergeht. Viele Patienten sind also zwar müde und/ oder erschöpft, leiden aber nicht unter Tageschläfrigkeit, die definiert ist durch eine erhöhte Neigung tatsächlich tagsüber einzuschlafen. Typisch für erhöhte Tagesschläfrigkeit ist, dass es schwierig, manchmal sogar unmöglich ist dem Drang zum Einschlafen zu widerstehen, besonders in monotonen Situationen (z. B. als nicht aktiv beteiligter in einer Besprechung oder als Beifahrer im Auto).

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Tagesschläfrigkeit hat einen konkreteren diagnostischen Hinweischarakter Wenn Müdigkeit ohne Einschlafneigung auftritt, oder sogar in Verbindung mit einer verminderten Fähigkeit tagsüber zu schlafen, wie dies z. B. bei Patienten mit atypischer Depression gezeigt werden konnte [29], ist sie leicht von Tagesschläfrigkeit zu unterscheiden. Schwierig und manchmal unmöglich wird die Unterscheidung dann, wenn insbesondere junge Patienten sich aufgrund von „Müdigkeit“ häufig ins Bett zurückziehen und tatsächlich schlafen. Zur Objektivierung von Tagesschläfrigkeit eignen sich am besten die Epworth Sleepiness Scale (ESS) und der multiple Schlaflatenztest (MSLT). Müdigkeit kann bei nahezu allen psychiatrischen Erkrankungen vorkommen. Tagesschläfrigkeit hingegen hat konkreteren diagnostischen Hinweischarakter und kann hauptsächlich folgende für die psychiatrische Praxis wichtige Ursachen haben:

Schlafmangel

Eine ungenügende nächtliche Schlafmenge aufgrund einer willentlich verkürzten nächtlichen Bettzeit gehört zu den häufigsten Ursachen von Tagesschläfrigkeit. Die Ursachen dafür, dass Menschen sich nur 5 oder 6 h Nachtschlaf erlauben, sind

vielfältig und reichen von Internetsucht bis zu massiver beruflicher oder psychosozialer Überlastung. Klinisch bedeutsam ist, dass eine verkürzte Bettzeit fast nie aktiv berichtet wird, sondern erfragt werden muss. In anderen Fällen von Tagesschläfrigkeit ist die nächtliche Schlafmenge durch äußere Umstände wie Lärm oder Licht, den Genuss stimulierender Substanzen (Kaffee, Cola, Red Bull) oder stimulierender Medikamente oder Drogen bedingt. Auch hier ist weniger der spontane Bericht des Patienten wegweisend, sondern die gezielte Anamnese.

Veränderungen der nächtlichen Schlafqualität

Die Erholungsfunktion des Schlafes hängt neben der Schlafdauer auch von der Schlafkontinuität ab. Diese kann bei einigen Schlafstörungen derart gestört sein, dass daraus Tagesschläfrigkeit resultiert, ohne dass die Schlafdauer vermindert ist. Diese Konstellation ist typisch für nächtliche Atmungsstörungen und das Restless-legs-Syndrom, bei denen es aus jeweils unterschiedlichen Gründen nachts hochfrequent zu Weckreaktionen (Arousals) kommt, die die Erholungsfunktion des Schlafes erheblich beeinträchtigen können.

Schlafapnoesyndrom

Das Schlafapnoesyndrom gehört gerade bei psychiatrischen Patienten zu den häufigsten Ursachen erhöhter Schläfrigkeit am Tage. Die Prävalenz ist in dieser Population höher als in der Allgemeinbevölkerung, wohl vor allem deshalb, weil bei psychiatrischen Patienten Adipositas und der Gebrauch atemsuppressiver Substanzen (z. B. Alkohol und Benzodiazepine) häufiger sind [2]. Oft zeigen psychiatrische Patienten mit nächtlichen Atmungsstörungen eine deutliche Einschlafneigung am Tage und berichten insomnische Beschwerden. Richtungsweisend für die Diagnose ist lautes nächtliches Schnarchen; allerdings sollte auch ohne dieses Symptom bei allen psychiatrischen Patienten mit erhöhter Einschlafneigung am Tage, unerholsamem Schlaf und morgendlichen Störungen von Antrieb und Leistungsfähigkeit die Indikation für eine kardiorespiratorische Polygra-

phie, ein sog. Apnoescreening, sehr großzügig gestellt werden.

Insomnie

Die Insomnie geht typischerweise wohl mit Müdigkeit und Erschöpfung einher, aber nicht mit einer erhöhten Tagesschläfrigkeit. Dies liegt zum einen daran, dass typischerweise bei Insomniepatienten sowohl die gemessene Schlafdauer als auch die nächtliche Schlafqualität meist nur geringfügig reduziert ist (ca. um 30 min). Zum anderen wirkt offenbar das für Insomnien typische Hyperarousal einer erhöhten Tagesschläfrigkeit entgegen (siehe auch den Artikel von Riemann et al. in diesem Heft). Deshalb sollte Tagesschläfrigkeit bei Insomniepatienten immer Anlass dazu sein, nach anderen Ursachen, wie einer nächtlichen Atmungsstörung, zu suchen.

Zirkadiane Schlaf-WachRhythmusstörungen und Schichtarbeit

Tagesschläfrigkeit kann auch durch eine Störung der zirkadianen Rhythmik bedingt sein. Im seltenen Extremfall einer Tag-Nach-Umkehr, wie sie z. B. bei dementen Patienten vorkommt, sind Patienten durchgehend tags schläfrig und nachts munter. Auch bei Verschiebungen der Phasenlage des zirkadianen Rhythmus nach vorne oder hinten kann es zu erheblicher Müdigkeit am Tage kommen, nämlich bei einer Phasenvorverlagerung in den Vormittagstunden und bei einer Phasenrückverlagerung in den Abendstunden. Klinisch am bedeutsamsten sind aber irreguläre Schlaf-Wach-Muster, wie sie durch eine fehlende Tagesstruktur, durch irreguläre Einnahmemuster von Genussmitteln, Medikamenten oder Drogen, oder bei Schichtarbeit entstehen. In solchen Situation kann jede klare Zuordnung von Schläfrigkeit zur Nacht und von vigilanter Wachheit zum Tage verloren gehen.

Andere Ursachen für erhöhte Tagesschläfrigkeit

Andere Ursachen für erhöhte Schläfrigkeit als die bisher genannten sind bei psychiatrischen Patienten selten und sollen deshalb nur kurz erwähnt werden. Die

Narkolepsie [30] ist eine seltene wohl autoimmunologisch bedingte Erkrankung, bei der Tagesschläfrigkeit ein führendes Symptom ist. Hinzu tritt typischerweise die Kataplexie, ein affektiv ausgelöster Verlust des Tonus der Halte- und Stellmuskulatur. Zu psychiatrischer Differenzialdiagnose Anlass geben gelegentlich die bei dieser Erkrankung häufigen hypnagogen Halluzinationen, sehr wirklichkeitsnahe Wahrnehmungsstörungen, die während des Einschlafprozesses (auch am Tage) auftreten. Noch seltener sind sog. idiopathische Hypersomnien und das Kleine-Levin-Syndrom. Hierbei handelt es sich um eine typischerweise im Jugendalter auftretende und nach Jahren spontan remittierende periodische schwere Tagesschläfrigkeit, die zusammen mit frontalen Enthemmungsphänomenen wie Hyperphagie und Hypersexualität auftritt [31].

Fazit für die Praxis F Schlafstörungen, Störungen der nächtlichen Motorik und Müdigkeit am Tage sind Symptome psychiatrischer Patienten, die häufig über die Grunderkrankung hinaus auf ein genuines schlafmedizinisches Problem hinweisen. F Die Kenntnis der häufigsten Ursachen und eine entsprechende Erhebung von Anamnese und Befund ermöglichen jedem Psychiater und Psychotherapeuten die wichtigsten Erkrankungen zu erkennen oder zumindest richtungsweisende Verdachtsdiagnosen zu stellen. Hierzu sind eine Reihe strukturierter Fragebögen und insbesondere Schlaftagebücher sehr hilfreich. Eine apparative Diagnostik bis hin zur Untersuchung im Schlaflabor bleibt üblicherweise dem Spezialisten vorbehalten. F Mehr Beachtung als bisher sollten nächtliche Atmungsstörungen bei psychiatrischen Patienten finden, von denen besonders das obstruktive Schlafapnoesyndrom häufig auftritt, welches nicht nur Müdigkeit, sondern auch Veränderungen der Stimmung, des Antriebs und der Konzentration im Ausmaß einer typischen Depression zur Folge haben kann.

Korrespondenzadresse Prof. Dr. T. Pollmächer Zentrum für psychische Gesundheit, Klinikum Ingolstadt Krumenauerstr. 25, 85049 Ingolstadt [email protected]

Einhaltung ethischer Richtlinien Interessenkonflikt.  T. Pollmächer, T.C. Wetter, S. Happe, K. Richter, J. Acker und D. Riemann geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.     Dieser Beitrag beinhaltet keine Studien an Menschen oder Tieren.

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M. Normuth, F. Schneider (Hrsg.)

Psychiatrische Anthropologie Zur Aktualität Hans Heimanns Stuttgart: Kohlhammer 2012, 164 S.,   (ISBN 9783170224865), 39.90 EUR Wer angesichts dieses Buchtitels zusammenzuckt und lieber gar nicht weiter lesen möchte, den kann ich beruhigen: Hier geht es ganz und gar nicht um ein schwerfälliges wissenschaftliches Werk zu einem entlegenen Spezialgebiet. Vielmehr ehrt der kürzlich erschienene Band den 2006 verstorbenen Schweizer Psychiater Hans Heimann, der von 1974 an als Direktor der Psychiatrischen Universitätsklinik in Tübingen tätig war und einen maßgeblichen Einfluss auf die deutschsprachige Psychiatrie (und darüber hinaus) genommen hat. Hans Heimann gehörte zu den Psychiatern, die zwar einen klaren wissenschaftlichen Schwerpunkt setzen, in seinem Fall auf die experimentelle Psychopathologie, zugleich jedoch darauf insistieren, dass Psychiatrie notwendigerweise ein breites Fach mit verschiedenen Arbeitsmethoden ist und bleiben wird. Daher lag ihm der Blick auf grundsätzliche Fragen nahe. Und so verstand er psychiatrische Anthropologie in erster Linie als Anwendung einer breiten und undogmatischen menschenkundlichen Perspektive in unserem Fach. Die Herausgeber vereinen in diesem interessanten Band nicht nur die Nachrufe aus dem Jahre 2006, sondern auch fünf ausführliche Beiträge zu einem später durchgeführten Tübinger Gedächtnissymposium. Diese Texte umfassen – ganz im Sinne der genannten Ausrichtung Heimanns – so verschiedenartige Aspekte wie „Verstehen als Theorie und klinische Praxis“, „Der Mensch – eine Maschine? Robert Walsers Blick auf die Psychiatrie“, die Psychiatrie im Nationalsozialismus und die Würdigung der Berner Klinik Waldau, an der Heimann einige Jahre gearbeitet hat, als „Wiege der Pathographie“. Den Band schließen fünf wissenschaftliche Arbeiten von Heimann selbst ab, die unter anderem den Einfluss Karl Jaspers‘ auf die Psychopathologie zum Gegenstand haben sowie das ihm besonders am Herzen liegenden Thema „Psychiatrie und Menschlichkeit“. Kein schwer verständliches Handbuch für Spezialisten also, sondern ein trotz der unterschiedlichen Stile der Autoren gut lesbarer und eher erzählend gehaltener Band, der

einen vielseitigen und für die Entwicklung unseres Faches bedeutsamen Autor würdigt. Wer sich jenseits von Vereinfachungen und Klischees der spannenden Vielschichtigkeit des Faches Psychiatrie und Psychotherapie nähern möchte, wird dieses Buch mit Gewinn lesen. P. Hoff (Zürich)

[Sleep medicine differential diagnostics in psychiatry and psychotherapy].

Complaints about disturbed sleep or increased daytime sleepiness are among the most frequent symptoms reported to psychiatrists by patients. Such comp...
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