© Klaus Rüschhoff, Springer Medizin

Nervenarzt 2015 · 86:759–771 DOI 10.1007/s00115-014-4204-6 Online publiziert: 21. Mai 2015 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2015

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Schlafstörungen bei neurologischen Erkrankungen Zusammenfassung

Unter Schlafstörungen leiden etwa 15% der Bevölkerung, es besteht insbesondere eine Zunahme im Alter. Der Zusammenhang zwischen Schlafstörungen und neurologischen Erkrankungen wird noch unzureichend beachtet. Schlafbezogene Störungen können ein Frühsymptom der Erkrankung sein (wie z. B. die REM [“rapid eye movement“] -Schlaf-Verhaltensstörung als Frühsymptom neurodegenerativer Prozesse). Des Weiteren treten schlafbezogene Störungen als Leitsymptom einer neurologischen Erkrankung auf – zu nennen sind hier das Restless-legs-Syndrom, die „periodic limb movement disorder“ (PLMD) und die Narkolepsie. Die in der Internationalen Klassifikation der Schlafstörungen (ICSD 2) aufgeführten Hauptdiagnosen Insomnien, schlafbezogene Atmungsstörungen, Hypersomnien und zirkadiane Schlaf-Wach-Störungen können symptomatisch bei unterschiedlichen neurologischen Erkrankungen sein. Parasomnien müssen insbesondere in der Differenzialdiagnose nächtlicher Epilepsien berücksichtigt werden. In dieser Übersichtsarbeit werden die wesentlichen Schlafstörungen in ihrem Bezug zu neurologischen Erkrankungen dargestellt sowie ihr Einfluss auf Krankheitssymptome und -verlauf beschrieben.

Schlüsselwörter

Schlafstörungen · Neurologische Erkrankungen · Polysomnographie · Krankheitssymptom · Internationale Klassifikation der Schlafstörungen

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Lernziele Nach der Lektüre dieses Artikels können Sie … F die wichtigsten schlafbezogenen Störungen bei neurologischen Krankheitsbildern berücksichtigen und in der Anamnese erfragen, F die relevanten Formen der Schlafstörungen erkennen, F die Assoziationen von einzelnen Schlafstörungen mit bestimmten neurologischen Erkrankungen herstellen, F die positive Auswirkung der Behandlung der Schlafstörung auf den Krankheitsverlauf in der Therapie berücksichtigen, F Schlafstörung als Frühform einer neurologischen Erkrankung wahrnehmen, F Schlafstörungen in der Differenzialdiagnose zu anderen neurologischen Erkrankungen berücksichtigen.

Hintergrund Etwa 15% der Bevölkerung leiden unter einer behandlungsbedürftigen Schlaf-Wach-Störung

Schlafbezogene Störungen spielen eine Rolle in der Genese von Erkrankungen und können Symptome der Erkrankung sein

Etwa 15% der Bevölkerung leiden unter einer behandlungsbedürftigen Schlaf-Wach-Störung [1]. Nimmt man kurzfristige Störungen (wie z. B. Insomnie in einer Prüfungssituation) hinzu, ist der Anteil sicher noch höher einzuschätzen. Schlafstörungen sind somit ein prominentes Problem in der Hausarztpraxis. Es dominiert die Klage über Insomnie gefolgt von Tagesmüdigkeit und Tagesschläfrigkeit und daraus resultierenden sozialen Folgen. Somit liegt hier ein zu beachtenswertes Problem häufig unabhängig von organischen Erkrankungen vor. In Facharztpraxen stehen unterschiedliche Symptome der spezifischen Erkrankungen im Fokus. Die Patienten berichten spontan meist nicht schlafbezogene Störungen, ärztlicherseits wird selten danach gefragt. Forschungsergebnisse der Schlafmedizin zeigen zunehmend, dass schlafbezogene Störungen in der Genese von Erkrankungen eine Rolle spielen, Symptom der Erkrankung und der Krankheitsverarbeitung sein können. Eine Therapie der Schlafstörungen verbessert häufig den spezifischen Krankheitsverlauf, in jedem Fall die Lebensqualität. Die vorliegende Übersicht erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Vielmehr soll durch die Darstellung der häufigsten und im Fokus der aktuellen schlafmedizinischen Forschung stehenden Schlafstörungen bei neurologischen Erkrankungen eine Sensibilisierung für diese Problematik er-

Sleep disorders in neurological diseases Summary

Sleep disorders can be diagnosed in approximately 15 % of the population and have been shown to increase with age. The relationship between sleep disorders and neurological disorders, however, is still insufficiently considered in the clinical practice. Sleep disorders can be an early symptom of the disease, such as the presence of rapid eye movement (REM) sleep behavior disorder (RBD) as an early indicator of neurodegeneration. Sleep disorders have also been shown to be a main symptom of various neurological syndromes, such as in restless legs syndrome (RLS), periodic limb movement disorder (PLMD) and narcolepsy. The international classification of sleep disorders 2nd edition (ICSD 2) describes the main diagnoses, insomnia, circadian rhythm sleep disorders, sleep-related breathing disorders and hypersomnia but all of these can also appear as symptoms in various neurological diseases. Parasomnias are largely considered a differential diagnosis to nocturnal epilepsy. In this review, the main sleep disorders are described with a particular focus on how they relate to neurological diseases; in particular, how they influence disease-related symptoms and how they affect the course of the disease.

Keywords

Sleep disorders · Neurologic diseases · Polysomnography · Disease symptoms · International classification of sleep disorders

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CME zielt werden. Einzelne aufgezählte schlafmedizinische Aspekte können auf andere Erkrankung übertragen werden. Es würde den Rahmen der Arbeit sprengen, wenn ausführlich Therapien der einzelnen Schlafstörungen erörtert werden. Daher erfolgt nur der Hinweis auf die wichtigsten Aspekte. Zur Klassifikation der Schlafstörungen sei hier noch die  ICSD 2 (Internationale Klassifikation der Schlafstörungen 2; [2]) zugrunde gelegt, da die deutsche Übersetzung für die ICSD 3 noch nicht vorliegt. Danach finden sich folgende Hauptgruppen: F Insomnien, F schlafbezogene Atmungsstörungen, F Hypersomnien, F zirkadiane Schlaf-Wach-Störungen, F Parasomnien, F schlafbezogene Bewegungsstörungen, F isolierte Symptome, Normvarianten, F andere Schlafstörungen. Schlafstörungen können als Frühsymptom, Leitsymptom oder komorbide Störung bei neurologischen Erkrankungen auftreten.

Schlafstörungen und Tagesmüdigkeit als Frühsymptom REM-Schlaf-Verhaltensstörungen gelten als Frühzeichen einer neurodegenerativen Erkrankung (αSynukleopathien) und können z. B. einer  Parkinson-Erkrankung mehr als 20 Jahre vorausgehen [3]. Nach dem Erstbericht von Schenck et al. [4] noch als außergewöhnliche schlafmedizinische Variante wahrgenommen, zeigten die Neurologen in der Folge zunehmendes Interesse an dieser schlafbezogenen Störung. Gezielte Untersuchungen erstrecken sich daher über ein kurzes Follow-up. Iranzo et al. [5] beobachteten 44 RBD („sleep behavior disorder“) -Patienten über 11 Jahre und diagnostizierten eine  α-Synukleopathie bei 82% der Patienten im Mittel nach 6 Jahren. Neue Magnetresonanz(MR)-Techniken sind in der Entwicklung, mit denen die Schwere der RBD und der Zusammenhang mit Synukleopathien näher beurteilt werden kann. Tagesschläfrigkeit kann symptomatisch bei einer Schädigung des aufsteigenden Aktivierungssystems der  Formatio reticularis sein. In dieses System sind der Hirnstamm, Hypothalamus, Frontalhirn und Thalamus einbezogen [6]. Diese Läsionen können durch diverse entzündliche, vaskuläre, traumatische und neurodegenerative Erkrankungen des Zentralnervensystems (ZNS) verursacht werden, die in den nächsten Abschnitten näher beschrieben werden. Als Frühsymptom ist die Tagesschläfrigkeit bei der MS denkbar, wobei die Fatigue als eigene Entität durch Fragebögen abgegrenzt werden muss. Ebenfalls möglich ist die Tagesschläfrigkeit als Frühsymptom einer Demenz. Da Tagesschläfrigkeit ein Kardinalsymptom schlafbezogener Atmungsstörungen ist, kann dieses Symptom ebenfalls Anlass zur schlafmedizinischen Untersuchung sein und damit symptomatische schlafbezogenen Atmungsstörungen aufdecken.

REM-Schlaf-Verhaltensstörungen gelten als Frühzeichen neurodegenerativer Erkrankung

Als Frühsymptom ist die Tagesschläfrigkeit bei der MS denkbar

Schlafstörungen als Leitsymptom Hier sind die schlafbezogenen Bewegungsstörungen ( Restless-legs-Syndrom [RLS] und  „periodic limb movement disorder“ [PLMD]; [7]) dominierend. Das RLS ist anhand der typischen Symptomatik (Bewegungsdrang der Extremitäten in Ruhe, Verstärkung am Abend, teilweise Besserung der Symptome durch Bewegung) zu diagnostizieren. Eine neurologische Untersuchung sollte aber durchgeführt werden, insbesondere eine Polyneuropathie ausgeschlossen werden. Die exakte Diagnose ist notwendig, da eine suffiziente Medikation (L-Dopa, Dopaminergika wie Pramipexol, Ropinorol und Rotigotin sowie Oxycodon/Naloxon) zugelassen ist. Schwieriger ist die PLMD zu diagnostizieren, da die Patienten keine Beschwerden hinsichtlich der vermehrten Bewegung haben, nur durch die Tagesschläfrigkeit auffallen. Hier ist die  Polysomnographie notwendig, um periodische Extremitätenbewegungen nachzuweisen, die auch typisch für das RLS sind, hier aber nicht mit der klinischen Beschwerdesymptomatik korrelieren. Als Hauptursache der Hypersomnie ist die Narkolepsie [6] mit der Symptomtetrade exzessive Tagesschläfrigkeit, Kataplexie, Schlaflähmung und hypnagoge Halluzinationen zu sehen. Hier wurde als eine wesentliche Ursache ein Mangel Hypocretin-

Als Hauptursache der neurologischen Erkrankung mit dem Leitsymptom Hypersomnie ist die Narkolepsie zu sehen Der Nervenarzt 6 · 2015 

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CME haltiger Neurone im lateralen Hypothalamus nachgewiesen. Die Therapie der Tagesschläfrigkeit erfolgt mit Modafinil und Methylphenidat, die Kataplexien werden mit trizyklischen Antidepressiva und selektiven Serotonininhibitoren behandelt. Unter Natriumoxybat bessern sich Durchschlafstörungen, Kataplexien und die Tagesschläfrigkeit. Da die Leitsymptome bereits ausführlich in Heft 1 von Der Nervenarzt 2014 behandelt wurden, wird auf sie in diesem Artikel nicht weiter eingegangen.

Schlafmedizinische Symptome als Komorbidität Hypersomnie

Bei einem ESS-Score ≥16 sollte eine schlafmedizinische Diagnostik veranlasst werden

Neben exzessiver Tagesschläfrigkeit gehören zur Symptomtetrade die Kataplexie, Schlaflähmung und hypnagoge Halluzinationen

Hypersomnie ist ein häufiges Symptom nach einem Schädel-HirnTrauma

MS-Patienten können neben Fatigue auch eine vermehrte Tagesschläfrigkeit aufweisen

Bei symptomatischen Hypersomnien steht die Therapie der Grunderkrankung im Vordergrund

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Hypersomniepatienten beklagen eine exzessive Tagesschläfrigkeit, die permanent oder sporadisch auftreten kann. Quantifiziert wird sie üblicherweise durch die Epworth Sleepiness Scale (ESS), auf der max. 24 Punkte erreicht werden können. Ein Score ≥11 signalisiert eine vermehrte Tagesschläfrigkeit, bei einem Score ≥16 sollte unbedingt eine schlafmedizinische Diagnostik veranlasst werden. Aufgrund der resultierenden Unfallgefährdung wurde extra ein Kapitel „Tagesschläfrigkeit“ in die aktuellen Leitlinien zur Begutachtung der Kraftfahreignung aufgenommen [8]. Die Diagnosekriterien der Hypersomnie durch körperliche Erkrankungen sind: F Es besteht seit mehr als 3 Monaten eine fast täglich auftretende exzessive Tagesschläfrigkeit. F Eine internistische oder neurologische Erkrankung ist für die Tagesschläfrigkeit verantwortlich. F Im Multiplen Schlaf-Latenz-Test beträgt die mittlere Einschlaflatenz weniger als 8 min, es findet sich nicht mehr als eine Sleep-onset-rapid-eye-movement (SOREM)-Periode nach einer Polysomnographienacht F Die Hypersomnie kann nicht durch eine andere Schlafstörung, eine psychische Erkrankung, Medikamenteneinfluss oder Substanzmissbrauch erklärt werden. Auf die anatomischen Gegebenheiten wurde bereits hingewiesen. Das Neurotransmittersystem wird zunehmend hinsichtlich des Zusammenspiels entschlüsselt. Eine besondere Rolle kommt dem  Hypocretin-/Orexin-System zu. Neben Einfluss auf Schlafphasen und Arousals beeinflusst es auch kardiovaskuläre Funktionen, Thermoregulation und Energiehaushalt [9]. Die Narkolepsie als Leitsymptom bzw. eigenständige neurologische Hauptdiagnose wurde bereits in einem früheren Beitrag [6] dargestellt. Neben der dominierenden exzessiven Tagesschläfrigkeit gehören zur Symptomtetrade die Kataplexie, Schlaflähmung und hypnagoge Halluzinationen. Im weiteren Krankheitsverlauf treten meist  Schlafstörungen hinzu. Es sei noch einmal darauf hingewiesen, dass Kataplexien, die die Diagnose sichern, erst viele Jahre nach der Hypersomniesymptomatik auftreten können. Ergebnisse des Multiplen Schlaf-Latenz-Testes hinsichtlich des Auftretens von Sleep-onset-REM sind nicht immer eindeutig, der Test muss unter Umständen wiederholt werden. Auch die Hypocretin-Spiegel im Liquor können bei Diagnosebeginn noch im Normbereich liegen, sind bei

[Sleep disorders in neurological diseases].

Sleep disorders can be diagnosed in approximately 15 % of the population and have been shown to increase with age. The relationship between sleep diso...
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