Kunst und Haut DOI: 10.1111/ddg.12501

Haut auf der Grenze zwischen Innen und Außen

Die Deutsche Dermatologische Gesellschaft hat zwischen 2009 und 2013 zusammen mit der Hochschule für Bildende Künste Dresden das Thema Haut in den Mittelpunkt der künstlerischen Betrachtung gerückt. Kein anderes Organ des Menschen – sprich neben Blut und Auge – ist von so vielen Mythen und Metaphern umrankt wie die Haut. Unsere Alltagssprache kennt ungezählte Bilder: sich auf die faule Haut legen, sich nicht wohl in dieser fühlen oder sie retten müssen, mit heiler Haut davonkommen, nur noch Haut und Knochen sein, von der Gänsehaut zu schweigen. Und wenn wir uns von jemandem distanzieren, dann möchten wir nicht in seiner Haut stecken. Alle diese Metaphern umschreiben existentielle Situationen wie Gleichgültigkeit, Wut, Gefahr oder Krankheit. Bilder der Sprache und Bilder der Kunst stehen da in einem engen Zusammenhang. Es geht ums Ganze. Als Mythen die Malerei und Skulptur seit Jahrhunderten zu zeitgemäßen Deutungen herausgefordert haben, geraten zuerst Marsyas und der heilige Bartholomäus in den Blick. Beide wurden mit der wohl härtesten Pein bestraft, die die europäische Kultur zu vergeben hatte – dem Abziehen der Haut bei lebendigem Leibe. Während Bartholomäus, einer der Jünger Jesu, als christlicher Märtyrer seines Glaubens wegen in Armenien hingerichtet wurde, ereilte die Strafe den Marsyas für die Hybris, den Gott Apollon zum Wettstreit in der Kunst der Musik herausgefordert zu haben. Er verlor vor der vor Apollon berufenen Jury der Musen und dieser ließ ihn häuten. Die geschundene Haut wurde so zur Metapher der Grausamkeit. Am bekanntesten ist Tizians Marsyas Gemälde (1570–75). Im jüngsten Gericht in der Sixtinischen Kapelle hat Michelangelo die abgezogene Haut des Bartholomäus dargestellt. Das nun fleischlose Gesicht wird als Selbstportrait des Malers gedeutet. Die muskulöse Gestalt des Bartholomäus als Reflex des Vertices Marsayas. Es trägt die Haut wie eine Leinwand (M. Flügge, Dresden). In seinem jüngsten Buch „Faces – eine Geschichte des Gesichtes“ beschreibt Hans Belting die Haut als gleichsam bildgebendes Medium: „Gesichter überzeugen am Körper einen Ursinn des Bildes. Unsere Körper erwerben gerade durch das Gesicht eine ikonische Qualität.“, das heißt auch durch die Haut. Die Haut fand schon immer zentrales Interesse bei Künstlern und war eng mit Fragen nach dem Individuum verknüpft. Heutzutage wird die Wahrnehmung von Indivi-

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dualität durch den Blick auf die Haut in Werbung und Fernsehen dominiert. Gesichter stellen hierbei den Fingerabdruck des Individuums dar. Wir suchen nach der Sensation auf der Oberfläche, suchen nach der individuellen Besonderheit, um dann von der Oberfläche auf tiefere Schichten des Menschen zu schließen. Gleichzeitig gehen heutige Ansätze dahin, die Haut zu somatisieren, körperliche Symptome aus inneren Konfl ikten zu deuten oder die Haut wie Spiegelneurone auf das „Ich“ wirken zu lassen und zu erfragen, was diese Haut sinnlich anziehend, schön oder abstoßend erscheinen lässt.

Abbildung 1 Oberfläche unter Spannung – „Banner“ von Juliane Schmidt (Quelle: DDG, © Florian Willnauer).

© 2014 Deutsche Dermatologische Gesellschaft (DDG). Published by John Wiley & Sons Ltd. | JDDG | 1610-0379/2014/12 (Suppl. 4), 1–72

Kunst und Haut

Abbildung 2 Ausstellungskatalog—Haut. Oberfläche unter Spannung. Umschlag Peter Koch.

Die Haut ist nicht nur in der Kunst sondern auch in der Wissenschaft mehr als nur Hülle. Sie ist das größte aller Organe und ist systembiologisch relevant beeinflusst. Vor mehr als 10 Jahren wurde das menschliche Genom entschlüsselt. Rund 20.000 Gene defi nieren in einem orchestralen Zusammenspiel das Individuum Mensch. Die Information des Genoms wird in den Phänotyp Mensch übersetzt. Der Einfluss des Umfelds bei dieser Übersetzung des Genotyps in den Phänotyp lässt sich am besten am Beispiel der schwarzen Hautfarbe deutlich machen. Hier ist genetisch hinterlegt, dass die pigmentbildenden Zellen (Melanozyten) vermehrt Pigmentfarbstoff (Melanin) produzieren, um das Organ Haut vor der Äquatorsonne zu schützen, während in der nordischen Bevölkerung nur geringe Mengen von Pigment notwendig sind. Die gesellschaftlichen Verschiebungen, die wir in unseren modernen Industriegesellschaften täglich erleben, können dazu führen, dass ein Individuum mit seinem Hauttyp für gewisse Regionen dieser Welt biologisch nicht adäquat ausgestattet ist. Die heutige Bevölkerung Australiens, eines klassischen Einwandererlandes, wird durch den keltischen Hauttyp dominiert und weist weltweit die größte Hautkrebsrate auf.

Das orchestrale Ganze wird heute in Medizin und Wissenschaft als Systembiologie begriffen. Die verschiedenen Funktionen, die zum großen Ganzen beitragen, werden als Transkriptome, Proteome, Metabolome, Stoffwechselwege, Abbauwege und Pharmakogenome bezeichnet, die alle zusammen zum besseren Verständnis der Gesamtzusammenhänge aller Organe und insbesondere des Hautorgans beitragen. Die Haut nimmt daher einen modellhaften Charakter an, zum Beispiel für das Gesamtverständnis chronisch-entzündlicher Prozesse, die wiederum von der Haut auf das Ganze und damit auf andere Organe schließen lassen. Die Haut als Teil des Immunsystems ist ein weiteres Beispiel. Hier ist ein angeborenes von einem erworbenen Immunsystem mit individueller Signatur zu unterscheiden. Heutzutage sind wir auf dem besten Weg, diese besonderen Eigenschaften des angeborenen und des organspezifischen Immunsystems mehr und mehr zu verstehen und daraufhin bahnbrechende neue Therapien zu entwickeln. Die Entschlüsselung des Genoms und wesentlicher Funktionen auch innerhalb des Hautorgans lässt viele Hauterkrankungen der modernen Dermatologie besser verstehen und führt beispielhaft von der Genetik zum Phänotyp und damit auch zur Neueinteilung unterschiedlichster Hauterkrankungen. Wir setzen an der Schwelle zu dieser zeitgeschichtlichen Epoche eine neue Brille auf und gewinnen eine neue Sicht auf das komplexe biologische System Mensch. Das Hautorgan ist somit mehr als nur eine Hülle. Es bietet uns den einmaligen Vorteil, von Außen nach Innen zu blicken und das Innere im Außen zu erkennen. In drei großen Ausstellungen haben wir diese epochale Entwicklung unter den Titeln „Haut“, „hautnah“ und „Haut – Oberfläche unter Spannung“ thematisiert. An dieser Stelle möchte ich besonders den Rektoren der Hochschule für Bildende Künste Dresden, Herrn Prof. Christian Sery und Herrn Matthias Flügge für ihre Unterstützung und Kooperation danken; den Kuratoren der Ausstellung Herrn Dr. Holger Birkholz, Frau Sandra Mühlenberend und Frau Jule Reuter und den Künstlern der drei Ausstellungen, die das Thema „Haut“ so mitreißend für uns Dermatologinnen und Dermatologen thematisiert haben. Rudolf Stadler, Roland Kaufmann, Thomas Luger Korrespondenzanschrift Prof. Dr. Rudolf Stadler Dermatologie Johannes Wesling Klinikum Minden Hans-Nolte-Str. 1 32429 Minden E-Mail: [email protected]

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