Leitthema Bundesgesundheitsbl 2014 · 57:1067–1073 DOI 10.1007/s00103-014-2012-6 Online publiziert: 17. Juli 2014 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

V. Regitz-Zagrosek

Die Medizin hat uns im letzten Jahrhundert enorme Fortschritte gebracht – so die Reduktion der Sterblichkeit an Infektionen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krebs. Das gelang oft mithilfe vereinfachender Annahmen: Die evidenzbasierte und leitlinienorientierte Therapie geht davon aus, dass Ergebnisse zu Pathomechanismen und Therapieeffekten aus großen klinischen Studien auf andere Populationen übertragbar sind und dass Geschlecht hier kein wesentlicher Einflussfaktor ist. Diese Strategie brachte enorme Erfolge – die Behandlung häufiger Erkrankungen wie des Myokardinfarktes, des Schlaganfalls, der Herzinsuffizienz, des Diabetes und vieler anderer Erkrankungen wurde strengen Standards unterworfen, und die Sterblichkeit an diesen sank. Mit steigender Lebenserwartung und der Möglichkeit zur differenzierteren Beobachtung durch immer sensitivere diagnostische Verfahren wurde allerdings klar, dass bei diesem Vorgehen oft wichtige therapierelevante Unterschiede zwischen einzelnen Bevölkerungsgruppen hinsichtlich Risikofaktoren, Krankheitsmechanismen und Arzneimittelwirkungen übersehen wurden und dieses Vorgehen nicht allen Individuen gerecht wurde. Es wurde deutlich, dass Kinder gesondert betrachtet werden müssen. Zudem wurde mit der Zeit offensichtlich, dass Männer und Frauen nicht gleichartig auf eine Arzneimitteltherapie oder interventionelle Therapie ansprachen [1–3]. Häufig entwickelten Frauen mehr Nebenwirkungen als Männer, auch schien die Wirksamkeit der Therapie bei beiden Geschlechtern nicht gleich. Diese Beobachtungen führten zum Nachdenken über Geschlechterunterschiede in der Arzneimitteltherapie und liefen parallel mit Bestrebungen der Gendermedizin. Sie berücksichtigt biolo-

gische Unterschiede, die in der traditionellen Medizin oft unerkannt, vernachlässigt, aber dennoch hoch relevant sind: die unterschiedliche Prägung des Immunsystems, des Herz-Kreislauf-Systems, des Stoffwechsels und des Arzneimittelstoffwechsel bei Männern und Frauen [1, 4, 5]. Dazu gehört auch der vielfältige Einfluss der Sexualhormone sowie weiblicher und männlicher Gene auf zahlreiche Körperfunktionen [5]. Wir gehen daher davon aus, dass die Gendermedizin einen Teil der biologischen Unterschiede zwischen Individuen mit viel geringerem Aufwand erklären kann als die genombasierte personalisierte Medizin. Die personalisierte Medizin ist ein neuer Ansatz in der Medizin, der sich um eine möglichst individuelle Behandlung bemüht. Dabei werden individuelle Unterschiede vor allem über genetische Varianten definiert. Die Gendermedizin berücksichtigt aber zusätzlich die soziokulturelle Dimension. Das ist enorm wichtig, da soziokulturell geprägte Phänomene wie Lebensstil, Stress, Umwelt über das Epigenom auf die Bio­ logie wirken und medizinische Grundlagen beeinflussen. Darüber hinaus beeinflussen geschlechtsspezifische Rollenmodelle von Patienten und Patientinnen sowie von Ärzten und Ärztinnen das Verhalten und den Umgang mit der Erkrankung, die Präferenz für eine bestimmte Therapie sowie die Therapietreue die Behandlungsergebnisse in einem hohen Maße. Dieser Aspekt muss bei der Behandlung von Männern und Frauen berücksichtigt werden. Der vorliegende Beitrag legt biologische und soziokulturell bedingte Unterschiede zwischen Frauen und Männern in der Arzneimitteltherapie dar, erklärt Gründe für die Unterschiede und diskutiert die Folgen.

Institut für Geschlechterforschung in der Medizin (GIM), Charité-Universitätsmedizin Berlin, Berlin

Geschlechterunterschiede in der Pharmakotherapie Biologische Ursachen für Geschlechterunterschiede in der Arzneimitteltherapie Die folgenden Abschnitte diskutieren die wichtigsten Ursachen für Geschlechterunterschiede in der Arzneimitteltherapie sowie die ihnen zugrunde liegenden biologischen Mechanismen.

Pharmakokinetik Geschlechterunterschiede in der Pharmakokinetik betreffen nahezu alle Phasen des Arzneimittelstoffwechsels. Sowohl Östrogen als auch Progesteron hemmen die Darmmotilität und beeinflussen die gastrointestinale Transitzeit eines Arzneimittels [4, 6]. Frauen sezernieren weniger Magensäure und haben eine längere gastrointestinale Transitzeit als Männer [7]. Sowohl die Magen- als auch die Darmtransitzeiten werden bei der Frau durch die Zyklusphasen beeinflusst. Unterschiede im Säuregehalt des Magens beeinflussen die Resorption von Substanzen mit pH- abhängiger Löslichkeit. Von diesen Geschlechterunterschieden sind vor allem Substanzen betroffen, deren Resorption von der Magenfüllung abhängt (wie z. B. Antikoagulanzien). Die Arzneimittelresorption über die Haut wird von ihrem unterschiedlichen Lipidgehalt beein­ flusst [8]. Unterschiede im Körperfettgehalt zwischen Männern und Frauen sind signifikant und wirken sich auf die Speicherung lipidlöslicher Pharmaka im Körper aus. Unterschiede im Körperwassergehalt beeinflussen ebenfalls die Speicherung von Pharmaka, und dieser schwankt bei Frauen zudem über den Menstruationszyklus. Auch die Plasmaeiweißbindung der Arzneimittel unterliegt hormonellen Schwankungen. Östrogene beein-

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Leitthema Tab. 1  Beispiele für Arzneimittel mit Geschlechterunterschieden in ihren Wirkungen und

Nebenwirkungen Substanz Digitalis Antiarrhythmika, QTc-Zeitverlängernde Pharmaka ß-Blocker ACE-Hemmer Antikoagulanzien und Thrombolytika Aspirin/Acetylsalicylsäure Diuretika

Phänomen Höhere Sterblichkeit bei Frauen Mehr Torsade-de-pointes-Tachykardien bei Frauen

Referenzen [11] [19, 20]

Mehr Nebenwirkungen bei Frauen Fraglich schlechtere Wirksamkeit bei Frauen, mehr Reizhusten Mehr Blutungskomplikationen bei Frauen

[24, 25, 46] [5, 26–28]

Geschlechterunterschiede in der Primärprävention von Myokardinfarkt und Schlaganfall Häufigerer Gebrauch und mehr Nebenwirkungen bei Frauen

[30]

flussen den Spiegel an Bindungsproteinen im Serum, d. h. an Sexualhormonbindendem Globulin, an Thyroxin-bindendem Globulin und an Kortikosteroidbindendem Globulin [9], und damit die Höhe der frei verfügbaren Arzneimittelfraktion. Die Verstoffwechselung von Arzneimitteln wird ebenfalls stark vom Geschlecht beeinflusst. An der Metabolisierung eines großen Teils der Arzneimittel sind Cytochrom-P450-Monooxygenasen (CYP) beteiligt. Geschlechterunterschiede wurden hier in Bezug auf die Aktivitäten von CYP1A2, CYP2B6, CYP2B1, CYP2E1 und CYP3A4 nachgewiesen. Diese Enzyme sind für den Abbau kardiovaskulär wirksamer Medikamente besonders wichtig. Bei Frauen scheint die Aktivität der Cytochrome CYP1A2, CYP2D6 und CYP2E1 sowie von CYP3A4 höher zu sein als bei Männern. Die höhere Aktivität von CYP3A4 ist besonders bedeutsam, da nahezu 50 % aller Medikamente über dieses Cytochrom abgebaut werden. Da CYP3A4 Sexualsteroide abbaut, schwankt seine Aktivität mit dem weiblichen Zyklus. Dies beeinflusst wiederum den Abbau von Stoffen wie Diltiazem, Nifedipin, Amiodaron, Amlodipin, Atorvastatin, Gemfibrozil und von anderen Statinen. Dagegen ist Cyp1A2, das Clopidogrel und Propranolol abbaut, bei Männern aktiver, was dazu führt, dass die Spiegel dieser Substanzen nach ihrer Verabreichung bei Frauen höher sind als bei Männern [10]. Zudem exprimieren Männer mehr CYP2D6, sodass sie vor allem Antiarrhythmika (Encainid, Flecainid, Mexitil, Propafenon) und β-Blocker schneller

[5]

[5, 9]

abbauen als Frauen [3]. Dies kann erklären, warum bei Frauen sowohl die antiarrhythmischen Effekte als auch die Nebenwirkungen dieser Substanzen stärker ausgeprägt sind. Geschlechtsunterschiede bestehen auch beim Abbau von Arzneimitteln über den Phase-II-Stoffwechsel (Glukoronidierung, Sulfatierung, Acetalisierung etc.). Die Glukoronidierung von Propranolol ist bei Männern schneller als bei Frauen. Auch wird Labetalol von Männern effektiver abgebaut als von Frauen [10]. Männer und Frauen unterscheiden sich auch mit Blick auf die Elimination (Ausscheidung) von Arzneimitteln: Frauen zeigen eine geringere Kreatinin-Clearance, die im höheren Alter noch einmal deutlich geringer ist. Dies erhöht das Risiko für ältere Frauen, renal eliminierte Substanzen (wie z. B. Digitalis) zu akkumulieren. Ein solcher Mechanismus könnte zu der in der DIG-Studie beobachteten erhöhten Sterblichkeit von Frauen unter Digitalistherapie beigetragen haben [11].

Pharmakodynamik Geschlechterunterschiede in der Pharmakodynamik sind wesentlich seltener dokumentiert als in der Pharmakokinetik. Manchmal ist unklar, ob beobachteten Geschlechterunterschieden in den Wirkungen bzw. Nebenwirkungen von Arzneimitteln pharmakokinetische oder pharmakodynamische Effekte zugrunde liegen. .  Tab.  1 gibt eine Übersicht über Arzneimittel mit dokumentierten Ge-

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schlechterunterschieden in ihren Wirkungen und Nebenwirkungen. Wirkunterschiede von Arzneimitteln zwischen Männern und Frauen können sich immer dort ergeben, wo sie auf ein bei beiden Geschlechtern unterschiedlich ausgeprägtes Zielsubstrat treffen. So unterscheidet sich z. B. die Blutdruckregulation durch das Renin-AngiotensinSystem bei den Geschlechtern. Der Angiotensinrezeptor Typ 1 (AT1), der Hypertrophie und Blutdrucksteigerung vermittelt, wird organabhängig durch Östrogen herabreguliert. Hingegen ist der eher protektiv wirkende Angiotensinrezeptor Typ 2 (AT2) bei Frauen wirksamer [12– 15]. Das könnte die Ursache dafür sein, dass Angiotensinrezeptorblocker (ARB) und Druckentlastung bei Männern und Frauen unterschiedliche Effekte auf die Regression der Herzhypertrophie haben. Männer scheinen unter ARB eine bessere Hypertrophieregression zu zeigen, Frauen hingegen bei mechanischer Druckentlastung bei Klappenersatz [16–18]. Zudem sind Ionenkanäle in renalen Tubulusepithelzellen bei Männern und Frauen zum Teil unterschiedlich exprimiert. Auch beim Herzen scheint sich die Expression von Ionenkanälen geschlechtsabhängig zu unterscheiden, und es ist bekannt, dass sowohl Östrogen als auch Testosteron diese in einem unterschiedlichen Umfang beeinflussen. Einige Arzneimittel, die das myokardiale Aktionspotenzial verlängern, führen bei Frauen leichter zu schwerwiegenden Torsade-de-pointes-Tachykardien als bei Männern [19, 20]. Im Herzen finden sich auch Östrogenrezeptoren, über die Kalziumkanäle und damit der Herzrhythmus beeinflusst wird; sie werden bei Männern und Frauen z. T. unterschiedlich reguliert und haben unterschiedliche Effekte [21, 22]. Weiterhin unterscheidet sich die Wirkstärke von Psychopharmaka bei Frauen und Männern in [23]. Auch Diuretika können bei Männern und Frauen unterschiedlich wirken. Im Folgenden werden Geschlechterunterschiede in den Wirkungen einiger häufig eingesetzter Arzneimittel vorgestellt.

Digoxin

1997 berichtete die Digitalis Study Group im New England Journal of Medicine (NEJM) über das positive Ergebnis einer

Zusammenfassung · Abstract randomisierten Studie, die die Wirksamkeit der Digoxintherapie bei Patienten mit Herzinsuffizienz überprüfte [11]. Nach dem positiven Befund über die Rehospitalisierungsrate wurde Digitalis in die Behandlungsleitlinien eingeschlossen. Allerdings zeigte sich in einer Post-Hoc-Subgruppenanalyse, dass die Digoxinbehandlung bei Frauen im Vergleich zur Placebogruppe mit einem signifikant höheren Risiko für Todesfälle einherging. Dieser Effekt wurde bei Männern nicht gesehen. Als mögliche Erklärung für dieses unerwarte­ te Ergebnis wurde eine Interaktion des Digoxin- mit einer Hormonbehandlung diskutiert, jedoch fanden sich hierfür wenige stichhaltige Argumente. Höhere Serumdigoxinkonzentrationen waren bei Männern mit einer insgesamt höheren Sterblichkeit assoziiert. Ein ähnlicher Trend wurde bei Frauen beobachtet, jedoch erreichter er keine Signifikanz, da die Zahl der an der Untersuchung beteiligten Frauen zu gering war. Die in der Studie beobachteten Geschlechterunterschiede könnten ihre Ursache aber nicht nur in relativen Überdosierungen bei Frauen haben, sondern auch in der krankheitsabhängig geschlechtsspezifischen Aktivität der NaK-ATPase, dem Zielprotein des Digitalis. Insofern ist es offen, auf welche Mechanismen die Geschlechterunterschiede beim Überleben von Frauen und Männern in der DIG-Studie zurückzuführen waren.

ß-Blocker

Frauen stellten in den ersten klinischen Studien zur Wirksamkeit von ß-Blockern eine Minderheit dar. Erst eine Metaanalyse mehrerer Überlebensstudien zeigte positive Effekte einer Behandlung auf das Überleben bei Frauen [24, 25].

ACE-Hemmer

In den initialen multizentrischen Studien zur Wirksamkeit von ACE-Hemmern waren die Daten unzureichend, um eine Mortalitätsreduktion bei Frauen mit Herzinsuffizienz zu belegen [5]. In den ersten klinischen Studien, Consensus I, SAVE und SOLVD, wurden nur kleine Gruppen von Frauen eingeschlossen, sodass die Ergebnisse statistisch nicht signifikant waren. Eine Metaanalyse mit über 7000 Herzinsuffizienzpatienten zeigte, dass die beobachteten Effekte der

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Geschlechterunterschiede in der Pharmakotherapie Zusammenfassung Arzneimittel wirken bei Männern und Frauen unterschiedlich. Biologische Unterschiede zwischen Männern und Frauen führen zu Unterschieden in der Pharmakokinetik, in der Arzneimittelresorption, in der Arzneimittelverteilung im Gewebe, in der Verstoffwechselung durch Leberenzyme, in der Ausscheidung durch die Niere und über den Darm. Darüber hinaus bestehen Geschlechterunterschiede in der Pharmakodynamik. Die biologischen Ursachen für diese Unterschiede liegen zum einen in der unterschiedlichen genetischen Ausstattung von Männern und Frauen, dann in unterschiedlichen epigenetischen Modifikationen und schließlich in der Wirkung von Sexualhormonen. Darüber hinaus spielt Gender als soziokulturelle Dimension von Geschlechterunterschieden in der Arzneimittelwirkung eine Rolle. Arzneimittel werden häufig nur an Tieren eines Geschlechts entwickelt und getestet entsprechend dem Vorurteil, dass Geschlechterunterschiede bei der klinischen Wirkung keine Rolle spielen. Auch in klinischen Studien

wurden bislang die Geschlechterunterschiede häufig unterschätzt und Phase-III-Studien häufig nicht prospektiv darauf ausgelegt, Wirkungen bei Männern und Frauen zu erfassen. Hinzu kommt, dass Frauen und Männer Arzneimittel anders einnehmen. Ihre Compliance ist unterschiedlich, sie nehmen zusätzlich zu den verschriebenen Arzneimitteln unterschiedlich viele, möglicherweise interagierende, freiverkäufliche Substanzen ein. Weiter ist bekannt, dass Ärzte Frauen und Männer unterschiedlich intensiv behandeln. Fazit: Noch ist die Arzneimitteltherapie nicht für beide Geschlechter optimiert. Aber es besteht ein immer größeres Bewusstsein darüber, dass und welche Unterschiede zwischen Frauen und Männern beachtet werden müssen, um für beide Geschlechter optimale Arzneimittel in optimalen Dosierungen bereitzustellen. Schlüsselwörter Sex · Gender · Stoffwechsel · Pharmakokinetik · Pharmakodynamik

Sex and gender differences in pharmacotherapy Abstract Many drugs have act differently in women and men. Biological differences between women and men lead to sex differences in pharmacokinetics, i.e., in drug absorption, distribution in tissues, metabolism by liver enzymes, and excretion via the kidney and intestine. In addition there are sex differences in pharmacodynamics, leading to a different efficacy of drugs in women and men. The biological differences between women and men may be caused by sex-specific gene expression, by sex-specific epigenetic modifications, and finally by the effect of sex hormones. In addition, gender plays a role in drug efficacy as a sociocultural dimension that may lead to differences between women and men. Frequently drugs are only tested on animals of one sex and thereby optimized for one sex. This is based on the notion that sex differences are not important for clinical drug effects.

ACE-Hemmer sowohl Männer als auch Frauen betrafen [26]. Spätere Studien, wie AIRE und HOPE, zeigten einen signifikanten Nutzen der Therapie mit ACEHemmern. Verblüffenderweise fand sich allerdings in der letzten publizierten Se-

Furthermore, to date, sex and gender differences have been underestimated in clinical studies, and phase III studies were not prospectively designed to assess sex differences in drug effects. In addition, women and men use drugs differently with respect to compliance, adherence, and self-medication with over-the-counter drugs. Further, it is known that male and female physicians treat women and men as patients differently. In conclusion, drug therapy is not yet optimized for both genders. However, there is increasing awareness that differences between women and men should be respected in order to provide optimal drugs in optimal doses for both genders. Keywords Sex · Gender · Metabolism · Pharmacokinetics · Pharmacodynamics

cond Australian National Blood PressureStudy eine signifikante Ereignisreduktion bei Männern, jedoch nicht bei Frauen, obwohl sich bei beiden Geschlechtern eine vergleichbare Blutdruckreduktion fand [27]. In allen Studien wird die Neben-

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Leitthema wirkung „Reizhusten“ häufiger bei Frauen berichtet [28]. Das heißt, dass bei der Therapie mit ACE-Hemmern, so wertvoll sie in unserer täglichen klinischen Praxis auch ist, noch einige Fragen offen sind.

Diuretika

Diuretika werden häufiger bei Frauen als bei Männern eingesetzt, obwohl sie bei ihnen mehr Nebenwirkungen auslösen können. Bei Frauen, die Diuretika nehmen treten häufiger Hyponatriämie und Hypokaliämie auf [5].

Antiarrhythmika

Klinische und experimentelle Studien zeigen, dass Frauen nach Antiarrhythmikagabe längere frequenzkorrigierte QT-Intervalle im EKG aufweisen als Männer. Diese Befunde rühren wahrscheinlich von einer spezifischen Regulation der Ionenkanäle durch Sexualsteroide her, wahrscheinlich einer Verkürzung des QT-Intervalls durch Testosteron [1, 29]. Insgesamt sind Frauen stärker als Männer gefährdet, bei QT-Intervall-verlängernden Arzneimitteln schwere Nebenwirkungen zu erleiden. Die arzneimittelinduzierte Torsade-de-pointesTachykardie ist eine schwere lebensbedrohliche Nebenwirkung und tritt signifikant häufiger bei Frauen auf. Substanzen, die die QT-Zeiten verlängern, gehören zahlreichen Arzneimittelfamilien an. Sie beinhalten nicht nur Antiarrhythmika, sondern auch gastrointestinal wirkende Pharmaka, Antipsychotika, Antihistaminika und Antibiotika. Bei allen diesen Substanzen tritt bei Frauen eine stärkere QT-Zeit-Verlängerung auf als bei Männern. Klassisch gilt dies für die Klasse-3Antiarrhythmika Sotalol und Amiodaron.

Acetylsalicylsäure

Lange Zeit hielt man Aspirin für ein in allen Bevölkerungsgruppen wirksames und vorbeugendes Mittel gegen Herzinfarkt oder einen Schlaganfall. Jedoch wurden die ersten diesbezüglichen Daten vor allem an Männern erhoben. Eine erste prospektive Studie an 40.000 Frauen zeigte hingegen, dass ein erster Myokardinfarkt bei Frauen im Alter von unter 60 Jahren durch die prophylaktische Gabe von Acetylsalicylsäure (ASS) nicht verhindert werden konnte [30]. Bei älteren

Frauen wirkte ASS aber ähnlich wie bei den Männern. Zudem verhinderte es bei ihnen einen ersten Schlaganfall, was bei Männern wiederum nicht der Fall war. Daher kann man auch hier von einer geschlechtsspezifischen Arzneimittelwirkung auf Basis eines noch ungeklärten Mechanismus ausgehen.

Mechanismen der Geschlechterunterschiede in der Pharmakokinetik und Pharmakodynamik Gene oder Hormone?

Weibliche Zellen besitzen 2 X-Chromosomen (eines vom Vater und eines von der Mutter), männliche 1 X-Chromosom (von der Mutter) und 1 Y-Chromosom (vom Vater). Das zweite X-Chromosom der Frauen sollte in allen Körperzellen inaktiviert werden [31]. Da diese Inaktivierung dem Zufallsprinzip unterliegt, wird entweder das väterliche oder das mütterliche X-Chromosom stillgelegt. Somit sind Frauen genetische Chimären und verfügen über einen größeren Genpool als Männer, bei denen das X-Chromosom immer maternal ist. Nun ist das X-Chromosom selten vollständig inaktiviert. In der Regel entgehen ca. 15–25 % der Gene auf dem stillgelegten X-Chromosom der sog. X-Inaktivierung. Nach welchen Regeln dies geschieht, ist noch unklar. Diese Gene sind in der Regel bei Frauen höher exprimiert als bei Männern. Die Mechanismen der sog. Dosiskompensation, mit der Zellen eine balancierte Expression X-chromosomaler Gene in männlichen und weiblichen Zellen herstellen, sind kompliziert und störanfällig. Neben der X-Inaktivierung spielen die Erhöhung der Transkriptionsrate Y-chromosomaler Gene und andere komplexe Regulationen eine Rolle. Einige der geschlechtsspezifisch exprimierten X- oder auch Y-chromosomalen Gene sind DNA-Methylasen, die zu epigenetischen Modifikationen anderer Gene führen. Kürzlich wurde beschrieben, dass bestimmte X-chromosomal exprimierte DNA-Demethylasen (Jarid 1c und 1d) geschlechtsspezifisch aktiviert werden und dass dies zu Unterschieden in Genexpressionsmustern während der Hirnentwicklung führt [32]. Diese Befunde sind ein Beispiel dafür, dass DNAmodifizierende Enzyme, die der X-Inak-

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tivierung entgehen oder die Y-chromosomal lokalisiert sind und die daher bei beiden Geschlechtern unterschiedlich exprimiert sind, zu einer geschlechtsspezifischen DNA-Methylierung, Histonmethylierung und Histonacetylierung führen können. Diese Effekte regeln dann die Expression ganzer Genabschnitte und tragen signifikant zu geschlechtsspezifischen Unterschieden im Muster der exprimierten Proteine bei. Für diese Regulationsmechanismen sind Sexualhormone nicht notwendig. Allerdings findet sich relativ häufig eine Interaktion zwischen Sexualsteroiden und DNA-modifizierenden Enzymen. Geschlechterunterschiede finden sich auch bei microRNAs, die als kurze, nicht kodierende RNAs an der Genregulation beteiligt sind [33]. Geschlechtsspezifisch regulierte microRNAs können die Synthese zahlreicher Proteine kontrollieren und so zu Geschlechterunterschieden auf Organebene und bei der Arzneimittelwirkung beitragen.

Hormone

Der Einfluss der Sexualhormone auf den Arzneimittelstoffwechsel ist eingehender untersucht und besser dokumentiert als der Einfluss genetischer Faktoren [4]. Die meisten der oben unter dem Kapitel „Pharmakokinetik“ beschriebenen Phänomene – Absorption, Verstoffwechselung und Ausscheidung von Arzneimitteln – können durch Sexualhormone gesteuert werden. Dementsprechend unterliegen sie bei Männern auch weniger physiologischen Schwankungen als bei Frauen, bei denen die Pharmakokinetik sowohl vom Menstruationszyklus als auch vom Prä-, Peri- und Postmenopausenstatus beeinflusst wird. Sexualhormone wirken sich geschlechtsspezifisch auf einige zelluläre Funktionen aus. So inhibiert z. B. Östrogen über den Östrogenrezeptor bei Frauen die Kollagensynthese, bei Männern wird sie hingegen stimuliert. Dies könnte den höheren Fibroseanteil, der bei einigen Herzerkrankungen in männlichen Herzen gesehen wird, erklären [17]. Dass die Effekte der Sexualhormone allerdings nicht vollständig verstanden sind, hat das Scheitern der großen Studien zur Hormonersatztherapie gezeigt. Während hier ein Teil der erwünschten Effekte ausblieb, traten zahlreiche unerwünschte Ef-

fekte auf, die wohl zum großen Teil auf pleiotrope Effekte der eingesetzten Hormone zurückzuführen sind. Es ist zu erwarten, dass Forschungen zu Effekten der Sexualhormone außerhalb der Sexualorgane und zu den oben beschriebenen In­teraktionen zwischen Sexualhormonen, ihren Rezeptoren und DNA-Modifikationen in den nächsten Jahren zu wegweisenden Befunden führen werden.

Gender als Ursache für Geschlechterunterschiede in der Arzneimitteltherapie Unter Gender versteht man Geschlecht als soziokulturelles Phänomen. Männer und Frauen werden gesellschaftlich unterschiedlich geprägt und hieraus erwachsen unterschiedliche Rollenverständnisse und ein unterschiedlicher Umgang mit Gesundheitsproblemen. Soziokulturell bedingte Unterschiede zwischen Männern und Frauen spielen in der Arzneimitteltherapie an zahlreichen Stellen eine Rolle. Strategien der Arzneimittelentwicklung sind geschlechtsspezifisch geprägt ebenso wie die Verschreibung und Einnahme von Arzneimitteln, die Compliance, Adhärenz oder Selbstmedikation.

Geschlechterunterschiede bei der Arzneimittelentwicklung Geschlechterunterschiede in der Arzneimittelentwicklung beginnen bereits bei der Auswahl der Krankheitsbilder, für die Medikamente entwickelt werden sollen, und bei der Auswahl der Versuchstiere in der frühen Phase der Entwicklung. Experimentatoren werden die Tierversuche abhängig davon planen, ob sie die Analyse der Wirkung einer Substanz am männlichen oder am weiblichen Versuchstier für wichtiger halten. Zudem sollte auch angemerkt werden, dass jeder Tierversuchsleiter aus Gründen des Tierschutzes angehalten ist, eine möglichst geringe Zahl an Tieren zu verwenden (wie dies auch weiter unten ausgeführt wird). Häufig werden daher männliche Tiere gewählt, da bei ihnen keine Zyklusschwankungen auftreten. Zyklusschwankungen können zu einer höheren, biologisch bedingten Streuung bei den Ergebnissen führen und somit größere Versuchstiergrup-

pen erforderlich machen. Die Mehrzahl der kardiovaskulären Arzneimittel wurde an männlichen Tieren entwickelt. Jüngere Übersichtsarbeiten in Nature und Science haben darauf hingewiesen, dass dieses Vorgehen heute untragbar ist [34–36]. Die Praxis, Zykluseffekte in der Arzneimittelentwicklung durch die Wahl männlicher Versuchstiere artifiziell auszuklammern, die entwickelten Arzneimittel dann aber Frauen mit aktivem Zyklus zu verabreichen, wird als nicht mehr haltbar betrachtet. Dennoch ist dieses Vorgehen aus Kosten- und paradoxerweise auch aus Tierschutzgründen (zur Reduktion der Versuchstierzahlen) nach wie vor gängige Praxis [37]. In Europa waren Frauen lange von klinischen Studien ausgeschlossen. Dabei spielte die Thalidomid-Katastrophe in den 1950- und 1960er-Jahren eine große Rolle [34]. Sie führte dazu, dass Frauen, die ja potenziell schwanger werden könnten, in Europa bis in die 1990er-Jahre hinein kaum in klinische Studien eingeschlossen wurden. Allerdings ist es eine schwierige ethische Frage, ob man Arzneimittel an schwangeren Frauen testen soll, ohne zu wissen, welche Schäden für das ungeborene Kind entstehen könnten. In den 1970er- und 1980er-Jahren begannen aber die International Conference on Harmonisation (ICH) und die European Medicines Agency (EMEA) hier nach neuen Regelungen zu suchen. Aber erst seit dem Jahr 2011 liegen ICH-Leitlinien vor, die den Einschluss beider Geschlechter in klinische Studien verlangen [34, 38]. So wird unter anderem gefordert, dass für neue Substanzen auch pharmakokinetische Informationen zu Frauen vorliegen müssen. Zudem müssen Dosis-Wirkungs-Kurven für jedes Geschlecht erstellt werden. Auch wird gefordert, dass die Probandenpopulation in den klinischen Studien die Geschlechterverhältnisse in der Risikopopulation widerspiegelt. Weitere Leitlinien verlangen, dass Ergebnisauswertungen für beide Geschlechter durchgeführt werden. Eine Analyse von 240 wichtigen klinischen Studien, die im Zeitraum von 2000 bis 2003 durchgeführt wurden, zeigte, dass damit eine deutliche Erhöhung des Frauenanteils in späten klinischen Phase-II- und Phase-III-Studien erreicht werden konnte, dass Frauen aber

vor allem in den früheren Arzneimittelentwicklungsstudien weitgehend unterrepräsentiert waren. In der Phase III ergaben sich hier große Unterschiede zwischen den Fachbereichen wie Hypertensiologie, Kardiologie, Immunologie, Di­ abetologie: Die Unterrepräsentation der Frauen war in kardiovaskulären Studien und in Industriestudien besonders groß. Die Geschichte der gesetzlichen Regulierung zum Einschluss von Frauen in Studien zur Arzneimittelentwicklung verlief in den USA ähnlich wie eben geschildert. Bis zum Jahr 1993 waren Frauen aufgrund eines Beschlusses der Food and Drug Administration (FDA) von den klinischen Phasen-I- und Phase-II-Studien ausgeschlossen, u. a. um Ungeborene zu schützen. 1993 plädierten die National Institutes of Health (NIH) für den Einschluss von Frauen in solche Studien. Die Gesetzgebung verlangt nun, dass in alle klinischen Studien, die durch das NIH gesponsert werden, Frauen und Männer sowie ethnische Minoritäten eingeschlossen werden. Die Umsetzung dieser Anordnung wird relativ strikt überwacht, und es werden bereits die Anträge auf klinische Studien hierauf überprüft. US-amerikanische Untersucher können derzeit im klinischen Bereich keine NIH-Unterstützung mehr verlangen, wenn sie keinen Plan zur Berücksichtigung von Gender-/Geschlechtsaspekten vorlegen. Neben dem Einschluss von Frauen ist es auch wichtig, dass gezielte geschlechtsspezifische Analysen mit adäquater Biometrie geplant und durchgeführt werden.

Geschlechterunterschiede bei der Verschreibungspraxis von Arzneimitteln und im Einnahmeverhalten Die Ergebnisse von Untersuchungen zu Geschlechterunterschieden bei der Verschreibungspraxis von Arzneimitteln hängen stark davon ab, welche Kollektive betrachtet werden: Einzelne Arzneimittelstudien an gut überwachten Kollektiven oder in Studienzentren scheinen darauf hinzuweisen, dass Männer und Frauen im Wesentlichen gleich behandelt werden. Andere, eher bevölkerungsbasierte Studien weisen hier jedoch auf eine un­ terschiedliche Datenlage hin. So zeigte die

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Leitthema Untersuchung der European Heart Association, die flächendeckend in ganz Europa durchgeführt wurde, dass Frauen bei gleicher Diagnose (exemplarisch bei ei­ ner neu aufgetretenen koronaren Herzerkrankung) im Mittel weniger diagnostische Maßnahmen und weniger medi­ kamentöse Therapien erhielten als Männer [39]. Untersuchungen in Deutsch­ land zeigten, dass die Durchführung ei­ ner leitliniengerechten Therapie bei Patienten mit Herzinsuffizienz hochsignifikant sowohl vom Geschlecht des Arz­ tes als auch vom Geschlecht des Patienten abhängt. Männliche Ärzte wenden bei Frauen seltener eine leitliniengerechte Therapie an als bei Männern [40]. Zwei Querschnittstudien, die in Deutschland nach 2000 durchgeführt wurden, berichteten, dass Männer und Frauen mit vergleichbaren Diagnosen (basierend auf ICD-Codes) medikamentös unterschiedlich behandelt wurden. Eine Querschnit­ tanalyse zeigte, dass vor allem jüngere Frauen bei gleichem ICD-Code weniger ACE-Hemmer, Angiotensinrezeptorblocker, Statine und Thrombozytenaggregationshemmer erhielten als Männer. Die CoRiMa-Studie belegte, dass der Risikofaktor Hyperlipidämie bei Frauen signifikant schlechter behandelt wurde als bei Männern [41]. Ähnliche Ergebnisse fanden sich in mehreren europäischen Ländern. Journath und Koautoren berichteten [42], dass sowohl das Geschlecht des Arztes als auch das Geschlecht des Pati­ enten von entscheidender Bedeutung für die optimale Einstellung mit blutdrucksenkenden Medikamenten ist. Wie in den deutschen Studien, wurden Patientinnen von männlichen Ärzten am schlechtesten behandelt. Ähnliche Ergebnisse fanden sich für die Diabetestherapie [43]. In ei­ ner Querschnittstudie mit 51.000 Patienten zeigte sich, dass Ärztinnen mehr Frauen behandeln, während Ärzte gleich viel Patientinnen und Patienten hatten. Die von Ärztinnen betreuten Patientinnen erhielten mehr Informationen und eine bessere antihypertensive Medikation als Pati­ entinnen männlicher Ärzte. Neben dem Verschreibungsverhalten der Ärzte spielt die Selbstmedikation der Patienten sowie ihre Compliance und Adhärenz zur Therapie eine signifikante Rolle. Es scheint, dass Frauen eher da-

zu neigen, zusätzlich zur ärztlich verordneten Medikation selbstverordnete Medikamente einzunehmen (58 % Frauen vs. 41 % Männer). Der Anteil der Selbstmedikation steigt mit dem Einkommen, dem Bildungsgrad und Krankheitsgefühl [44]. Um der zunehmenden Zahl von inadäquaten Arzneimitteleinnahmen bei älteren Menschen entgegenzutreten, wurde erstmals 1997 eine Liste von Substanzen erstellt, die bei älteren Menschen vermieden werden sollen (Liste potenziell ungeeigneter Medikamente/a list of potential inappropriate medication – PIM). Laut dieser waren in Deutschland 5 % der verordneten Medikamente bei älteren Patienten potenziell ungeeignet. Frauen erhielten zu 5,7 % und Männer zu 4,4 % potenziell ungeeignete Medikamente [44].

Geschlechterunterschiede bei unerwünschten Arzneimittelreaktionen Unerwünschte Arzneimittelreaktionen sind bei Frauen signifikant häufiger als bei Männern. In einer britischen Übersichtsarbeit zu mehr als 400.000 Fällen lag das Risiko für unerwünschte Arzneimittelwirkungen bei Frauen um das 1,8-Fache höher als bei Männern [45]. Neuere Übersichtsarbeiten, z. B. von HoferDuckelmann [44], zeigen ein ähnlich erhöhtes Risiko für Frauen, mehr Arzneimittelnebenwirkungen zu erleiden. Diese Unterschiede werden mit zunehmendem Alter größer, sie nehmen auch mit abnehmendem Körpergewicht der Frauen zu. Die Ursachen für unerwünschte Arzneimittelreaktionen sind komplex. Auf der einen Seite spielen die Tatsachen, das Arzneimitteldosierungen häufig nicht für Frauen angepasst werden und dass die Nierenfunktion vor allem bei kleineren, älteren Frauen stärker eingeschränkt ist, was zur Akkumulation renal eliminierter Substanzen führt, sicher eine große Rolle. Darüber hinaus kann die Interaktion vieler Arzneimittel mit Sexualsteroiden – vor allem bei jüngeren Frauen – zyklusund hormonabhängig häufiger zu Nebenwirkungen führen. Bei einigen Substanzen, insbesondere bei den QT-Zeit-verlängernden Pharmaka, ist diese Interaktion wohl relativ deutlich ausgeprägt und mittlerweile auch gut bekannt. Dies

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sollte in der Therapie mit den betreffenden Substanzen unbedingt berücksichtigt werden. Eine relativ große Gefahrenquelle ist wahrscheinlich die unkontrollierte Einnahme nicht verschreibungspflichtiger Arzneimitteln in Selbstmedikation. Auch die verordnete Polypharmazie, die sich vor allem bei älteren Frauen findet, kann zu unerwünschten Arzneimittelreaktionen beitragen [44].

Fazit Noch ist die Arzneimitteltherapie nicht für beide Geschlechter wirklich optimiert. Arzneimittel werden noch nicht systematisch an Tieren beider Geschlechter entwickelt. Dosierungen werden in den klinischen Phasen I und II noch nicht systematisch für beide Geschlechter er­ arbeitet, und Phase-III-Studien sind in der Regel nicht so ausgelegt, dass die Wirkungen der erprobten Mittel sowohl für Männer als auch für Frauen unabhängig voneinander beurteilt werden können. Aber es besteht ein immer größeres Bewusstsein darüber, dass und welche Unterschiede zwischen Frauen und Männern beachtet werden müssen, um für beide Geschlechter optimale Arzneimittel in optimalen Dosierungen bereitstellen zu können.

Korrespondenzadresse Prof. Dr. V. Regitz-Zagrosek Institut für Geschlechterforschung in der Medizin (GIM) Charité-Universitätsmedizin Berlin Hessische Straße 3–4, 10115 Berlin [email protected] Danksagungen.  Dank gilt Herrn Frank Ording, Frau Stefanie Schmidt und Herrn Arne Kühne für die umfangreiche Mithilfe und sorgfältige Literaturrecherche.

Einhaltung ethischer Richtlinien Interessenkonflikt.  V. Regitz-Zagrosek gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht. Dieser Beitrag beinhaltet keine Studien an Menschen oder Tieren.

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Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 9 · 2014 

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[Sex and gender differences in pharmacotherapy].

Many drugs have act differently in women and men. Biological differences between women and men lead to sex differences in pharmacokinetics, i.e., in d...
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