Prävention & Versorgungsforschung | Review article

2541

Geschlechterunterschiede in der kardiovaskulären Prävention Sex and gender differences in cardiovascular prevention

Autoren

A. Tschaftary1 S. Oertelt-Prigione2,3

Institut

1 Praxis Rankestraße Berlin Dr. Natascha Hess, Berlin 2 Institut für Geschlechterforschung in der Medizin, Charité – Universitätsmedizin, Berlin 3 Deutsches Herzkreislaufforschungszentrum (DZHK)

Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems sind nach wie vor die häufigste Todesursache in Deutschland – sowohl bei Männern als auch bei Frauen (q Tab. 1). 2012 starben ca. 36 % aller Männer und 44 % aller Frauen an deren Folgen [4]. Etwa jeder zehnte Deutsche erkrankt in seinem Leben an koronarer Herzerkrankung, jeder zwanzigste an einem Herzinfarkt [13], immerhin jeder dreißigste an einem Schlaganfall [6]. Innerhalb der Bundesrepublik sind regionale Unterschiede in der Mortalität erkennbar, diese betreffen jedoch beide Geschlechter in gleichem Maß [29]. Die Prävalenz steigt mit dem Alter und ist bei Männern in fast allen Altersgruppen höher als bei Frauen. Während bei Männern ein linearer Anstieg der Inzidenz kardiovaskulärer Erkrankungen mit steigendem Alter beobachtet werden kann, ist dieser Anstieg bei Frauen erst nach der Menopause markant, dann aber in ähnlichem Maße ausgeprägt wie bei Männern [6, 13, 19]. Diese zeitliche Verschiebung ist dennoch in keiner Form ein absoluter Schutz. Betrachtet man nämlich die deutschen Mortalitätsdaten des Jahres 2012, stellt sich heraus, dass Männer zwar immer noch häufiger an Herzinfarkten sterben, an Herzinsuffizienz Frauen aber fast doppelt so häufig und an hypertensiver Herzkrankheit fast dreimal so häufig [4]. Unterschiede in den zeitlichen Inzidenzmustern sollten uns somit lediglich vor Augen führen, welche Interventionsmöglichkeiten ein adäquates und zielgruppengerechtes Präventionsangebot mit sich bringen könnte. Männer und Frauen haben unterschiedliche Risikostrukturen im Hinblick auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Allgemein anerkannte Risikofaktoren wie Übergewicht, Bluthochdruck, geringe ■

Bewegung, Rauchen und Hypercholesterinämie weisen Unterschiede in der geschlechtsspezifischen Prävalenz auf [32] und unterscheiden sich außerdem signifikant in ihrem prädiktiven, bzw. fördernden Effekt auf Morbidität und Mortalität [35]. Auch die Rolle der Hormonveränderungen innerhalb der Schwangerschaft und möglicher Komplikationen als Langzeit-Risikofaktoren sollte nicht unterschätzt werden [21, 28]. Auf diese und weitere Aspekte soll im Folgenden detaillierter eingegangen werden.

kurzgefasst

Kardiologie

Prävention & Versorgungsforschung | Review article

Schlüsselwörter Geschlechterunterschiede Herz-Kreislauf Prävention Schlaganfall Myokardinfarkt

q q q q q

Key words sex differences gender differences prevention cardiovascular myocardial infarction

q q q q q

Männer erkranken früher als Frauen an kardiovaskulären Erkrankungen; nach der Menopause ist die Inzidenz bei Frauen ähnlich. Typische Risikofaktoren unterscheiden sich in ihrer Inzidenz und Relevanz bei den Geschlechtern.

Frauenspezifische Risikofaktoren ▼ Hormonelle und physiologische Veränderungen während einer Schwangerschaft sind ein wichtiger Risikofaktoren für Schlaganfall bei Frauen vor der Menopause, unter anderem aufgrund der prothrombotischen Wirkung erhöhter Koagulationsbereitschaft und venöser Stase. Die risikobegünstigende Wirkung von Schwangerschaftskomplikationen wie Schwangerschaftshypertonus und Präeklampsie bei Schlaganfall ist schon lange etabliert [7, 28]. Bei anderen kardiovaskulären Erkrankungen ist hingegen ihre Rolle, zusammen mit der des Schwangerschaftsdiabetes, erst jüngst hervorgehoben worden [21]. Hormonelle Antikontrazeptiva sind bekannterweise ebenfalls mit einem erhöhten Schlaganfallrisiko auf das 1,4- bis 2-Fache assoziiert. Während das Risiko bei jungen Frauen ohne weitere Risikofaktoren sehr gering ist (3,4 pro

eingereicht 17.06.2014 akzeptiert 28.08.2014 Bibliografie DOI 10.1055/s-0034-1387394 Dtsch Med Wochenschr 0 2014; 1390 0:2541–2545 · © Georg Thieme Verlag KG · Stuttgart · New York · ISSN 0012-04721439-4 13 Korrespondenz Dr. med. Sabine Oertelt-Prigione, MScPH Institut für Geschlechterforschung in der Medizin Charité – Universitätsmedizin Hessische Str. 3/4 10117 Berlin Tel. 030 450 539069 eMail sabine.oertelt-prigione@ charite.de

Korrekturexemplar: Veröffentlichung (auch online), Vervielfältigung oder Weitergabe nicht erlaubt! ■

Heruntergeladen von: Rutgers University. Urheberrechtlich geschützt.

Prävalenz von Herz-Kreislauf-Erkrankungen in Deutschland ▼

Prävention & Versorgungsforschung | Review article

Tab. 1 Mortalitätsrisiken nach ICD-10 der Jahre 1998–2012. Mortalitätsursachen sind als Prozentsatz der gesamten Jahresmortalität angegeben. In Klammern der Rang der jeweiligen Erkrankung im Rahmen aller Mortalitätsursachen des angegebenen Jahres (z. B. 1 – häufigste Todesursache, 4 – vierthäufigste Todesursache usw.) [30]. Chr. Ischämische Herzkrankheit Herzinsuffizienz

Akuter Myokardinfarkt

Schlaganfall

Frauen

Männer

Frauen

Männer

Frauen

Männer

Frauen

Männer

1998

12,3 % (1)

9,7 % (2)

8,3 % (2)

4,4 % (4)

7,6 % (3)

10,4 % (1)

7,4 % (4)

4,6 % (4)

1999

12,7 % (1)

10 % (1)

8,5 % (2)

4,6 % (4)

7 % (3)

9,7 % (2)

6,7 % (4)

4,2 % (5)

2000

12,2 % (1)

9,8 % (1)

8,8 % (2)

4,5 % (4)

6,9 % (3)

9,4 % (2)

6,3 % (4)

3,8 % (5)

2001

12,3 % (1)

9,9 % (1)

8,8 % (2)

4,6 % (4)

6,7 % (3)

9,2 % (2)

6 % (4)

3,7 % (5)

2002

12,3 % (1)

9,9 % (1)

8,6 % (2)

4,6 % (4)

6,5 % (3)

9 % (2)

5,7 % (4)

3,5 % (5)

2003

11,8 % (1)

9,7 % (1)

8,8 % (2)

4,8 % (4)

6,5 % (3)

8,8 % (2)

5,4 % (4)

3,3 % (5)

2004

11,1 % (1)

9,3 % (1)

7,6 % (2)

3,9 % (4)

6,5 % (3)

8,7 % (2)

4,8 % (4)

2,9 % (6)

2005

10,4 % (1)

9 % (1)

7,5 % (2)

3,9 % (4)

6,4 % (3)

8,5 % (2)

4,5 % (4)

2,6 % (7)

2006

10,1 % (1)

8,8 % (1)

7,4 % (2)

3,8 % (4)

6,3 % (3)

8,4 % (2)

4,3 % (4)

2,6 % (7)

2007

9,7 % (1)

8,8 % (1)

7,8 %(2)

4,1 % (4)

6,1 % (3)

8 % (2)

4 % (4)

2,4 % (8)

2008

8,9 % (1)

8,3 % (1)

7,5 % (2)

2,9 % (4)

5,9 % (3)

7,7 % (2)

3,9 % (4)

2,3 % (8)

2009

8,9 % (1)

8,3 % (1)

7,4 % (2)

3,9 % (4)

5,6 % (3)

7,6 % (2)

3,7 % (5)

2,2 % (8)

2010

8,6 % (1)

8,3 % (1)

7,2 % (2)

3,9 % (4)

5,5 % (3)

7,5 % (2)

3,4 % (5)

2,1 % (9)

2011

8,3 % (1)

8,2 % (1)

6,9 % (2)

3,6 % (5)

5,3 % (3)

7 % (3)

3,1 % (7)

1,9 %(10)

2012

8,1 % (1)

8,4 % (1)

6,8 % (2)

3,7 % (4)

5,2 % (3)

7 % (3)

2.8 % (8)

1,8 %(11)

100 000 bei Frauen zwischen 15 und 19 Jahren), steigt es mit dem Alter und zusätzlichen Risikofaktoren wie Rauchen, Übergewicht und Bluthochdruck deutlich an (64,4 pro 100 000 bei Frauen zwischen 45 und 49 Jahren) [7].

ren Prävention der AHA [21] wurde die Bedeutung besonders für Frauen hervorgehoben, auch in Hinblick auf ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko bei übergewichtigen Frauen im Vergleich zu übergewichtigen Männern [16].

Die schützende Funktion von endogenen Östrogenen ist in zahlreichen Studien belegt worden. Dennoch scheint der Zeitpunkt des Einsetzens der Menopause keinen direkten Einfluss auf die Langzeitprävalenz von Schlaganfall oder Herzinfarkt zu haben [7, 15]. Eine postmenopausale Östrogentherapie hingegen scheint das Schlaganfallrisiko sogar zu erhöhen [7, 20] und ist dementsprechend nach den neuesten Leitlinien [26] nur nach einer adäquaten Risiko-Nutzen-Evaluation zu empfehlen.

Unterschiede im Muster körperlicher Aktivität und Präferenzen sind dokumentiert worden, wobei Frauen generell weniger physisch aktiv sind und sich weniger sportlich betätigen [33]. Die protektive Rolle von physischer Aktivität, besonders bei Frauen, ist mehrmals dokumentiert worden [3, 35], doch die praktische Umsetzung präventionsrelevanter Forderungen gestaltet sich bei beiden Geschlechtern komplex [27].

kurzgefasst kurzgefasst Physiologische und pathologische Modifikationen aufgrund endogener und exogener Östrogenaktivität können akute und chronische Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen darstellen.

Risikofaktoren mit Relevanz für beide Geschlechter ▼ Übergewicht und Adipositas Übergewicht, definiert als Body-Mass-Index (BMI) zwischen 25 und 30 kg/m², bzw. Adipositas (BMI > 30 kg/m²) gelten als starker Risikofaktor für das metabolische Syndrom und insbesondere die abdominelle Fettverteilung (Taille/Hüfte-Quotient > 0,85 bei Frauen bzw. > 1,0 bei Männern) ist mit einem erhöhten kardiovaskulären Risiko verbunden [11]. Besondere Relevanz haben in diesem Hinblick Diät und körperliche Aktivität. Als Orientierung für eine gesunde und kardioprotektive Ernährungsweise wird die DASH-Diät (Dietary Approaches to Stop Hypertension) empfohlen. Diese 1997 vorgestellte Ernährungsempfehlung [2] beinhaltet mehrere Ernährungsgruppen, die in vorgegebenen Mengen konsumiert, bzw. vermieden werden sollten. In den frauenspezifischen Leitlinien zur kardiovaskulä-

Übergewicht und Adipositas sind für beide Geschlechter wichtige Risikofaktoren. Sowohl gesunde Ernährung als auch physische Aktivität scheinen bei Frauen protektiver zu wirken als bei Männern und sollten somit besonders unterstützt werden.

Hypercholesterinämie Bereits im Alter von 30–39 Jahren liegen 70,1 % der Männer und 61,5 % der Frauen in Deutschland über dem empfohlenen Grenzwert von Gesamtcholesterin 

[Sex and gender differences in cardiovascular prevention].

Cardiovascular diseases represent the first cause of mortality in Germany and worldwide. Many of these diseases could be avoided with adequate prevent...
196KB Sizes 0 Downloads 10 Views