Leitthema Med Klin Intensivmed Notfmed 2014 · 109:591–595 DOI 10.1007/s00063-014-0402-z Eingegangen: 5. September 2014 Angenommen: 16. September 2014 Online publiziert: 29. Oktober 2014 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

Redaktion

M. Joannidis, Innsbruck S. Kluge, Hamburg

Purpura fulminans (PF) ist die klinische Manifestation einer akut fortschreitenden Thrombose der systemischen und kutanen Mikrozirkulation ausgelöst durch die simultane Wirkung mikrobieller Pathogene und intrinsischer hämatologischer, vaskulärer und inflammatorischer Faktoren. PF ist eine seltene Erkrankung mit einer geschätzten Inzidenz von etwa 1 Fall pro 100.000 Einwohner [1] und erfüllt damit die Kriterien der Europäischen Union (EU) einer „orphan disease“ [2]. Die Krankenhaussterblichkeit beträgt etwa 50% [3].

Pathogenese Das dramatische klinische Bild der PF wird von den Symptomen eines progre­ dienten Organversagens dominiert, wäh­ rend sich aus den Hauthämorrhagien konfluierende, häufig auch gangränöse Nekrosen entwickeln (. Abb. 1). Die kli­ nische Erstbeschreibung der PF von Wa­ terhouse [4] und Friedrichsen [5] um­ fasste plötzlichen Beginn, Fieber, Zyano­ se ohne Dyspnoe, Purpura und Kreislauf­ versagen. Purpura bedeutet eine Extrava­ sation von zellulären Blutkomponenten in die Haut, verursacht durch mikrovasku­ läre Thrombosen und hämorrhagische Nekrose. Vergleichbare Veränderungen finden sich auch in Nieren, Nebennieren und anderen parenchymatösen Organen.

F.M. Brunkhorst1, 2, 3, 4 · V. Patchev4 1 Center of Sepsis Control and Care (CSCC), Klinik für Anaesthesiologie und Intensivtherapie,

Universitätsklinikum Jena 2 Integriertes Forschungs- und Behandlungszentrum “Sepsis und Sepsisfolgen“, Universitätsklinikum Jena 3 Paul-Martini-Forschergruppe Klinische Sepsisforschung, Universitätsklinikum Jena 4 Zentrum für Klinische Studien (ZKS), Universitätsklinikum Jena

Ein europäisches Register für sepsisassoziierte Purpura fulminans (SAPFIRE)

Die Pathogenese der PF ist auf eine ausgeprägte Hyperkoagulation zurück­ zuführen, die in den meisten Fällen aus einem Protein-C-Mangel resultiert [6].

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Die ausgeprägte Hyperkoagulation resultiert aus einem Protein-C-Mangel Protein C ist ein intrinsischer Gerin­ nungshemmer, der über eine Inaktivie­ rung der Gerinnungsfaktoren Va und VIIIa die Entstehung von Thrombin ein­ schränkt und eine profibrinolytische Wir­ kung entfaltet [7]. Die Ursachen sind viel­ fältig. Während ein homozygotes konge­ nitales Protein-C-Defizit bzw. -Resistenz extrem selten auftreten, wird die Häufig­ keit des phänotypisch unauffälligen hete­ rozygoten Protein-C-Mangels auf etwa 1 pro 200–500 eingeschätzt [8]. Überwie­ gend tritt jedoch ein erworbener Prote­ in-C-Mangel auf, der durch Sepsis oder Leberversagen induziert wird. Die kau­ sale Rolle von Sepsiserregern, wie Neisseria meningitidis, Streptococcus pneumoniae, S. aureus, Haemophilus influenzae, Enterococcus species prägte die Bezeich­ nung sepsisassoziierte PF (SAPF; [3, 9]). SAPF weist typische Zeichen einer kon­ sumptiven Koagulopathie auf. Dabei wur­ de mehrfach gezeigt, dass SAPF mit einer deutlichen Hemmung der Biosynthese so­ wie einem erhöhtem Abbau von Protein C assoziiert ist [10-12].

Die seit langem etablierte Ansicht, dass SAPF am häufigsten im Zusammenhang mit einer Meningokokken- oder Pneumo­ kokkeninfektion auftritt, dürfte sich nach der Einführung von spezifischen Schutz­ impfungen geändert haben [13]; allerdings gibt es bisher keine umfassende Bewer­ tung der epidemiologischen Konsequen­ zen dieser Schutzimpfungen in Bezug auf die Inzidenz von PF. Das Spektrum der Infektionen, die SAPF hervorrufen kön­ nen, hat sich um Varizellen [14], Fleckfie­ ber [15] und Malaria [16], aber auch um solche, die durch Haustierbisse übertra­ gen werden (Pasteurella multocida [17], Capnocytophaga canimorsus [18]), erwei­ tert. Die Inzidenz von SAPF bei asplenen Patienten verdient besondere Beachtung (. Abb. 2). Mit der Splenektomie kommt es zu einem Verlust von spezialisierten Makrophagen und B-Zellen der spleni­ schen Marginalzone, denen bei der Im­ munabwehr gegen bekapselte Infektions­ erreger eine besondere Bedeutung zu­ kommt [19]. Häufig verlaufen Infektio­ nen bei splenektomierten Patienten akut lebensbedrohlich unter dem Bild einer „overwhelming post-splenectomy infec­ tion“ (OPSI). In einem Review von Fall­ berichten aus den 1980iger-/1990iger-Jah­ ren betrug die Inzidenz eines OPSI unter asplenen Patienten 3,2% über ein media­ nes Follow-up von 6,9 Jahren [20]. SAPF wurde bei asplenen/splenektomierten Sepsispatienten beschrieben, jedoch wird

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Leitthema stimmt. Während die Diagnose von SAPF eher unproblematisch ist, stellt die Be­ handlung eine Herausforderung dar. In Abwesenheit evidenzbasierter Behand­ lungsempfehlungen stehen, neben der kausalen Behandlung der Infektion durch Antiinfektiva und den intensivmedizini­ schen supportiven Maßnahmen, thera­ peutische Strategien zur Wiederherstel­ lung des Koagulationsequilibriums und zur Inhibition der intravasalen Gerinnung im Vordergrund der SAPF-Behandlung.

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Die Supplementierung von endogenen Gerinnungshemmern steht im therapeutischen Fokus

Abb. 1 8 Dokumentationsschema für sepsis­ assoziierte Purpura-fulminans-Läsionen. (© Fotolia)

Abb. 2 8 Sepsisassoziierte Purpura fulminans bei Pneumokokkenbakteriämie und Asplenie

eine typische Ausprägung aufgrund der sehr hohen frühen Mortalität [21] eher selten beobachtet.

Klinik und Therapie Das klinische Erscheinungsbild der SAPF wird von den Symptomen der Sepsis mit multiplem Organversagen sowie von der Entwicklung der Hautläsionen, die häu­ fig chirurgische Eingriffe erfordern, be­

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Das Spektrum der therapeutischen Op­ tionen hat sich in den vergangenen Jah­ ren, neben der Anwendung von Hepa­ rin, auf die Supplementierung von en­ dogenen Gerinnungshemmern in der Form von Frischplasma oder einzelnen Plasmaproteinen (Protein C, Antithrom­ bin, gewebespezifischer Plasminogen­ aktivator, Prothrombinkomplexpräpa­ rate) fokussiert [3, 9, 22, 23]. Die meis­ ten Publikationen betreffen die Verwen­ dung von humanem Protein-C-Konzent­ rat (Ceprotin; [24-29]) und rekombinan­ tem aktiviertem Protein-C (Drotrecogin; [8, 30-33]). Die Produktion von Drotre­ cogin wurde Ende des Jahres 2011 einge­ stellt. Die Gabe von rekombinantem akti­ viertem Protein C ist offensichtlich nicht zwingend erforderlich. So führte eine Be­ handlung mit humanem Protein-C-Kon­ zentrat in einem murinen Endotoxinmo­ dell, aber auch bei Kindern mit Purpura fulminans und Meningokokkensepsis zu einem dosisabhängigen Anstieg der Plas­ maaktivität von aktiviertem Protein C und einer günstigen Beeinflussung von Gerinnungs- und Inflammationsparame­ tern [24, 34]. Die Informationen zur An­ wendung von Antithrombin [35-37] und gewebespezifischem Plasminogenaktiva­ tor (t-PA; [38, 39]) stammen aus Beobach­ tungen mit relativ kleinen Fallzahlen. Ein weiterer therapeutischer Ansatz zur Be­ handlung von sepsisassoziierten Koagu­ lationsstörungen mit rekombinantem Tis­ sue Factor ­Pathway Inhibitor (TFIP; [40]) konnte sich aufgrund der klinischen Er­ gebnisse nicht durchsetzten. Es fehlen di­

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rekte Vergleiche der Wirkungsprofile ein­ zelner gerinnungswirksamer Medika­ mente und – bis auf wenige Ausnahmen [24] – systematische Studien zum Einfluss auf ­koagulatorische Surrogatparameter. Verschiedene adjunktive Behandlungen, wie Immunglobuline [41], Plasmaphere­ se, Hämofiltration und hyperbare Sauer­ stofftherapie [42, 43] werden in Einzelbe­ richten erwähnt. Aus chirurgischer Sicht ist die SAPF ein klassisches Beispiel für ein Kompart­ mentsyndrom, für dessen Behandlung in­ terdisziplinär erarbeitete Leitlinien erfor­ derlich sind [44]. Diese Defizite unterstreichen die Not­ wendigkeit einer Neubewertung der SAPF hinsichtlich Inzidenz, Ätiologie, Dyna­ mik der Symptomentwicklung, Morbidi­ tät, Mortalität und Entwicklung von diffe­ renzierten Behandlungsstrategien.

Register für sepsisassoziierte Purpura fulminans Rationale In vielen Ländern sind medizinische Re­ gister ein etabliertes Instrument der Qua­ litätssicherung, da sie im Gegensatz zu kontrollierten klinischen Studien, die im­ mer enge Selektionskriterien als Voraus­ setzung haben, die tatsächliche Versor­ gungspraxis besser abbilden. Insbeson­ dere bei seltenen akut verlaufenden Er­ krankungen scheitern kontrollierte klini­ sche Studien u. a. wegen des erheblichen administrativen und finanziellen Auf­ wands an der erforderlichen Patientenre­ krutierung. Darüber hinaus liegen seltene Akut­erkrankungen zumeist außerhalb des Interesses der forschenden pharmazeuti­ schen Industrie, da im Gegensatz zu selte­ nen chronischen Erkrankungen, der Ein­ satz der Substanz zeitlich begrenzt und ein finanzieller Gewinn nicht garantiert ist.

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Registerstudien ermöglichen eine fast vollständige Abbildung der Zielpopulation Dagegen ermöglichen Registerstudien eine fast vollständige Abbildung der Ziel­ population und Einblicke in potenzielle Behandlungsoptionen.

Zusammenfassung · Abstract Das europaweite Sepsis-associated Purpura Fulminans International ­Registry (SAPFIRE) soll im 1. Quartal 2015 akti­ viert und mindestens 3 Jahre betrieben werden. In der Run-in-Phase wird mit der Teilnahme von etwa 30 Zentren aus 7 EUMitgliedsstaaten gerechnet; eine Erweite­ rung des Teilnehmerkreises ist vorgese­ hen. Das wissenschaftsgetriebene Regis­ ter wird von der Firma Baxter HealthCare finanziell mit „unrestricted grants“ unter­ stützt. Daten- und Auswertungshoheit ob­ liegen jedoch ausschließlich dem Steer­ ing-Komitee (F.M. Brunkhorst, Universi­ tätsklinikum Jena; M. Sasse, Medizinische Hochschule Hannover; J. Hazelzet, Eras­ mus Medical Center, Rotterdam; S. Nadel, St Mary’s Hospital, Imperial ­College Lon­ don; O. Smith, Our Lady’s Children Hos­ pital, Dublin). Das einzige Einschlusskriterium ist die Diagnose von PF im Zusammenhang mit einer Sepsis; die Alterseinschränkungen betreffen nur Frühgeborene vor der 36. Schwangerschaftswoche.

Datenerfassung und -dokumentation Die Datenerfassung und das Datenma­ nagement (. Tab. 1) erfolgt via Webap­ plikation auf den Servern des Zentrums für Klinische Studien (ZKS) des Univer­ sitätsklinikums Jena mithilfe der Studien­ managementsoftware ­OpenClinica®. Die Software erfüllt die regulatorischen GoodClinical-Practice(GCP)-Anforderungen (21 CFR Part 11). Sie besitzt einen integ­ rierten „audit trail“, der Datenänderungen vom System automatisch erfasst. Diese Protokollierung kann von Nutzern nicht verändert werden. In der Studiendaten­ bank werden die Patienten mit ihrer ein­ deutigen ­Patientenidentifikationsnummer gespeichert, um eine pseudonymisierte Auswertung sicherzustellen. Die Daten werden über eine verschlüs­ selte Datenverbindung („hypertext trans­ fer protocol secure“, HTTPS) in den Ein­ gabemasken in der Studiendatenbank er­ fasst. Bereits bei der Eingabe werden die Daten hinsichtlich Vollständigkeit und Korrektheit geprüft. Fehlende bzw. fal­ sche Werte lösen sofortige Fehlermeldun­ gen aus, die Änderungen durch die ein­ gebende Person erforderlich machen. Die

Med Klin Intensivmed Notfmed 2014 · 109:591–595  DOI 10.1007/s00063-014-0402-z © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014 F.M. Brunkhorst · V. Patchev

Ein europäisches Register für sepsisassoziierte Purpura fulminans (SAPFIRE) Zusammenfassung Hintergrund.  Purpura fulminans ist eine seltene akut lebensbedrohliche Erkrankung, die durch eine disseminierte Thrombose in der Mikrozirkulation, kutane Hämorrhagien mit fortschreitender Nekrotisierung sowie multiplem Organversagen gekennzeichnet ist. Der Zusammenbruch des intrinsischen Antikoagulationssystems beruht wesentlich auf einem Protein-C-Mangel. In der Mehrheit der Fälle handelt es sich um eine sepsisassoziierte konsumptive Koagulopathie. Fragestellung.  Es gibt keine verlässlichen Daten zur Epidemiologie und keine evidenzbasierten Leitlinien für das Management von sepsisassoziierter Purpura fulminans (SAPF). Obwohl die Wiederherstellung des Gleichgewichts der Koagulation ein primäres Behandlungsziel ist, existieren keine randomisierten klinischen Studien zu dieser Fragestellung. Auch die Rolle unterschiedlicher mikrobieller Auslöser in der Entstehung von SAPF bedarf einer detaillierten Untersuchung.

Methoden.  Das europaweite Sepsis-associated Purpura Fulminans International Registry (SAPFIRE) startet im ersten Quartal des Jahrs 2015. Die teilnehmenden klinischen Zentren werden erstmals systematisch Daten zur Ätiologie, zum klinischen Verlauf, zu Biomarkern, zur Therapie sowie zu Morbidität und Mortalität erfassen. Ergebnisse.  Die SAPFIRE-Ergebnisse werden periodisch ausgewertet. Zentren, die Daten zum Register beisteuern, erhalten durch retrospektive Auswertungen der eigenen Daten und durch regelmäßige Vergleiche mit den aggregierten und pseudonymisierten Daten der anderen teilnehmenden Zentren die Möglichkeit zur Etablierung eines Qualitätsmonitorings. Schlüsselwörter Infektionskrankheit · Mikrozirkulation  · Epidemiologie · Therapie · Biomarker

Sepsis-associated Purpura Fulminans International Registry – Europe (SAPFIRE) Abstract Background.  Purpura fulminans is a rare lifethreatening condition which is characterized by disseminated thrombosis in dermal and systemic microcirculation, cutaneous hemorrhages with progressing necrosis and multiple organ failure. The underlying pathogenesis is based on the disruption of the intrinsic anticoagulation cascade, with protein C deficiency being considered the leading factor in this process. In the majority of cases, the condition emerges as consumptive coagulopathy associated with severe sepsis. Objectives.  Epidemiological data on sepsis-associated purpura fulminans (SAPF) are scarce and evidence-based treatment guidelines have not been established yet. While restoration of the balance in the coagulation cascade is a declared therapeutic goal, evaluations of the efficacy of different therapeutic approaches in randomized clinical trials are still lacking. The causal role of individual mi-

Überprüfung der Richtigkeit der Daten erfolgt durch weitere Range-, Validitätsund Konsistenzchecks. Nichtplausible oder fehlende Daten werden im Prüfzen­

crobial pathogens also requires comprehensive evaluation. Methods.  A prospective multicenter Sepsis-Associated Purpura Fulminans International Registry—Europe (SAPFIRE) will be established in the first quarter of 2015. For the first time, participating centers will systematically collect information on etiology, clinical course, biomarkers, treatment, morbidity, and mortality of SAPF. Results.  The SAPFIRE data will be periodically evaluated and disseminated. Retrospective analysis of each center’s data and regular access to aggregated information collected by other centers will enable the participants to monitor and update care quality standards. Keywords Infectious disease · Microcirculation · Epidemiology · Therapy · Biomarkers

trum nachgefragt (Query-Management) und ggf. korrigiert bzw. ergänzt. Jede Änderung an den Daten, z. B. auf­ grund der Einarbeitung von beantworte­ ten Rückfragen, wird über eine automati­

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Leitthema Tab. 1  Datenumfang (Auswahl) des

„Sepsis-associated Purpura Fulminans International Registry – Europe“ (SAPFIRE) Krankenhaussterblichkeit Morbidität und Organversagen über 7 konsekutive Tage   – Mittlerer totaler SOFA-Score (Alter ≥16)   – PELOD-Score (Alter

[Sepsis-associated Purpura Fulminans International Registry--Europe (SAPFIRE)].

Purpura fulminans is a rare life-threatening condition which is characterized by disseminated thrombosis in dermal and systemic microcirculation, cuta...
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