Freitag, 9. Mai 1975 - Bayernhalle 8.30-12.00 Uhr

D. Knochengeschwiilste Langenbecks Arch. Chir. 339 (Kongregbericht 1975) © by Springer-Verlag 1975

34. Semimaligne Knochengeschwiilste E. Uehlinger Path. Inst. Zfirich Semimalignant Bone Tumors Summary. Semimalignant bone tumors are characterized by local destructive and invasive growth and the tendency to recur. Haematogenous metastases are exceptional or a late manifestation. Typical examples of semimalignancy are giant-cell tumors, large chondromas of the pelvis, and recurrent chondromas in any location. The treatments of choice are early resection or amputation. Key words: Tumors, osseous, semimalignant - Tumors, giant-cell - Chondromas - Chondromas, recurrent Zusammenfassung. Mit Semimalignit~itbezeichnet man Knochengeschwiilstemit 6rtlich aggressivem und invasivem Wachstum und Neigung zum Rezidiv. H~imatogeneFernmetastasen sind die Ausnahme und eine Sp~iterscheinung. Wichtigste Repr~isentanten der semimalignen Geschwulstgruppe des Skelets sind die Riesenzellgeschwiilste, die grogen Chondrome, besonders des Beckens, und s~imtlicheChondromrezidive. Behandlungsmethoden der Wahl sind die Blockresektion und Amputation. Schliisselw6rter: SemimaligneKnochengeschwiJlste- Riesenzellgeschwiilste- Chondrorne - Rezidivchondrome

Im Jahre 1920 beginnt Codman mit der systematischen Datensammlung maligner Knochengeschwiilste. Es ist dies die erste ,,Registry of Bone Tumors". Codman gewinnt sehr rasch die Unterstfitzung des American College of Surgeons, von Bloodgood u. Ewing. Im Jahre 1953 wird die Datensammlung vom Armed Forces Institute of Pathology (AFIP) Washington iibernommen. Sie ist inzwischen auf 4000 F~ille angestiegen. 1925 publiziert Codman erste Ergebnisse. Sie bestehen im wesentlichen in der Aufstellung einer vereinfachten Klassifikation, von Pr~iferenzlokalisationen und Pr~iferenzaltersklassen. Die Uberarbeitung des Sammlungsgutes im Jahre 1927 durch Kolodny f/ihrt zur Aufstellung von 6 Typen maligner und semimaligner Knochengeschwiilste. Kolodny unterscheidet: osteogenes Sarkom, Ewing-Sarkom, Myelom, Riesenzellgeschwulst (Giant-cell tumor), Angioendotheliom und extraperiostales Sarkom. Von besonderer Bedeutung sind die Zusammenfassung aller zwischensubstanzbildenden Sarkome des Skeletsystems unter dem Begriff des osteogenen Sarkoms und die

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Einordnung der oss~iren RiesenzellgeschwiJlste in die Gruppe der benignen Neubildungen. Die urspriingliche Klassifikation hat aufgrund des immer mehr anwachsenden Sammlungsgutes wesentliche Erweiterungen und Pr~izisierungen erfahren. Die wichtigsten )~nderungen sind folgende: 1. Die Abtrennung der Chondrosarkome vonder Gruppe der osteogenen Sarkome im Jahre 1930 auf Vorschlag von Phemister. 2. Die Anerkennung der Reticulosarkome des Skelets als eigene Geschwulstgruppe, begriindet durch Parker im Jahre 1939. 3. Die Feststellung, dab ein Teil der Riesenzellgeschwiilste in der Gr613enordnung von 10 % als maligne bezeichnet werden miJssen und in die Lungen metastasieren. Die in der Registry of Bone Tumors gesammelten Erfahrungen haben ihren Niederschlag gefunden in dem von Ackerman u. Spjut im Jahre 1962 herausgegebenen ,,Atlas of Tumors of Bone and Cartilage". Insgesamt werden in diesem Atlas 25 benigne und maligne Knochengeschwulstformen beschrieben. In der Neuauflage des Atlas im Jahre 1971 durch Spjut, Dorfman, Fechner u. Ackerman ist die Zahl auf ann~ihernd 50 angestiegen. Die t~igliche Effahrung zeigt, dab die polare Gliederung der KnochengeschwiJlste in b6sartige, gutartige und geschwulst~ihnliche Prozesse der Vielfalt der klinischen Abl~iufe nicht gerecht wird. FOr die Zwischenformen, die Eigenschaften der benignen und malignen Geschwiilste in sich schliel3en, verwendet die amerikanische Klassifikation den Begriff der ,,low grade of malignancy". Es handelt sich dabei um Geschwulstformen von langsamer Gangart, die aber nach Jahren und Jahrzehnten doch noch Fernmetastasen setzen k6nnen. Zollinger versucht das Problem der Zwischenformen durch den Begriff ,,semimaligne Geschwiilste" zu 16sen. Diese sind charakterisiert 1. durch das 6rtlich aggressive und invasive Wachstum, 2. durch die ausgepr~igte Tendenz zum Rezidiv, 3. das Fehlen von Fernmetastasen, insbesondere Lungenmetastasen. Die Neigung zum Rezidiv ist eine der Grundeigenschaften der Semimalignit~it. Sie ist aus dem histologischen Schnittbild weder abzulesen, noch zu begriinden. Nachfolgende Knochengeschw~ilste sind in die Gruppe der semimalignen Geschwiilste einzustufen: die Riesenzellgeschwiilste (insbesondere im Bereich des Kniegelenks) das Chondromyxoidfibrom die grol3en und epi- und exostotischen Chondrome, besonders des Beckens die Adamantinome der langen R6hrenknochen die Synovitis villonodularis pigmentosa. Immer noch umstritten ist die Stellung der grol3en parostealen Osteome. Behandlungsmethodender Wahl sind die Blockexcision und/oder die Amputation. Der endgiiltige Behandlungsplan muf5 sp~itestens mit dem Auftreten des ersten Rezidivs festgelegt werden. Im nachfolgenden sei auf die Gruppe der Riesenzellgeschwiilste und der grol3en semimalignen Chondrome n~iher eingegangen. 1. Die Riesenzellgeschwiilste: Die Mehrzahl der Riesenzellgeschwiilste sind benigne oder semimaligne. Etwa 10 % verhalten sich wie maligne Geschwiilste.

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Im Jahre 1950 haben Jaff6 u. Mitarb. versucht, Kriterien fiir die Unterscheidung primiir-maligner und benigner Typen auszuarbeiten. Sie unterscheiden 3 Varianten: 1. den gutartigen Typus:zahlreiche Spindel- und Riesenzellen, grol3e GleichfSrmigkeit in bezug auf die Kernformen. Nur sp~irlich kollagene und ossiire Zwischensubstanz, wenig Mitosen 2. den semimalignenTypus:reichlich Spindelzellen. Riesenzellen in wechselnder Zahl und in homogener Verteilung. Neben schlanken Spindelzellen auch ovoide Zellformen. Eine gewisse Mannigfaltigkeit in bezug auf Kernform, KerngrSBe und Chromatingehalt. Mitosen in miil3iger Zahl 3. den malignen Typus: ausgepr~igte Zellpolymorphie im Sinne eines Riesenzell- oder Spindelzellsarkoms, zahlreiche Mitosen. Es gelingt mit Hilfe dieser Kriterien eine Anzahl primiir-maligner Riesenzellgeschwiilste auszuscheiden. Daneben aber gibt es zweifellos Riesenzellgeschwiilste mit allen morphologischen Kriterien der Benignitiit, die trotzdem eines Tages in die Lungen metastasieren. Die Voraussage des klinischen Verhaltens der Riesenzellgeschw~ilste aufgrund der Analyse des histologischen Schnittbildes ist auch heute noch schwierig und undankbar. Fehlbeurteilungen sind nicht zu vermeiden. Aufgrund der klinischen Erfahrung sind die Riesenzellgeschwiilste im Bereich des Kniegelenks den semimalignen Geschwiilsten zuzuordnen. Sie stellen besondere operative Behandlungsprobleme wegen ihrer GrSBe, wegen der umfangreichen Spongiolyse und Arrosion der Corticalis von der Innenfliiche. Auch bei lokal sehr ausgepriigten destruktiven Wachstums gehSren Lungenmetastasen zu den grol3en Ausnahmen. Die biologische Spannweite der Riesenzellgeschwiilste des Kniegelenks sei mit 2 Beispielen belegt: Fall 1. Sch. A., geb. 1949: semimaligne Riesenzellgeschwulst der distalen Femur-Epi-Metaphyse. Behandlung: Curettage, Rezidiv, Resektion und Amputation mit Umkehrplastik (MB. 26'371/72 und 730/74, Path. Inst. Ziirich). Der 1949 geborene Patient bemerkt Ende 1972 eine leichte, schmerzlose Schwellung des rechten Kniegelenks mit nur geringer Gehbehinderung. Mitte Oktober 1972 kann folgender Befund erhoben werden: AZ und EZ gut. Innere Organe regelrecht. Alle Laborwerte im Rahmen der Norm. Das RSntgenbild vom 23.10. 1972 zeigt in der distalen Femurmeta-Epiphyse einen anniihernd hiihnereigrol3en cystischen Defekt ohne Kammerung und ohne Knochenauftreibung. Die r6ntgenologische Vermutungsdiagnose lautet: Riesenzellgeschwulst (Abb. 1). Am 3. und 24.11. 1972 diagnostisch-therapeutische Curettage, wobei viel blutiges, weiches Gewebe gewonnen wird. Fiillung der Knochenkaverne mit autologen Knochenstricken. Wundheilung komplikationslos. Die Kontrolluntersuchung 1 Jahr spiiter, am 24.9.1973 ergibt ein grol3es Rezidiv. Die eingebrachten Knochenspiine sind fast vollstiindig aufgelSst. In einer zweiten Curettage am 3.11. 1973 kann erneut viel Tumorgewebe ausgekratzt werden (Abb. 1). Die Kontrollaufnahme Mitte 1974 zeigt erneut eine Osteolyse durch ein 2. Rezidiv. Es ist im jetzigen Zeitpunkt unwahrscheinlich, dal3 der metaphys~ire Spongiosarest der physikalischen Belastung geniigt, und es stellt sich die Frage einer Amputation im distalen Femurdrittel oder Umkippplastik. Der Patient entschlieBt sich zu letzterer. Sie wird am 15.1. 1974 mit Erfolg durchgefiihrt. Das Resektat umfal3t das distale Femurende. Die zentrale Knochenkaverne reicht abschnittweise bis an die Corticalis. Ein GroBschnitt transversal durch das Geschwulstge-

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Abb. 1. Riesenzelltumor der distalen Femurepi-Metaphyse. Links: Erstaufnahme vom 23.10. 1972. Mitte: Zweitaufnahme vom 24.11. 1972 nach Curettage und Stopfung mit Knochensp/inen. Rechts: Drittaufnahme vom 24.9.1973. Erstes Rezidiv. Sch. A., 24j~ihrig (MB 26371/72, Path. Inst. Ziirich) biet zeigt in der ganzen Zirkumferenz der Curettage-Kaverne noch Reste von Tumorgewebe (Abb. 2). Die postoperative (2berwachung betr~igt jetzt 2 Jahre. Bis anhin ist weder ein drittes Recidiv, noch sind Lungenmetastasen aufgetreten. Die histologische Untersuchung der Biopsie, wie der zwei Rezidive, ergibt durchwegs das klassische Bild der blutreichen Riesenzellgeschwulst mit sehr vielen Riesenzellen. Die Riesenzellen sind grol3und gleichm~iBigiJber das gesamte Geschwulstgebiet verstreut. Die Kerne der Riesenzellen und einkernigen Spindelzellen sind isomorph, mitteigrol3, rund-oval, vereinzelt Mitosen. Keine Zeichen von Pleomorphie (Abb. 3).

Epikrise: Die Riesenzellgeschwulst des 23j~ihrigen Sch. A. erfiillt alle Kriterien der Semimalignit~it. Sie driickt sich aus in der umfangreichen lokalen Knochendestruktion, als auch in der grol3en Tendenz zum Rezidiv. Die Einstufung in die Semimalignit~it rechffertigt auch schliel31ich die Vornahme der Umkipplastik mit Totalresektion der Geschwulst. Der klinische Erfolg ist gut. Kontrolldauer 2 Jahre. Fall 2: R. P., geb. 1919: Maligner Riesenzelltumor der proximalen Tibiaepi/Metaphyse re. Tod an Lungenmetastasen (MB 26'685/74, Path. Inst. Ziirich). Vorgeschichte: Der 1919 geb. Bahnangestellte R. P. zieht sich 1954, im Alter von 35 Jahren eine rechtseitige Unterschenkelfraktur zu. Kiintscher-Nagelung. Komplikationslose Heilung. 1966, im Alter von 47Jahren Distorsion des re. Kniegelenkes. Im R6ntgenbild kastaniengrol3e cystoide Aufhellung im re. Tibiakopf. Wegen Beschwerdefreiheit keine operative Abkl~irung. Herbst 1974, im Alter von 55 Jahren, erneute Kontu-

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Abb. 2. Riesenzelltumor der distalen Femurmetaphyse. Zustand nach zweimaliger Curettage. Transversalschnitt durch distale Femurrnetaphyse. Schwarz = Tumorgewebe, drittes Rezidiv. Sch. A., 25j~ihrig (MB 730/74, Path. Inst. ZiJrich)

Abb. 3. Riesenzelltumor der distalen Femurepi-Metaphyse. Zweites Rezidiv. Verrnengung mit spindeligen Fibroblasten. Vergr. 160:1. Sch. A., 25j~ihrig (MB 730/74, Path. Inst. Ziirich)

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Abb. 4. Sagittalschnitt durch das rechte Kniegelenk. Sekund~ir maligner Riesenzelltumor des Tibiakopfes. Status nach partieller Auskratzung und Plombierung der Geschwulstkaverne mit Palakos. R. P., 56j~ihrig (MB 26'685/74, Path. Inst. Ztirich) sion des re. Kniegelenkes. Cystoide Aufhellung des re. Tibiakopfes unver~indert. Verdacht auf Meniscusl~ision. 2 Monate sp~iter operative Revision des re. Kniegelenkes. Menisci intakt. Breiter Aufbruch des Tibiaplateaus durch Tibiakopftumor. Ein Versuch die Tibiakopfgeschwulst auszukratzen mul3 wegen massiver Blutung abgebrochen und die operative Knochenkaverne notfallmfiBig mit Knochensp~inen und Palakos plombiert werden. Zun~ichst komplikationslose Wundheilung. 4 Wochen sp~iter schmerzhafte Anschwellung und Uberhitzung des re. Kniegelenkes. Hospitalisation in der Orthop~idischen Klinik Balgrist: Aufnahmebefund: Septische Fieber bis 40 °. AZ und EZ reduziert. Rechtes Kniegelenk diffus geschwollen, iiberhitzt, in Beugekontraktur. Blutsenkung 80 mm/1 hr. Alk. Phosphatase 1400E (Normalwert 200E). Im Blut anaerobe Kokken (Enterokokken). Die Anaerobeninfektion erweist sich als therapierestent. Daher, Ende 1974, Amputation des re. Beines in Oberschenkelmitte. AnschlieBend Temperaturabfall. Gleichzeitig rSntgenologische Feststellung von Lungenmetastasen. Tod Friihsommer 1975, 8 Monate nach dem ersten operativen Eingriff. Keine Obduktion. Am Amputationspriiparat kann folgender Befund erhoben werden. Der Tibiakopf ist dutch eine graurStliche weiche Geschwulst v/511igzerstSrt. Die zentrale GeschwulsthShle ist mit schneeweil3em hartem Palakos ausgefiillt. Das knorplige Tibiaplateau ist subpatellar breit aufgebrochen (Abb. 4). Histologisch besteht die Geschwulst aus Riesen-

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und Spindelzellen. Die Riesenzellen sind vielkernig und ungleichm~il3ig fiber die Schnittfl~iche verteilt. Die einkernigen Spindelzellen sind zu BiJndeln zusammengeschlossen und bilden einen dichten Teppich. Ihre Kerne sind verh~iltnismiil3ig groB, rundoval, oft vesicular. Viele Mitosen, nur felderweise hyalinschollige Zwischensubstanz. Diagnose: Maligner Riesenzelltumordes rechten Tibiakopfes mit Einbruch in das Kniegelenk und 12bergreifen auf die Gelenkkapsel. Befund nach teilweiser Auskratzung des Tumorgewebes und Ffillung der Kaverne mit Palakos. Um die Palakosplombe umfangreiche Nekrosen und leukocyt~ire Infiltrate.

Epikrise: der ausgesprochen zweizeitige Krankheitsverlauf mit einer ann~ihernd 8 Jahre dauern.den ersten Phase der ruhenden Riesenzellgeschwulst und einer 81/2 Monate dauernden zweiten Phase in der sich die Ereignisse mit Massenblutung anl~il31ich der Geschwulstauskratzung, Wundinfektion mit Enterokokken, Lungenmetastasen iiberstiirzen, sprechen dafiJr, dab zun~ichst ein benigner Riesenzelltumor vorgelegen hat. Die priiterminale sarkomat6se Entartung ist vielleicht durch die Kontusion des Kniegelenkes ausgel6st worden, die hamatogene Metastasierung in die Lungen durch die ,,blutreiche" Geschwulstcurettage. Der die zweite Phase beherrschende Charakterwechsel der Riesenzellgeschwulst rechffertigt auch die Zuordnung der scheinbar gutartigen Riesenzellgeschwulst Grad 1 (Jaff6) zur Gruppe der semimalignen Geschwiilste. 2. Chondrosarkome. Sie bilden im ~ilteren deutschen Schrifttum eine selbststiindige Geschwulstgruppe. In der ersten Klassifikation der Knochengeschwiilste der ,,Registry of Bone Tumors" wurden die Chondrosarkome durch Codman (1926) und Kolodny (1927) den osteogenen Sarkomen zugeteilt. Schon 1930 fordert Phemister for die Chondrosarkome die Autonomie aufgrund des langsameren Verlaufes, des R6ntgenbildes (Verkalkungen) und der wesentlich besseren Prognose. Erst 1939 wird die Forderung Phemisters von Ewing anerkannt. Die Klassifikation von heute umfal3t folgende Typen: Primiire Chondrosarkome mit raschem Verlauf, Chondrosarkome mit protrahiertem Verlauf und die chondromat6se Variante der Osteosarkome mit vorwiegend knorpliger Differenzierung. Die Chondrosarkome mit protrahiertem Verlauf erfiJllen die Kriterien der Semimalignitiit, wie der,,malignancy of low grade". Ein gutes Beispiel ver6ffentlichen Barnes und Catto: Ein 53jiihriger Metzger erkrankt an einer Schwellung des li. Kniegelenks. Das R6ntgenbild zeigt einen teils extraossiir gelegenen osteolytischen Tumor im lateralen Femurcondylus. Nach ljiihriger Beobachtung lokale Geschwulstexcision. Histologische Diagnose: Chondrosarkom of ,,low grade of malignancy". 1 Jahr spiiter Lokalrezidiv und zugleich neue Geschwulstknoten im proximalen Ende der Fibula. Jetzt radikale Geschwulstexcision, gefolgt von einem zweiten Rezidiv im proximalen Ende der Tibia. Die bisherige Rezidivtendenz l~il3teine Amputation gerechffertigt erscheinen. 6 Monate spiiter Lungenmetastasen links, 2 Jahre sp~iter auch rechts und zugleich Stumpfrezidiv. Eintritt des Todes 11 Jahre nach dem ersten operativen Eingriff an Lungen- und Gehirnmetastasen. Patient hat bis wenige Monate vor dem Tode voll gearbeitet. Die Chondrosarkome mit raschem Verlauf entsprechen in ihrem klinischen Verlauf den Osteosarkomen. Besondere Schwierigkeiten bereitet die histologische Bewertung der Befunde. T~uschungen und Enttiiuschungen bleiben keinem Pathologen erspart. Kennzeichnend fiir alle chondromat6sen Geschwiilste ist der Aufbau aus Lappen. Der Zellreichtum wechselt oft von Lappen zu Lappen und auch innerhalb eines

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Lappens. In der Regel sind die Lappenrandabschnitte zelldichter als das Innere. Die gleichm~ii3ige Zellverteilung fiber das ganze Lappenareal spricht eher fiir Gutartigkeit, die Zellanreicherung in Ketten und Brutkapseln in den Lappenr~indern eher fiir Semimalignit~it oder Malignit~it. Weniger Aussagekr~iftig sind die cytologischen Befunde. Der Knorpel ist ein bradytrophes Gewebe, das durch Diffusion ern~ihrt wird. Bei ungleicher Diffussion und grol3en Enffernungen zwischen Capillare und Knorpelzelle kommt es leicht zu Knorpelzellnfihrsch~iden. Diese zeigen sich in vielgestaltigen Zellschrumpfungen und Kernverdichtungen. Diese degenerative Pleomorphie daft nicht mit einer proliferativen Vielgestaltigkeit verwechselt werden. Mitosen sind selbst in rasch wachsenden Knorpelgeschwfilsten eher selten, beruht doch die Gr6f3enzunahme chondraler Geschwiilste vorwiegend auf der Bildung von Zwischensubstanz und nicht auf Zellvermehrung. Als weitere Malignitfitskriterien nennen Jaff6 u. Lichtenstein Doppelkerne und vesicul~ire Kernformen. Entscheidend for eine korrekte bioptische Diagnosenstellung sind gewebsschonende Entnahme durch Incision, Gr6Be und Tiefgang der Biopsie. Nadelbiopsien sind fiir die Beurteilung von Knorpelgeschwfilsten ungeeignet. Auf die Beurteilung von Schnellschnitten sollte zugunsten von Paraffinschnitten verzichtet werden. Die sarkomat6se Transformation bis anhin benigner Knorpelgeschwiilste erfolgt in der Regel unter dem Bilde des Spindelzell- und Fibrosarkoms. Die Knorpelzellen an den L~ippchenrfindern strecken sich und schlieBen sich zu Biindeln. Gleichzeitig nimmt die Zahl der Mitosen zu. Metastasierung in die Lungen ist die Regel. Die Metastasen bestehen nur aus Spindelzellen. Widersprechen sich klinischer und bioptischer Geschwulstbefund, so muf3 nochmals versucht werden, alle zur Verfiigung stehende Daten zu koordinieren (Anamnese, klinischer Befund, Laboratoriumswerte, R6ntgen- und bioptischer Befund). Kann keine ~bereinstimmung erzielt werden, so hat die klinische Bewertung Vortrittsrecht fiJr das weitere Vorgehen. Hauptlokalisationen der chondromatSsen Geschwfilste sind Becken- und Schultergfirtel, proximale Metaphysen yon Femur und Humerus, Rippen und Calcaneus. Die chondromatSsen Geschwfilste der kurzen RShrenknochen yon H~inden und Fiil3en sind mehrheitlich benigne, der langen RShrenknochen maligne mit raschem Verlauf und frfiher Metastasierung. Die grol3en Chondrome des Beckens sind semimaligne. ChondromatSse Rezidivgeschwiilste sind, ungeachtet des histologischen Befundes, der Gruppe der semimalignen Geschwiilste zuzuordnen. Therapie der Wahl fiJr alle semimalignen Geschwiilste ist die Blockexcision, d. h. die Excision weit im ,,Gesunden". Die Biopsiewunde/Narbe ist in die Blockresektion einzubeziehen. Eine Geschwulstaussch~ilung ist ungenfigend (Barnes u. Catto). Ich verweise auf Nil u. Ackerman: ,,There is never any justification for enucleating or curetting a potentially maligne cartilage tumor." Bei Befolgung dieser Grunds~itze sind die Behandlungsergebnisse bei semimalignen und malignen Knorpelgeschwfilsten nach Barnes u. Catto folgende: Die 5-Jahres-Oberlebensquote betr~igt bei Chondromen ,,with low grade of malignancy" 78 %, bei Chondromen mit mittlerer Malignit~it 53 %, mit hoher Malignit~it 22 %. Bemerkenswert sind die guten Behandlungsergebnisse in der ersten Gruppe, welche die semimalignen Knorpelgeschwiilste enth~ilt. Hier kommt dem

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Abb. 5. Chordo-Chondrosarkom der distalen Femurmeta-Epiphyse. Umfangreiche zentrale Osteolyse. R6ntgenaufnahme vom 11.1. 1974. Fr. I., 20j~ihrig (MB 1411/74, Path. Inst. Ziirich) Chirurgen eine Schlfisselstellung zu. Der maflgebende operative Behandlungsplan

(Resektion, Amputation) ist spiitestens beim Auftreten des ersten Rezidivs zu fiillen. Anhangsweise sei noch kurz auf zwei noch wenig bekannte Sonderformen chondromat6ser Geschwiilste eingegangen: das Chordo-Chondrosarkom und des mesenchymale Chondrosarkom. Das Chordo-Chondrosarkom ist eine seltene, semimaligne Knorpelgeschwulst. Sie besteht vorwiegend aus unreifen, kugelig-blasigen Knorpelzellen und nur wenig Zwischensubstanz. Bei Blockexcision ist die Prognose gut. Die Diagnose ist nur histologisch m6glich. Fall 3: Fr. I., 20j~ihrig. Chordo-Chondrosarkom der linken distalen Femurmetaphyse. (MB 1411/74, Path. Inst. Ziirich).

Vorgeschichte: Seit 3Jahren sport die nun 20j~ihrige Patientin zunehmende Schmerzen im linken Kniegelenk begleitet von intermittierenden periartikul~iren Weichteilschwellungen. Untersuchungsbe[und: Innere Organe normal. Keine Anhaltspunkte for Lungenmetastasen. Laboratoriumsbefunde im Rahmen der Norm. Das R6ntgenbild des linken Kniegelenkes vom 11.1. 1974 zeigt im lateralen Femurcondylus eine rundliche, 4 cm im Durchmesser haltende, leicht gekammerte Aufhellung (Abb. 5). Keine Randsklerose, keine Periostreaktion. Die Tomogramme best~itigen die zentrale Spongiosazerst6rung. Am 16.1. 1974 sorgfiiltige Curettage und unmittelbar anschfieBend Resektion des distalen Femurendes. Die klinisehe Verdachtsdiagnose lautet auf Osteosarkom. Makrosk0pisch entspricht der cystischen Aufhellung im distalen Femurende ein eher weicher, knochen- und kalkfreier, gut begrenzter und leicht ausschalbarer Geschwulstknoten. Histologisch besteht die Geschwulst aus einem rectangul~iren Gitterwerk aus kleinen Spindel- und Rundzellen. Die Netzmaschen sind mit groBen rundlichen und polygonalen

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Abb. 6. Chordo-Chondrosarkom der distalen Femurepi-Metaphyse. Physaliforme Tumorzellen. Vergr. 250:1. Fr. I., 20j/ihrig (MB 1411/74, Path. Inst. Zfirich) chorda~ihnlichenKnorpelzellen ausgefiillt. Die Kerne dieser Zellen sind klein, rundlich, chromatinreich, zentralst~indig. Der breite Cytoplasmahof ist optisch leer, wasserklar (Abb. 6). Die Vielgestaltigkeit der Tumorzellen, die Ausdifferenzierung ungew6hnlicher Knorpelzellen vom ,,Chordatypus", die progrediente Osteolyse sprechen eindeutig fiir das Vorliegen eines malignen Knochentumors. Schnittbeherrschend und daher diagnostisch richtunggebend sind die Knorpelzellen vom Chordatypus. Sic sind die Leitzellen des Chordo-Chondrosarkoms. Es handelt sich um ein Knochensarkom gem~iBigter Malignitat. Die Patientin ist bis anhin rezidiv- und metastasenfrei geblieben. Die postoperative Kontrollzeit betr~igt 11/2 Jahre. Das mesenchymale Chondrosarkom ist 1959 von Lichtenstein u. Bemstein als eigenst~indige Geschwulstform des Skelets beschrieben worden. Sic ist histologisch gekennzeichnet durch die schachbrettartige Vermischung reifer, zellarmer, chondraler Areale mit zellreichen, Zwischensubstanz-armen anaplastisehen Arealen. Bis heute sind folgende Lokalisationen beobaehtet worden: Wirbel, Rippen, Sehulterblatt, Beckenschaufel, FuBskelet. Das Erkrankungsalter liegt zwisehen 20 und 60 Jahren. Die Gesehwulst ist sehmerzhaft. Sic neigt zum rasehen Rezidiv und zu Metastasen in Lungen und Weiehteile. Die Prognose ist ernst. Literatur Barnes, R., Catto, M.: Chondrosarcoma of bone. J. Bone Jt Surg. B 48, 729 (1966) Barnes, R.: Giant-cell turnout of bone. J. Bone Jt Surg. B 54, 213 (1972)

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Hedinger, Chr.: Mesenchymales Chondrosarkom der Weichteile. Schweiz. med. Wschr. 99, 1142 (1969) Jaff6, H. L., Lichtenstein, L., Portis, R. B.: Giant cell tumor of bone. Its pathologic appearance, grading supposed variants and treatment. Arch. Path. 30, 993 (1940) Lichtenstein, L., Bernstein, D.: Unusual benign and malignant chondroid tumors of bone. A survey of some mesenchymal cartilage tumors and malignant chondroblastic tumors, including a few multicentric ones, as well as many atypical beningn chondroblastomas and chondromyxoid fibromas. Cancer 12, 1142 (1959) Uehlinger, E.: Die pathologische Anatomie der Knochengeschwiilste. Helv. chir. Acta 26, 597 (1959) Uehlinger, E.: Pathologische Anatomie der KnochengeschwiJlste. Helv. chir. Acta 40, 5 (1973) Uehlinger, E.: Pathologische Anatomie der Knochengeschwiilste unter besonderer Beriicksichtigung der semimalignen Formen. Chirurg 45, 62 (1974) ZoUinger, H. U.: Geschwulstprobleme.Vjschr. naturforschende Ges. Ziirich 91, 81 (1946) Prof. Dr. E. Uehlinger Alte Landstr. 143 CH-8702 Zollikon Schweiz

[Semimalignant bone tumors (author's transl)].

Semimalignant bone tumors are characterized by local destructive and invasive growth and the tendency to recur. Haematogenous metastases are exception...
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