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DER B E R I C H T

Blut, Band 33, Seite 271-274 (1976) Institut ftir Immutlhiimatologieder Universitiit Frankfurt/Main Blntspendedienst Hessen

Das Rh..u-Syndrom Siegfried Seidl Mit Rh~un wird ein Blut charakterisiert, das keine Rhesus-Antigene enth~ilt. Es darf nicht mit Rh-negativ verwechselt werden, bei dem zwar das Rh-Antigen D (Rh0) und h~ufig auch die Rh-Antigene C(rh') und E(rh'9 feblen, abet immer die Rh-Antigene c(hr') und e(hr") vorhanden sind. Meist liegt der Genotyp cde/cde vor, der bei etwa 15% der weigen Bev61kerung nachgewiesen werden kann. Der Rhesusdefekt Rhnun wurde dagegen erst in 14 Familien bei insgesamt 21 Personen s Seine Bedeutung liegt vor allem in der Tatsache, dab bei der Aufkl~rung wertvolle Erkenntnisse tiber die biologischen Eigenschaften der Rhesus-Antigene gewonnen werden konnten. Neben dem serologischen Defekt haben fast alle RhnunPersonen eine leichte h~molytische An~mie. Dies weist auf eine enge Korrelation zwischen diesen beiden Abnormalit~iten hin, ftir die die Bezeichnung ,,Rh~,ndisease" vorgeschlagen wurde [19]. Da die h~imatologischen Ver/inderungen im allgemeinen nur diskret ausgepr~igt sind und vide Rh~un-Personen klinisch als ,,gesund" imponieren, wird das Krankheitsbild heute ,,Rh~nn-Syndrom'" genannt [14]. Rhnun wurde 1961 bei einem australischen Ureinwohner entdeckt und das Fehlen der Rb-Antigene durch das Symbol ---/--- wiedergegeben [28]. Fiir den zweiten, kurze Zeit sp~iter beschriebenen Rhnun-Fall konnte die Annahme eines stummen oder amorphen Gens jedoch nicht zutreffen [10]. Die Rh~,n-Frau hatte mit einem Rh-negativen (cde/cde) Mann zwei Kinder, die beide die Blutformel CDe/cde hatten, was nicht sein konnte, wenn die Mutter zum Typ ---/--- geh6rt h~tte. In diesem Falle w~ren Kinder mit dem Rh-Genotyp ---/cde zu erwarten gewesen, weil der Vater nur den Genkomplex ,,cde" vererben kann. Da bei den Kindern jedoch der Genkomplex ,,CDe" festgestellt worden war, mul3te die Rhnnn-Mutter zum Genotyp CDe/CDe oder CDe/cde geh6ren. Das Fehlen der Rh-Antigene an den miitterlichen Blutk6rperchen wurde dutch das Vorhandensein eines Suppressorgens erkl~rt. Sp~ter konnten japanische Autoren beweisen, dab auch ein stummes oder amorphes Gen als Ursache fiir Rhnun in Frage kommt [6]. Die gltern eines Rhnul>Kindes mul3ten dem Genotyp CDe/--- bzw. cDE/--- angeh6ren, da sie aul3erdem noch ein I~dnd mit dem Rh-Typ cDE/--- batten. Dieser Genotyp ist abet nut m6glich, wenn beide Gltern den Genkomplex /--- vererben k6nnen (anderenfalls h~tte bei dem Kind der Rh-Genotyp CDe/cDE nachgewiesen werden miissen). In der Folgezeit wurden weitere Rhnun-F~lle beschrieben (Ubersicht bei [ 16]), die meist dutch ein Suppressorgen bedingt sind. Der Nachweis eines amorphen Gens setzt allerdings eine bestimmte Rh-Antigenstruktur voraus, sofern nicht dutch Eingegangen am 26.4. 1976

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geeignete Dosisuntersuchungen das Vorliegen eines solchen Gens wahrscheinlich ~emad-tt :werden kann [20,23,24], Neben dem Fehlen de~ l~h,Aa,tige_,ae ~w~xr.den weitere serologische Besonderheiten an den Rhmm-Erythrozyten festgestelh [18]. So fiel eine unterschiedliche Agglutinationsst~irke, gelegentlich sogar eine falsch negative Reaktion mit verschiedenen, nut im Antiglobulintest reagierenden Antiseren (z. B. Anti-s, Anti-S) auf. Dies wird als Folge der bei diesem Defekt vorliegenden Membranver~inderung angesehen [17]. Wie bereits erw~ihnt, sind bei fast allen Rhnun-Personen charakteristische h~imatologisehe Veriinderungen nachweisbar. Am auff~illigsten ist eine Verkiirzung der Erythrozyten-Lebensdaner (slCr-T/2 10 bis 15 Tage), die durch eine Splenektomie auf subnormale Werte gebessert werden kann [20]. H~tufig wird eine Vermehrung der Retikulozyten beobachtet, gelegentlich auch ein gering erniedrigter Hb-Spiegel. Bei In-vitro-Untersuchungen lieB sich eine verminderte osmotische Fragilititt nachweisen [26], bei einigen Personen batten die Erythrozyten morphologische Ver~inderungen im Sinne einer Stomatocytose. Bei der Untersuchung zahlreicher Enzyme des Erythrozyten-Stoffwechsels wurden keine pathologischen Werte festgestellt [20,26]. Klinisch kann - je nach dem Ausmal3 der H~imolyse - ein leichter bis mittelschwerer Subikterus bestehen. Vereinzeh wurde eine gering vergr6gerte Mih festgestellt. StreBsituationen sowie ganz allgemein starke berufliche Belastungen k6nnen eine vermehrte H~molyse ausl6sen [20]. Der dem Rhnun-Syndrom zu Grunde liegende Defekt der grythrozytenmembran ist noch nicht eindeutig gekUirt. Anhaltspunkte lassen sich bei einem Vergleich mit anderen Defekttypen finden. Das Analogon zum Rhnnl>Blut ist im ABO-System das Bombay-Blut (Oh), das erstmals bei einem Einwohner der indischen Stadt Bombay festgestellt wurde. Personen, die zum Bombay-Typ geh6ren, haben keine ABHAntigene an ihren Erythrozyten, im Serum wird Anti-A und Anti-B und (im Gegensatz zur Blutgruppe 0) ein bei K6rpertemperatur wirksames Anti-H nachgewiesen (so genannt, well es sich gegen eine bei alien Erythrozyten nachweisbare heterogenetische Grundsubstanz richter). Dieser Defekt ist stets Folge eines Suppressorgens. Im Gegensatz zum Rhn~n-Typ wird beim Bombay-Typ jedoch keine h~imolytische Anitmie beobachtet [1, 13,20], obwohl an der Zellmembran 30- bis 100fach mehr ABH-Rezeptoren nachweisbar sind als Rh-Rezeptoren [11]. Dies ktinnte dutch die nnterschiedliche chemische Zusammensetzung der beiden Antigene erkl~irt werden. Bei den Rh-Antigenen handeh es sich nm Lipoproteine [4,5], wfihrend die ABHAntigene Glykoproteine sind. Nenere Untersuchungen denten darauf lain, dab die Membranstruktur dutch die Anordnung der Membranlipide beeinflugt wird [21]. So bewirkte Phospholipase-A-Behandlung bei Rh-positiven Erythrozyten eine Zunahme der ANS-Fluoreszenz (1-anilinonaphtalene-8-sulfonate), wfihrend bei Rhn,n-Erythrozyten eine Verminderung beobachtet wurde. Es wird deshalb vermutet, dab dutch die Phospholipase-Behandlung das fiir die Membranstruktur bedeutsame Wechselspiel zwischen Fetts~turen und Proteinen ge~indert wird (woraus eine st~irkere Bindung yon ANS resuhiert). Bei Rhnun-Erythrozyten liegt offenbar eine andere Fettsiture-Protein-Wechselwirkung vor [22] und die bei diesem Defekt vorhandene Verkiirzung der Erythrozyten-Lebensdauer wird deshalb weniger mit einem Fehlen der Lipoproteine in Zusammenhang gebracht, sondern vielmehr in strukturellen Unterschieden der Membran gesehen. Kiirzlich wurde gezeigt, dag

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Rhnun-Erythrozyten eine vermehrte Permeabitit~t fiir Na+ und K+ haben [9]. Dieser Befund wurde inzwischen best~ttigt und zusgtzlich festgestellt, dab der vermehrte K+-Transport auf einer gr6Beren Zahl von Na+K+-Pumpen beruht. J~hnliche Permeabilitfits/inderungen lassen sich auch beim Tier als Folge yon Antigen-Antik6rper-Reaktionen nachweisen [7]. Da weiterhin die Zahl der Rh-Antigene um ein Vielfaches die Zahl der Na+K+-Pumpen fibersteigt, ist es unwahrscheinlich, dab die Rh-Antigene zusammen mit den Na+K+-Pumpen auf bestimmten Membranabschnitten gemeinsam vorkommen [8]. Fi~r die Rh-Antigene wird angenommen, dab sie sich in Form eines zweidimensionalen ,,molekularen" Films an der Oberfl~iche der Zellmembran verteilen [ 12, 21], wofiir auch elektronen-optische Untersuchungen sprechen, die morphologische Unterschiede zwischen der Agglutination yon ,,Rhpositiven" (D+) Erythrozyten mit Anti-D-Seren und A-Erythrozyten mit Anti-ASeren erkennen lieBen [27]. Beim letzten Agglutinationstyp sind nadelartige Forts~itze an der Erythrozyten-Oberfl~iche nachweisbar, die eine Folge der bier in besonders dichter Konzentration vorhandenen A-Rezeptoren sind, w~hrend die durch Anti-D-Seren agglutinierten Erythrozyten eine gleichm/iBige Form aus Nicht nnr ein v611iges Fehlen der Rh-Antigene, sondern auch eine sehr starke Verminderung kann zu einer h~imolytischen An~tmie fiihren. Ein solcher Defekt wurde erstmals 1972 beschrieben [2,3] und in der Folgezeit von anderen Autoren best/itigt [15,29]. Als Ursache for die extrem schwach ausgepr/igten Rh-Antigene wird ein modifiziertes Gen angenommen und dieser Defekt deshalb als Rhmoa bezeichnet. Ob zwischen Rhmoa und Rhnull nur quantitative Unterschiede bestehen oder ob sie auf zwei verschiedenen genetisch bedingten Defekten beruhen, kann zur Zeit noch nicht mit Sicherheit beantwortet werden. Bei einem kiirzlich publizierten RhnunFall [25], war die Agglutination mit Rh-Antiseren zwar negativ, es konnten aber Rh-Antik6rper yon der Oberfl~che der Rhnun-Zellen eluiert werden. Dieser 13efund l~igt deshalb eher an einen flieBenden {Jbergang zwischen diesen beiden Des denken. Die Bedeutung von Rhnun fiir die Klinik und Transfusionspraxis ergibt sich daraus, dab diese Ffille bei der fiblichen Rh-Bestimmung im allgemeinen als Rhnegativ bestimmt werden und deshalb - sofern Bluttransfusionen erforderlich sind mit Rh-negativem Blut (cde/cde) transfundiert werden. Das fiihrt zur Bildung von Rh-Antik6rpern Anti-c und Anti-e (ein Anti-d wird nicht gebildet, da es sich bei dem Merkmal ,,d" um ein sog. stummes Gen handelt). Sp~itestens yon diesem Zeitpunkt an darf nut noch Rh~un-Blut transfundiert werden, da ein vertr~igliches Blut der Formel CdE/CdE praktisch nicht zur Verfiigung steht und ohnehin nur zur Bildung von Antik6rpern der Spezifit/it Anti-C und Anti-E fiihren wiirde. Es ist deshalb notwendig, von Rh~n-Personen Blur fiir evtl. sp~itere autologe Bluttransfusionen bei Temperaturen von - - 8 0 ~ C his --196 ~ C im gefrorenen Zustand zu tagern. Klinisch sollte bei einer unklaren korpuskulfiren h~molytischen Anfimie auch an das Vorliegen eines Rh-Defektes gedacht werden.

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[Rh null syndrome].

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