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Ergebnisse der Rehabilitation in einer stationären Einrichtung der Behindertenhilfe für junge Erwachsene mit Epilepsie und leichten intellektuellen Beeinträchtigungen

Autor

M. Endermann

Institut

Psychologischer Fachdienst Bethel. regional, von Bodelschwinghsche Stiftungen Bethel

Schlüsselwörter ▶ Epilepsie ● ▶ leichte intellektuelle Beein● trächtigung ▶ stationäre Betreuung ● ▶ Evaluation ●

Zusammenfassung

Abstract

Ziel: Ein auf ca. 3 Jahre befristetes stationäres Rehabilitationsprogramm der von Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel richtet sich an junge Erwachsene mit Epilepsie und leichten intellektuellen Beeinträchtigungen, die z. B. mehr Selbstständigkeit und eine bessere Anfallskontrolle erlangen wollen. Ziel der Studie war es, Rehabilitationsergebnisse zu dokumentieren und Zusammenhänge zwischen Basisdaten und dem Rehabilitationserfolg sowie Zusammenhänge zwischen verschiedenen Outcome-Variablen unter besonderer Berücksichtigung der Rolle der Epilepsie zu analysieren. Methode: Daten von 85 Klienten lagen für 2 Messzeitpunkte vor (T1 = 4 Wochen nach Aufnahme, T2 = Auszug). Folgende Variablen wurden berücksichtigt: Veränderungen der Anfallsfrequenz, Einschätzungen der Bezugs-Mitarbeiter zur Entwicklung von Epilepsie, Alltagskompetenz, Beschäftigungs- und psychischer Situation, die vorgesehene Betreuungsform nach Auszug (ambulante vs. stationäre Betreuung) sowie Klientenangaben zur Zufriedenheit mit dem Programm. Ergebnisse: Die Anfallsfrequenz reduzierte sich signifikant (p < 0,05), mehr als die Hälfte der Klienten wechselte in ambulante Betreuungsverhältnisse, der Anteil der Klienten mit einer Verbesserung in den Zielbereichen variierte nach Einschätzung der Mitarbeiter zwischen 44,7 % im Hinblick auf die Epilepsie und 67,1 % im Hinblick auf die Beschäftigungssituation. Ungefähr 66 % der Klienten bewerteten das Programm positiv. Eingangs erhobene Basisdaten hatten auf die spätere Betreuungsform kaum Einfluss. Die Outcome-Parameter kovariierten moderat miteinander. Schlussfolgerung: Je nach gewähltem Maß für den Erfolg können maximal ca. zwei Drittel der Klienten als Responder des Rehabilitationsprogramms betrachtet werden. Angesichts der Vari-

Objective: A residential rehabilitation program of the Bethel Institute in Germany for approximately 3 years is addressed to young adults with epilepsy and mild intellectual disabilities. This study aimed to document results of the program and to analyze relations between baseline data and results of rehabilitation as well as relations between different outcome measures with a focus on epilepsy. Methods: Data of 85 clients with 2 measurements (T1 = 4 weeks after admission, T2 = discharge) were available. The following variables were analyzed: seizure frequency, carer-ratings on epilepsy, on daily-life independence and on occupational and psychological status of their clients, assistance needs following the program (residential care vs. supported housing), and client-ratings on satisfaction with the program. Results: Seizure frequency was significantly (p < 0.05) reduced, more than half of the clients were assigned for supported housing. Proportions of clients with improvements according to carer-ratings varied between 44.7 % with regard to epilepsy and 67.1 % with regard to occupational status. Approximately 66 % of the clients were satisfied with the program. T1-data only scarcely influenced later assistance needs. Outcome measures correlated moderately with each other. Conclusion: Depending on the outcome measure, at best two thirds of the clients are rehabilitation responders. Considering variance of seizure frequency at T1 and only moderate correlations between outcome measures, reductions of seizure frequency during the program are desirable but not always necessary for improvements of other outcome measures.

Key words ▶ epilepsy ● ▶ mild intellectual disability ● ▶ residential care ● ▶ evaluation ●

Bibliografie DOI http://dx.doi.org/ 10.1055/s-0033-1358387 Online-Publikation: 3.1.2014 Rehabilitation 2014; 53: 161–167 © Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York ISSN 0034-3536 Korrespondenzadresse Dr. Michael Endermann vBS Bethel Psychologischer Fachdienst Bethel. regional Remterweg 58 33617 Bielefeld [email protected]





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Results of Rehabilitation in a Residential Unit for Young Adults with Epilepsy and Mild Intellectual Disabilities

anz bei den Basisdaten und moderater Korrelationen zwischen Outcome-Parametern sind Reduktionen der Anfallsfrequenz wünschenswert, für Verbesserungen in anderen Zielbereichen aber nicht immer zwingend.

Einleitung



Rehabilitation bei Epilepsie In sozialer Hinsicht haben Menschen mit Epilepsie mehr Probleme als Menschen ohne Epilepsie. Als Basis dafür werden individuelle Faktoren diskutiert, z. B. Anfallsschwere, psychiatrische Komorbidität oder neuropsychologische Auffälligkeiten und Kontextfaktoren, wie bspw. unzureichendes Wissen, negative Einstellungen oder Diskriminierung [1]. Gefolgert werden kann, dass eine Kombination klinischer und psychosozialer Interventionen geeignet ist, die gesellschaftliche Teilhabe von Menschen mit Epilepsie zu befördern. Wenngleich verschiedene psychosoziale Interventionen für Epilepsiepatienten entwickelt wurden, stecken Evaluierungen solcher Maßnahmen noch in den Kinderschuhen [1, 2]. Immerhin erweiterte sich mit der Etablierung des Konzepts der gesundheitsbezogenen Lebensqualität [3, 4] der Kriterienkatalog zur Evaluierung medizinischer Therapien auch in der Epileptologie um eine subjektive, die Patientensicht fokussierende und sozialwissenschaftlich fundierte Perspektive [5]. Ein zentrales soziales Problem von Epilepsiekranken ist die Berufs- bzw. Arbeitsfindung [6], sodass die berufliche Integration ein wichtiges Ziel der psychosozialen Rehabilitation bei Epilepsie darstellt. Über Verbesserungen von klinischen Variablen, der beruflichen Situation und gesundheitsbezogenen Lebensqualität wurde bereits bei deutschen Epilepsiepatienten berichtet, die an einem mehrwöchigen, klinische und psychosoziale Aspekte umfassenden Rehabilitationsprogramm teilnahmen [7]. Positive langfristige Folgen eines mehrwöchigen Rehabilitationsprogramms auf die Beschäftigungssituation schwedischer Epilepsiekranker sind ebenfalls dokumentiert worden [8]. Außerdem wurden in den letzten Jahren für unterschiedliche Altersgruppen von Epilepsiekranken und für ihre Angehörigen sowie Betreuer Patientenschulungen entwickelt und deren Effekte überprüft [9–12].

Ein Rehabilitationsprogramm für junge Erwachsene mit Epilepsie und leichten intellektuellen Beeinträchtigungen Personen mit Epilepsie und zusätzlichen Behinderungen stehen nicht im Fokus der erwähnten rehabilitativen Maßnahmen bei Epilepsiepatienten. Entsprechend der traditionellen Ausrichtung der von Bodelschwinghschen Stiftungen (vBS) Bethel [13, 14] wurde dort bereits vor Jahrzehnten ein überregionales Wohnangebot für junge Erwachsene mit Epilepsie und zusätzlichen kognitiven Problemen geschaffen. Fachliche und sozialpolitische Impulse bedingten Mitte der 1990er Jahre, dass es zu einer rehabilitativ ausgerichteten Einrichtung mit zeitlich befristeter Aufnahme von ca. 3 Jahren weiterentwickelt wurde. Das Rehabilitationsprogramm blieb seither unverändert und auch in der Mitarbeiterschaft gab es nur wenig Fluktuation. Derzeit werden 25 Wohnplätze für Klienten1 vorgehalten. In der Einrichtung arbeiten (sozial-)pädagogisch ausgebildete Mitarbeiter mit besonderer Zuständigkeit für jeweils einzelne Klienten. Sie werden unterstützt durch Fachdienste wie den Ärztlichen und den Psy1

Es sind immer Frauen und Männer gemeint.

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chologischen Dienst. Die Klienten finden Beschäftigung im Rahmen beschützter Arbeitsplätze der vBS Bethel, wobei ein Integrationsdienst für Vermittlungen auf den freien Arbeitsmarkt sorgen kann. Zielgruppe sind junge Erwachsene zwischen 18 und 35 Jahren mit aktiver Epilepsie und leichten intellektuellen Beeinträchtigungen, die Schwierigkeiten mit der Ausbildung, Arbeitsfindung oder Verselbstständigung vom Elternhaus haben. Damit verbunden finden sich häufig psychische Probleme. Mit Blick auf die aktuelle Trennung von ambulanter und stationärer Betreuung ist der mittelfristig notwendige Hilfebedarf bei ihnen noch unklar. Ein Aufnahmeausschuss gewährleistet, dass Klienten entsprechend der beschriebenen Problematik aufgenommen werden. Häufig werden Anfragen auf Empfehlung von Epilepsiekliniken und Berufsbildungswerken gestellt. Anfragende wurden bislang nur abgelehnt, wenn sie die Aufnahmekriterien nicht erfüllten oder aktuell eine schwere psychische Störung, z. B. eine Psychose oder eine Suchtproblematik, ihre Behinderung dominierte. Ansetzend bei den genannten Problemen sind die allgemeinen Rehabilitationsziele, die Epilepsiebehandlung zu optimieren, die Selbstständigkeit im Alltag zu fördern, eine Tagesstruktur mit einer den Fähigkeiten entsprechenden Tätigkeit (in der Regel einen beschützten Arbeitsplatz) zu etablieren und ggf. die psychische Befindlichkeit zu stabilisieren. In regelmäßigen Abständen finden individuelle Fallkonferenzen statt, in denen Maßnahmen für die Klienten geplant und überprüft werden, z. B. hinsichtlich der Epilepsie Veränderungen der Medikation, im Hinblick auf Wohnen und Freizeit Kochkurse, Trainings mit Nahverkehrsmitteln oder das gemeinsame Einkaufen von Lebensmitteln, bezüglich der Beschäftigung Praktika an unterschiedlichen beschützten Arbeitsplätzen. Durch das Zusammenleben mit anderen jüngeren Personen wird soziales Lernen ermöglicht. Die Mitarbeiter leisten bei Konflikten Hilfestellung. Im Lauf der 3 Jahre nehmen die Klienten an PEPE teil, einem psychoedukativen Programm für Menschen mit Epilepsie und zusätzlichen intellektuellen Beeinträchtigungen, das medizinische und psychosoziale Themen im Rahmen von 8 Unterrichtseinheiten behandelt [15]. Einige Monate vor Ende des Programms wird in einem Perspektivgespräch geklärt, ob nach Auszug weitere stationäre Betreuung notwendig oder ein eigenständigeres Wohnen mit ambulanter Betreuung möglich ist. Dabei spielt das Votum des BezugsMitarbeiters – ergänzt durch die Meinung der Fachdienste – eine entscheidende Rolle [16]. Das skizzierte Rehabilitationsprogramm ist nach Kenntnisstand des Autors einmalig in Deutschland und findet infolge unterschiedlicher gesundheits- und sozialpolitischer Rahmenbedingungen keine direkte Entsprechung in Programmen von Epilepsiezentren anderer westlicher Länder [17–23], wenngleich es auch dort rehabilitative Einrichtungen für Epilepsiekranke mit zusätzlichen intellektuellen Beeinträchtigungen gibt.

Bisherige Evaluierung und Fragestellung Im Zusammenhang mit der rehabilitativen Ausrichtung der Einrichtung für junge Erwachsene mit Epilepsie in den 1990er Jahren entstand die Idee einer globalen Evaluierung dieses Programms durch den Psychologischen Dienst. Um die Perspektive der Klienten zu berücksichtigen wurde eine Fragebogenbatterie zusammengestellt, mit der sie seit Mitte 1999 zu Beginn und am Ende der Maßnahme im Rahmen eines individuellen Interviews befragt werden. Folgende Instrumente werden eingesetzt: der PESOS-Fragebogen mit einigen Ergänzungen zur Erfassung von

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Methodik



Stichprobe Die Stichprobe bestand aus 85 Personen, die zwischen Juni 1999 und Mai 2009 in der Rehabilitationseinrichtung aufgenommen worden waren und von denen sowohl für T1 (ca. 4 Wochen nach Aufnahme) als auch für T2 (wenige Tage vor Auszug) Daten zur Verfügung standen. Es handelte sich um 35 Frauen (41,2 %) und 50 Männer (58,8 %) im Alter von durchschnittlich 23,75 (Standardabweichung – SD = 4,95) Jahren zu T1. Damit wurden 66,4 % aller Personen erfasst, die in der genannten Zeit mit der Maßnahme begonnen hatten. Für 43 Personen (33,6 %) war aus unterschiedlichen Gründen kein ausreichendes Datenset zu generieren: Bei 6 Personen musste die Epilepsie-Diagnose infrage gestellt werden, 10 Personen brachen das Programm wegen Unter- oder Überforderung vorzeitig ab. Für 11 Personen lagen keine vollständigen Daten vor, 3 Personen starben während des Aufenthalts infolge von Anfällen und 13 waren zum Zeitpunkt der Datenanalyse noch nicht entlassen. ▶ Tab. 1 enthält Daten zu Krankheits- und Behandlungscharak● teristika sowie dem Anschlusswohnen. Intelligenztestwerte lagen nur für 18 Personen (21,2 %) der Stichprobe vor, wobei der mittlere Intelligenzquotient (IQ) 76,06 (SD = 13,51) betrug.

Tab. 1 Stichprobencharakteristika (N = 85). Epilepsie und Komorbidität Alter (Jahre) bei Epilepsiebeginn Dauer der Epilepsie (Jahre) Epilepsiesyndrom – generalisiert – fokal – mit gemischten Zeichen mehrere Anfallstypen Anfallsfrequenz während der letzten 6 Monate: – keine Anfälle/1–2 Anfälle zu T1 – keine Anfälle/1–2 Anfälle zu T2 – 3–5 Anfälle/monatlich Anfälle zu T1 – 3–5 Anfälle/monatlich Anfälle zu T2 – wöchentlich/täglich Anfälle zu T1 – wöchentlich/täglich Anfälle zu T2 Komorbidität: Neben Epilepsie weitere medizinische Diagnosen – zusätzliche neurologische Diagnose – zusätzliche psychiatrische Diagnose – zusätzliche allgemeinmedizinische Diagnose – zusätzliche nichtepileptische psychogene Anfälle Medizinische Behandlung Epilepsie-Behandlung – Anzahl der AEDs zu T1 – Anzahl der AEDs zu T2 – VNS zu T1 und zu T2 – Epilepsie-OP vor T1 – Epilepsie-OP zwischen T1 und T2 Psychiatrische Behandlung – Psychopharmaka zu T1 (Dauermedikation) – Psychopharmaka zu T2 (Dauermedikation) Rehabilitationsdauer und Anschlussperspektive Dauer des Aufenthalts in der Einrichtung (Monate) Betreuung im Anschluss an die Rehabilitation – stationär – ambulant

M ± SD = 7,94 ± 6,68 M ± SD = 15,92 ± 7,43 n = 8 (9,4 %) n = 71 (83,5 %) n = 6 (7,1 %) n = 66 (77,6 %) n = 20 (23,5 %) n = 28 (32,9 %) n = 45 (53,0 %) n = 38 (44,7 %) n = 20 (23,5 %) n = 19 (22,4 %) n = 69 (81,2 %) n = 30 (35,3 %) n = 35 (41,2 %) n = 19 (22,4 %) n = 15 (17,7 %)

M ± SD = 1,96 ± 0,79 M ± SD = 2,08 ± 0,86 n = 6 (7,1 %) n = 10 (11,8 %) n = 3 (3,5 %) n = 10 (11,8 %) n = 20 (23,5 %) M ± SD = 39,72 ± 12,91 n = 34 (40,0 %) n = 51 (60,0 %)

AEDs = antiepileptic drugs; VNS = Vagusnervstimulator

Mitarbeiter-Bewertungen der Rehabilitationsmaßnahme Einige Tage vor Abschluss der Maßnahme wurden die BezugsMitarbeiter gebeten, ihre Klienten im Hinblick auf die Epilepsie, die lebenspraktischen Fertigkeiten, die Beschäftigungs- sowie die psychische Situation mit 3 Kategorien zu bewerten: Verschlechterung, keine Veränderung oder Verbesserung (als Ergebnis der Rehabilitation). Zur Auswertung wurden die Kategorien „ohne Veränderung“ und „Verschlechterung“ zusammengefasst, da bezüglich aller Zielbereiche nur bei sehr wenigen Klienten eine Verschlechterung kodiert worden war.

Klienten-Befragung Im Rahmen der Einzelinterviews mit Fragebogen [28] wurde den Klienten zu T2 die Frage gestellt „Wie bewerten Sie die Rehabilitation insgesamt?“, die 5-stufig zu beantworten war (sehr gut – gut – mittelmäßig – schlecht – sehr schlecht).

Material

Anfallsfrequenz und Epilepsieverläufe

Outcome-Maße waren Veränderungen der Anfallsfrequenz und daraus abgeleitete Epilepsieverläufe, die anschließende Betreuungsform (ambulant vs. stationär), sowie retrospektive Beurteilungen zu T2 (Mitarbeiter-Einschätzungen zum Rehabilitationsergebnis, Angaben der Klienten zur Zufriedenheit mit dem Aufenthalt). Daten zu soziodemografischen und Krankheitsmerkmalen konnten der Betreuungsdokumentation entnommen werden.

Entsprechend dem PESOS-Fragebogen [24] wurde die Anfallsfrequenz während der letzten 6 Monate anhand der Betreuungsdokumentation zunächst in 6 Stufen kodiert. Für weitere Analysen wurden 2 Stufen zusammengefasst, um sehr kleine Zellbesetzungen zu vermeiden: relativ gute Anfallskontrolle (2 Stufen = keine Anfälle, 1–2 Anfälle), mittlere Anfallsfrequenz (2 Stufen: 3–5 Anfälle, 1 Anfall pro Monat oder mehr), hohe Anfallsfrequenz (2 Stufen: 1 Anfall pro Woche oder mehr, 1 Anfall pro Tag oder mehr). Endermann M. Ergebnisse der Rehabilitation in … Rehabilitation 2014; 53: 161–167

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Alltagsaktivitäten, Arbeitsproblemen, der gesundheitsbezogenen und allgemeinen Lebensqualität [24, 25], die Depressivitätsskala D-S‘ von v. Zerssen [26] und die Symptom-Checkliste 90-R von Derogatis [27] zur Erfassung von Depressivität und der allgemeinen psychischen Belastung. Ergebnisse dieser prospektiven Prä-Post-Evaluation wurden bereits veröffentlicht und lieferten Hinweise auf die Effektivität des Programms: Bei 52 Klienten wurden u. a. Verbesserungen der Anfallskontrolle, der gesundheitsbezogenen und allgemeinen Lebensqualität sowie bei der Frequenz von Alltagsaktivitäten dokumentiert. Einschränkend ist allerdings zu erwähnen, dass für die Gesamtgruppe nur kleine Effekte ermittelt werden konnten [28]. In dieser Praxisstudie soll bei einer im Lauf der Zeit vergrößerten Stichprobe insbesondere der Frage nach der Bedeutung des Epilepsie-Outcomes für den gesamten Rehabilitationserfolg nachgegangen werden. Dazu sollen anstelle der Klientenangaben bislang unberücksichtigt gebliebene Mitarbeiter-Einschätzungen zum Rehabilitationsergebnis als Outcome-Parameter herangezogen und miteinander in Bezug gesetzt werden. Gefragt wird: ▶ nach Ergebnissen der Rehabilitation im Hinblick auf Anfallskontrolle, die anschließende Betreuungsform und Mitarbeiter-Bewertungen der Rehabilitationsziele, ▶ nach Basisdaten, die evtl. als Rehabilitationsprädiktoren von Bedeutung sind, ▶ nach Beziehungen zwischen verschiedenen Outcome-Parametern.

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Auf der Grundlage dieser 3 zusammengefassten AnfallsfrequenzKategorien wurden 4 Klienten-Gruppen mit unterschiedlichen Veränderungen der Anfallsfrequenz von T1 zu T2 unterschieden: Gruppe 1: Verbesserung mit guter oder mittlerer Anfallskontrolle zu T2, Gruppe 2: keine Veränderung bei guter Anfallskontrolle zu T1 und T2, Gruppe 3: keine Veränderung bei mittlerer oder hoher Anfallsfrequenz zu T1 und T2, Gruppe 4: Verschlechterung mit mittlerer oder hoher Anfallsfrequenz zu T2. Im Folgenden wird zur sprachlichen Vereinfachung von Gruppen mit unterschiedlichen Epilepsieverläufen gesprochen, wenngleich der Begriff auch umfassender verstanden werden kann und dann weitere Krankheitsparameter neben der Anfallsfrequenz einschließt.

hoher Anfallsfrequenz zu T2 fand sich bei 12 Personen (14,1 %). Unverändert, bei guter Anfallskontrolle zu T1 und zu T2, war die Anfallsfrequenz von 15 Personen (17,6 %) und ebenfalls unverändert, aber bei mittlerer oder hoher Anfallsfrequenz zu T1 und zu T2, die von 39 Personen (45,9 %). Nach Mitarbeiter-Einschätzungen besserte sich die Epilepsie bei 38 Personen (44,7 %), die alltagspraktische Kompetenz bei 54 Personen (63,5 %), die Beschäftigungssituation bei 57 Personen (67,1 %) und die psychische Situation bei 54 Personen (63,5 %). In stationäre Betreuungssettings wechselten nach der Rehabilitationsmaßnahme 34 Personen (40,0 %), 51 Personen (60,0 %) wechselten entsprechend in ambulante Betreuungsverhältnisse. Zu T2 bewerteten 13 Klienten (15,3 %) die Rehabilitationsmaßnahme mit „sehr gut“, 43 (50,6 %) mit „gut“, 25 (29,4 %) mit „mittelmäßig“ und 4 (4,7 %) mit „schlecht“.

Die Datenauswertung erfolgte mit dem Statistikprogramm SPSS für Windows (Version 20.0). Mögliche Veränderungen der zunächst mit 6 Stufen erhobenen Anfallsfrequenz von T1 zu T2 wurden mit dem Wilcoxon-Test überprüft. Beziehungen zwischen nominalskalierten Variablen wurden mit dem exakten Test nach Fisher analysiert. Außerdem wurden Kontingenzkoeffizienten berechnet. Zur Prüfung von Zusammenhängen zwischen nominalskalierten Variablen und solchen mit gestuften Merkmalsausprägungen wurden der Mann-Whitney-U-Test bzw. der Kruskal-Wallis-H-Test verwendet. Es wurde durchweg 2-seitig getestet. Da es sich um eine primär explorative Studie handelte, wurden trotz vieler Signifikanztests keine Alpha-Adjustierungen vorgenommen, da sie den Beta-Fehler verhältnismäßig schnell anwachsen lassen [29].

Ergebnisse



Überprüft wurde, ob soziodemografische Variablen (Alter, Ge▶ Tab. 1 unter Epilepsie und Komorbidität aufschlecht), die in ● geführten Variablen, die Behandlung mit Psychopharmaka und der IQ einen Einfluss auf das Outcome hatten. Folgende signifikante Befunde wurden ermittelt: Klienten mit längerer Epilepsiedauer wechselten eher in ambulante Betreuungsverhältnisse (z = 2,46, p < 0,05). Eine verbesserte Alltagskompetenz nahmen Mitarbeiter vermehrt bei Personen mit fokaler Epilepsie wahr. Die Epilepsie besserte sich nach Mitarbeiter-Einschätzung seltener bei Personen mit PsychopharmakaBehandlung und eher bei Personen mit mittlerer Anfallsfrequenz zu T1 (jeweils Fisher-Test: p < 0,05). Da zu T2 deutlich mehr Personen Psychopharmaka verordnet ▶ Tab. 1), wurde zusätzlich analysiert, ob diese Bebekamen (● handlung einen Einfluss auf das Outcome hatte. Deutlich negativere Epilepsieverläufe fanden sich in der zu T2 mit Psychopharmaka behandelten Gruppe. Auch ihre psychische Situation wurde von den Mitarbeitern kritischer bewertet (jeweils Fisher-Test: p < 0,05).

Das Outcome: Anfallsfrequenz, Epilepsieverläufe, Mitarbeiter-Einschätzungen, spätere Betreuungsform, Klienten-Zufriedenheit

Zusammenhänge zwischen Outcome-Parametern ▶ Tab. 2 demonstriert, dass der Epilepsieverlauf und die Mitar●

Beim Vergleich der mit 6 Stufen erfassten Anfallsfrequenz zu T1 und zu T2 zeigte sich eine signifikante Reduktion der Anfälle (z = 2,36; p < 0,05): Bei 33 Personen (38,8 %) gab es eine Verbesserung und bei 18 Personen eine Verschlechterung (21,2 %), unverändert blieb die Anfallsfrequenz bei 34 Personen (40,0 %). Im Hinblick auf die – unter Zusammenfassung von Anfallskategorien gebildeten – Epilepsieverläufe war eine Verbesserung mit guter oder mittlerer Anfallskontrolle zu T2 bei 19 Personen (22,4 %) festzustellen, eine Verschlechterung mit mittlerer oder

beiter-Bewertung zur Epilepsie signifikant assoziiert waren. Außerdem wurden signifikante Beziehungen zwischen den Mitarbeiter-Bewertungen zu Alltagsaktivitäten, der Beschäftigungsund psychischen Situation ermittelt sowie zwischen diesen Mitarbeiter-Bewertungen und der späteren Betreuung. Beziehungen zwischen der späteren Betreuung und dem Epilepsieverlauf sowie der Mitarbeiter-Bewertung zur Epilepsie waren nur als Trend nachzuweisen. Zwischen dem Epilepsieverlauf und den Mitarbeiter-Einschätzungen zur Alltagskompetenz, zur

Tab. 2 Zusammenhänge zwischen Mitarbeiter-Bewertungen, dem Epilepsieverlauf und dem Anschlusswohnen (N = 85). Anschlusswohnen Mitarbeiter-Bewertungen: – Epilepsie – Alltagsaktivitäten – Beschäftigung – psychische Situation

p < 0,10 (0,27 + ) p < 0,01 (0,37**) ns ns ns Epilepsieverlauf

p < 0,10 (0,20 + ) p < 0,01 (0,33***) p < 0,01 (0,28**) p < 0,05 (0,22*) Anschlusswohnen

ns ns ns – Epilepsie

p < 0,01 (0,30**) p < 0,01 (0,34**) p < 0,001 (0,45***) – Alltagsaktivitäten – Beschäftigung Mitarbeiter-Bewertungen

Es wurden exakte Tests nach Fisher und Kontingenzkoeffizienten (in Klammern) berechnet: + p < 0,10, *p < 0,05, **p < 0,01, ***p < 0,001 (jeweils 2-seitig); Mitarbeiter-Bewertungen: ohne Besserung vs. Besserung; Anschlusswohnen: stationäre Betreuung vs. ambulante Betreuung; Epilepsieverlauf: Besserung mit geringer Anfallsfrequenz, unverändert geringe Anfallsfrequenz, unverändert höhere Anfallsfrequenz, Verschlechterung mit höherer Anfallsfrequenz

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Einfluss von Basisdaten auf das Outcome Datenauswertung

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Epilepsieverläufe: – keine Änderung: gute Anfallskontrolle (n = 15) – Verbesserung: mittlere oder gute Anfallskontrolle zu T2 (n = 19) – keine Änderung: mittlere oder hohe Anfallsfrequenz (n = 39) – Verschlechterung: mittlere oder hohe Anfallsfrequenz (n = 12)

Mitarbeiter-Bewertung:

Anschlusswohnen:

Epilepsie-Verbesserung

ambulante Betreuung

(n = 38)

(n = 51)

n = 5 (33,3 %) n = 14 (73,7 %) n = 18 (46,2 %) n = 1 (8,3 %)

n = 12 (80,0 %) n = 13 (68,4 %) n = 22 (56,4 %) n = 4 (33,3 %)

Abb. 1 Anschlussperspektive ambulante Betreuung in Abhängigkeit von Mitarbeiter-Bewertungen.

100

50 72,20 %

71,10 %

70,20 %

68,50%

51,10 % 36,70%

0

MA-Bewertung Epilepsie

MA-Bewertung Alltagskompetenz Besserung

39,30 %

MA-Bewertung Beschäftigungssituation

45,20%

MA-Bewertung psychische Situation

Keine Besserung

Beschäftigungssituation und zur psychischen Situation fanden sich keine bedeutsamen Beziehungen. Auch zwischen diesen Mitarbeiter-Einschätzungen und der Mitarbeiter-Bewertung der Epilepsie bestand kein relevanter Zusammenhang. ▶ Tab. 3 illustriert die Richtung der ermittelten Zusammenhän● ge zwischen dem Epilepsieverlauf und den anderen OutcomeMaßen: Mitarbeiter attestierten ihren Klienten insbesondere bei einer Reduktion der Anfallsfrequenz auch eine Verbesserung der Epilepsie, bewerteten aber auch die Epilepsie in den beiden Gruppen ohne Veränderung der Anfallskontrolle in erheblichem Umfang als verbessert. Personen mit günstigerem Epilepsieverlauf, d. h. besserer Anfallskontrolle zu T2, waren tendenziell eher für das selbstständigere Wohnen mit ambulanter Betreuung vorgesehen, aber auch Klienten mit unzureichender und während der Rehabilitation verschlechterter Anfallskontrolle hatten noch zu einem Drittel die Perspektive ambulanter Betreuung. ▶ Abb. 1 illustriert, dass Besserungen nach Mitarbeiter-Ein● schätzungen jeweils eher mit ambulantem Anschlusswohnen einhergingen. Zwischen Zufriedenheitseinschätzungen der Klienten mit der Rehabilitationsmaßnahme und den Outcome-Parametern fand sich kein bedeutsamer Zusammenhang (p < 0,05).

Diskussion



Ergebnisse der Rehabilitation Als Ergebnis der Rehabilitation ließ sich eine signifikante Reduktion der Anfallsfrequenz nachweisen. Dabei zeigte sich aber auch, dass die „Erfolgsquote“ stark davon abhängt, wie viele Anfallsfrequenz-Kategorien zugrunde gelegt werden. Basierend auf 6 Kategorien reduzierte sich die Anfallsfrequenz von knapp 40 % der Klienten, bei Zusammenfassung zu 3 Kategorien ver-

blieben weniger als 23 % mit einer Reduktion der Anfallsfrequenz. Noch deutlicher sinkt die Erfolgsquote, wenn Anfallsfreiheit, das eigentliche Ziel epileptologischer Behandlung [30], als Kriterium gewählt wird: Anfallsfrei (operationalisiert als „Anfallsfreiheit während der letzten 6 Monate“) wurden 11 Klienten (12,9 %), die zu Beginn der Maßnahme Anfälle bekamen. Die Einschätzungen der Mitarbeiter lieferten ein insgesamt etwas günstigeres Bild im Hinblick auf die Entwicklung der Epilepsie: Sie attestierten knapp 45 % der Klienten eine Besserung. Mit jeweils mehr als 60 % attestierten die Mitarbeiter ihren Klienten noch positivere Entwicklungen im Hinblick auf die alltagspraktische Kompetenz, die Beschäftigungs- und die psychische Situation. Allerdings bleibt bei ihren globalen Einschätzungen insgesamt offen, worauf sie ihr Urteil gründeten. Bezüglich der Epilepsie könnten neben der Anfallsfrequenz weitere Aspekte wie die Art und Schwere der Anfälle oder beobachtbare unerwünschte Antiepileptika-Wirkungen das Gesamturteil beeinflusst haben. Bezüglich der anderen Kriterien waren zumindest anteilig auch eigene Handlungen zu bewerten, sodass die optimistischen Beurteilungen evtl. auch eine selbstwertstützende Funktion hatten. Ein weiteres positives Ergebnis ist, dass 60 % der Klienten im Anschluss in ambulante Betreuungsverhältnisse wechselten und ihnen damit ein geringerer Betreuungsbedarf zugesprochen werden konnte. Unter Berücksichtigung von Klienten, die vor regulärem Abschluss aus der Maßnahme ausschieden, ist diese Erfolgsquote zwar etwas zu relativieren. Es verblieb aber ungefähr die Hälfte der Klienten, die im Berichtszeitraum von 12 Jahren vom Angebot so profitiert hatte, dass im Anschluss ein eigenständigeres Wohnen möglich war. Von den Klienten wurde die Rehabilitationsmaßnahme überwiegend positiv bewertet. Nur knapp 5 % bewertete sie mit „schlecht“, niemand mit „sehr schlecht“. Diese Bewertungen Endermann M. Ergebnisse der Rehabilitation in … Rehabilitation 2014; 53: 161–167

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Klienten mit ambulanter Betreuung in%

Tab. 3 Epilepsieverlauf bei späterer ambulanter Betreuung und bei positiver Epilepsie-Bewertung durch Mitarbeiter (N = 85).

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Einfluss von Basisdaten auf das Outcome Die wenigen signifikanten Befunde zwischen eingangs erhobenen Daten und dem Outcome lassen keine klare Systematisierung zum Zweck der Erfolgsprädiktion zu. Einige Daten entsprechen intuitiven Erwartungen, dass a) eine günstige Ausgangslage auch prognostisch günstig ist und b) Komorbiditätsfaktoren sich eher negativ auf das Outcome auswirken. Andere Befunde sind wahrscheinlich c) Stichprobeneigentümlichkeiten. Zu a): Eine relativ gute Anfallskontrolle zu T1 stand als prognostisch eher günstige Epilepsie-Variable im Zusammenhang mit häufigeren positiven Mitarbeiter-Einschätzungen zur Epilepsie am Ende des Aufenthalts. Zu b): Psychopharmaka-Behandlungen zu T1 waren mit schlechteren Beurteilungen der Epilepsie durch Mitarbeiter assoziiert. Auch Klienten mit Psychopharmaka-Behandlungen zu T2 hoben sich beim Epilepsieverlauf und der Mitarbeiter-Bewertung ihrer psychischen Situation negativ ab: Offensichtlich handelt es sich bei ihnen um die sowohl in epileptologischer als auch in psychiatrischer Hinsicht besonders schwierigen Patienten. Dabei kann für den Einzelfall nicht ausgeschlossen werden, dass sich Psychopharmaka auf den Epilepsieverlauf negativ auswirkten, indem sie Anfälle provozierten. Nach jetzigem Kenntnisstand ist aber im Hinblick auf die meisten neueren Psychopharmaka nicht von einem generell erhöhten Anfallsrisiko auszugehen [31]. Zu c): Für die stärkere Verbesserung der Alltagskompetenz nach Mitarbeiter-Einschätzung bei fokaler Epilepsie und auch die Assoziation zwischen längerer Epilepsiedauer und nachfolgender ambulanter Betreuung lassen sich keine naheliegenden plausiblen Erklärungen finden. Ergänzend sei darauf hingewiesen, dass Zusammenhänge zwischen der intellektuellen Begabung und Outcome-Parametern möglicherweise deshalb nicht nachgewiesen werden konnten, weil nur für sehr wenige Klienten IQ-Werte verfügbar waren. Die Verteilungswerte deuteten insgesamt bessere Rehabilitationsergebnisse bei höherem IQ an.

Beziehungen zwischen Outcome-Parametern Die Beziehungen zwischen Outcome-Parametern werden hier einerseits unter dem Gesichtspunkt der Bedeutung der Epilepsie für die spätere Art der Betreuung (ambulant vs. stationär) diskutiert, andererseits unter Validitätsaspekten. Im Hinblick auf die Bedeutung der Epilepsie für die spätere Betreuung ist in der Zusammenschau der Ergebnisse festzuhalten: Die Anfallskontrolle hat zwar eine große Bedeutung für die weitere Betreuungsart, eine in der Rehabilitationseinrichtung erzielte gute Anfallskontrolle ist aber weder die conditio sine qua non noch eine hinreichende Bedingung für eine eigenständigere Wohnform. Tendenziell reduzierte sich der Anteil der Personen, die in ambulante Betreuungsverhältnisse wechselten, von solchen mit konstant guter Anfallskontrolle hin zu denen mit einer Zunahme der Anfallsfrequenz. Umgekehrt waren aber auch noch relativ viele Klienten trotz unzureichender Anfallskontrolle für ambulante Betreuung vorgesehen. Die Rolle der Epilepsie im Hinblick auf die spätere Wohnform relativiert sich außerdem bei Betrachtung der verschiedenen Mitarbeiter-Bewertungen: Ins-

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besondere Verbesserungen im Bereich der Alltagskompetenz und der Beschäftigungssituation standen in einem höheren Zusammenhang mit vorgesehener ambulanter Betreuung als Epilepsie-Verbesserungen, wobei allerdings alle diese Zusammenhänge nur moderat waren. Als Validitätshinweis für die Mitarbeiter-Bewertung zur Entwicklung der Epilepsie kann der ebenfalls moderate Zusammenhang mit dem Epilepsieverlauf gewertet werden. Eine stärkere Übereinstimmung war nicht zu erwarten, da die Bewertungen der Mitarbeiter dichotomisiert vorlagen (Besserung bzw. keine Besserung) und die Epilepsieverläufe so erfasst waren, dass eine gute Anfallskontrolle nicht zwingend auf positiven Veränderungen basiert. Indirekt wird die Güte der Mitarbeiter-Bewertung zur Epilepsie auch dadurch gestützt, dass sie als einzige Mitarbeiter-Bewertung nicht bedeutsam mit den anderen Mitarbeiter-Bewertungen korrelierte: Sie wurde demnach nicht generalisiert, es war kein Halo-Effekt nachzuweisen.

Einschränkungen Einschränkend ist darauf hinzuweisen, dass die vorliegende Studie keine klaren Kausalattribuierungen zulässt: Es stand keine Kontrollgruppe zur Verfügung und es wurden nicht einzelne Interventionen, sondern lediglich globale Veränderungen analysiert. Entsprechend waren auch keine konkreteren Hypothesen formuliert worden. Angesichts vieler nominalskalierter Variablen wurden ferner viele Signifikanztests durchgeführt, sodass zufällig signifikante Ergebnisse nicht auszuschließen sind. Im Hinblick auf die verwendeten Outcome-Maße ist außerdem zu erwähnen, dass die Mitarbeiter-Bewertungen nur Globaleinschätzungen darstellen und elaboriertere Fragebogen sinnvoll gewesen wären. Die Arbeitsverdichtung im Betreuungsalltag während der letzten Jahre ließ es aber nicht praktikabel erscheinen, differenziertere Beurteilungen zu erheben, da mit geringer Akzeptanz zu rechnen war. Ferner können keine Aussagen über die zeitliche Stabilität der Ergebnisse getroffen werden: Zu diesem Zweck werden aktuell Follow-up-Daten von Klienten erhoben, bei denen der Abschluss des Programms mehr als 2 Jahre zurückliegt.

Schlussfolgerung



Die Studie zeigt, dass der ungefähr 3-jährige stationäre rehabilitative Aufenthalt in Bethel für die Gesamtgruppe der Klienten mit schwer zu behandelnden Epilepsien und leichten intellektuellen Beeinträchtigungen Verbesserungen mit sich bringt, die sich auf der Ebene des Epilepsieverlaufs, der anschließenden Wohnperspektive und durch Fremdeinschätzungen abbilden lassen. Zu Beginn des Aufenthalts erhobene Basisdaten haben nur relativ geringe Aussagekraft für den späteren Rehabilitationserfolg. Die meisten Outcome-Parameter stehen in moderatem Zusammenhang. Der Entwicklung der Anfallsfrequenz während des Aufenthalts kommt nicht die zentrale Rolle im Hinblick auf die weitere Betreuung zu. Eine positive Entwicklung mit relativ guter Anfallskontrolle erweist sich für spätere ambulante Betreuung als günstig, ist aber weder zwingende Voraussetzung noch hinreichende Bedingung.

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stützen das Gesamtkonzept des Bereichs und die Art und Güte der Maßnahmendurchführung, zumal sie nicht von den anderen Outcome-Maßen beeinflusst waren.

Kernbotschaft Als Ergebnis eines ca. 3-jährigen stationären Rehabilitationsprogramms der von Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel für junge Erwachsene mit Epilepsie und leichten intellektuellen Beeinträchtigungen ist festzuhalten: Es gibt Reduktionen der Anfallsfrequenz und mehr als die Hälfte der Klienten wechselt im Anschluss in ambulante Betreuungsmaßnahmen. Reduktionen der Anfallsfrequenz während des Programms sind nicht zwingend für positive Ergebnisse bei anderen Outcome-Variablen einschließlich der vorgesehenen Anschluss-Betreuung (ambulant vs. stationär).

Danksagung



Für kritische Anmerkungen zum Manuskript sei Herrn Prof. Dr. T. May gedankt.

Interessenkonflikt: Der Autor gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht. Literatur 1 Thorbecke R, Pfäfflin M. Social aspects of epilepsy and rehabilitation. In: Stefan H, Theodore WH (eds.). Handbook of Clinical Neurology, Vol. 108 (3rd series). Epilepsy, Part II. Amsterdam: Elsevier BV; 2012; 983–999 2 Pfäfflin M, Fraser RT, Thorbecke R, et al. (eds.). Comprehensive Care for People with Epilepsy. London: John Libbey; 2001 3 Bullinger M. Gesundheitsbezogene Lebensqualität und subjektive Gesundheit. Psychotherapie, Psychosomatik, Medizinische Psychologie 1997; 47: 76–91 4 Nolte S, Rose M. Die Erfassung gesundheitsbezogener Lebensqualität bei Erwachsenen. Das Gesundheitswesen 2013; 75: 166–175 5 Jacoby A, Baker GA. Quality-of-life trajectories in epilepsy: a review of the literature. Epilepsy & Behavior 2008; 12: 557–571 6 Thorbecke R, Specht U. Berufliche Rehabilitation bei Epilepsie. Der Medizinische Sachverständige 2005; 101: 22–32 7 Specht U, Thorbecke R, May TW. Medizinische und medizinisch-berufliche Rehabilitation bei Epilepsie. In: Schönle PW, Hrsg. Integrierte medizinisch-berufliche Rehabilitation. Bad Honnef: Hippocampus; 2007; 251–259 8 Wedlund EW, Nilsson L, Erdner A et al. Long-term follow-up after comprehensive rehabilitation of persons with epilepsy, with emphasis on participation in employment or education. Epilepsy & Behavior 2012; 25: 219–223 9 May TW, Pfäfflin M. The efficacy of an educational treatment program for patients with epilepsy (MOSES): results of a controlled, randomized study. Epilepsia 2002; 43: 539–549 10 Rau J, May TW, Pfäfflin M et al. Schulung von Kindern mit Epilepsie und deren Eltern mit dem Modularen Schulungsprogramm Epilepsie für Familien (FAMOSES) – Ergebnisse einer Evaluationsstudie. Rehabilitation 2006; 45: 27–39

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Originalarbeit 167

[Results of rehabilitation in a residential unit for young adults with epilepsy and mild intellectual disabilities].

A residential rehabilitation program of the Bethel Institute in Germany for approximately 3 years is addressed to young adults with epilepsy and mild ...
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