Weihnachtsheft

Ärztliche Widerständler und medizinische Opfer in der Zeit des Nationalsozialismus Resistance and victims among medics during national socialism

Autoren

H. Moll1

Institut

1 Maternushaus Erzbistum Köln

Weihnachtsheft

Das kommende Kalenderjahr markiert den 70.  Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs. Seit dem Jahr 1945 ist nahezu ein Menschenalter vergangen. Nur noch wenige Zeitzeugen können aus eigenem persönlichem Erleben erzählen und der Gesellschaft von heute helfen, durch Erinnerung die Lehren aus dem dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte zu ziehen. Zahlreiche Veröffentlichungen über die Lage der Ärzteschaft in den Jahren zwischen 1933 und 1945 bekunden deren tiefe Verstrickung in die Ideologie des Nationalsozialismus [1, 2, 3]. Im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz haben mehr als 160 Fachleute Lebensbilder von Männern und Frauen erarbeitet, die Opfer dieser lebensfeindlichen Ideologie geworden sind. Über 400 Biogramme allein aus der Zeit, in der Hitlers Terror herrschte, lassen das Leben von Menschen lebendig werden, die Zeugnis davon gaben, dass die Würde des Menschen unantastbar ist und dass ihr Schutz dem Menschen und der menschlichen Gemeinschaft aufgetragen sind. Es lohnt sich, diese Zeugen der Wahrheit dem Vergessen zu entreißen. Exemplarische Beispiele verdeutlichen diesen Anspruch [4].

Bibliografie DOI 10.1055/s-0034-1387305 Dtsch Med Wochenschr 0 2014; 1390 : 2660–2661 · © Georg 0 Thieme Verlag KG · Stuttgart · New York · ISSN 0012-04721439-4 13 Korrespondenz Prof. Dr. Helmut Moll Beauftragter der deutschen Bischofskonferenz für das Martyrologium des 20. Jahrhunderts Maternushaus Kardinal-Frings-Str. 1–3 50668 Köln eMail Helmut.Moll@ Erzbistum-koeln.de

Dr. med. Dr. phil. Lisamaria Meirowsky ▼ Die Jüdin Lisamaria Meirowsky, die am 7.  September 1904 in der westpreußischen Stadt Graudenz geboren wurde, stammte aus einer Arztfamilie [4]. Ihrem Vater, Prof. Dr. Emil Meirowsky, einem angesehenen Dermatologen und Vorsitzenden der Kölner Ärztekammer, war aufgrund seiner jüdischen Herkunft im Jahre 1933 die Lehrbefugnis entzogen und drei Jahre später die Führung aller akademischen Titel untersagt worden. Prof. Dr. Meirowsky floh mit seiner Ehefrau in die Vereinigten Staaten von Amerika, wo beide den Zweiten Weltkrieg überlebten. Ihre Tochter folgte ihnen nicht. Sie blieb in der rheinischen

Metropole. Ganz existenziell mit der religiösen Frage konfrontiert, reifte in ihr der Entschluss, um die Taufe in der katholischen Kirche zu bitten. Im Anschluss an die „Nürnberger Gesetze“ vom 15.  September 1935 konnte Dr. med. Dr. phil. Lisamaria Meirowsky in Köln keine Tätigkeit als Kinderärztin beginnen, weil sie jüdischer Herkunft war. In einem Hilfswerk für nichtarische Flüchtlinge aus Deutschland half sie daher mit ihren medizinischen Kenntnissen in den Niederlanden aus, wohin sie im Jahre 1938 ausgewichen war. Aber auch der Aufenthalt in den Niederlanden bot der jungen Ärztin keinen Schutz vor dem Zugriff der Nationalsozialisten. Mit anderen Personen, die ebenfalls jüdischer Herkunft waren – unter ihnen die bekannte Philosophin Dr. Edith Stein (1891–1942) – wurde sie im Jahre 1942 verhaftet und in das Konzentrationslager Auschwitz deportiert, wo sie in den Gaskammern starb.

Dr. med. Selma Elisabeth Graf ▼ Die 1887 in Nürnberg geborene Selma Elisabeth Graf war ebenfalls aus dem Judentum zur katholischen Kirche gekommen [4]. Verheiratet mit einem Apotheker, praktizierte sie seit dem Jahre 1914 als Kinder- und Frauenärztin in Bamberg, nachdem sie an den Universitätsfrauenklinken Erlangen und München studiert und promoviert hatte. Ein Großteil ihrer Patientinnen kam aus dem ländlichen Raum. Selbstlos nahm sich die junge Ärztin ihrer an, auch wenn in Aussicht stand, dass die Behandlungskosten nicht gedeckt werden konnten. Um ihre jüdische Abstammung wissend, wurde ihr nach 1933 ein in allen Belangen ungerechter Prozess gemacht. Ihre wahre Hilfsbereitschaft wurde als heimtückische Raffinesse ausgelegt. Der Ärztin wurde vorgeworfen, gegen Geld unerlaubte Abtreibungen vorgenommen zu haben. Dr. Graf konnte die Vorwürfe nicht überzeugend widerlegen. Sie wurde verur-

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Mitglieder der „Weißen Rose“ ▼ Die Münchener Mitglieder der „Weißen Rose“, Willi Graf aus Euskirchen (Rheinland), Christoph Probst aus Murnau (Oberbayern) und Alexander Schmorell aus der Sowjetunion, waren allesamt Medizinstudenten [4]. Mit den Studenten Hans und Sophie Scholl wandten sie sich in sechs Flugblättern gegen den antisemitischen Rassenwahn. Der Medizinstudent Willi Graf kam Anfang 1940 als Sanitäter unmittelbar in Berührung mit dem Schrecken und dem Elend des Zweiten Weltkriegs. Zum Studium zurückgekehrt suchte er Kontakt mit Gleichgesinnten und nach Formen des Widerstandes aus seiner christlich-abendländischen Gesinnung. Im Jahre 1943 wurde allen Mitgliedern der „Weißen Rose“ nach dem Abwerfen des sechsten Flugblatts an der Universität München der Prozess gemacht. Genau wie ihr Mentor Prof. Dr. Kurt Huber von der Münchener Universität wurden alle noch im gleichen Jahr hingerichtet.

Rückschau ▼ „Von diesen Menschen hat es viel weniger gegeben, als wir uns das wünschen würden, aber doch mehr, als den meisten von uns heute bewusst ist“, sagte der damalige Bundespräsident Johannes Rau im Jahre 2003 in einem Grußwort auf Schloss Bellevue, anlässlich einer Veranstaltung zu dem Thema „Hilfe für Verfolgte der NS-Zeit“. Das Lebenszeugnis dieser Männer und Frauen aus dem Bereich der Medizin möge stets von Neuem an die Würde der menschlichen Person erinnern. Der Präsident schloss damals mit den Worten, die ein Auftrag sind für heute: „Helfen Sie mit, dass diese Männer und Frauen einen Platz in unserer Erinnerung haben.“ [5].

Literatur 1 Bleker J, Jachertz N (Hrsg.). Medizin im „Dritten Reich“. Deutscher Ärzte-Verlag 1993 2 Benz W, Diestel B (Hrsg.). Medizin im NS-Staat. Täter, Opfer, Handlanger. Deutscher Taschenbuch Verlag 1988 3 Heesch E (Hrsg.). Heilkunst in unheilvoller Zeit. Beiträge zur Geschichte der Medizin im Nationalsozialismus. Mabuse-Verlag 1993 4 Moll H (Hrsg.). Zeugen für Christus. Das deutsche Martyrologium des 20. Jahrhunderts. 6. erweiterte und neu strukturierte Aufl. Schöningh 2015 5 Rau J. Grußwort bei der Veranstaltung „Hilfe für Verfolgte in der NSZeit“. Berlin, 2003

Opfer der medizinischen Versuche in der Zeit des Nationalsozialismus ▼ Das Werk „Zeugen für Christus“ wirft ein Licht auf diejenigen, die Opfer der unseligen medizinischen Versuche der damaligen Zeit geworden sind. Hierbei ist eine lange Reihe von Namen entstanden. Stellvertretend für die vielen unbekannten und namenlosen Opfer sei an den westfälischen Redemptoristenpater Josef Averesch [4] und an den in Köln geborenen Diözesanpriester Fritz Keller erinnert [4], die die Versuche in Dachau über sich ergehen lassen mussten. Nicht vergessen werden dürfen auch diejenigen, die ihr Wort gegen die willkürliche nationalsozialistische Tötung in den „Euthanasieprogrammen“ erhoben haben und zu Opfern der Antastbarkeit des Lebens wurden. Stellvertretend für viele andere seien hier der Berliner Dompropst Bernhard Lichtenberg [4] und der Stadtpfarrer Dr. Heinrich Feuerstein aus Baden [4] genannt.

Dtsch Med Wochenschr 2014; 139: 2660–2661 · H. Moll, Ärztliche Widerständler und …

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teilt, nach demütigendem Aufenthalt im Zuchthaus Aichach bei Augsburg nach Auschwitz gebracht und dort ermordet. Das damalige Gerichtsverfahren in Bamberg wurde erst im Jahre 1998 aufgearbeitet. Die Untersuchungen ergaben eindeutig, dass die Gestapo an Dr. Graf ein Exempel statuiert hatte. An ihr sollten die „schändliche Gesinnung der jüdischen Rasse“, und die „hemmungslose Geldgier“ in einer nicht zu übertreffenden infamen und schamlosen Polemik dargestellt werden. Heute ehrt die Stadt Bamberg Selma Elisabeth Graf mit einem Gedenkstein, auf dem sie als „Opfer aus der Gemeinde“ bezeichnet wird.

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