106 Originalarbeit

Moderne Anforderungen und derzeitiger Standard in der Geburtsdokumentation in Deutschland Requirements and Current State of Birth Documentation in Germany

Institute

Schlüsselwörter ▶ Partogramm ● ▶ Geburtsdokumentation ● ▶ Cardiotokografie ● Key words ▶ partogram ● ▶ birth documentation ● ▶ cardiotocography ●

eingereicht 29.11.2013 angenommen 31.03.2014 nach Überarbeitung Bibliografie DOI http://dx.doi.org/ 10.1055/s-0034-1374634 Z Geburtsh Neonatol 2014; 218: 106–112 © Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York ISSN 0948-2393 Korrespondenzadresse Priv-Doz. Dr. Sven Schiermeier Gynäkologie und Geburtshilfe Marien-Hospital Witten Marienplatz 2 58452 Witten Tel.: + 49/230/21731 323 Fax: + 49/230/21731 325 [email protected]

N. Syllwasschy1, K.-G. Noé2, W. Hatzmann1, J. Reinhard3, S. Schiermeier1 1

Gynäklogie und Geburtshilfe der Universität Witten/Herdecke, Marien-Hospital Witten, Witten Frauenklinik, Kreiskrankenhaus, Dormagen 3 Frauenklinik, St. Marienkrankenhaus Frankfurt, Frankfurt 2

Zusammenfassung

Abstract

Einleitung: Das Partogramm stellt für den geburtshilflichen Alltag ein zentrales Dokument für die inter- und intraprofessionelle Zusammenarbeit dar und ist von höchster Bedeutung für forensische Fragestellungen. Es existieren in Deutschland keine standardisierten Partogramme. Diese Studie widmet sich den Anforderungen an ein Partogramm und der Entwicklung eines Musterpartogramms. Material und Methoden: Ärzte und Hebammen aus 95 deutschen Geburtskliniken wurden zu ihrer praktischen Umsetzung der Geburtsdokumentation schriftlich befragt. Die verwendeten Fragebögen sind nach einer Literaturrecherche und nach Experteninterviews erstellt worden. Die Teilnehmer der Studie wurden durch eine geschichtete Zufallsauswahl mit einer Fokussierung auf Kliniken der Maximalversorgung selektiert. Ergebnisse: 49 Ärzte (51,6 %) und 24 Hebammen (25,3 %) sandten den Fragebogen wieder zurück. 80 % der Befragten gaben an, dass sie regelmäßig ein Partogramm in Kooperation mit der jeweils anderen Berufsgruppe führen. 75 % verwenden hierbei einen Vordruck, 8 % ein leeres Blatt und 6 % eine EDV-gestützte Dokumentation. Die meisten Teilnehmer zeichneten Parameter in Anlehnung der entsprechenden DGGG-Leitlinie auf. Abweichungen ergaben sich vor allem bei der CTG-Auswertung und bei forensischen Aspekten. Die Hälfte der Teilnehmer sahen bei der hauseigenen Dokumentation Verbesserungspotenzial. Diskussion: Es gibt einen deutlichen Bedarf nach einer Optimierung der Geburtsdokumentation. Durch diese Studie konnte ein Musterpartogramm entwickelt werden, das die Grundlage für eine Standardisierung in der Geburtsdokumentation darstellen könnte.

Introduction: The partogram is a central record in everyday practice for midwifes and obstetricians. For legal enquiries it is one of the most important documents, however, so far there is no standardised partogram in use in Germany. This study explores the current requirements and develops a standardised partogram. Material and Methods: In Germany 95 hospitals with a focus on tertiary referral centres were randomly selected to be questioned. Obstetricians and midwifes were asked to answer a questionnaire, which was based on a current literature search and expert interviews. Results: 49 obstetricians (51.6 %) and 24 midwives (25.3 %) returned the questionnaires. 80 % of those regularly cooperate with the other specialty with a partogram. 75 % are using a standardised partogram, 8 % an empty page and 6 % computerised obstetric records. Most responders are using parameters which are defined in the current guidelines of the German Society of Obstetrics and Gynaecology. Variations were especially pronounced in the scoring system of the cardiotocogram and on legal issues. Room for improvement of the current documentation was documented in half of the cases. Discussion: There is a need for optimising the current birth documentation. With the results of the questionnaire a standardised model for a partogram was developed.





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Autoren

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Die medizinische Dokumentation stellt nicht nur eine Pflichterfüllung der ärztlichen Berufsordnung, des Behandlungsvertrages und des Informationsrechts des Patienten dar, sie fungiert auch als Gedächtnisstütze und Kommunikationsinstrument und dient der forensischen und leistungsrechtlichen Absicherung [1–3]. Insbesondere im Bereich der multiprofessionell betreuten Geburtshilfe werden an sie komplexe Anforderungen gestellt, da sie einen wichtigen Beitrag zum Informationsfluss zwischen den einzelnen Berufsgruppen und somit zur Behandlungsqualität sowie zur Patienten-, Hebammen- und Arztsicherheit leistet [4]. In Anbetracht von steigenden Berufshaftpflichtprämien für Geburtsbetreuer [5–7] bedingen Dokumentationslücken nicht nur eine Prozessqualitätsverschlechterung, sie können auch beweisrechtliche Folgen nach sich ziehen. So lässt die Nicht-Dokumentation einer aufzeichnungspflichtigen Maßnahme ihr Unterbleiben vermuten und kann zur Beweislasterleichterung zu Gunsten des Patienten bzw. zur Beweislastumkehr zu Lasten von Hebamme und Arzt führen [8, 9]. Trotz der immensen Bedeutung existieren weltweit wenig Vorgaben und Leitlinien zur Dokumentation der Geburt. Der von der WHO entwickelte Partograf [10–12] lässt sich aufgrund divergierender Rahmenbedingungen nur eingeschränkt in seiner Anwendung auf den europäischen Raum übertragen [13]. In Europa wurden, bis auf die von der DGGG und AG MedR erarbeitete Leitlinie „Empfehlungen zur Dokumentation der Geburt – Das Partogramm“ [14], kaum Alternativen konzipiert. Ebenso fehlen evaluierte Vordrucke, sodass sich die Geburtsdokumentationsumsetzung vielfältig gestaltet. Auch der Umbruch zu einer verstärkten Digitalisierung von Daten birgt sowohl neue Möglichkeiten, wie z. B. die elektronische Erinnerungsfunktion bei unvollständiger Dokumentation, die Reduktion von Mehrfachdokumentationen sowie die Verfügbarkeit von Informationen an mehreren Orten zur gleichen Zeit [1, 15, 16]. Ebenso ergeben sich jedoch neue Herausforderungen in Sachen Anwenderfreundlichkeit, Archivierung und Manipulationssicherheit [3, 14]. Die vorliegende Arbeit hat daher zur Zielsetzung mittels selektiver Literaturanalyse die modernen Anforderungen an die Geburtsdokumentation darzustellen, den derzeitigen Standard mithilfe einer Fragebogenstudie zu untersuchen und aus den Ergebnissen Empfehlungen und Entwicklungsperspektiven abzuleiten.

Inhaltlich wurde die klinikinterne Geburtsdokumentationspraxis erfragt sowie um die Bewertung von 3 Beispielpartogrammen gebeten.

Ergebnisse



49 Ärzte und 24 Hebammen sandten den ausgefüllten Fragebogen zurück, was einer Rücklaufquote von 51,6 % bzw. 25,3 % entspricht. Ca. 60 % der Antworten stammten aus Kliniken mit einer Geburtenzahl von über 1 000 Entbindungen pro Jahr und einer perinatologischen Versorgungsstufe des Levels I. Da sich das Antwortverhalten von Ärzten und Hebammen, kongruent verhielt, wurden die ärztlichen Angaben zur Statistikerstellung herangezogen, um eine Verzerrung der Ergebnisse zu Gunsten von Kliniken, bei denen beide Professionen geantwortet haben zu vermeiden. Rund 80 % gaben an, regelmäßig und in Kooperation beider geburtsbegleitenden Berufsgruppen ein Partogramm zu führen. Drei Viertel der Beteiligten wählten als Aufzeichnungsmedium einen Vordruck, 8 % ein leeres Blatt und 6 % die EDVgestützte Dokumentation. Die Partogrammaufzeichnungen beginnen 65,3 % der Teilnehmer mit dem Betreten des Kreißsaals. Die Mehrzahl der von den Teilnehmern gewählten Geburts-Parameter wurde analog zu den DGGG-Leitlinien-Vorschlägen festgehalten. Abweichungen und Ergänzungen fanden sich u. a. bei der CTG-Auswertung, der Höhenstandbeurteilung des vorangehenden Kindsteils und bei der Dokumentation von Befinden und Lagerung der Gravida. Die CTG-Beurteilung wird nur von etwa 70 % der Teilnehmer auf dem Partogrammdokument fixiert, von ca. 23 % nach dem Fischer-Score, von ca. 29 % nach FIGO-Kriterien und von ca. 40 % ohne Scoringsystem. Der Zeitpunkt der Mikroblutuntersuchung und das Ergebnis wurden von 93,9 % der Teilnehmer im Partogramm fixiert. Die Höhenstandsbeurteilung wird in etwa zu gleichen Teilen nach DeLee (DGGG-Empfehlung) und Hodge vorgenommen. Lagerung und Befinden der Schwangeren wurden nur in ca. 69 bzw. 61 % festgehalten. Über 93 % der Teilnehmer vermerkten die Daten des Neugeborenen auf dem Partogramm. Etwa die Hälfte der Teilnehmer sah in der hauseigenen Geburtsdokumentationspraxis Verbesserungsbedarf.

Diskussion



Material und Methodik

Rahmenbedingungen und Parameter



Zur Ermittlung der Kreißsaaldokumentationspraxis wurden anhand einer deutschlandweiten empirischen postalischen Fragebogenerhebung Ärzte und Hebammen aus 95 Geburtskliniken zu ihrer praktischen Geburtsdokumentationsumsetzung befragt. Die Teilnehmerselektion erfolgte mittels geschichteter Zufallsauswahl bei einer Fokussierung auf Kliniken der Maximalversorgung. Befragt wurden alle Universitäts-Geburtskliniken (35 Häuser) und je 20 Häuser mit mehr als 1 000, 500–999 und weniger als 500 Geburten pro Jahr (Referenzjahr 2008). Der Fragebogen wurde im Rahmen dieser Arbeit unter Berücksichtigung der Literaturanalyse und der Empfehlungen aus Interviews mit geburtshilflichen Experten entwickelt und nach telefonischer Voranfrage und unter Garantierung einer anonymen Auswertung versendet. In der Auswertung berücksichtigt wurden Antwortbögen, welche bis zum 30.06.2011 eingetroffen sind.

Die vorliegende Arbeit zeigt den Handlungsbedarf auf dem Gebiet der Geburtsdokumentation auf und verdeutlicht die qualitätsfördernde und risikopräventive Funktion des Partogramms. Aufgrund der Ergebnisse von Literaturrecherche und Fragebogenstudie wird für die praktische Umsetzung der Geburtsdokumentation die Schlussfolgerung gezogen, dass die DGGG-Leitlinie einen guten Leitfaden für eine qualitativ hochwertige und forensisch abgesicherte Geburtsdokumentation darstellt. Durch die Fragebogenstudie kann gezeigt werden, dass die Mehrheit der befragten Kliniken eine Geburtsdokumentation kongruent zu Leitlinien- und Literaturempfehlungen pflegt, jedoch von etwa der Hälfte der Teilnehmer ein Nachbesserungsbedarf der derzeitigen Praxis gesehen wird. Es können in einzelnen Bereichen Verbesserungspotenziale identifiziert und Entwicklungsperspektiven aufgezeigt werden.

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Einleitung

Die von Hebammen und Ärzten gemeinsam geführte Dokumentation, wie sie laut Befragung in der Mehrzahl der teilnehmenden Kliniken praktiziert wird, scheint aus vielerlei Hinsicht geboten: Zum einen wird so die Erinnerungsfunktion in Form einer Gedächtnisstütze für Ärzte und Hebammen erfüllt. Zum anderen dient die gemeinsame Dokumentationsführung als kommunikatives Instrument zwischen den beteiligten Berufsgruppen und beugt so einem Informationsverlust vor [1]. Auch unter ökonomischen Gesichtspunkten ist eine berufsgruppenübergreifende Dokumentation anzuraten, da so eine Mehrfachdokumentation unter dem Aspekt der knappen Zeitressourcen vermieden wird [16]. Darüber hinaus existieren forensische Gründe, wie die Vermeidung widersprüchlicher Eintragungen [14], welche eine gemeinsame Partogrammführung obligat erscheinen lassen. Aus der Beantwortung der Fragen kann geschlossen werden, dass das derzeit gängigste Aufzeichnungsmedium einen PapierVordruck darstellt, in welchen handschriftliche Eintragungen vorgenommen werden. Das zumeist gewählte DIN A3-Format unterstützt die Anforderungen an eine gute Übersichtlichkeit und gewährt ausreichend Aufzeichnungsplatz. Ein elektronisches Dokumentationssystem kommt in den wenigsten Kliniken zur Anwendung. Handschriftlich mitgeteilte Absichtsbekundungen der Einführung eines solchen lassen jedoch vermuten, dass hier ein Umbruch zur Digitalisierung, wie in vielen anderen medizinischen und nicht-medizinischen Bereichen, stattfindet [17]. Im Hinblick auf eine zukünftig möglicherweise verstärkte Nutzung einer EDV-gestützten Geburtsdokumentation, lassen sich der Literatur folgende Empfehlungen entnehmen: 1. Zur Vermeidung unvollständiger Angaben, sollte eine elektronische Erinnerungsfunktion bei nicht sachgerecht ausgefüllten Feldern implementiert sein [15]. 2. Um zur Arbeitserleichterung der Beteiligten beizutragen, ist eine Einspeisung der Daten aus anderen Informationssystemen, z. B. Aufnahmedaten und Vorerkrankungen aus vorherigen Aufenthalten, sowie geburtsmedizinischer Geräte, wie z. B. dem CTG, wünschenswert. Ebenso sollte eine Weitergabe relevanter Daten an andere berechtigte Dokumentationssysteme, wie bspw. die Qualitätskontrolle, elektronische Krankenakte und DRG-Kodierung, erfolgen. Zeitaufwendige und unnötige Mehrfachdokumentationen können so reduziert werden [16]. 3. Gefordert wird, dass jede Eingabe ins Dokument die Feststellung von Datum, Uhrzeit und Angaben zur eingebenden Person ermöglichen muss [14]. 4. An die Archivierung der Daten wird die Anforderung gestellt, dass eine nachträgliche spurlose Manipulierung und unberechtigte Einsichtnahme ausgeschlossen sind, damit dem Dokument Urkundenstatus zukommt. Ebenso muss gewährleistet sein, dass jederzeit ein Auslesen der Daten, mindestens bis zum Ablauf der gesetzlichen Aufbewahrungsfrist von 10 Jahren, besser über einen Zeitraum von 30 Jahren, möglich ist [3]. Der Beginn der Aufzeichnung erfolgt in der Mehrzahl der Fälle mit dem Betreten des Kreißsaals durch die Gebärende. Dies ist vor dem Hintergrund der Literatur zu befürworten, da so eine lückenlose Dokumentation gewährleistet ist. Ebenso sollten alle Phasen der Geburt, einschließlich Nachgeburtsperiode und die Versorgung eventueller Geburtsverletzungen gemäß dem Konsens dieser Studie aufgezeichnet werden. Etwa die Hälfte der Studienteilnehmer dokumentiert weitere Maßnahmen, wie die Sonografie-Untersuchung, das Legen einer

Venenverweilkanüle und Laboruntersuchungen, im Partogramm. Im Hinblick auf die hohe Relevanz der durchgeführten Maßnahmen für den weiteren Geburtsverlauf und eine in Anmerkungen mitgeteilte positive Resonanz, insbesondere auf die Eckdaten der Ultraschall-Untersuchung, erscheint eine regelhafte Aufzeichnung sinnvoll. Aus der Studie geht hervor, dass die Erhebung der allgemeinen Parameter sich nahezu gänzlich mit den Empfehlungen der Partogramm-Leitlinie deckt. Die Stammdaten der Patientin, Besonderheiten früherer Schwangerschaften und der jetzigen sollten also in jedem Falle im Partogramm vorzufinden sein, ebenso wie weitere geburtsrelevante Angaben wie Blutgruppe, Allergien usw. [14]. Bei der Erfassung des Geburtsverlaufs wird durch die Mehrzahl der Beteiligten die Verwendung der vorgeschlagenen Parameter bestätigt. Uneinigkeit besteht jedoch in der Messung des Höhenstandes des vorangehenden Kindsteils. Nach einer vaginalen Untersuchung zur Ermittlung des Höhenstandes stehen 2 gebräuchliche Beschreibungsmöglichkeiten zur Verfügung: die Parallelebenen nach Hodge und die Höhenstandsdiagnose nach DeLee [18]. Zwar empfiehlt die DGGG bei vaginal-operativen Entbindungen die Beschreibung nach DeLee [19], allerdings erscheint aus Gründen der mangelnden Evidenzlage und der gleichmäßigen Antwortenverteilung auf beide Systeme ein Nebeneinander der beiden Methoden nicht von Nachteil. Wie von einem Drittel der Teilnehmer praktiziert können beide Messverfahren nebeneinander verwendet und abgebildet werden. Die im Vergleich zu anderen Parametern reduzierte Erfassung von Lagerung und Befinden der Schwangeren, deckt sich mit den Feststellungen aus einer schwedischen Studie, welche eine Dokumentationsschwachstelle im Bereich dieser Parameter aufgedeckt hat [20]. Da Angaben hierzu für den Geburtsverlauf und unter haftungsrechtlichen Gesichtspunkten nicht unerheblich sind, sollte stets eine Aufzeichnung erfolgen [14]. Die Mehrheit der Befragten von ca. 70 % macht auf dem Partogramm Angaben zum CTG. Neben einer Dokumentation von Besonderheiten werden zumeist die Beurteilungsparameter (Basalfrequenz, Bandbreite, Nulldurchgänge pro Minute, Akzelerationen und Dezelerationen) erfasst. Das von der DGGG empfohlene Beurteilungsschema, der FIGO-Score [14] wird dagegen nur von einer Minderheit festgehalten. Zudem wird von einigen Teilnehmern die Auswertung nach dem Fischer-Score vorgenommen, wobei dieser lediglich zur antepartualen Verwendung zugelassen ist, während der FIGO-Score sowohl ante- als auch subpartual zur CTG-Bewertung herangezogen werden kann [21]. Es scheint also auf diesem Themengebiet noch Aufklärungsbedarf zu bestehen. Computergestützte CTG-Auswertungen spielen bislang eine untergeordnete Rolle. Kritisch zu hinterfragen ist die von der DGGG gewährte Option, die Eintragung von Befunden, Anordnungen und Maßnahmen auf dem CTG-Streifen als Ersatz für Eintragungen im Partogramm zu verwenden [14]. Dieses Vorgehen würde eine Zerstückelung der Geburtsdokumentation an verschiedene Orte bedeuten, welche es gerade durch die zentrale Partogrammführung zu vermeiden gilt. Darüber hinaus erscheint der CTG-Streifen zur schnellen Übersichtsverschaffung nicht geeignet, da er im Geburtsverlauf leicht mehrere Meter bemessen kann. Das thermische Druckverfahren der handelsüblichen CTG-Geräte ist für das ausbleichen der CTG-Kurven verantwortlich. Eine digitale Aufzeichnung und Archivierung kann dazu beitragen, dass das CTG auch nach Jahren für z. B. gutachterliche Fragestel-

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Entwicklung eines Musterpartogramm Die Wahl und Gestaltung der Geburtsaufzeichnung bleibt letztendlich jeder Abteilung selbst vorbehalten und ist nicht zuletzt Geschmackssache. Für Geburtskliniken, die jedoch keine zeitund personalaufwendigen Neuentwicklungen und regelmäßige Anpassungen der Geburtsdokumentation vornehmen können oder wollen, stellen Mustervordrucke eine praktikable Lösung dar. Daher wird an dieser Stelle der Versuch unternommen, aus den gewonnenen Erkenntnissen ein Musterpartogramm zu entwickeln. ▶ Abb. 1 zeigt den Vorschlag für ein Musterpartogramm in der ● verkleinerten Übersicht. Um größtmöglichen Platz für Eintragungen, insbesondere für Freitextanmerkungen, zu bieten und trotzdem eine möglichst geburtsumfassende Zeitachse abzubilden, wurde als Format die 3-fache DIN A4-Blatt-Größe gewählt bzw. DIN A3 + DIN A4. Für Übersichtlichkeit sorgt eine vertikale optische Dokumentaufteilung in zum einen Geburtsfakten – wie Anamnese, Ultraschallbefund, U1 usw. – und zum anderen die tabellarisch-grafische fortlaufende Geburtsverlaufsdokumentation. In Anlehnung an den WHO-Partografen wird hier weiter unterteilt in Parameter von Kind und Mutter sowie die schriftliche Fixierung getätigter Maßnahmen. Als Konklusion aus Studien- und Literaturrechercheergebnissen gilt besonderes Augenmerk dem CTG-Feld, der Höhenstandsmessung sowohl nach DeLee als auch nach Hodge, dem Raum für mütterliches Befinden und Lagerung sowie dem großen Platzangebot für freitextliche Eintragungen. Eine Legende am oberen Bildrand gewährleistet einheitliche grafische Aufzeichnungen. Die Zeitachse kann sowohl absolut im Sinne einer Zeitstundeneinteilung als auch relativ mit Eintragungen pro Untersuchungsvorgang genutzt ▶ Abb. 2 zeigt vergrößert die einzelnen Parameter. werden. ●

Fazit für die Praxis



Geburtsdokumentation hat sowohl aus qualitativer wie auch forensischer Sicht einen hohen und steigenden Stellenwert. Deutschlandweit wird eine weitgehend angemessene Dokumentationspraxis gepflegt. Verbesserungspozentiale sind jedoch identifizierbar und werden in Form eines Musterpartogrammes in dieser Arbeit aufgegriffen.

Literatur 1 Leiner F, Gaus W, Haux R et al. Medizinische Dokumentation. 5. Auflage. Schattauer Verlag; Stuttgart: 2006; 1–10 2 Haas P. Medizinische Informationssysteme und elektronische Krankenakten. Springer Verlag; Berlin: 2005; 148–174 3 Berg D, Dokumentation. In Berg D, Ulsenheimer K., Hrsg. Patientensicherheit, Arzthaftung, Praxis- und Krankenhausorganisation. Springer Verlag; Berlin: 2006; 223–238 4 Braun von Reinersdorff A, Freude N, Heil U et al. Alleinstellungsmerkmale durch Qualitätsmanagement 2.0 – Wettbewerbs- und Patientenorientierung ist für die Geburtskliniken eine besondere Herausforderung. In: Strahlendorf P, Hrsg. Jahrbuch. Healthcare Marketing 2011. New Business Verlag; Hamburg: 2011; 85–89 5 Bundesärztekammer (BÄK). Tätigkeitsbericht der Bundesärztekammer. Entschließungen zum Tagesordnungspunkt V. Deutsches Ärzteblatt 2010; 107: A-1003/B-879/C-867 6 Gerst T. Arzthaftpflicht: System ohne Alternative. Deutsches Ärzteblatt 2010; 107: A-2088/B–1819/C-1791 7 Flintrop J, Korzilius H. Arzthaftpflicht: Der Schutz wird teurer. Deutsches Ärzteblatt 2010; 107: A-692/B-602/C-594 8 Ulsenheimer K. Forensik. In: Schneider H, Husslein P, Schneider KTM. Die Geburtshilfe. 3. Auflage. Springer Verlag; Berlin: 2010; 1065–1083 9 Berg D, Ulsenheimer K. Vorwort. In: Berg D, Ulsenheimer K, Hrsg. Patientensicherheit, Arzthaftung, Praxis- und Krankenhausorganisation. Springer Verlag; Berlin: V–VI 10 World Health Organization (WHO). Preventing prolonged labour: a practical guide. The partograph. Maternal health and safe motherhood programme. Geneva: 1993 WHO document WHO/FHE/MSM/93.8 11 World Health Organization (WHO). The application of the WHO partograph in the management of labour. Report of a WHO multicentre study 1990–91. Maternal health and safe motherhood programme. Geneva: 1994 WHO document WHO/FHE/MSM/94.4 12 World Health Organization (WHO) (1994b). World Health Organization partograph in the management of labour. Lancet. 1994; 1399–1404 13 Helms G, Perl FM. Die normale Geburt. In: Beckermann MJ, Perl F, Hrsg. Frauen-Heilkunde und Geburts-Hilfe. Integration von Evidence-Based Medicine in eine frauenzentrierte Gynäkologie. Schwabe Verlag; Basel: 2004; 1256–1262 14 Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG), Arbeitsgemeinschaft Medizinrecht (AG MedR). überarbeitete Fassung von 1997. Empfehlungen zur Dokumentation der Geburt – Das Partogramm 2008: AWMF 015/017 (S1) 15 Eden KB, Messina R, Li H et al. Examining the value of electronic health records on labor and delivery. AJOG 2008; 199: 307 16 Meilwes M. Dokumentation als Hilfsmittel. In: Holzer E, Thomeczek C, Hauke E, Conen D, Hochreutener M-A, Hrsg. Patientensicherheit – Leitfaden für den Umgang mit Risiken im Gesundheitswesen. Facultas Universitätsverlag; Wien: 2005; 83–86 17 Haas P. Medizinische Informationssysteme und elektronische Krankenakten. Springer Verlag; Berlin: 2005; 148–174 18 Breckwoldt M, Schneider H. Überwachung und Leitung der Geburt. In Breckwoldt M, Kaufmann M, Pfleiderer A. Gynäkologie und Geburtshilfe. 5. Auflage. Thieme Verlag; Stuttgart: 2008; 422–436 19 Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG). überarbeitete Fassung von 2000. Vaginal-operative Entbindungen. AWMF 2007: 015/023 (S1) 20 Sandin-Bojö AK, Larsson BW, Axelsson O et al. Intrapartal care documented in a Swedish maternity unit and considered in relation to World Health Organization recommendations for care in normal birth. Midwifery 2006; 22: 207–217 21 Schneider KTM, Gnirs J. Antepartale Überwachung. In: Schneider H, Husslein P, Schneider KTM. Die Geburtshilfe. 3. Auflage. Springer Verlag; Berlin: 2006; 561–590 22 Breckwoldt M, Pfleiderer A. Regelhafte Geburt. In: Breckwoldt M, Kaufmann M, Pfleiderer A. Gynäkologie und Geburtshilfe. 5. Auflage. Thieme Verlag; Stuttgart: 2008; 412–421

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lungen zu verwerten ist. Die heutige Praxis, dass CTG-Streifen erst gedruckt und später eingescannt und archiviert werden kann das Problem des ausgeblichenen Thermopapiers nicht lösen. Die Dokumentation einer etwaigen Durchführung und Auswertung einer MBU wird in der DGGG-Leitlinie zwar nicht explizit gefordert, erscheint aber aufgrund der Teilnehmer-Antworten und der Relevanz für geburtshilfliche Entscheidungen sinnvoll. Von vielen Teilnehmern ( > 77 %) werden die vorgeschlagenen Parameter der Eckdaten der Geburt erfasst. In der DGGG-Leitlinie bleibt die Nachgeburtsperiode im Detail unbehandelt. Diese Phase gehört jedoch definitionsgemäß zur Geburt dazu [22], wodurch aus diesem Blickwinkel die Erfassung der Nachgeburtsparameter komplettierend und sinnvoll erscheint. In nahezu sämtlichen befragten Abteilungen werden Daten zum Neugeborenen auf dem Partogramm festgehalten, deckungsgleich zur Leitlinie [14]. Ebenso Leitliniengerecht und besonders im Hinblick auf die haftungsrechtliche Relevanz von Bedeutung, findet überwiegend eine Dokumentation der Namen der Geburtsleitenden statt. Eine Standardisierung der medizinischen Dokumentation ist vor dem Literaturhintergrund wünschenswert, solange nicht die Informationsqualität darunter leidet [1, 2]. In der Geburtshilfe wird eine hohe Transparenz und Effizienz durch Ärzte, Patienten, Qualitätssicherung usw. eingefordert, sodass der Grad der Standardisierung relativ hoch angesiedelt sein sollte. Demgegenüber darf nicht die Spezifität und der individuelle Spielraum außer Acht gelassen werden. So ist es, wie es der Großteil der Teilnehmer praktiziert, empfehlenswert, Raum für freitextliche Anmerkungen im Partogramm vorzusehen.

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Abb. 1 Partogramm in der Übersicht.

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Abb. 2 Parameter im Partogramm.

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Condensed Content  Content

Requirements and Current State of Birth Documentation in Germany Moderne Anforderungen und derzeitiger Standard in der Geburtsdokumentation in Deutschland S. Schiermeier1, N. Syllwasschy1, KG. Noé2, W. Hatzmann1, J. Reinhard3 1

 Gynäkologie und Geburtshilfe der Universität Witten / Herdecke, Marien-Hospital Witten, Witten, Germany  Frauenklinik, Kreiskrankenhaus, Dormagen, Germany 3  Frauenklinik, St. Marienkrankenhaus Frankfurt, Frankfurt, Germany

Background: Partogram is a central record in everyday practise for midwifes and obstetricians, however so far there is no standardised partogram in use in Germany. This study explores the current requirements and develops a standardised partogram.

Discussion: Most hospitals use a partogram by midwifes and obstetricians, which stress the importance of a communicative instrument (1) and reducing multiple entries (16) as well as reducing conflicting documentation errors (14), which might have legal implications. Currently, paper based documentation is still the norm; however electronic documentation systems are introduced and might become the gold standard in the future (17). Conclusion: There is a need for optimising the current birth documentation. With the results of the questionnaire a standardised model for a partogram was developed.

large fontanelle:

Acc

Dec

Band

Base

Acc

Dec

assessment

Band

Base

CTG - FIGO norm./susp./path. Overall (N/S/P)

Gestation age: …..… ED: Allergy: ……………

FBS

…………….

Level

Risks / specific characteristics e.g. previous C-section:

Cervix

USRE -4

Blood group: .....

10 9

Child

Medical history

Gravida: …………… Para: …………….

-2

8 7

ISE ±0

6 5

+2

4 3

Ultrasound

BB +4 Fetal lie: ………...

2 1

Weight:………....g

Head-C:.…………...cm Abd.-C:..……….cm Placenta:…………........................................

Contractions

Anomaly:……………………………… Date Admission:

Course of birth

.…………

Cervix

Time

Condition/

………….

Conduct/

Start of contractions: .………… ………….

Position of the

Rupture of the membranes:.……………….

pregnant women

Cervix fully dilated: .…………

BP / pulse / temperature

Active 2

nd

stage: .…………

Time of birth:

.…………

Time of placenta: .………… Placenta complete:

…………. …………. ………….

Analgesia /

………….

medication/

yes / no

infusion

Child position: ………………………. Birth injuries: ……………………… Suture:………………………………….

Gender: m / f

length:………….…..cm

Weight:………….g Head-C:…….…….…cm APGAR:.…..………. pH:…… BE:…...mmol/l

Information to obstetrician (I) and

Procedures

Results: 49 obstetricians (51.6 %) and 24 midwifes (25.3 %) returned the questionnaires. Around 60 % of responders had a birth rate of over 1000 births per year. Since obstetricians’ replies were congruent with midwifes’ replies further evaluation were only based on obstetricians’ replies to prevent a distortion of the results if both obstetricians and midwifes answered from the same hospital. 80 % of those regularly cooperate with the other specialty with a partogram. A standardised partogram was used in 75 %, however 8 % only used an empty page and 6 % were using a computerised obstetric records. Most responders are using parameters, which are defined in the current guidelines of the German Society of Obstetrics and Gynaecology. Variations were especially pronounced in the scoring system of the cardiotocogram and on legal issues. Room for improvement of the current documentation was stated in half of the cases.

small fontanelle:

Sig. midwife /doc Patient tag

Newborn

Materials and methods: In Germany 95 hospitals with a focus on tertiary referral centres were randomly selected to be questioned. Obstetricians and midwifes were asked to answer a questionnaire, which was based on a current literature search and expert interviews.

Figure:

Date / time

- presence (P)

Anomaly / procedures: Further obstetrical Education:

procedures / comments

Midwife: Obstetrician:

Abbreviations: ED = Expected date of delivery; C = Circumference; M = male; F = female; Sig. = Signature; doc = doctor / obstetrician; base = baseline; band = bandwidth; dec = deceleration; acc = acceleration; N= norm = normal, S = susp = suspect, P = path = pathological; FBS = fetal blood sample; BP = blood pressure

Fig. 1  Proposal for a partogram.

This condensed content relates to a full article published in „Zeitschrift für Geburtshilfe und Neonatologie“. Please quote the original publication as follows: Z Geburtshilfe Neonatol 2014; 218(03): 106–112; DOI: 10.1055/s-0034-1374634.

Z Geburtsh Neonatol 2014; 218

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2

asyn

[Requirements and current state of birth documentation in Germany].

The partogram is a central record in everyday practice for midwifes and obstetricians. For legal enquiries it is one of the most important documents, ...
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