Originalarbeit

Relevanz von MRSA auf einer viszeralchirurgischen Intensivstation Relevance of MRSA on a Visceral Surgical Intensive Care Unit

Autoren

S. Utzolino 1, P. Baier 2, H. Riediger 3, S. Rösch 1, U. T. Hopt 1

Institute

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Schlüsselwörter " Abdominalchirurgie l " Infektion l " Intensivmedizin l " Prognosefaktor l Key words " abdominal surgery l " infection l " intensive medicine l " prognosis factor l

Bibliografie DOI http://dx.doi.org/ 10.1055/s-0034-1368394 Online-publiziert Zentralbl Chir © Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York · ISSN 0044‑409X Korrespondenzadresse Stefan Utzolino, MD Klinik für Allgemein- und Viszeralchirurgie Universitätsklinikum Freiburg Hugstetter Straße 55 79106 Freiburg Deutschland Tel.: 07 61/2 70 25 90 Fax: 07 61/2 70 26 16 stefan.utzolino@ uniklinik-freiburg.de

Klinik für Allgemein- und Viszeralchirurgie, Universitätsklinikum Freiburg, Deutschland Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Gefäßchirurgie, Caritas-Krankenhaus, Bad Mergentheim, Deutschland Visceral- und Gefäßchirurgie, Vivantes Humboldt-Klinikum, Berlin, Deutschland

Zusammenfassung

Abstract

!

!

Hintergrund: Antibiotikaresistente Erreger werden weltweit ein immer größeres Problem. Das Paradebeispiel ist der Methicillin-resistente Staphylococcus aureus, MRSA. Welche Rolle spielt er tatsächlich auf einer viszeralchirurgischen Intensivstation? Patienten/Material und Methoden: In einem 7Jahres-Zeitraum wurden auf einer 20-Betten-, rein chirurgischen Intensiv-/Intermediate-CareStation insgesamt 14 976 Patienten behandelt. Nur 98 MRSA-positive Patienten wurden identifiziert, davon waren 56 Patienten (57%) nur kolonisiert, 42 (43 %) hatten eine MRSA-Infektion. 56 Matched Pairs ohne MRSA-Nachweis bildeten die Kontrollgruppe. Ergebnisse: Patienten mit MRSA-Infektion hatten eine erhöhte Letalität (OR 4,18; p = 0,002), aber nur 4 von 20 starben an der MRSA-Infektion. Patienten mit APACHE-2-Score > 20 waren eher MRSA-positiv als Patienten mit einem Score < 20 (OR 3,08; p = 0,04), aber ein APACHE-2-Score > 20 war kein Risikofaktor für eine MRSA-Infektion (OR 1,03; p = 0,95). Patienten mit MRSA-Kolonisation hatten keine höhere Letalität als solche ohne. Schlussfolgerung: Die Erkrankungsschwere war entscheidend für die Prognose, nicht der MRSANachweis. Patienten starben mit, aber selten an einer MRSA-Infektion/-Kolonisation.

Background: Resistance to antibiotics is a worldwide increasing problem. A well-known example is methicillin resistant Staphylococcus aureus, MRSA. What is the relevance of MRSA on a surgical ICU? Patients/Material and Methods: On a 20 bed academic SICU/intermediate care ward 14,976 patients were treated in a seven-year period. We identified only 98 MRSA-positive patients. 56 (57%) of them were merely colonised, 42 (43 %) suffered from an MRSA infection. A control group comprised 56 similar patients without MRSA detection. Results: Patients with MRSA infection had a higher mortality rate (OR 4.18; p = 0.002), but only 4 out of 20 patients died due to the MRSA infection. APACHE 2 score of more than 20 was predictive for being colonised with MRSA (OR 3.08; p = 0.04), but it was not a risk factor for developing an MRSA infection (OR 1.03; p = 0.95). Patients with MRSA colonisation did not have a higher mortality rate than patients without. Conclusion: Outcome depended on severity of the disease, but not on the MRSA colonisation status. Patients with MRSA infection were more likely to die, but the reason of death rarely was MRSA.

Einleitung

Um auf lokaler Ebene angemessene Maßnahmen ergreifen zu können, ist zunächst einmal eine Bestandsaufnahme notwendig. In dieser Arbeit geht es ausschließlich um den bekanntesten „Hospitalkeim“ MRSA, für den weltweit auch zuerst infektionspräventive Aktionen erfolgten. Während deutschlandweit die MRSA-Rate (der Anteil von MRSA an allen Staphylococcus-aureus-Nachweisen in klinischen Materialien) in den letzten Jahren konstant bei etwas über 20 %

!

In der öffentlichen Diskussion spielen „Krankenhausinfektionen“, insbesondere mit multiresistenten Erregern (MRE), eine zunehmende Rolle. In Deutschland wurden mit Beschluss der 79. Gesundheitsministerkonferenz 2009 MRE-Netzwerke auf Landesebene ins Leben gerufen mit dem Ziel, die Verbreitung antibiotikaresistenter Bakterien einzudämmen.

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liegt [1], beträgt die MRSA-Rate am Universitätsklinikum Freiburg 11%, ebenfalls über die Jahre konstant. Unter „MRSA-Rate“ wird häufig fälschlich der Anteil an den Infektionen in einem betrachteten Raum verstanden. Korrekt gibt sie hingegen den Anteil an allen Staphylococcus-aureus-Nachweisen wieder. Auf einer viszeralchirurgischen Station spielen Staphylokokken jedoch nur eine untergeordnete Rolle, der bei Weitem überwiegende Anteil der Infektionen ist durch gramnegative Bakterien und Enterokokken bedingt. Im Beobachtungszeitraum waren 7% der Infektionen auf unserer Station durch Staphylococcus aureus verursacht. Wir stellten uns die Frage, welche Bedeutung MRSA auf unserer kombinierten Intensiv-/Intermediate-Care-Station mit vorwiegend viszeralchirurgischen Patienten haben.

löchern, beiden Achseln und beiden Leisten (alternativ perineal) entnommen, sodass insgesamt 3 Tupfer untersucht werden. Bei chronischen Wunden und Dekubitus wird auch von dort eine Probe entnommen. Das Routinescreening erfolgt ausschließlich via Kultur, nicht via PCR. Von den 14 976 nach den o. g. Kriterien gescreenten Patienten wiesen nur 98 ein positives Screeningergebnis auf. MRSA-positive Patienten wurden auf unserer Station bis Ende 2002 im Einzelzimmer, ab 2003 nur auf dem Bettplatz isoliert. Es gilt Kittel-, Handschuh- und Mundschutzpflicht. Verbrauchsmaterial wird von anderen Patienten getrennt verwahrt und bei Verlegung des MRSA-Patienten soweit möglich mitgegeben, ansonsten verworfen. Kohortenisolierung wird selten praktiziert. Alle Patienten unserer Station unabhängig vom MRSA-Status werden täglich mit Octenidin-Waschlösung gewaschen. Der Pflegeschlüssel beträgt 1 : 4 im Intermediate-Care-Bereich und 1 : 2 im Intensivbereich. Im Beobachtungszeitraum traten zu > 95 % der süddeutsche MRSA-Epidemiestamm ST228 und der Barnim-Epidemiestamm ST22 auf. Diese weisen in ca. 1% eine Mupirocin-Resistenz auf. CA-MRSA (community acquired) und LA-MRSA (livestock associated), die als besonders virulent gelten, spielten keine Rolle. Die gesamte Erhebung erfolgte retrospektiv aus der elektronischen bzw. gescannten Krankenakte. Die Erfassung der MRSANachweise erfolgte über die Datenbank des lokalen Instituts für Mikrobiologie und ist komplett. Die Gruppe mit positivem Screening wurde unterteilt in Patienten mit MRSA-Infektion und solche mit lediglich Kolonisation. Zur Kolonisationsgruppe wurden MRSA-negative Matched Pairs gebildet, die im gleichen Zeitraum auf unserer Station behandelt wurden und ein negatives Screening aufwiesen. Match-Kriterien waren Alter, Geschlecht und Aufenthaltszeitraum auf der Intensivstation.

Methoden

Ergebnisse

!

!

Auf unserer 20-Betten-Intensiv-/Intermediate-Care-Station (8 Beatmungplätze, 12 Überwachungsbetten) wurden im Zeitraum vom 01. 01. 2000 bis zum 31. 12. 2006 insgesamt 14 976 Patienten behandelt. Mehrfach aufgenommene Patienten wurden für diese Analyse nur 1-mal gezählt. Der Schwerpunkt liegt auf der Viszeralchirurgie, außerdem werden Patienten der Traumatologie/Orthopädie, der plastischen Chirurgie und der Urologie betreut. Das Aufnahmescreening auf der Station erfolgt nicht bei allen Patienten, sondern gemäß der Empfehlung der lokalen Hygienekommission bei folgenden Risikogruppen: " alle Patienten, die älter als 60 Jahre sind " Patienten, die von anderen Kliniken verlegt wurden " Patienten von externen Intensivstationen " ausländische Patienten " Patienten mit längerem (> 1 Woche) und wiederholtem Krankenhausaufenthalt " chronische Dialysepatienten " frühere MRSA-Patienten " Patienten mit chronischen Hautläsionen und Wunden " Patienten aus Einrichtungen mit bekanntem MRSA-Problem " Patienten mit vorausgegangener Antibiotikatherapie (> 2 Wochen durchgeführte Therapie mit einem Breitspektrumantibiotikum) " alle Transplantpatienten. Für die Durchführung wird jeweils mit einem sterilen, mit 0,9 % igem NaCl angefeuchteten Tupfer ein Abstrich von beiden Nasen-

Von den 98 MRSA-positiven Patienten waren 56 Patienten (57%) kolonisiert und 42 (43 %) wiesen eine MRSA-Infektion auf. " Abb. 1 zeigt das Flussdiagramm zur Identifizierung der MRSAl positiven Patienten. Die 56 besiedelten Patienten hatten im Mittel ein Alter von 67,2 Jahren (± 14,9). Der Median lag bei 70 Jahren. Bei den 42 mit MRSA infizierten Patienten betrug das Alter im Mittel 60,8 Jahre (± 15,6). Von den 98 Patienten verstarben 30 (31%) auf der Intensivstation. Davon waren 10 Patienten besiedelt und 20 infiziert. Es verstarben zwar 20 von 42 infizierten Patienten, jedoch starben nur 4 Patienten an einer MRSA-Infektion. Bei den restlichen 16 verstorbenen Patienten lag eine andere Todesursache vor. Patienten, die eine MRSA-Infektion entwickelten, hatten im Vergleich zu nur kolonisierten Patienten eine signifikant erhöhte Sterblichkeit (OR: 4,18; 95 %-KI: 1,67–10,42; p = 0,002). Den Fokus der MRSA" Tab. 1. Infektion in Beziehung zum klinischen Outcome zeigt l Die Verteilung der MRSA-infizierten respektive -besiedelten Patienten auf die verschiedenen chirurgischen Disziplinen unterschied sich nicht und spiegelt das durchschnittliche Spektrum unserer Station wider. Unter den 42 MRSA-infizierten Patienten fanden sich 22 (36 %) positive Befunde aus dem Trachealsekret, 18 (30 %) Wundabstriche waren positiv, 10-mal (16%) waren Blutkulturen positiv, 4mal (7 %) fanden sich MRSA in Knochenabstrichen sowie 7 (12%) sonstige.

Abb. 1 Flussdiagramm der untersuchten Patienten. MRSA: Methicillin-resistenter Staphylococcus aureus; MSSA: Methicillin-sensibler Staphylococcus aureus. Prozentangaben bezogen auf das Gesamtkollektiv.

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Infektionsort Pneumonie Wundinfekt Osteomyelitis Blutkultur Peritonitis

n = 19 n=8 n=6 n=5 n=5

Tab. 2 APACHE-2-Score der MRSA-kolonisierten und der -infizierten Patienten.

entlassen

verstorben

7 6 4 2 4

12 2 2 3 1

Unter den 20 verstorbenen Patienten mit einer MRSA-Infektion lag bei 9 eine abdominale Todesursache vor, 3 Patienten starben an einer Pneumonie, bei 4 Patienten lag eine sonstige Todesursache zugrunde. 4 Patienten verstarben infolge der MRSA-Infektion (3 an einer Pneumonie, 1 an Sepsis durch Gelenkempyeme). Der APACHE-2-Score bei Aufnahme auf die Intensivstation unterschied sich zwischen der Gruppe der kolonisierten und der " Tab. 2). MRSA-infizierten Patienten nicht (l Drei der 4 an einer MRSA-Infektion verstorbenen Patienten hatten einen APACHE-2-Score > 20. 80 % der (aus unterschiedlichen Gründen) verstorbenen Patienten mit MRSA-Infektion (16/20) wiesen einen APACHE-2-Score > 20 auf. In unserem Gesamtkollektiv waren Patienten mit einem APACHE-2-Score > 20 eher mit MRSA besiedelt oder infiziert als Patienten mit einem Score < 20 (OR: 3,08; 95%-KI: 1,02–9,34; p = 0,04). Ein hoher APACHE-Score (≥ 20) stellte keinen signifikanten Risikofaktor für das Auftreten einer MRSA-Infektion dar (OR: 1,03; 95 %-KI: 0,4–2,65; p = 0,95). Ein hoher APACHE-Score (≥ 20) bedeutete auch kein erhöhtes Risiko für eine MRSA-bedingte Todesursache (OR: 5; 95 %-KI: 0,42–59,66; p = 0,18). Patienten aus der Viszeralchirurgie hatten kein höheres Risiko für eine Besiedelung mit MRSA als Patienten aus der Traumatologie (OR: 0,83; 95%-KI: 0,33–2,05; p = 0,68). Ebenso hatten Patienten aus der Viszeralchirurgie kein höheres Risiko zu versterben (OR: 1,61; 95 %-KI: 0,55–4,68; p = 0,38). Als Kontrollgruppe wurden zu den kolonisierten Patienten nach Alter und Geschlecht Matched Pairs aus konsekutiven Patienten des Gesamtkollektivs gebildet. In der Matched-Pair-Analyse fand sich keine erhöhte Letalität bei den Patienten mit MRSA-Nach" Tab. 3). Der weis im Vergleich zu MRSA-freien Patienten (l APACHE-2-Score war tendenziell, aber nicht signifikant höher in der MRSA-Gruppe.

Diskussion !

Durch das Aufnahmescreening wurden in einem 7-Jahre-Intervall auf unserer kombinierten chirurgischen Intensiv- und Intermediate-Care-Station bei einem Gesamtdurchsatz von 14 976 Patienten lediglich 98 MRSA-Träger identifiziert. Das entspricht einer MRSA-Inzidenz von 0,7 pro 100 Patienten. Dies ist vergleichbar mit den Daten des Krankenhaus-Infektions-Surveillance-Systems (KISS) [1]. Hier fand sich 2011 in deutschen Akutkrankenhäusern eine MRSA-Inzidenz von 0,89%. Die gefundene Inzidenz passt zu der lokal niedrigeren MRSA-Rate im Vergleich zum deutschen Durchschnitt. Während in manchen Regionen der Welt, vor allem den USA, unter den Staphylococcus-aureusInfektionen MRSA schon eher die Regel ist, liegt in anderen Ländern, besonders den skandinavischen und den Niederlanden, die MRSA-Rate zwischen 1 und 2 % [2]. Auch in Deutschland gibt es große regionale Unterschiede. Die durchschnittliche MRSA-Rate in Deutschland beträgt seit Jahren konstant ca. 20%, während sie

APACHE 2

Mittelwert

Gesamt (98) Besiedelung (56) Infektion (42)

15,2 (± 6,5) 14,8 (± 6,4) 15,8 (± 6,7)

Tab. 3 Patientengruppe ohne MRSA-Nachweis im Vergleich zu MRSA-Kolonisation.

Alter, mittel Anteil weiblich Viszeralchirurgie Orthopädie verstorben n (%) APACHE 2

MRSA-Kolonisation,

Matched Pairs ohne

n = 56

Kolonisation, n = 56

67 Jahre 41% 63% 23% 10 (18%) 14,8 (± 6,4)

67 Jahre 41% 70% 21% 9 (16%) 11,7 (± 5,9)

an unserer Klinik im Untersuchungszeitraum 11 % und im Jahr 2013 nur noch 6,7% betrug. In der Öffentlichkeit sind MRSA als Prototyp der multiresistenten Erreger von großem Interesse. In unserem Setting sind MRSA offensichtlich quantitativ von eingeschränkter Bedeutung. Wir gehen davon aus, dass wir alle Infektionen erfasst haben, da in einem solchen Fall ja eine intensive, auch mikrobiologische Fokussuche betrieben wird. Durch unser eingeschränktes Screening, das sich nur auf Risikopatienten beschränkt, sind uns vermutlich einige Besiedelungen entgangen. Da diese nun offenbar nicht zu Infektionen geführt haben und De-novo-MRSA-Infektionen auch kein Problem darstellten, scheint sich unser gezieltes Screeningprogramm zu bewähren. Es entspricht den Empfehlungen des Robert Koch-Instituts (RKI) [3]. Bei unseren Patienten war eine Besiedelung mit MRSA kein Prädiktor dafür, eine Infektion zu erwerben. Diese Beobachtung steht im Einklang mit anderen Studien an Intensivpatienten [4] und an chirurgischen Patienten [5]. Andere Autoren fanden jedoch weniger MRSA-Infektionen, wenn krankenhausweit ein Screening von Risikopatienten erfolgte [6]. Ein höherer APACHE2-Score war mit dem Nachweis von MRSA assoziiert. Das verwundert nicht, da MRSA allgemein bei schwerer Kranken häufiger nachgewiesen werden. Bei unseren Patienten war unter den MRSA-positiven ein höherer APACHE-2-Score nicht prädiktiv für das Auftreten einer MRSA-Infektion. Um für unsere retrospektive Analyse eine Vergleichsgruppe zu etablieren, haben wir zu den MRSA-kolonisierten Patienten Matched Pairs gebildet ohne Kolonisation. Es fand sich kein Unterschied in der Letalität. Auch andere Untersucher fanden keine erhöhte Letalität bei MRSA-Kolonisation selbst bei beatmeten Intensivpatienten [4]. Es stellt sich vor dem Hintergrund der geringen klinischen Relevanz die Frage nach dem Sinn eines MRSA-Screenings überhaupt. MRSA-Screening mit Isolation bei positivem Befund ist kostenträchtig: Zu den direkten Kosten der Abstriche kommen die Kosten des Materials, das verworfen werden muss, wenn ein bisher nicht erkannter Patient sich als MRSA-positiv herausstellt, und die Kosten der Isolierungsmaßnahmen. Isolierung bedeutet in der Regel eine Bettensperrung und damit Verminderung der Intensivkapazität für andere Patienten [7]. Insbesondere Letzteres ist ein gravierender Kostenfaktor, da nicht belegbare Intensivbet-

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Tab. 1 Outcome der 42 Patienten mit MRSA-Infektion.

ten zu einer Verminderung der Operationskapazität führen und Operationen die Einnahmequelle chirurgischer Kliniken darstellen. In einem exemplarischen Jahr aus dem Beobachtungszeitraum waren auf unserer Station an 140 Tagen im Mittel 1,2 (± 0,4) Betten aufgrund von MRSA nicht belegbar. Insgesamt waren es 165 Bettentage, die im Jahreszeitraum aufgrund von MRSA nicht nutzbar waren [8]. Besonders fatal ist aus ärztlicher Sicht das Vorenthalten von Intensivtherapie durch nicht belegbare Betten – bei permanentem Bettenmangel auf der Intensivstation. Auf unserer Station konnten 35 % aller geplanten Aufnahmen aus Bettenmangel nicht stattfinden [8]. Einen erheblichen Anteil daran haben Sperrbetten wegen MRSA. In Anbetracht der geringen Inzidenz von MRSA und der in dieser Untersuchung gezeigten fehlenden klinischen Relevanz muss die Frage erlaubt sein, ob das zu rechtfertigen ist. Wir haben deshalb die Bettplatzisolierung ohne Bettensperrung als Regel etabliert. Es ist wünschenswert, bei einem individuellen Patienten den MRSA-Status zu kennen: Dies ermöglicht eine gezielte frühe Therapie im Falle einer später auftretenden Infektion. Von dieser Warte aus hatte das Screening einen positiven Effekt auf das Outcome von MRSA-Infektionen – im Gegensatz zu Barrieremaßnahmen [9]. Allgemein gibt es starke Argumente für ein systematisches mikrobiologisches Langzeitmonitoring, um Resistenzen auf der Station und bei individuellen Patienten zu erfassen [10, 11]. Die strikte Isolierung von MRSA-besiedelten Patienten, wie sie vielerorts und auch an unserem Haus praktiziert wird, führt wahrscheinlich tatsächlich zu einer Verminderung der Übertragung von MRSA [12–14]. Nur wo ist die Relevanz, wenn die Kolonisation mit MRSA gar kein Prädiktor für ein ungünstiges Outcome ist? Wir haben die Problematik der Isolierungsmaßnahmen bereits zuvor im Zentralblatt diskutiert [15]. Es gibt auf der anderen Seite ausreichend Daten, die klar belegen, dass eine MRSA-Infektion eine schlechtere Prognose hat als eine Infektion mit Oxacillin-sensiblem Staphylococcus aureus [16]. Die Ursache ist nicht ganz klar: Diskutiert werden vor allem die schlechtere Wirksamkeit des klassischen MRSA-Antibiotikums Vancomycin auch auf MSSA im Vergleich zu β-Lactamen [17] und die wegen Resistenz auf das primär gewählte Antibiotikum häufig verzögerte wirksame Therapie. Allerdings sind Infektionen mit Oxacillin-sensiblem Staphylococcus aureus ebenso wenig wünschenswert. Ganz allgemein ist die Übertragung von Keimen von Patient zu Patient durch das Personal ein häufiger Infektionsweg bei nosokomialen Infektionen, ganz gleich, ob die Keime nun multiresistent sind oder nicht. Unterbunden werden könnte dies nur durch konsequente Isolierung aller Patienten – eine auf den meisten Intensivstationen nicht umsetzbare Maßnahme. Es ist anerkannt, dass konsequente Personalschulung und Händedesinfektion die Ausbreitung von MRSA genauso effektiv hemmt wie die Isolierung [18]. Auch das DIMDI (Deutsches Institut für medizinische Dokumentation und Information) kommt in einer Stellungnahme 2010 zu diesem Ergebnis [19]. Gleichwohl gelten Isolierungsmaßnahmen nach wie vor als Standard [20]. Eine rezente Arbeit aus den USA an über 74 000 Intensivpatienten wies nach, dass eine universelle Dekontamination effektiver ist als Screening mit dann gezielter MRSA-Eradikation – hauptsächlich, weil weniger Infektionen mit anderen Keimen als MRSA auftraten [21]. In Anbetracht der Vielzahl der MRSA-wirksamen Antibiotika einschließlich potenter Neuentwicklungen (neben Vancomycin und Teicoplanin stehen zur Verfügung Linezolid, Daptomycin, Tigecyclin, Ceftarolin, in einigen Ländern Ceftobiprol, Quinupristin/Dalfopristin und Telavancin und je nach Resistenz und Fokus Cotri-

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moxazol, Minocyclin, Clindamycin, Rifampicin und weitere) fragt sich, ob der Fokus auf MRSA heute noch gerechtfertigt ist. Allerdings gelten viele der genannten Substanzen zu Recht als Reserveantibiotika, aus mikrobiologischen und aus Kostengründen. Bedrohlicher sind in der Entwicklung der letzten Jahre multiresistente gramnegative Erreger, weil hier u. U. tatsächlich kaum noch antibiotische Behandlungsoptionen bestehen [22]. Dass MRSA-Infektionen „schwierig zu behandeln“ seien, lässt sich heute kaum noch behaupten. Allein bei Patienten im septischen Schock, bei denen die korrekte Initialtherapie von entscheidender Bedeutung ist [23], kann es ein Problem geben, wenn MRSA im Spektrum der gewählten Initialtherapie nicht enthalten sind. Insgesamt hat sich das Spektrum multiresistenter Erreger in den letzten Jahren deutlich von den grampositiven (einschließlich der in Deutschland abnehmenden Prävalenz von Vancomycin-resistenten Enterokokken, VRE) zu den gramnegativen Keimen hin verschoben [1]. In einer Übersichtsarbeit mit Daten aus dem deutschen Krankenhaus-Infektions-Surveillance-System (KISS) konstatieren Geffers und Gastmeier, dass es heute während eines Krankenhausaufenthalts häufiger zur nosokomialen Clostridiumdifficile-Diarrhö kommt als zum Neuerwerb eines MRSA [24]. Limitationen dieser Untersuchung sind das retrospektive Design, die Tatsache, dass nicht alle Patienten gescreent wurden und die insgesamt niedrige Inzidenz von MRSA auf unserer Station. Letzteres führt zu einer sehr niedrigen Zahl von MRSA-Patienten (98 in einem 7-Jahres-Zeitraum) mit entsprechend eingeschränkter statistischer Aussagekraft. Die Inzidenz spiegelt die allgemeine Häufigkeit des MRSA-Auftretens in Südbaden wider. Das Screening entspricht den RKI-Empfehlungen. Aus dem gleichen Grund ist die Aussagekraft der Matched-Pair-Analyse deutlich eingeschränkt. Daten aus dem Gesamtkollektiv der 14 976 Patienten standen nicht zur Verfügung, sodass eine Analyse der Risikofaktoren für den Erwerb einer MRSA-Infektion bzw. ‑Kolonisierung nicht möglich war.

Schlussfolgerung !

Die Erkrankungsschwere ist entscheidend für die Prognose, nicht der MRSA-Nachweis. Patienten starben mit, aber selten an einer MRSA-Infektion/Kolonisation. Unsere Daten legen nahe, für Regionen mit geringer MRSA-Inzidenz und im Rahmen lokal adaptierter Gesamtkonzepte weiterhin ein Screening für definierte Risikogruppen durchzuführen, jedoch die Isolation besiedelter Patienten aufzugeben. Dies hätte eine erhebliche Einsparung von Ressourcen ohne Verschlechterung der Prognose individueller Patienten zur Folge. Die Kenntnis des MRSA-Status dient dann der kalkulierten antibiotischen Therapie im Falle einer neu auftretenden Infektion. Es müssen alle Anstrengungen unternommen werden, durch konsequente Händedesinfektion, Personalschulung in Hygienemaßnahmen und ggf. Patientendekontamination die Übertragung gleich welcher Keime von Patient zu Patient zu unterbinden.

Interessenkonflikt: Nein Literatur 1 Robert Koch-Institut. Antibiotika-Resistenz-Surveillance. Im Internet: https://ars.rki.de/CommonReports/Resistenzentwicklung.aspx, Stand: 01. 03. 2014 2 European Centre for Disease Prevention and Control. Antimicrobial resistance surveillance in Europe 2012. Annual Report of the European Antimicrobial Resistance Surveillance Network (EARS‑Net). Im Inter-

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