126 Originalarbeit

Zusammenhang von motorischer Gleichgewichtsfähigkeit und psychischen Faktoren

Autoren

Elisabeth Johanna Grub1, Georg Wydra1, Volker Köllner2

Institute

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Schlüsselwörter ▶ motorisches Gleichgewicht ● ▶ Selbstwert ● ▶ Angst ● ▶ psychosomatische Rehabili● tation ▶ Körperpsychotherapie ●

Zusammenfassung

Abstract

Ziel der Studie:  Ziel der vorliegenden Studie war es, den Zusammenhang zwischen motorischem Gleichgewicht und psychischen Faktoren zu untersuchen, wobei sowohl sportmotorische Tests als auch Selbsteinschätzungen der Patienten einbezogen wurden. Methodik:  118 Patienten einer psychosomatischen Rehabilitationsklinik wurden zu Beginn und am Ende ihres Rehabilitationsaufenthaltes mit verschiedenen motorischen Tests hinsichtlich ihres Gleichgewichts untersucht. Parallel wurden psychologische Variablen wie Selbstwert sowie die Schwere von Angst- und depressiven Symptomen erhoben. Zur subjektiven Selbsteinschätzung wurde eine numerische Analogskala zur Einschätzung körperlichen und psychischen Gleichgewichts eingesetzt sowie ein offener Fragebogen zu deren Zusammenhang, der inhalts-analytisch ausgewertet wurde. Ergebnisse: Geringe bis mittlere Korrela­ tionen zwischen der Selbstwertschätzung und dem Gleichgewicht zeigen sich vor allem im Bereich der körperlichen Selbstwertschätzung, insbesondere der der Sportlichkeit. Hinsichtlich der Symptombelastung durch Angst oder Depression und dem Gleichgewicht konnten bis auf eine Ausnahme keine signifikanten Zusammenhänge gefunden werden. In den offenen Fragen beschrieben die Patienten mehrheitlich ausgeprägte Zusammenhänge zwischen der psychischen Belastung und dem Gleichgewicht. Die Teilnahme an den Tests wurde von ihnen häufig in der Therapie thematisiert. Diskussion:  Die erwarteten Zusammenhänge zwischen psychischen Faktoren und motorischem Gleichgewicht konnten nur teilweise bestätigt werden. Es stellt sich jedoch die Frage, ob sich diese nur in akuten Stresssituationen zeigen – dies legen die Antworten der Probanden auf die offenen Fragen nahe. Die Thematisierung der

Goal:  The goal of the study was to capture the relationship between motor balance and psychological factors, using sport-motoric tests as well as subjective self-evaluations. Method:  The balance control of 118 patients of a psychosomatic rehabilitation clinic was examined at the beginning and end of rehabilitation using various motor tests. Additionally, psychological variables including self-esteem (MSWS), degree of anxiety (BAI) and depressive symptoms (BDI) were assessed. To examine subjective self-evaluation a numerical analog scale and a questionnaire with open questions were used. Content analysis was performed on the que­stionnaire. Results:  In the area of physical self-esteem, especially sportiness, low to moderate correlations were found between self-esteem and balance. No significant relationship was found between anxiety or depressive symptoms and balance. In the open questions most patients described a distinct connection between emo­tional distress and balance. The participation in the tests was often a topic in their therapy. Discussion:  The expected relationship between psychological factors and motor balance could be only partially confirmed. A question is raised as to whether this relationship appears merely in situations of acute stress, as detected in the pa­ tients answers to the open questions. Addressing the study in psychotherapie an indication that balance tasks are well suited for the subjective experience and discussion of psychosomatic relationships.

Keywords ▶ balance ● ▶ self-concept ● ▶ anxiety ● ▶ psychosomatic rehabilitation ● ▶ body psychotherapy ●

eingereicht 24. April 2014 akzeptiert 11. September 2014 Bibliografie DOI http://dx.doi.org/ 10.1055/s-0034-1390456 Online-Publikation: 8.12.2014 Psychother Psych Med 2015; 65: 126–133 © Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York ISSN 0937-2032 Korrespondenzadresse Prof. Dr. Volker Köllner Fachklinik für Psychosomatische Medizin Mediclin Bliestal Kliniken, Blieskastel und Medizinische Fakultät der Universität des Saarlandes Am Spitzenberg 66440 Blieskastel [email protected]

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 Sportwissenschaftliches Institut, Universität des Saarlandes, Saarbrücken  Fachklinik für Psychosomatische Medizin, Mediclin Bliestal Kliniken, Blieskastel und Medizinische Fakultät der Universität des Saarlandes, Blieskastel





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Relationship between Balance Control and Psychological Factors

Studie in den Therapien spricht dafür, dass Gleichgewichtsübungen gut geeignet sind, um psychosomatische Zusammenhänge subjektiv erfahrbar zu machen und zu verbalisieren.

Einleitung



Überlegungen zum Zusammenhang zwischen körperlichem Gleichgewicht und Angst lassen sich bis zu Platon und Aristoteles zurückverfolgen [1]. Auch heute scheint dieser Zusammenhang zumindest in der Selbstbeschreibung der Patienten eine große Rolle zu spielen. So berichten viele Patienten im Aufnahmegespräch zur psychosomatischen Rehabilitation darüber, „aus dem Gleichgewicht geraten“ zu sein und möchten durch die Therapie „wieder standfester werden“. Das Gleichgewicht gehört zu den koordinativen Fähigkeiten, die, zusammen mit den konditionellen Fähigkeiten, zu den motorischen Fähigkeiten gehören [2]. Konditionelle Fähigkeiten wie Kraft, Ausdauer und Schnelligkeit werden in erster Linie durch energetische Prozesse bestimmt, während koordinative Fähigkeiten als eher informationell determinierte Fähigkeiten betrachtet werden [3]. Während im Bereich der konditionellen Fähigkeiten hinsichtlich Begriffsdefinitionen weitestgehend ­Einigkeit besteht, gehen die Sichtweisen hinsichtlich der koordinativen Fähigkeiten weit auseinander. Ebenso vielfältig sind die Definitionen, was unter Gleichgewicht zu verstehen ist. Meinel und Schnabel ([4], S. 225) definieren motorisches Gleichgewicht als Fähigkeit, „den gesamten Körper im Gleichgewichtszustand zu halten oder während und nach umfangreichen Körperverlagerungen diesen Zustand beizubehalten bzw. wiederherzustellen“. Fetz ([5], S. 18) versteht unter „sensomotorischem Gleichgewicht“ die Fähigkeit, „einen intendierten Gleichgewichtszustand in Haltung und/oder Bewegung zu erreichen und/oder aufrechtzuerhalten. Derartige Gleichgewichtsleistungen sind sensomotorische Beziehungen, die durch mechanische Einwirkungen sowie durch sensorische und/oder motorische Fehlleistungen gestört werden können“. Eine gestörte Gleichgewichtsfähigkeit kann zu Symptomen wie Gangunsicherheit und Schwindel führen. Für die Psychosomatische Medizin ist der somatoforme Schwindel von besonderer Bedeutung. Schwindel gehört zu den häufigsten Symptomen in der Allgemeinbevölkerung [6]. Etwa 30–50 % der komplexen Schwindelsyndrome sind dem somatoformen Schwindel zuzuordnen. Diesem können unterschiedliche psychische Störungsbilder zugrunde liegen, wie z. B. Angststörungen, Depression sowie somatoforme und dissoziative Störungen [7]. Der Einfluss sportlichen Trainings auf die seelische Gesundheit wurde bereits in vielen Studien untersucht. Insbesondere im Bereich der konditionellen Fähigkeiten ist davon auszugehen, dass sich entsprechendes Training positiv auf die psychische Gesundheit auswirkt. Der positive Einfluss von Ausdauer- und Krafttraining auf Depressionen oder Angststörungen ist gut belegt ([8–12]). Weniger eindeutig ist die Befundlage hinsichtlich des Zusammenhangs von Koordination und Gleichgewicht und psychischen Belastungen. Auch zum Zusammenhang zwischen koordinativen Fähigkeiten mit psychischen Störungen gibt es nur wenige Studien mit teilweise widersprüchlichen Ergebnissen. Hier wurde vor allem bei Angsterkrankungen der Zusammenhang zum körperlichen Gleichgewicht erforscht. Häufig klagen Angstpatienten über somatoformen Schwindel [13–15]. Levinson [16, 17] kam zum Ergebnis, dass von 4 000 Patienten mit vestibulärer Dysfunktion

64,6 % unter Angst und Phobien leiden, während 94 % von 402 untersuchten Angstpatienten eine vestibuläre Störung mit mindestens 2 neurophysiologischen oder ENG-Parametern zeigten. Erez und Mitarbeiter [18] stellten in ihrer Studie fest, dass Kinder mit Angststörungen insbesondere bei komplexen Gleichgewichtsaufgaben schlechtere Ergebnisse erzielen als Kinder der Kontrollgruppe. Daraus folgernd wird diskutiert, ob Gleichgewichtsdysfunktionen einen wesentlichen, bisher unterschätzten prädisponierenden Faktor für Angststörungen darstellen. Eine Übersicht über psychosoziale Probleme im Zusammenhang mit vestibulären Störungen findet sich bei Yardley, Jahanishi und Hallam [19]. Balaban und Thayer [20] stellen ein komplexes Modell zu den neurophysiologischen Hintergründen zum Zusammenhang zwischen Gleichgewicht und Angst dar. Boffino und Mitarbeiter [21] untersuchten anhand einer Testgruppe von 31 Akrophobikern und einer Kontrollgruppe von 39 Probanden den Zusammenhang von Akrophobie und Gleichgewicht. Neben dynamischen posturografischen Aufgaben wurde eine „manual tracking task“ durchgeführt. Die Akrophobiker schnitten signifikant schlechter ab, insbesondere, wenn beide Aufgaben gleichzeitig ausgeführt werden sollten. In einer Einzelfallstudie zu Akrophobie und vestibulären Erkrankungen [22] zeigte sich, dass der Patient sich durch eine 8-wöchige Verhaltenstherapie hinsichtlich seiner Akrophobie, nicht aber bezüglich seines Schwindels und seiner Körperschwankungen verbessern konnte. Durch eine daran anschließende 8-wöchige gleichgewichtsspezifische Physiotherapie konnten auch die Gleichgewichtswerte verbessert werden. Diese Befunde sprechen dafür, dass eine Störung der Gleichgewichtsfähigkeit eine wesentliche Rolle im Bedingungsgefüge einer Angststörung sein kann und sich durch ein spezifisches Training zusätzlich zur Angstbehandlung verbessern lässt. Bei Panik- und Agoraphobie-Patienten konnten bei posturografischen Messungen, also durch indirekte Gleichgewichtsmessungen über die Veränderung des Körperdruckpunktes auf einer Kraftmessplatte über die Zeit, Auffälligkeiten hinsichtlich des Schwankweges und der Schwankgeschwindigkeit gefunden werden [23, 24]. In einer Studie von Tecer und Mitarbeitern [25] wiesen Panik- und Agoraphobiepatienten signifikant schlechtere Gleichgewichtsparameter als die Probanden der Kontrollgruppe auf. In der Mehrzahl der Studien zeigt sich ein Zusammenhang, jedoch wird dieser nicht durchgehend bestätigt, was teilweise auf unterschiedliche Untersuchungsdesigns und Messmethoden zurückgeführt werden könnte. Im Hinblick auf psychische Ressourcenfaktoren wie z. B. dem Selbstwert finden sich lediglich wenige Studien zum Zusammenhang mit motorischen Fähigkeiten. Sportliche Aktivität kann zu einer Selbstwertsteigerung führen, was allerdings vor allem durch die Steigerung des physischen Selbstwertes bedingt ist [26–28]. Jedoch kann ein linearer Zusammenhang empirisch nicht konsistent nachgewiesen werden [29]. Studien, die den Zusammenhang von Angststörungen oder affektiven Störungen sowie von psychischen Ressourcen wie Selbstwert mit dem motorischen Gleichgewicht betrachten, konnten zum Zeitpunkt der Untersuchung nicht gefunden werden. Auch wurde die subjektive Sichtweise der Probanden zum Zusammenhang zwischen seelischem und körperlichem Gleichgewicht bisher in Studien nicht mit einbezogen. Grundsätzlich sind zwischen der körperlichen Gleichgewichtsfähigkeit und dem subjektiven Gleichgewichtsgefühl folgende Zusammenhänge denkbar:

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Methodik



Stichprobe und Drop-out-Analyse

Die Teilnehmer der vorliegenden Studie waren konsekutiv aufgenommene Patienten einer psychosomatischen Rehabilita­ tionsklinik. Eingeschlossen wurden Patienten, die mit einer der Einweisungsdiagnosen Depressive Störung, Angststörung oder chronisches Schmerzsyndrom (ICD-10 F45.40 und F 45.41) zur psychosomatischen Rehabilitation kamen und die über ausreichende Sprachkenntnisse verfügten, um die Fragebögen zu bearbeiten. Es wurde darauf geachtet, dass die Anzahl der Patienten aus den jeweiligen Gruppen gleich groß war. Ausgeschlossen wurden Patienten mit neurologischen und bekannten vestibulären Störungen. Die Erhebung der Daten fand im Zeitraum von April 2011 bis August 2011 statt. Von 140 angesprochenen Patienten nahmen 128 an der Studie teil, von denen 126 (Teilnahmequote von 91 % zu T1) in die Untersuchung aufgenommen werden konnten (Alter: 49,1 ± 8,9 Jahre; 75,4 % Frauen), 2 Patientinnen sagten zum Untersuchungszeitpunkt wegen akut aufgetretener körperlicher Beschwerden ab. Einweisungsdiagnosen waren gemäß der Einschlusskriterien

zu jeweils einem Drittel Angststörungen, depressive Störungen und somatoforme Störungen bzw. chronischer Schmerz.

Erhebungsinstrumente Sportmotorische Tests

▶ Gleichgewichtstest (GGT): Der GGT erfasst die allgemeine statische und dynamische Gleichgewichtsfähigkeit [30]. Er besteht aus 14 Aufgaben, die das Standgleichgewicht, das ­Balanciergleichgewicht und das dynamische Gleichgewicht testen [2]. Die Bewertung erfolgt dichotom (ein Punkt bei Bewältigung der Aufgabe). Insgesamt können bei diesem Test 14 Punkte erreicht werden [31]. ▶ Standaufgaben auf instabiler Unterlage (SIU): Theisen entwickelte 2009 einen Gleichgewichtstest für Rehateilnehmer (GGT Reha), der auf dem zuvor beschriebenen GGT von Wydra basiert, da dieser sich für viele Patienten als zu schwierig erwies. Der GGT Reha gliedert sich in 3 Blöcke: den des statischen Gleichgewichts, den des dynamischen Gleichgewichts und den des statischen Gleichgewichts unter erschwerten Bedingungen [32]. Für die vorliegende Untersuchung wurden lediglich der dritte Block sowie 2 zusätzliche Aufgaben verwendet, die das statische Gleichgewicht auf einer instabilen Unterlage messen. Die 8 Standaufgaben bestanden aus hüftbreitem Stand, Parallelstand und Tandemstand, die jeweils mit geöffneten und mit geschlossenen Augen durchgeführt wurden sowie dem Einbeinstand auf dem linken und dem rechten Bein mit offenen Augen. Die einzelnen Aufgaben wurden mittels einer 4-stufigen Skala von null bis 3 Punkten eingeschätzt. Insgesamt waren also 24 Punkte zu erreichen. ▶ Timed up and go (TUG): Der Timed up and go Test soll körperliches Gleichgewicht sowie die Sturzgefahr im Alltag erfassen [2]. Ursprünglich wurde von Mathias, Nayak und Isaacs [33] der Get up and Go Test entwickelt, der von Podsiadlo und Richardson [34] zum TUG weiterentwickelt wurde. Es wird die Zeit gemessen, die ein Patient benötigt, um von einem Stuhl aufzustehen, um eine 3 Meter entfernte Pillone zu gehen und sich wieder hinzusetzen. Von insgesamt 2 Versuchen wurde der zweite Versuch ausgewertet.

Psychologische Tests

▶ Multidimensionale Selbstwertskala (MSWS): Die multidimensionale Selbstwertskala (MSWS) von Schütz und Sellin [35] ist die deutschsprachige Version der auf Basis der Feelings of Inadequacy Scale [36] entwickelten Multidimen­ sional Self-Concept Scale von Fleming und Courtney [37]. Die MSWS basiert auf dem Mehr-Facetten-Modell des Selbstkonzepts von Shavelson, Hubner und Stanton [38], das von einer hierarchischen Organisation ausgeht. In Anlehnung daran ist auch die MSWS hierarchisch aufgebaut und in ●  ▶  Abb. 1 dargestellt. Der Fragebogen besteht aus insgesamt 32 Items [35]. ▶ Beck Angst Inventar (BAI): Das Beck Angst-Inventar [39] dient dazu, die Schwere klinischer Ängste zu erfassen [40]. Insgesamt besteht das BAI aus 21 deskriptiven Aussagen zu verschiedenen Angstsymptomen, die innerhalb der letzten Woche aufgetreten sind. Beantwortet werden diese über eine 4-stufige Likert-Skala [39]. Ab einem Punktwert von 8 wird angenommen, dass die Personen an einer Angststörung leiden. ▶ Beck Depressions-Inventar II (BDI-II): Das Beck Depres­ sions-Inventar II [41] erfasst über 21 Items über eine 4-stufige Antwortskala das Auftreten verschiedener depressiver Symptome. Die Antworten sind hierbei inhaltlich so formuliert,

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Zum einen kann eine somatische Gleichgewichtsstörung prädisponierender Faktor für eine Angststörung mit schlechterem Gleichgewichtsgefühl und somatoformen Schwindel sein. Zum anderen können Angststörungen, affektive Störungen, PTBS und somatoforme Störungen sowohl das subjektive Gleichgewichtsgefühl (v. a. über Fehlbewertung und Aufmerksamkeitsfokussierung) verschlechtern als auch die körperliche Gleichgewichtsfähigkeit (v. a. über dysfunktionale Anspannung und Aufmerksamkeitsfokussierung) beeinträchtigen. Eine dritte Möglichkeit wäre, dass der Zusammenhang zwischen körperlichem Gleichgewicht und Gleichgewichtsgefühl für die Patienten vor allem auf der subjektiven Ebene besteht und sich nicht in den Messergebnissen widerspiegelt. Ziel der vorliegenden Studie ist es, mögliche Zusammenhänge zwischen motorischem Gleichgewicht und psychischen Faktoren, sowohl im Vergleich psychometrischer Befunde und sportwissenschaftlicher Tests als auch im subjektiven Erleben der Probanden prüfen. Aufgrund der bisher uneinheitlichen Befunde werden neben motorischen Tests und standardisierten Fragebögen auch qualitative Einschätzungen des Zusammenhangs von körperlichem und psychischem Gleichgewicht verwendet. Auch soll anhand einer visuellen Analogskala überprüft werden, wie gut Patienten in der Lage sind, ihre Gleichgewichtsfähigkeit einzuschätzen. Ein qualitativer Teil der Studie soll herausarbeiten, ob wie Patienten den Zusammenhang von körperlichem und psychischem Gleichgewicht beschreiben. Folgende Fragestellungen sollen geprüft werden: 1. Besteht ein Zusammenhang zwischen motorischem Gleichgewicht und psychischen Faktoren (Angst, Depressivität und Selbstwert) dergestalt, dass Patienten mit einer geringeren Symptombelastung bzw. einem höheren Selbstwertgefühl eine bessere Gleichgewichtsfähigkeit haben? 2. Besteht ein Zusammenhang zwischen der subjektiven Selbsteinschätzung des körperlichen Gleichgewichts mit den Ergebnissen der motorischen Tests? 3. Wie beschreiben Patienten den Zusammenhang zwischen körperlichem und psychischem Gleichgewicht aus ihrer Sicht?

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Abb. 1  Hierarchischer Aufbau der Multidimensionalen Selbstwertskala (MSWS) [31, 35].

Gesamtselbstwert (GSW)

Allgemeine Selbstwertschätzung (ASW)

Soziale SWS Sicherheit im Kontakt (SWKO)

Soziale SWS Umgang mit Kritik (SWKR)

Leistungsbezogene SWS (LSWS)

SWS Physische Attraktivität (SWPA)

SWS Sportlichkeit (SWSP)

dass mit ihnen die Schwere der jeweiligen Symptomatik festgelegt werden kann. ▶ Subjektive Selbsteinschätzung (SSE): Am Ende der motorischen Tests schätzten die Patienten auf einer visuellen Analogskala von 1 (sehr gut) bis 10 (sehr schlecht) ihr derzeit wahrgenommenes körperliches sowie ihr psychisches Gleichgewicht ein. ▶ Qualitative subjektive Selbsteinschätzung des Zusammenhangs: Nach dem Eingangstest erhielten die Patienten weiterhin einen offenen Fragebogen, in dem sie ihre subjektive Meinung bezüglich ihres körperlichen und psychischen Gleichgewichts sowie deren Zusammenhänge beschreiben konnten. Folgende 3 Fragen wurden gestellt: 1. Wie schätzen Sie ihr derzeitiges körperliches Gleichgewicht ein? 2. Wie schätzen Sie Ihr derzeitiges psychisches Gleichgewicht ein? 3. Worin sehen Sie Zusammenhänge zwischen Ihrem körperlichen und geistigen Gleichgewicht? Fällt Ihnen ein Beispiel ein? Die Patienten wurden instruiert, den Fragebogen möglichst zeitnah nach der Untersuchung zu beantworten. Hierzu wurden sie angewiesen, sich auf ihren Alltag zu beziehen und sollten sie zwischen körperlichem und psychischem Gleichgewicht keinen Zusammenhang sehen, auch dies schriftlich festzuhalten.

den anschließend in einem Kategoriensystem verortet. Die inhaltliche Kohärenz dieses Systems wurde in einem zirkulären Vorgehen am Ausgangsmaterial validiert [42, 43]. Nachdem die Dimensionierung dieser Kategorien mehrmals überprüft worden war, ging es in einem weiteren Schritt um die intersubjektive Nachvollziehbarkeit, also die Interraterreliabilität. Grundlage dieser Analyse waren die Urteile von 3 erfahrenen Ratern, denen der vollständige Datensatz zur Beurteilung vorgelegt wurde. Bei ausreichender Interraterreliabilität und somit auch Objektivität der einzelnen Kategorien wurden diese in die endgültige Darstellung mit aufgenommen [44]. Mit diesem Vorgehen konnten abschließend 4 Kategorien valide am Material nachgewiesen werden. Weiterhin sollten zusätzliche subjektive Informationen aus den gegebenen Antworten extrahiert werden. Dazu wurden die Antworten den Oberkategorien körperliches und psychisches Gleichgewicht zugeordnet und pro Proband auf eine Skala mit den Skalenwerten gut, mittel und schlecht projiziert. Dies ermöglichte, das Maß der Übereinstimmung der subjektiven Bewertungen zwischen diesen Kategorien zu überprüfen, also die Kongruenz.

Auswertung der Daten

Die Mittelwerte und Standardabweichungen der Fragebögen, der subjektiven Selbsteinschätzungen sowie der motorischen Tests sind in ●  ▶  Tab. 1 dargestellt. Die Patienten der Angstgruppe lagen laut BAI zum Beginn der Therapie im Bereich der klinisch relevanten Angst, während die depressiven und Schmerzpatienten eine moderate Angst aufwiesen. Die Patienten wiesen am Anfang ihres Rehabilitationsaufenthaltes laut BDI-II durchschnittlich eine mittlere Depres­ sionsschwere auf.

Die quantitativen Daten der vorliegenden Untersuchung wurden jeweils zu Beginn und am Ende der Rehabilitation erhoben. Die Daten wurden mit SPSS Statistics 19.0 der Firma IBM ausgewertet. Nach dem Kolmogorov-Smirnov-Test wiesen alle Variablen eine Normalverteilung auf. Die Zusammenhänge wurden infolge dessen mit Pearsons Korrelationskoeffizient berechnet. Das Signifikanzniveau wurde auf p 

[Relationship between balance control and psychological factors].

The goal of the study was to capture the relationship between motor balance and psychological factors, using sport-motoric tests as well as subjective...
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