218 Originalarbeit

Reha-Nachsorge – one size fits all? Analyse der Rehabilitanden, die nicht vom RehaNachsorgekonzept „neues Credo“ profitieren

Autoren

R. Deck, S. Schramm, N. Pohontsch, A. Hüppe

Institut

Institut für Sozialmedizin und Epidemiologie der Universität Lübeck

Schlüsselwörter ▶ Rehabilitationsnachsorge ● ▶ Nonresponder ● ▶ Flexibilisierung der Reha und ● Reha-Nachsorge

Zusammenfassung

Abstract

Hintergrund: Das Nachsorge-Konzept „neues Credo“ wurde in einer kontrollierten Längsschnittstudie erprobt und evaluiert. Die Rehabilitanden der Interventionsgruppe konnten RehaInhalte und Reha-Ziele im Jahr nach der stationären Reha-Maßnahme signifikant besser im Alltag umsetzen und für diese Gruppe waren signifikant bessere Langzeiteffekte nachweisbar; jedoch profitierten nicht alle Rehabilitanden der Interventionsgruppe. Der Fokus der vorliegenden Analyse gilt dieser speziellen Subgruppe: Wodurch unterscheiden sich Rehabilitanden, die nicht vom „neuen Credo“ profitieren im Vergleich zu den Rehabilitanden, die daraus einen Nutzen ziehen? Methode: Die Daten einer kontrollierten Originalstudie, deren Ergebnisse und Inhalte an anderer Stelle beschrieben sind, wurden zu einer Sekundäranalyse herangezogen. 3 Interventionskliniken setzten das neue Credo in ihren Kliniken um. Als primäre Zielgrößen wurden Einschränkungen der Teilhabe (IMET) sowie Funktionsbehinderungen im Alltag (FFbH-R) definiert. Die Interventionskliniken rekrutierten zusammen 166 Rehabilitanden, diese bilden die Basisstichprobe für die vorliegenden Analysen. 163 Fälle konnten quantitativ, 7 Interviews mit Rehabilitanden aus der Gruppe der Erfolglosen zusätzlich qualitativ analysiert werden. Ergebnisse: 102 (63 %) Rehabilitanden verbesserten ihre Werte im FFbH oder im IMET um wenigstens 0,3 Effektstärken (Gruppe der Erfolgreichen). Unter den 61 Rehabilitanden, die dies nicht erreichten, waren 17 (10 %) Rehabilitanden mit so positiven Ausgangslagenwerten, dass sie die festgesetzte minimale Verbesserung nicht erreichen konnten (Gruppe der „gering Belasteten“). Sie wurden von den weiteren Analysen ausgeschlossen. Die übrigen 44 (27 %) Rehabilitanden bildeten die Gruppe der Erfolglosen.

Background: In an own research project funded by this program rehabilitation aftercare as part of a revised rehabilitation philosophy (“new credo“) was tested and evaluated in a controlled longitudinal trial. Rehabilitation patients from the intervention group reported significantly better implementation of rehabilitation contents and objectives in everyday life during 12 months after their rehabilitation stay. Better long-term effects were also detectable. Anyway, not all rehabilitation patients seemed to benefit from the intervention. The present analysis focuses on this subgroup: How do rehabilitation patients that do not benefit from the ”new credo“ differ from rehabilitation patients that draw advantage from it? Method: Data from a controlled study were used for secondary analysis. 3 clinics implemented the “new credo”. Primary outcomes were: participation constraints (IMET) and functional disabilities in everyday life (FFbH-R). The intervention clinics recruited a total of 166 rehabilitation patients. Data from 163 cases could be analyzed using quantitative methods. In addition, interview data from 7 unsuccessful rehabilitation patients was analyzed qualitatively. Results: 102 (63 %) rehabilitation patients improved their values in FFbH-R or IMET by at least 0.3 effect sizes (successful group). Among the 61 unsuccessful rehabilitation patients, 17 (10 %) started rehabilitation with initial values that high that they could not reach the fixed minimal improvement criteria (“low burdened“ group). They were excluded from further analysis. The remaining 44 (27 %) rehabilitation patients constitute the “unsuccessful“ group. Both groups have comparable levels of impairment concerning somatic and psychosocial parameters. At the end of the rehabilitation stay the “unsuccessful” group reached improvements of mode-

Key words ▶ rehabilitation aftercare ● ▶ non-responder ● ▶ flexible rehabilitation treat● ment and aftercare

Bibliografie DOI http://dx.doi.org/ 10.1055/s-0034-1384599 Online-Publikation: 23.2.2015 Rehabilitation 2015; 54: 218–225 © Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York ISSN 0034-3536 Korrespondenzadresse PD Dr. Ruth Deck Institut für Sozialmedizin und Epidemiologie Universität Lübeck Ratzeburger Allee 160 23538 Lübeck [email protected]



Deck R et al. Reha-Nachsorge – one size … Rehabilitation 2015; 54: 218–225



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Reha Aftercare – One Size Fits All? Analyses of Rehab Patients which do not Benefit from Reha Aftercare

Auch die Erfolglosen erreichten am Reha-Ende Verbesserungen in den erfassten Gesundheitsparametern von mittlerer bis großer Effektstärke. Ein Jahr später fallen ihre Werte jedoch in allen Parametern wieder auf das Beeinträchtigungsniveau vor der Reha zurück, während die Erfolgreichen die unmittelbar nach der Reha erzielten Effekte weitgehend stabil über den Katamnesezeitraum aufrecht erhalten können. Die beiden Gruppen bewerteten die nachsorgenden Interventionselemente in mehreren Aspekten unterschiedlich und die Vorbereitung auf die Zeit nach der Reha bewertet die Gruppe der Erfolglosen insgesamt schlechter. Die Anzahl wahrgenommener Nachsorgeelemente erweist sich in der multivariaten Auswertung als stärkster Prognosefaktor für Misserfolg, die Klinikeinrichtung ist der einzig weitere unabhängige Prädiktor. In den Interviews berichten Erfolglose von individuellen Barrieren für die Umsetzung körperlicher Aktivitäten im Alltag. Schlussfolgerungen: Rehabilitanden, die nicht vom neuen Reha- und Nachsorgekonzept profitierten, unterschieden sich weder in soziodemografischen noch in krankheitsspezifischen Merkmalen von den Erfolgreichen. Unterschiede in der Umsetzung der neuen Reha-Philosophie und ihrer einzelnen Bausteine in den Reha-Kliniken sind hingegen signifikant mit dem Eintreten von Erfolg oder Misserfolg assoziiert. Insgesamt legen die Ergebnisse unserer Studie eine flexibilisierte Ausgestaltung des Reha- und Nachsorgeangebots – dem jeweiligen individuellen Bedarf angepasst – nahe.

rate to large effect sizes concerning the recorded health parameters. One year after rehabilitation “unsuccessful” rehabilitation patients fall back to their baseline levels of impairment, while the successful maintain their achieved effects after rehabilitation. The 2 groups rated several aspects of the intervention differently and the “unsuccessful” group rated the preparation for the time after the rehabilitation worse. The number of perceived aftercare elements proves to be the strongest predictor of failure in multivariate evaluation; “clinic facilities” is the only other independent predictor. During the interviews, “unsuccessful” patients reported different individual barriers for implementation of physical activity in daily life. Conclusions: Rehabilitation patients, who did not benefit from the new rehabilitation and aftercare concept, did neither differ in sociodemographic nor in disease-specific characteristics from the successful rehabilitation patients. However, differences in the implementation of the new rehabilitation philosophy and its individual components in the rehabilitation clinics are significantly associated with the occurrence of success or failure. Overall, the results of our study indicate a need for more flexible design of rehabilitation and aftercare adjusted to individual needs.

Einleitung

Im Rahmen des Förderschwerpunkts „chronische Krankheiten und Patientenorientierung“ wurde das Nachsorgeprojekt „neues Credo“ evaluiert. Hierbei handelt es sich um eine intensivierte Nachsorgestrategie für Rehabilitanden mit chronischem Rückenschmerz. Sie zielt langfristig darauf ab, die Patienten zur Aufnahme und Beibehaltung regelmäßiger körperlicher Aktivitäten nach der eigentlichen Reha-Maßnahme zu motivieren und fokussiert auf die längerfristige, begleitete Eigeninitiative der Rehabilitanden [7, 8]. Obgleich die Ergebnisse dieses Nachsorgekonzepts vielversprechend ausfallen, ließen sich Rehabilitanden identifizieren, die nicht im gewünschten Ausmaß von der RehaMaßnahme und der Reha-Nachsorge profitierten. Im Folgenden wird diese spezielle Subgruppe näher untersucht: Wodurch unterscheidet sie sich von den Rehabilitanden, die aus der RehaNachsorge einen Nutzen ziehen konnten und welche möglichen Gründe lassen sich für den fehlenden Erfolg identifizieren. Aus den Ergebnissen sollen Empfehlungen zur Optimierung des Nachsorgekonzepts abgeleitet und diskutiert werden.



Reha-Nachsorge ist kein neues Thema im System der medizinischen Rehabilitation, aber ein Thema, das neu und umfassender reflektiert, beforscht und evaluiert wird. Erste Ansätze der RehaNachsorge in Form von Reha-Sport und Funktionstraining, sind schon in den 1980er Jahren zu finden. Die klassische Reha-Nachsorge wird seit Mitte der 1990er über verschiedene Rahmenvereinbarungen unter den einzelnen Kostenträgern geregelt [1]. Eine Analyse der dabei zum Einsatz kommenden Strategien und eine genauere Beschreibung der Nachsorgepraxis liegen erst seit einigen Jahren vor [1–4]. Die Ergebnisse dieser Bestandsaufnahmen haben den Gedanken der Reha-Nachsorge verstärkt in den Mittelpunkt des Reha-Geschehens gerückt: „Rehabilitation und Nachsorge sind eng verbundene Elemente des Prozesses der Krankheits- und Behinderungsbewältigung, der große Anforderungen an chronisch kranke Menschen stellt. Dieser Prozess beginnt häufig in der ambulanten oder stationären Rehabilitation und geht dann idealerweise in eine strukturierte Transferphase (Nachsorge) über. Von den Betroffenen selbst muss dieser Prozess in Eigeninitiative und Eigenverantwortung als langfristige Anpassung an die Krankheit und ihre Folgen in das Alltagsleben integriert und dort verstetigt werden. Es geht um die Nachhaltigkeit der Rehabilitation. Der Patient soll motiviert werden, dafür auch eigene Strategien zu entwickeln“ [5]. Entsprechenden Daten zufolge ist die Zahl der Nachsorgeleistungen innerhalb weniger Jahre auf mehr als 100 000 gewachsen [6]. Auch auf reha-wissenschaftlicher Seite sehen wir ein wachsendes Interesse am Thema Nachsorge, das insbesondere durch die Förderaktivitäten des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) und der Deutschen Rentenversicherung (DRV) Bund angeregt wurde. Durch diese Förderung konnten und können unterschiedlichste Verfahren und Methoden der RehaNachsorge erprobt werden.

Methode



Charakterisierung der Primärstudie Die Evaluationsstudie zum neuen Credo wurde in den Jahren 2008–2010 durchgeführt [9]. An der prospektiven, kontrollierten multizentrischen Längsschnittstudie beteiligten sich 6 RehaKliniken aus Schleswig-Holstein, jeweils 3 Interventions- und Kontrollkliniken (IG, KG). Die Rehabilitanden der IG durchliefen die „begleitete“ Nachsorge (neues Credo), die Rehabilitanden der KG erhielten die Standardrehabilitation und Standardnachsorgeempfehlungen der Klinik. Die Rehabilitanden wurden nach Einwilligung und Datenschutzaufklärung konsekutiv in die Studie eingeschlossen. Einschlusskriterien waren die Kostenträgerschaft der DRV und die Hauptdiagnosen M51–M54 der ICD-10. Deck R et al. Reha-Nachsorge – one size … Rehabilitation 2015; 54: 218–225

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Inhalte der Intervention Das „neue Credo“ fokussiert auf Eigenverantwortung und Eigenkompetenz des Rehabilitanden für einen gesundheitsbewussten Lebensstil in der Zeit nach dem Klinikaufenthalt. Zentrale Elemente des Nachsorgekonzepts sind Beobachtungs- und Bewegungstagebücher, die die Rehabilitanden über einen Zeitraum von insgesamt 12 Monaten ausfüllen müssen. Während des Klinikaufenthalts soll bereits reflektiert und dokumentiert werden, welche der in der Reha genutzten Angebote zu Hause fortgeführt werden könnten; Hilfestellungen erhalten die Rehabilitanden in einer so genannten „gelben Stunde“, die in der Reha-Klinik durchgeführt wird (Handlungs- und Bewältigungsplanung).

Methodik der Subgruppenanalyse Gruppeneinteilung in Erfolgreiche und Erfolglose In der genannten Evaluationsstudie konnte in einem Kontrollgruppendesign gezeigt werden, dass die Teilnahme am Nachsorgekonzept gemäß des neuen Credo (IG) 12 Monate nach RehaEnde zu signifikant besseren Gruppeneffekten bezüglich der primären Zielvariablen Einschränkungen der Teilhabe (IMET) und Funktionsbehinderungen im Alltag (FFbH) führte (9). Doch nicht jeder Rehabilitand in der IG profitierte vom Nachsorgekonzept in gleicher Weise. Für die vorliegenden Sekundäranalysen wurde ein Rehabilitand der Gruppe der „Erfolgreichen“ zugerechnet, wenn sich seine Messwerte wenigsten in einem der beiden Hauptzielkriterien von der Ausgangslage zur 12 Monatskatamnese um eine Mindestdifferenz in der Größenordnung von mindestens 0,3 Effektstärken verbesserte (standardized response mean SRM ≥ 0,3 [20]). Rehabilitanden, die dieses Erfolgskriterium nicht erreichten, wurden 2 Teilgruppen zugewiesen: Rehabilitanden mit „zu guten“ Ausgangslagenwerten in den beiden Zielvariablen IMET und FFbH, die sich im oben definierten Sinne nicht verbessern konnten, bildeten die Gruppe der „gering Belasteten“. Sie wurden von den weiteren Analysen ausgeschlossen. Die übrigen Rehabilitanden wurden der Gruppe der „Erfolglosen“ zugeteilt (SRM für FFbH wie IMET < 0,3) und mit der Gruppe der Erfolgreichen verglichen.

Tab. 1 Dimensionen, Erhebungsinstrumente und Messzeitpunkte. Dimensionen

Messinstrumente*

t1

Partizipation, Aktivitäten

Einschränkungen der Teilhabe IMET (1) Funktionsfragebogen Hannover FFbH–R (2) Bundesgesundheitssurvey (3) Depressionsskala CESD (4) Katastrophisierende Kognitionen FSS (5) Subskala des SF-36 (6) Einzelitem Fragenkatalog aus der QS der RV/QGmR (7) Self Administered Comorbidity Questionnaire, SCQ-D (8) (9)











(10)



Ausmaß körperlicher Aktivität Depressivität, katastrophisierende Kognitionen

Vitalität allgemeiner Gesundheitszustand Nutzung von Angeboten zur Gesundheitsförderung Komorbidität (jemals festgestellt) Rückenschmerzchronifizierung Soziodemografie (1) Deck et al. 2006 [10]



t2

t3 ●





● ●

























(6) Bullinger & Kirchberger 1998 [15]

(2) Kohlmann & Raspe 1994 [11]

(7) Deck & Raspe 2006 [16]

(3) Mensink 2003 [12]

(8) Sangha et al. 2003 [17]

(4) Kohlmann & Gerbershagen 2006 [13]

(9) Raspe, Hüppe & Matthis 2003 [18]

(5) Flor & Turk 1988 [14]

(10) Deck & Röckelein 1999 [19]

Zur Analyse wurden die 166 kompletten Datensätze der IG aus der Originalstudie herangezogen (Informationen zu Teilnahmeund Dropoutquoten vgl. Deck et al. [9]).

Statistik Die Auswertungen erfolgten mit dem Programmpaket SPSS, Version 20.0. Es wurden deskriptive Statistiken und Zusammenhangsanalysen (Chi2-Test, t-Test) berechnet. Der Vergleich der kurz- und langfristigen Effekte in Bezug auf die metrischen Zielvariablen erfolgte darüber hinaus anhand von Varianzanalysen mit Messwiederholung. Darüber hinaus wurden IntragruppenEffektstärken berechnet, wobei die Mittelwertsdifferenzen an den gepoolten Standardabweichungen standardisiert wurden [20]. Die Effektstärken wurden nach Cohen [21] interpretiert (d > 0,2 kleiner, d > 0,5 mittlerer und d ab 0,8 großer Effekt). Die multivariate Überprüfung von Prädiktoren auf den Credo-Erfolg wurde mit logistischer Regression (Methode Einschluss) geprüft.

Zusätzliche qualitative Auswertung Aus der Gruppe der „Erfolglosen“ wurden einige Teilnehmer persönlich oder telefonisch in leitfadengestützten offenen Interviews nach einer Bewertung der Nachsorgestrategie gefragt, um Hinweise für die Optimierung der Interventionsstrategie und -materialien zu identifizieren. Aus den Interviews wurden jeweils Fallvignetten erstellt, die die wichtigsten Interviewaussagen zusammenfassen.

Ergebnisse



Aufteilung der Stichprobe nach individuellem Erfolg 1

Von den à priori definierten Hauptzielkriterien wurden Einschränkungstage aufgrund inhaltlicher Mehrdeutigkeit, einer sehr hohen Streuung und aufgrund des großen Anteils von Personen ohne Einschränkungstage nicht in die Analysen aufgenommen.

Deck R et al. Reha-Nachsorge – one size … Rehabilitation 2015; 54: 218–225

Bei den Berechnungen zur Bildung der Erfolgsgruppen entfielen 3 Rehabilitanden wegen fehlender Werte, sodass N = 163 Datensätze für die Analyse zur Verfügung standen.

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Rehabilitanden mit einer Rückenoperation in den letzten 6 Monaten und Rehabilitanden im Verfahren der Anschlussheilbehandlung wurden ausgeschlossen. Die Befragungen der Rehabilitanden erfolgten schriftlich und zu 3 Messzeitpunkten: Vor und am Ende der Rehabilitation sowie 12 Monate nach Abschluss der Maßnahme. Als Hauptzielkriterien wurden die Einschränkung der Teilhabe, Funktionsbehinderungen im Alltag und die Anzahl der subjektiv wahrgenommenen Einschränkungstage1 festgelegt. Als sekundäre Zielgrößen wurden verschiedene Skalen der subjektiven Gesundheit, das Ausmaß körperlicher Aktivität sowie Komorbidität und Chronifizierungsstadium definiert. Zur Outcomemessung wurde ein standardisierter Fragebogen eingesetzt, der zu Beginn und am Ende des Klinikaufenthalts in der Reha-Klinik ausgefüllt wurde. Der Katamnesefragebogen wurde den Rehabilitanden von der RehaKlinik nach einem Jahr postalisch zugeschickt und zu Hause bearbeitet. Der Fragebogen setzt sich aus mehreren validierten Einzelinstrumenten zusammen; sie sind zusammen mit dem ▶ Tab. 1 dargestellt. Erfassungsmodus in ●

Originalarbeit 221

Entsprechend der o. g. Operationalisierung kann für knapp zwei Drittel der 163 Rehabilitanden der IG das neue Credo als Erfolg gewertet werden (N = 102; 62,6 %), sie verbessern ihre Werte in mindestens einem der beiden zentralen Zielparameter (Funktionskapazität FFBH, soziale Teilhabe IMET) in der Größenordung von 0,3 Effektstärken. 27 % (N = 44) profitieren in keinem der genannten Zielparameter (IMET, FFBH). Für jeden zehnten

Rehabilitanden (N = 17) kann wegen zu guter Werte in den beiden Zielparametern zur Baseline eine Zuteilung zur Gruppe der Erfolgreichen oder Erfolglosen nicht vorgenommen werden ▶ Abb. 1). (Gruppe der „gering Belasteten“ (●

Vergleich „Erfolgreiche“ vs. „Erfolglose“ zu Reha-Beginn Soziodemografie Unter den Erfolglosen befinden sich mehr Männer und tendenzi▶ Tab. 2). ell mehr Rehabilitanden mit geringer Schulbildung (●

Evaluationsstudie „Neues Credo“: IG (N= 166*) *Missing values aufgrund der Berechnung der Erfolgsgruppen (N= 3)

Erfolgreiche (n= 102)

Zu Beginn der Rehabilitation beschreiben mehr als die Hälfte sowohl der Erfolglosen als auch der Erfolgreichen ihren allgemeinen Gesundheitszustand als „weniger gut“ oder „schlecht“ (56 % ▶ Tab. 3). vs. 57 %; ● Beide Gruppen unterscheiden sich in signifikanter Weise hinsichtlich der Anzahl weiterer Erkrankungen (Komorbidität ge▶ Tab.3). Erfolglose berichten im messen mit dem SCQ-D; ● Durchschnitt von etwa einer Krankheit mehr. Im Vergleich zu

Nicht Erfolgreiche (n= 61)

Erfolglose (n= 44) Einschluss

gering Belastete (n= 17) Ausschluss

Abb. 1 Analysegruppen.

Tab. 2 Soziodemografische und sozialmedizinische Merkmale zur Ausgangslage. Variablen

Erfolgreiche (N = 102)

Soziodemografische Variablen: Alter in Jahren Frauen geringe Schulbildung2 Sozialmedizinische Variablen: Berufsstatus3 AU-Tage4 SPE-Skala ( % ja) bis Rentenalter berufstätig Gefährdung Erwerbsfähigkeit Gedanken an Rentenantrag

Erfolglose (N = 44)

p-Wert1

N

MW (SD) bzw. % (n)

N

MW (SD) bzw. % (n)

102 102 97

50,4 (7,6) 68,6 (70) 36,1 (35)

44 44 44

51,1 (7,1) 47,7 (21) 52,3 (23)

0,605 0,014 0,052

100 89 102

87,0 (87) 36,6 (73,9)

44 38 43

93,2 (41) 54,8 (99,2)

0,216 0,255

42,1 (16) 45,5 (24) 23,3 (10)

1,0 0,372 0,240

42,4 (39) 53,9 (55) 16,7 (17)

MW = Mittelwert, SD = Standardabweichung, AU = Arbeitsunfähigkeit, SPE = subjektive Prognose der Erbstätigkeit 1: Chi2 bzw. t-Test

3: Anteil Arbeiter, Angestellte

2: ohne Schulabschluss bzw. mit Hauptschulabschluss

4: AU-Tage in den letzten 12 Monaten vor Reha und nur für berufstätige Rehabilitanden

Tab. 3 Beeinträchtigungen zu Beginn der Rehabilitation. Variablen Primäre Outcomevariablen: IMET FFbH-R Sekundäre Outcomevariablen: SCL-90 R allg. Gesundheitszustand sehr gut gut zufriedenstellend weniger gut schlecht SF-36 Vitalität FSS Katastrophisieren CESD Depressivität Komorbidität (SCQ-D) Chronifizierungsstadium leicht stark

Erfolgreiche(N = 102)

p-Wert1

Erfolglose (N = 44)

N

MW (SD)

N

MW (SD)

102 102

32,7 (18,9) 63,0 (18,5)

44 44

28,1 (15,9) 69,4 (19,7)

0,158 0,064

102

10,9 (6,2)

43

10,9 (6,7)

0,957

102

101 102 102 102 102

0 10,8 32,4 43,1 13,7 39,9 (21,4) 14,1 (11,3) 19,1 (10,9) 1,7 (1,6) 56,9 (58) 43,1 (44)

43

44 43 44 44 44

0 2,3 41,9 46,5 9,3 41,5 (18,4) 15,4 (12,2) 20,4 (11,2) 2,5 (1,8) 50,0 (22) 50,0 (22)

0,267

0,652 0,551 0,521 0,021 0,279

1

Chi2- bzw. t-Test

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Gesundheitszustand

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den Erfolgreichen weisen sie eine höhere Komorbidität für Gelenkerkrankungen (Arthrose und Gelenkverschleiß, p < 0,01) und psychischen Erkrankungen (p = 0,059) auf.

Reha von einer häufigeren Nutzung von physikalischen Anwen▶ Abb. 2). dungen und Ausdauersport (●

Am Ende der Reha haben sowohl die Erfolglosen als auch die Erfolgreichen von der Reha profitiert, wie sich den Effektstärken ▶ Tab. 4 entnehmen lässt. in ● Unsere Einteilung in die beiden Gruppen erfolgte nach dem Ausmaß der Veränderung in den beiden primären Outcomes zur ▶ Tab. 4 zeigt, dass sich die Erfolglosen 12-Monatskatamnese. ● auch in den sekundären Outcomes von den Erfolgreichen unterscheiden. So ist ihr allgemeiner Gesundheitszustand zu diesem Messzeitpunkt vergleichbar schlecht wie zu Beginn der Reha (im Mittel 3,6 auf einer Skala von 1 = sehr gut bis 5 = schlecht), während die Erfolgreichen einen stabil-verbesserten Gesundheits▶ Tab. 4). Auch in den weiteren Zielgrößen zustand berichten (● haben sich die Erfolglosen zum Teil über den Ausgangswert hinaus wieder verschlechtert, die Erfolgreichen haben die unmittelbar am Ende der Reha erreichten Verbesserungen mit wenigen ▶ Tab. 4). Abstrichen auf vergleichbarem Niveau gehalten (●

Erfolglose und Erfolgreiche unterscheiden sich nicht im Ausmaß der gesundheitsbezogenen Reha-Ziele. Es finden sich auch keine Unterschiede im Ausmaß körperlicher Aktivität sowie in der Nutzung von Angeboten der Gesundheitsförderung in der Zeit vor Reha-Beginn (Daten nicht gezeigt).

Angebotsnutzung während des Aufenthalts in der Reha-Klinik Während der Reha sollten die Rehabilitanden im Rahmen der Nachsorgestrategie neues Credo bewusst alle Therapieangebote in Anspruch nehmen, in einem Beobachtungsheft dokumentieren und überlegen, was davon nach der Reha in ihrem Alltag umsetzbar sein könnte. Hinsichtlich dieser Angebotsnutzung sehen wir 2 signifikante Unterschiede zwischen den Erfolglosen und den Erfolgreichen. Die Erfolgreichen berichten am Ende der

Welche Angebote haben Sie während Ihres Aufenthalts genutzt? % ja 0

20

40

60

80

100

120

Abb. 2 Nutzung der Therapieangebote (RehaEnde).

p= 0,028

Anwendungen Krafttraining Ausdauersport

p = 0,018

Spielorient. Bewegung Kurse Vorträge Entspannung Psycholog. Beratung Arbeitsbezogene Maßnahme Berufliche Integration Internetsuche Nachsorge Erfolgreiche

Erfolglose

Tab. 4 Veränderung der subjektiven Gesundheit am Reha-Ende und nach 12 Monaten. primäre Zielgrößen

FFbH-R IMET

Gruppe

SRM1

Messzeitpunkte, Mittelwerte

p-Werte

T0

T1

T2

T0–T1

T0–T2

erfolgreiche erfolglose erfolgreiche erfolglose

63,0 69,4 32,7 28,1

74,5 72,3 –* –*

81,0 57,3 17,6 36,6

0,87 0,18 –* –*

1,28 − 0,80 1,06 − 0,83

erfolgreiche erfolglose erfolgreiche erfolglose erfolgreiche erfolglose erfolgreiche erfolglose erfolgreiche erfolglose

3,6 3,6 10,9 11,0 40,2 42,9 19,3 20,4 14,2 15,3

2,7 2,9 6,7 8,3 60,7 56,2 11,9 14,3 7,6 10,9

2,6 3,6 6,4 11,7 56,8 41,7 12,2 15,9 5,7 14,3

1,07 0,98 0,81 0,50 1,09 0,93 0,89 0,67 0,86 0,57

0,91 0,08 0,81 0,12 0,76 0,01 0,72 0,01 0,86 0,10

Zeit

Gruppe

Zeit*Gruppe

< 0,05

0,01

< 0,01

< 0,05

0,01

< 0,01

< 0,01

< 0,01

< 0,01

< 0,01

< 0,01

< 0,01

< 0,01

< 0,05

< 0,01

< 0,01

< 0,01

< 0,01

< 0,01

< 0,01

< 0,01

sekundäre Zielgrößen Gesundheitszustand SCL 90R SF-36 Vitalität ADS FSS Katastrophisieren 1

standardized response mean; * Merkmal am Ende der Reha nicht erhoben

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Veränderungen des Gesundheitszustands Weitere Parameter zu Reha-Beginn

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nach den Werten auf der SPE-Skala (subjektive Prognose der Erbstätigkeit) [22] ein signifikant höheres berufliches Risiko erkennen lassen.

Nachsorgeaktivitäten der Klinik Die Bewertung der Nachsorgeaktivitäten der Reha-Klinik 1 Jahr nach der Rehabilitation durch die beiden Erfolgsgruppen zeigt folgende signifikante Unterschiede: Die Erfolglosen berichten seltener als die Erfolgreichen davon, dass bei ihnen während der Reha die Bedeutung der Eigeninitiative in der Zeit nach der Reha betont wurde (77 % vs. 93 %, p < 0,01). Ihnen wurde am Ende der Reha signifikant seltener schriftliche Informationen und Materialien mit nach Hause gegeben (p = 0,027). Weiterhin geben sie an, seltener das Angebot erhalten zu haben, sich nach der Reha im Bedarfsfall, z. B. bei Fragen zur richtigen Auswahl der körperlichen Aktivität, an die Reha-Klinik zu wenden (54 % vs. 29 %, p < 0,01). Die Erfolglosen bewerten die Vorbereitung auf die Zeit nach der Reha insgesamt weniger gut als die Erfolgreichen (p = 0,04), spe-

ziell mit der Vorbereitung in den Bereichen Alltag und Freizeit ▶ Abb. 4). sind sie weniger zufrieden (●

Aktivitäten in den 12 Monaten nach der Reha Erfolglose geben zur 12-Monatskatamnese signifikant häufiger an, dass es ihnen nicht gelungen ist, eine körperliche Aktivität zu finden, die sie regelmäßig in ihren Alltag integrieren konnten (41 % vs. 19 %, p = 0,01). Rückblickend bewertet die Gruppe der Erfolglosen den Erfolg der Reha insgesamt weniger gut (30 % vs. 4 %, p < 0,01) und sie würden die Klinik und das Programm auch seltener weiterempfehlen als die Erfolgreichen (81 % vs. 98 %, p < 0,01).

Vorhersage des Credo-Erfolgs Um die Zusammenhänge zwischen den verschiedenen Merkmalen der Rehabilitanden sowie den Einfluss der subjektiv wahrgenommenen Intensität der Nachsorgebetreuung und den möglichen Einfluss der Umsetzung des neuen Credo in den 3 Interventionskliniken multivariat zu prüfen, wurde eine logistische Regressionsanalyse durchgeführt. Als abhängige Variable wurde

Abb. 3 Subjektive Prognose der Erwerbstätigkeit zur 12-Monatskatamnese.

100 90 80 70 60 50 40

p

[Reha Aftercare--One Size Fits All? Analyses of Rehab Patients which do not Benefit from Reha Aftercare].

In an own research project fund-ed by this program rehabilitation aftercare as part of a revised rehabilitation philosophy ("new credo") was tested an...
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