Leitthema Chirurg 2013 · 84:945–950 DOI 10.1007/s00104-013-2516-x Online publiziert: 31. Oktober 2013 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013

H.J. Buhr1 · A.J. Kroesen2 1 Deutsche Gesellschaft für Allgemein- und Viszeralchirurgie e.V., Haus der Bundespressekonferenz, Berlin 2 Allgemein-, Viszeral- und Unfallchirurgie, Krankenhaus Porz, Köln

Therapierefraktäre chronisch entzündliche Darmerkrankungen Eine chirurgische Herausforderung

Die medikamentöse Therapie chronisch entzündlicher Darmerkrankungen hat sich in den letzten 15 ­Jahren dramatisch geändert. ­Gehörten bis dato noch Aminosalicyl-Präparate, Kortison und Azulfidine zum Armatorium der konservativen Behandlung, so ergänzen ­heute Anti-TNF-α-Antikörper, Kalzineurininhibitoren, Interleukine, Azathioprin, ­Plasmapherese und ­einige experimentelle Ansätze die therapeutischen Optionen. Dieser Wandel verändert aber auch die Voraussetzungen im Falle eines notwendigen chirurgischen Eingriffs. Der Einfluss der Immunsuppression alleine wird im Folgenden ausgeführt. Ein anderer Aspekt verschlechtert die Ausgangssituation der Patienten aber noch mehr. Das Problem ist eine oft zu lange konservative Therapie, selbst wenn die Operationsindikation im Prinzip gegeben ist. Die Gründe hierfür liegen häufig im „Nicht-Loslassen-können“ des Therapeuten und zum anderen in der Angst des Patienten vor der Operation. Das Ausreizen und Ausschöpfen aller möglichen Therapieoptionen birgt aber vor allem ­eine große Gefahr: Durch jeden erfolglosen Therapieansatz verschlechtert sich die Ausgangssituation des Patienten dramatisch. Der Ernährungszustand nimmt ab, die Erkrankungsschwere nimmt zu und als Ultima Ratio wird der für die Opera-

tion besonders gefährliche Therapieansatz Prednisolon gesteigert. Der Chirurg soll die Situation dann retten.

Grundsätzliche Problematik der Immunsuppression Die Problematik einer ­Immunsuppression ist bekannt. Wie auch in den anderen Beiträgen dieses Themenheftes ­beschrieben wird, führt eine ­Immunsuppression zu einer erhöhten Komplikationsrate. Wie eine Case-match-Studie aus Cleveland zeigt, beträgt für transplantierte Patienten (n=37:37) mit Sigmadivertikulitis, also immunsupprimmierte Patienten, in der Notfallsituation die 30-Tage-­Mortalität 19% und die Gesamtmorbidität 51%. In der Elektivsituation zeigt diese Studie allerdings keine Unterschiede [32]. Neben dieser mit 37 Patienten ­größten Analyse ist eine Vielzahl ­weiterer ­B eobachtungen und kleiner Fallserien publiziert, die alle eine erhöhte Mortalität und Morbidität für diese Patientengruppe aufweisen [2, 9, 24, 40]. So lässt sich aus diesen Daten schlussfolgern, dass schon die Immunsuppression nach Transplantation einen Risikofaktor für ­kolorektale Eingriffe darstellt. Kolorektale Komplikationen stellen eine häufige ­Todesursache nach Transplantation dar. Lässt sich ­diese Feststellung für die Chirurgie chronisch entzündlicher Darmerkrankungen extrapolieren?

Literaturanalyse M. Crohn Der Einfluss von Anti-TNF-α-Antikörpern (Adalimumab, Infliximab), Immunomodulatoren (Azathioprin, Methotrexat) Kalzineurininhibitoren (Cyclosporin A, Tacrolimus), Endoxan und Kortison auf postoperative Komplikationen soll untersucht werden. Dabei ist es nicht einfach, zu unterscheiden, ob die Monotherapie oder die Summation mehrerer Therapien Komplikationen verursachen.

Anti-TNF-α-Antikörper (Adalimumab, Infliximab) Die Literaturlage für diese Fragestellung ist sehr divergent. Zu Infliximab und Adalimumab wurden in den letzten 10 Jahren wenige Studien veröffentlicht (. Tab. 1). Die jüngste Studie von Syed et al. [41] zeigt bei 325 Patienten, von denen 46% bis 20 mg/Tag) erhielten. Die Anastomoseninsuffizienzrate war nur in der Gruppe Prednisolon >20 mg mit 20% (Anti-TNF-α 9%, Immunomodulatoren 10%) erhöht [12]. Kritisch ist an dieser Studie anzumerken, dass die Gruppengröße natürlich sehr inhomogen war und nicht angegeben ist, ob Prednisolon simultan, oder sequenziell zu den anderen Therapieansätzen gegeben wurde. Eine Studie aus der Mayo-Clinic von Nasir et al. untersucht den Effekt von ­Anti-TNF-α-Antikörpern auf frühpost­ operative Komplikationen. An 370 eingeschlossenen Patienten finden die Autoren heraus, dass die Anti-TNF-α-Antikörper-Therapie weder Komplikationen noch intra­abdominelle Abszesse nach sich zieht. In der univariaten Analyse waren die einzigen Risikofaktoren eine gleichzeitige Kortisongabe, das Alter und ein penetrierender Erkrankungstyp des M. Crohn [28]. Eine dänische Kohortenstudie mit 2293 Patienten aus diesem Jahr kann ebenfalls keine Erhöhung der Komplika-

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tionen bzw. der intrabdominellen Abszesse nachweisen [29]. Die einzige Metaanalyse zu diesem Thema stammt aus dem Jahre 2012. An 8 Studien wird nachgewiesen, dass der Einsatz von Anti-TNF-α-Antikörpern eine erhöhte Komplikationsrate, vor allem mit vermehrten intraabdominellen Abszessen nach sich zieht [22]. Allerdings räumen die Autoren ein, dass ein leichter Trend dahingehend bestehe, dass die Komplikationen seltener werden. Zusammenfassung.  Es lässt sich festhalten, dass wahrscheinlich eine Monotherapie mit Anti-TNF-α-Antikörpern ­keine vermehrten Komplikationen nach sich zieht. Allerdings ist in Deutschland eine solche Monotherapie bei Patienten selten anzutreffen. Die meisten Patienten ­erhalten sequenzielle Mehrfachtherapien bzw. Kombinationstherapien und weisen die entsprechenden Risikoprofile auf.

Immunomodulatoren (Azathioprin, Methotrexat) Auch der Einfluss von Thiopurinen auf postoperative Komplikationen wurde in zahlreichen Publikationen analysiert. Die Arbeit von Colombel et al. [7] zeigt keine erhöhte Komplikationsrate unter Azathioprin und schien somit zunächst einen Freibrief für den Einsatz von Azathioprin zu erteilen. Die genauere Analyse ergibt jedoch, dass die Mehrzahl der Patienten unter Stomaschutz ope-

riert ­wurde und somit eine sichere Analyse nicht möglich ist. Die weitere Entwicklung der ­Literatur beschreibt einen ähnlichen Weg wie bei den Anti-TNF-α-Antiköpern. Studien in beide Richtungen sind publiziert. ­Myrelid et al. [26] aus Schweden (n=132) weisen ein signifikant erhöhtes Risiko für eine intra­abdominelle Sepsis nach Azathioprin/Mercaptopurin nach. Eine Studie mit deutlich kleinerer Fallzahl (65 Infliximab, 85 ­Immunsuppression (Azathioprin u. a., 75 keine Medikation) findet keine erhöhte Komplikationsrate [5]. Ebenso können auch Indar et al. bei 112 Patienten (39 mit Azathioprin/5Marcaptopurin) keine erhöhte Komplikationsrate aufzeigen. Die Publikationen sind nicht sehr zahlreich [18]. Allerdings besteht bei 4 von 5 hier aufgeführten Publikationen kein Anhalt für eine deutlich erhöhte Komplikationsrate nach dem Einsatz von Immuno­ modulatoren. Dennoch betonen die ­Autoren, dass auch in diesen Subgruppenanalysen die meisten Komplikationen bei penetrierendem Erkrankungstyp, ­bestehender Immunsuppression und jungem Alter auftreten.

Kalzineurininhibitoren/Endoxan Diese Substanzen werden vorwiegend im Rahmen der Therapie der fulminanten Colitis ulcerosa eingesetzt. Bei der Therapie des M. Crohn werden diese Medikamentengruppen nur in ­Ausnahmefällen an besonderen Zentren angewandt. Somit gibt es keine aussagekräftigen ­Daten im Hinblick auf postoperative Komplikationen. Aber auch hier sei erwähnt, dass nur Patienten in fortgeschrittenen Erkrankungsstadien überhaupt für ­solche Endlinienkonzepte infrage kommen. ­Daher müssen besondere chirurgische Strategien auch für Patienten nach diesen Substanzen berücksichtigt werden.

Kortison Kortikosteroide waren und sind seit Jahrzehnten das Kernstück in der Behandlung chronisch entzündlicher Darmerkrankungen. Alle bisher in dieser Arbeit ­zitierten Publikationen weisen als Nebenziel Kortison als Hauptrisikofaktor für

Zusammenfassung · Abstract vermehrte postoperative Komplikationen aus. Mehrere multivariate ­Analysen ­haben dies bestätigt [1, 20]. Allen voran die Arbeit von Yamamoto et al. [43] aus dem Jahre 2000.

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Literaturanalyse Colitis ulcerosa

Zusammenfassung Operieren unter Immunsuppression ist ein hochaktuelles Thema in der Chirurgie chronisch entzündlicher Darmerkrankungen. Durch den Wandel der Therapieregime kommt kaum noch ein Patient ohne Immunsuppression zur Operation. Die Datenlage, inwiefern diese Substanzen im Falle einer Operation tatsächlich einen Risikofaktor darstellen, ist allerdings sehr uneinheitlich. Beim M. Crohn scheint eine Monotherapie mit Immunmodulatoren und Biologika keinen negativen Einfluss zu haben. Allerdings potenzieren sich die einzelnen Substanzen in ihrer Wirkung. Bei der Colitis ulcerosa überwiegen die Arbeiten, die ein erhöhtes Risiko für infektiöse Komplikationen nach Biologika und

Ebenso wie beim M. Crohn werden AntiTNF-α-Antikörpern (Adalimumab, Infliximab), Kalzineurininhibitoren, Immunmodulatoren (Azathiorpin/Mercaptopurin, Metothrexat), 5-ASA (Aminosalycilsäure, für postoperative Komplikationen nicht bedeutsam), Azulfidine (für postoperative Komplikationen nicht bedeutsam) und natürlich nach wie vor Kortikosteroide regelmäßig eingesetzt [31, 33, 34].

Anti-TNF-α-Antikörper (Adalimumab, Infliximab) Aus den gängigen Datenbanken (Pubmed, Embase) lassen sich insgesamt 13 ­Studien extrahieren, die sich mit dem Einfluss von Anti-TNF-α-Antikörpern auf postoperative Komplikationen befassen. Yang et al. [44, 45] haben im letzten Jahr die ­zweite Metaanalyse zu diesem Thema publiziert. Kamen die Autoren 2010 noch zu dem Schluss, dass durch den Einsatz von Anti-TNF-α-Antikörpern postoperative Komplikationen erhöht sind, so kommen die Autoren nach der ­Publikation von ­weiteren 8 Publikationen zu dem Schluss, dass sich die Komplikationsrate nicht erhöht (. Tab. 2).

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Erkrankungsschwere und Kortikosteroide dominieren als Risikofaktoren Wie entsteht nun dieser Sinneswandel der Autoren? Alle Studien, die in diese Metaanalysen eingeschlossen wurden, waren retrospektiv. Mehrere Fakten lassen aufhorchen. 1. Die Definition postoperativer Komplikationen ist sehr heterogen unter den Studien. Anastomoseninsuffizienzen als schwerste Komplikationsform werden nur in einem Teil (n=3) der Studien explizit aufgeführt. 2. Die Dauer zwischen der letzten Infliximabinfusion und dem Eingriff ist

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Therapierefraktäre chronisch entzündliche Darmerkrankungen. Eine chirurgische Herausforderung Immunsuppression aufzeigen. Zur Herabsetzung des Risikos müssen alle ­Risikofaktoren reduziert werden. Beim M. Crohn sind das in erster Linie eine Optimierung des Ernährungsstatus, eine Reduktion der Kortikoid­ therapie, Pausierung der Biologika und Immunsuppression, Splitstoma/protektives ­Stoma. Bei der Colitis ulcerosa sollte zusätzlich beim Hochrisikopatienten eine dreizeitige statt eine ein-/zweizeitige restaurative Proktokolektomie vorgenommen werden. Schlüsselwörter M. Crohn · Colitis ulcerosa · Immunsuppression · Biologika · Chirurgie

Refractory inflammatory bowel disease. Surgical challenges Abstract Surgery for inflammatory bowel disease under immunosuppressant drugs is a ­widely discussed topic. Because therapeutic concepts have significantly changed, almost no patient is currently without an immunosuppressant or biologic agent prior to surgery. However, the data whether biological agents and immunosuppressant are a risk factor are very inconsistent. Concerning Crohn’s disease, monotherapy with immunosuppressants or biological agents seems to have no negative influence on the postoperative results. In contrast, however, for ulcerative colitis more publications recognise biologic agents and immunosuppressants as a single therapy as a risk factor for infections. To

variabel. Manche Patienten haben die Infusion bis 12 Wochen vor dem Eingriff erhalten, bei der anderen Gruppe war der Zeitabstand zur Operation kürzer als 12 Wochen. Um ­dies ­genauer zu evaluieren, müsste der ­Serumspiegel präoperativ gemessen werden. 3. Die Malnutrition wird in den analysierten Arbeiten nicht einheitlich ­erwähnt. 4. Ebenso verhält es sich mit dem Einsatz von anderen Immunsuppressiva und Kortison, die in den Studien uneinheitlich angegeben werden.

reduce the general risk, all risk factors have to be reduced. In Crohn’s disease, nutritional status must be optimised, corticoids should be reduced, biological agents and immunosuppressant drugs should be stopped, protection of an eventual anastomosis by a stoma. For ulcerative colitis in high-risk patients, a three-stage restaurative proctocolectomy is favoured to a one- or two-staged proctocolectomy. Keywords Crohn disease · Colitis, ulcerative · Immunosuppresion · Biological agents · Surgery

5. Die hinzugekommenen Studien, die bis auf eine alle Anti-TNF-α-Antikörper nicht als Risikofaktor für infektiöse und nichtinfektiöse Komplikationen identifizieren, haben mit einer Fallzahl von 275 gegenüber 711 Patienten der ersten Metaanalyse deutlich weniger Patienten. 3 Studien, die in die Analyse mit einbezogen wurden, erscheinen nicht unter den Ergebnissen für infektiöse und nichtinfektiöse Komplikationen. Seit dieser Metaanalyse ist eine ­weitere prospektive Studie hinzugekommen Der Chirurg 11 · 2013 

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Leitthema Tab. 2  Literaturübersicht: Anti-TNF-α-Antikörper als Risikofaktor für postoperative Kompli-

kationen bei Colitis ulcerosa Autor

Patienten (n)

AntiTNF-α erhalten

Letzte Anti-TNFα-Gabe

Komlikationen gesamt

Negativer Effekt auf postoperative Komplikationen

Jarnerot [19] Selvasekar [38] Schluender [36]

(n) 301

7 47

29% 62%

Nein Ja

151

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n.a. 35% 2–6 Monate 49%

[Refractory inflammatory bowel disease: surgical challenges].

Surgery for inflammatory bowel disease under immunosuppressant drugs is a widely discussed topic. Because therapeutic concepts have significantly chan...
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