Z. Evid. Fortbild. Qual. Gesundh. wesen (ZEFQ) (2014) 108, 44—48

Online verfügbar unter www.sciencedirect.com

ScienceDirect journal homepage: http://journals.elsevier.de/zefq

KURZBERICHT ZUM SCHWERPUNKT

Empfehlungen zur Arzneimitteltherapiesicherheit im Krankenhaus Hanna Seidling 1,∗, Rebekka Lenssen 2 , für die AG AMTS des Aktionsbündnisses Patientensicherheit e.V. 1

Abteilung Klinische Pharmakologie und Pharmakoepidemiologie; Kooperationseinheit Klinische Pharmazie, Universität Heidelberg, Heidelberg 2 Apotheke der Uniklinik RWTH Aachen, Aachen

Einleitung In den vergangenen zwei Jahrzehnten wurde eine Reihe von Maßnahmen zur Verbesserung der Patientensicherheit allgemein und der Arzneimitteltherapiesicherheit (AMTS) im speziellen entwickelt, evaluiert und letztlich auch zur breiten Umsetzung und Implementierung empfohlen [1—4]. Um den Fortschritt und die Integration der Maßnahmen in der Routine longitudinal zu messen und gleichermaßen einen Überblick über die AMTS-relevanten Routineabläufe zu ermöglichen, wurden insbesondere für den stationären Bereich Werkzeuge zur Selbsteinschätzung (self-assessment) entwickelt (z.B. des Institute for Safe Medication Practices, ISMP [5]). Diese Self Assessments können häufig auch schon als eigener Baustein zur Optimierung der AMTS gesehen werden, fordern sie doch eine detaillierte Auseinandersetzung und damit ein kritisches Hinterfragen von Routineprozessen



Korrespondenzadresse: AG Arzneimitteltherapiesicherheit des Aktionsbündnisses Patientensicherheit e.V. E-Mail: [email protected] (H. Seidling).

1865-9217/$ – see front matter http://dx.doi.org/10.1016/j.zefq.2014.01.008

Indirekt zeigen sie damit Maßnahmen zur Optimierung von einzelnen Prozessschritten auf [6]. Mit dem Fragebogen des ISMP werden solche Erhebungen in mehreren Ländern in regelmäßigen Abständen landesweit in allen Kliniken durchgeführt, wobei die Ergebnisse nicht nur ein Benchmarking für einzelne Häuser ermöglichen, sondern potentiell auch eine longitudinale Entwicklung im gesamten Land dargestellt werden kann [7]. Mit derzeit über 250 Einzelfragen ist der Fragebogen des ISMP jedoch zeitaufwendig und damit ohne entsprechende Rahmenbedingungen nicht einfach zu implementieren. Zudem stellt eine solche Erhebung häufig eine zusätzliche Dokumentation neben den Berichten dar, die z.B. im Rahmen von Zertifizierungsmaßnahmen erstellt werden. Das Aktionsbündnis Patientensicherheit e.V. (APS) hat 2006 eine ,,Checkliste zur Arzneitherapiesicherheit im Krankenhaus‘‘ [8] veröffentlicht, die exemplarisch einige Maßnahmen zur Verbesserung der AMTS hervorgehoben hat. Mitte 2013 hat das APS seine Arbeitsgruppe AMTS damit beauftragt, die bestehende Checkliste unter Berücksichtigung der aktuellen Entwicklungen und der gegenwärtigen Evidenz für erfolgreiche AMTS-Maßnahmen zu aktualisieren.

Empfehlungen zur Arzneimitteltherapiesicherheit im Krankenhaus

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Abbildung 1 Ausschnitt aus der überarbeiteten Entwurfsversion ,,Empfehlungen zu AMTS im Krankenhaus‘‘; Auflistung der Basismaßnahmen zur AMTS.

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H. Seidling, R. Lenssen

Abbildung 2 Ausschnitt aus der überarbeiteten Entwurfsversion ,,Empfehlungen zu AMTS im Krankenhaus‘‘; Auflistung beispielhafter Maßnahmen zur Optimierung der AMTS entlang des Medikationsprozesses.

Methode Als primäres Ziel der Sammlung wurde definiert, Mitarbeiter und Verantwortliche in Krankenhäusern für bestimmte Risikosituationen in der Arzneimitteltherapie zu sensibi-

lisieren, Prozesse zu hinterfragen und einen Einstieg in mögliche Maßnahmen zur Verbesserung der AMTS zu ermöglichen. Im Listenformat werden Empfehlungen zur Optimierung der AMTS dargestellt. Die Liste kann als Hilfestellung

Empfehlungen zur Arzneimitteltherapiesicherheit im Krankenhaus für Krankenhäuser dienen, die Maßnahmen zur Verbesserung der AMTS implementieren oder ausbauen möchten. Zur Überarbeitung wurden international verfügbare AMTS-relevante Kriterien gemäß ISMP [5] und konkrete Maßnahmen-Empfehlungen wie z.B. solche der Agency for Healthcare Research and Quality (AHRQ) [1] oder des High 5’s Projektes [9] ebenso wie nationale Empfehlungen (z.B. des APS) und Empfehlungen aus Zertifizierungskatalogen berücksichtigt. Darüber hinaus wurde weder eine systematische Literaturrecherche noch eine Bewertung der verwendeten Literatur nach Evidenzkriterien durchgeführt. Unter der Prämisse der Machbarkeit in der klinischen Routine erstellten zwei Mitglieder der AG (HS und RL) unabhängig voneinander aus den oben genannten Quellen eine erste Auswahl an Empfehlungen. Dieser Entwurf wurde iterativ in mehreren Kommentierungsrunden durch die AG-Mitglieder überarbeitet sowie von Seiten des APS-Vorstandes diskutiert und kommentiert und liegt derzeit in einer präfinalen Fassung vor (Expertenkonsens). Diese Version soll in den nächsten Monaten in einem Abstimmungsprozess mit den APS Mitgliedern finalisiert und dann über die Homepage des APS verfügbar gemacht werden.

Ergebnis Insgesamt werden derzeit 36 Maßnahmen zur Optimierung der AMTS vorgeschlagen. Hierbei werden allgemeine Maßnahmen mit den Bereichen Verfügbarkeit von Informationen, Stellenwert der AMTS im Krankenhaus, Basismaßnahmen und Risikomanagement (vgl. Abbildung 1) sowie spezifische Maßnahmen, die sich entlang des Medikationsprozesses aufreihen, unterschieden (vgl. Abbildung 2). Ausschnitte aus dem derzeitigen Entwurf sind in den genannten Abbildungen dargestellt. Die einzelnen Maßnahmen zu einem Unterpunkt wurden nicht in eine bestimmte Reihenfolge gebracht oder gewichtet, jede Maßnahme kann somit unabhängig von anderen Maßnahmen implementiert werden. Die einzelnen Maßnahmen sind bewusst qualitativ gefasst und enthalten auf Grund häufig fehlender Evidenz keine quantitativen Parameter, an denen die Umsetzung gemessen werden könnte. Wie alle erstellten Empfehlungen des APS wird auch die Neuauflage der Checkliste als ,,Empfehlungen zur Arzneimitteltherapiesicherheit im Krankenhaus‘‘ auf der Homepage (www.aktionsbuendnis-patientensicherheit.de) veröffentlicht und ist somit kostenfrei für alle Interessierten zugänglich.

Diskussion Mit der Überarbeitung der Empfehlungen zur Verbesserung der AMTS im stationären Bereich stellt das APS interessierten Krankenhäusern eine aktualisierte Sammlung an Maßnahmen zur Verfügung. Bei der Auswahl wurde versucht, die Voraussetzungen, Möglichkeiten und Besonderheiten in deutschen Krankenhäusern zu berücksichtigen, wobei sowohl grundlegende als

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auch für den Medikationsprozess spezifische Maßnahmen adressiert werden. Wie jede Sammlung bzw. Auswahl von AMTS-fördernden Maßnahmen beinhaltet auch diese Sammlung im letzten Schritt die subjektive Meinung eines Expertengremiums, in diesem Fall die der AG AMTS und des APS-Vorstandes. Als Auswahl kann die Liste keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit erheben und bedarf regelmäßiger Überarbeitung. Mittelfristiges Ziel ist daher die Identifizierung von Indikatoren zur fortlaufenden Evaluation des Umsetzungsgrades und Nutzens von implementierten Maßnahmen zur AMTS. Durch die Auflistung konkreter Maßnahmen ist diese Liste praxisnah und für sämtliche am Medikationsprozess Beteiligten nutzbar. Sie erlaubt damit einen niederschwelligen Einstieg in AMTS-fördernde Maßnahmen indem sie - wo möglich - bestehende Prozesse aufgreift und Modifizierungen vorschlägt. Dabei ist die Art und Ausgestaltung der Implementierung der einzelnen Instrumente und Maßnahmen sind aufgrund der individuellen Prozessstrukturen an die jeweiligen örtlichen Gegebenheiten anzupassen. Nach Fertigstellung der Empfehlung sollen Praktikabilität und Nutzen für potentielle Anwender evaluiert werden. Hierfür sind sowohl eine Befragung von Krankenhäusern wie auch explizite Praxistests mit Krankenhäusern geplant, die exemplarisch mit der Empfehlungsliste arbeiten sollen. Zudem ist es ausdrücklich erwünscht, die Weiterentwicklung und Ergänzung des Dokumentes durch Rückmeldungen und Kommentare beim Lesen oder Anwenden an das APS zu richten. Kliniken, die sich an der Evaluation beteiligen möchten, können sich unter [email protected] melden.

Literatur [1] Agency for Healthcare Research and Quality Making Health Care Safer II: An Updated Critical Analysis of the Evidence for Patient Safety Practices. 2013. [Online]. Verfügbar unter: http://www.ahrq.gov/research/findings/evidence-basedreports/ptsafetyuptp.html, letzter Zugriff: 14.11.2013. [2] National Research Council. Preventing Medication Errors: Quality Chasm Series. Washington, DC: The National Academies Press; 2007 [online] Verfügbar unter.: http://books.nap.edu/ openbook.php?record id=11623, letzter Zugriff 23.01.2014. [3] Institute for Healthcare Improvement. The IHI Improvement Map. [online]. Verfügbar unter: http://app.ihi.org/imap/tool/, letzter Zugriff: 14.11.2013. [4] Shekelle PG, Pronovost PJ, Wachter RM, McDonald KM, Schoelles K, Dy SM, et al. The top patient safety strategies that can be encouraged for adoption now. Ann Intern Med 2013;158:365— 8. [5] Institute for safe medication pracitices. ISMP Medication Safety. Self Assessment® for Hospitals. 2011 [online]. Verfügbar unter: http://www.ismp.org/selfassessments/Hospital/2011/full.pdf, letzter Zugriff: 14.11.2013. [6] Lesar T, Mattis A, Anderson E, Avery J, Fields J, Gregoire J, Vaida A. VHA New England Medication Error Prevention Initiative Collaborative. Using the ISMP Medication Safety Self-Assessment to improve medication use processes. Jt Comm J Qual Saf 2003;29:211—26.

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Aus den Gesellschaften

[7] Smetzer JL, Vaida AJ, Cohen MR, Tranum D, Pittman MA, Armstrong CW. Findings from the ISMP Medication Safety Self-Assessment for hospitals. Jt Comm J Qual Saf 2003;29: 586—97. [8] Aktionsbündnis Patientensicherheit e.V. Checkliste zur Arzneitherapiesicherheit im Krankenhaus. 2006 [online]. Verfügbar

unter: http://www.aps-ev.de/fileadmin/fuerRedakteur/PDFs/ AGs/07-09-17 MF Checkliste.pdf, Letzter Zugriff: 14.11.2013. [9] High 5s. High 5’s Project Website. 2009 [online] Verfügbar unter: https://www.high5s.org/bin/view/Main/WebHome. Letzter Zugriff: 15.11.2013.

Leitlinien der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften im Register der AWMF: Qualitätsgeprüfte Entscheidungshilfen für die Praxis Meldungen zu möglichen Einflussnahmen der Pharmaindustrie auf Leitlinien haben die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften veranlasst, im Rahmen ihrer Delegiertenkonferenz am 09. November 2013 Bilanz zu ziehen über die aktuelle Qualität der Leitlinien im Register der AWMF. Die Medizin des 21. Jahrhunderts ist durch einen Kulturwandel geprägt: systematisch entwickelte Leitlinien zur Sicherung der Qualität der medizinischen Versorgung ersetzen die reine Orientierung an Meinungen einzelner Experten, Schulen oder Lehrbüchern. Die Fachgesellschaften erstellen in ehrenamtlichem Engagement hochwertige Leitlinien, die regelmäßig nach dem neuesten Stand des Wissens aktualisiert werden. Als Entscheidungshilfen für Ärzte und Patienten stellen sie diese über das Leitlinienregister der AWMF der Öffentlichkeit kostenfrei zur Verfügung. Für den Inhalt der Leitlinien sind die Fachgesellschaften verantwortlich. Die AWMF unterstützt und berät die Fachgesellschaften, achtet aber auf die Einhaltung strenger Regeln, um die Verlässlichkeit des Leitlinienregisters als Informationsquelle sicher zu stellen. Dazu gehören die öffentliche Ankündigung von Leitlinienvorhaben, die Offenlegung von Interessenkonflikten aller Mitglieder einer Leitliniengruppe und die transparente Darlegung des Entwicklungsprozesses einer Leitlinie. Seit

2010 werden Leitlinien, die nicht alle diese Voraussetzungen erfüllen, nicht mehr in das Register der AWMF aufgenommen. Auch werden Leitlinien, die nicht regelmäßig aktualisiert werden, aus dem Register gelöscht. Die wichtigsten Qualitätsmerkmale von Leitlinien sind ihre wissenschaftliche Grundlage durch systematische Recherche, Auswahl und Bewertung der Literatur durch Methodiker und Kliniker, der Pluralismus von Interessen durch die für den Adressatenkreis repräsentative Zusammensetzung der Leitliniengruppen und die Vermeidung unerwünschter Beeinflussungen der Gruppendiskussion durch strukturierte Konsensfindungstechniken. Die Erfüllung aller dieser Qualitätsmerkmale wird durch die AWMF sorgfältig geprüft und der jeweiligen Leitlinie eine Klasse zugewiesen, die das Ausmaß der systematischen Entwicklung für den Anwender auf den ersten Blick erkennbar macht (S1-S3). Der Anteil von Leitlinien der höchsten Klasse (S3) nimmt stetig zu. Aktuell enthält das AWMF Leitlinienregister ca. 700 Publikationen, davon entsprechen 123 der Klasse S3 und 159 der Klasse S2. Die Fachgesellschaften unternehmen erhebliche Anstrengungen, um die inhaltliche Validität der Leitlinien zu gewährleisten. Bei der großen Zahl von Leitlinienempfehlungen kann es aber trotz größter Sorgfalt in Einzelfällen vorkommen, dass Aussagen später korrigiert werden müssen. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn sich nachträglich herausstellt,

AUS DEN GESELLSCHAFTEN dass Ergebnisse von Publikationen nicht bestätigt werden. Hinweise auf fehlerhafte Studiengrundlagen sind daher willkommen, werden sehr ernst genommen und von der AWMF an die Fachgesellschaften weitergeleitet. Aktuelle Leitlinien können auch direkt über die AWMF-Internetseite kommentiert werden. Die Fachgesellschaften reagieren schnell — z.B. wurde eine Schmerzleitlinie innerhalb von 4 Wochen nach Bekanntwerden von Studienfälschungen komplett überprüft und ein Addendum publiziert. Das AWMF-Regelwerk Leitlinien ist online verfügbar: www.awmf.org/leitlinien/ awmf-regelwerk.html GMS Mitteilungen aus der AWMF 2013, Vol. 10, ISSN 1860-4269 1/2 OPEN ACCESS Mitteilung AWMF-Regelwerk Leitlinien

Korrespondenzadresse: Prof. Dr. med. Ina B. Kopp AWMF-IMWi c/o Philipps-Universität, Karl-von-Frisch-Str. 1, 35043 Marburg [email protected]

(Nachdruck von: Kopp I, Kreienberg R, Müller W. Leitlinien der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften im Register der AWMF: qualitätsgeprüfte Entscheidungshilfen für die Praxis. GMS Mitt AWMF.2013;10:Doc14)

[Recommendations for medication safety in the hospital].

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