Leitthema Urologe 2014 · 53:823–831 DOI 10.1007/s00120-014-3519-z Online publiziert: 15. Mai 2014 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

A. Heidenreich · D. Pfister · D. Porres Klinik für Urologie, Universitätsklinikum Aachen

Radikale Tumorchirurgie des Nierenzell- und Prostatakarzinoms bei hämatogener Metastasierung Vorteile

Die zytoreduktive Tumorchirurgie verfolgt die Rationale durch eine Tumormassenreduktion einen onkologischen Benefit in Bezug auf das tumorspezifische Überleben bzw. das Ansprechen auf eine nachfolgende systemische medikamentöse Tumortherapie zu erzielen. In verschiedenen klinischen Studien zum Mamma-, Kolon- und Ovarialkarzinom konnte ein überlebensverbessernder Effekt der alleinigen maximalen Tumorreduktion dargestellt werden [1, 2, 3, 4, 5, 6, 7]. In anderen klinischen Untersuchungen wurde ein verbessertes therapeutisches Ansprechen auf eine Systemtherapie nach Resektion des Primärtumors beim Glioblastom, Kolon- und Nierenzellkarzinom beschrieben [1, 2, 3, 4, 5, 6, 7]. Auch wenn die dem vermeintlich positiven Effekt der zytoreduktiven Chirurgie zugrunde liegenden pathogenetischen Mechanismen noch weitgehend unbekannt sind, werden im Wesentlichen 3 Hypothesen diskutiert: 1. Entfernung des kontinuierlich metastasierungsfähigen Organs: Tzepi et al. [8] behandelten in einer aktuellen klinischen Studie XX-Patienten mit lymphogen metastasiertem Prostatakarzinom unter neoadjuvanten Bedingungen mit 6 Zyklen Docetaxel und einer

LHRH-Therapie über 1 Jahr bevor eine radikale Prostatektomie (RPE) mit pelviner Lymphadenektomie erfolgte. Alle Patienten wiesen intraprostatisch vitale Tumorzellklone auf, die nach molekularer Analyse eine signifikante erhöhte epitheliale und stromale Expression von CYP17, SRD5A1 und Komponenten des „hedgehog pathways“ sowie eine Modulation des IGF-1-Pathways als Surrogatmarker für weiterhin persistierende, letale und metastasierungsfähige Zellklone zeigten, so dass die Autoren einen individuellen Benefit durch die zytoreduktive Tumorresektion postulieren. 2. Resektion des für die Freisetzung von progressionsfördernden Wachstumsfaktoren verantwortlichen Organs [9]. 3. Entfernung des für eine kontinuierliche Freisetzung von immunsuppressiven Hormonen bzw. Zytokinen (Wasserstoffperoxid, Prostaglandin E1, Interleukin 10 etc.) verantwortlichen Organs [10]: In diesem Zusammenhang wurde beim metastasierten Nierenzellkarzinom (mNZK) die Präsenz einer immunologischen Dysfunktion der T-Lymphozyten identifiziert: 65% der Patienten mit mNZK zeigten Aktivierungsdefekte der T-Zellen, während dieses Phänomen nur bei 6% der Patienten aus Kontrollgrup-

pen beobachtet wurde. Nach Entfernung des Primärtumors regenerierte sich die ­T-Zellaktivität bei nahezu der Hälfte der Patienten mit mNZK. Uzzo et al. [11] konnten in In-vitro-Studien nachweisen, dass durch das NZK produzierte und sezernierte Ganglioside die Synthese von Il-2 und IFN-γ durch periphere T-Lymphozyten als auch die Synthese spezifischen Zytokinen wie IL-1β, TNF-a und IL-6 inhibieren können. Die Entfernung des Primärtumors führte zu einer Regeneration der Immunantwort. Im Folgenden soll die Frage einer zytoreduktiven Tumorresektion beim mNZK sowie beim systemisch metastastasierten Prostatakarzinom (mPCA) anhand einer Literaturübersicht sowie eigener Erfahrungen kritisch reflektiert werden.

Zytoreduktive radikale Nephrektomie beim mNZK Die zytoreduktive radikale Nephrektomie (ZRN) stellt einen etablierten und integralen Bestandteil der multimodalen Therapie des mNZK dar [12]. Dieses therapeutische Konzept wurde basierend auf den Resultaten von 2 prospektiv randomisierten klinischen Phase-III-Studien der EORTC und der SWOG realisiert, die den Stellenwert der ZRN gefolgt von einer systemiDer Urologe 6 · 2014 

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Zusammenfassung · Abstract Urologe 2014 · 53:823–831  DOI 10.1007/s00120-014-3519-z © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014 A. Heidenreich · D. Pfister · D. Porres

Radikale Tumorchirurgie des Nierenzell- und Prostatakarzinoms bei hämatogener Metastasierung. Vorteile Zusammenfassung Der Stellenwert der zytoreduktiven Tumorchirurgie urologischer Malignome wird in der Literatur kontrovers diskutiert. In der vorliegenden Arbeit wird die Rolle der zytoreduktiven Chirurgie beim hämatogen und lymphogen metastasierten Nierenzell- bzw. Prostatakarzinom entsprechend der Literatur und eigener Erfahrungen kritisch reflektiert. Die zytoreduktive Nephrektomie ist beim metastasierten Nierenzellkarzinom auch in der Ära der molekularen Therapie mit einem Überlebensvorteil gegenüber der alleinigen medikamentösen Therapie vergesellschaftet, wenn bei den Patienten ein guter Allgemeinzustand und eine günstige/intermediäre Prognose vorliegen, zerebrale oder Metastasen im zentralen Nervensystem (ZNS) ausgeschlossen sind und mindestens 90% des Tumorvolumens durch die zytoreduktive ra-

dikale Nephrektomie (ZRN) reseziert werden können. Erste kleine Studien deuten darauf hin, dass eine präoperative medikamentöse Tumortherapie mit einer geringeren Einjahressterblichkeit assoziiert ist. Beim Prostatakarzinom ist die zytoreduktive radikale Prostatektomie (RPE) eine leitlinienempfohlene Therapie bei Vorliegen von intrapelvinen Lymphknotenmetastasen, die mit einem Überlebensbenefit gegenüber der alleinigen Androgendeprivation verbunden ist. Die zytoreduktive RPE sollte unter den folgenden Bedingungen erfolgen: 1) limitierte, intrapelvine Metastasierung ohne „bulky disease“, 2) komplette Resektabilität des Primärtumors und der Metastasen durch extendierte radikale Prostatektomie und extendierte pelvine Lymphadenektomie, 3) Einbindung des Patienten in ein multimodales

Therapiekonzept und 4) Lebenserwartung >10 Jahre. Der Stellenwert der zytoreduktiven RPE beim ossär metastasierten Prostatakarzinom (mPCA) ist aufgrund fehlender klinischer Studien noch unklar. Eine unreflektierte Indikationsstellung zur zytoreduktiven RPE ist derzeit nicht gerechtfertigt. Erste Studien weisen auf einen Benefit für Patienten mit günstigen Prognosefaktoren hin: minimale Tumorlast, PSA-Reduktion (prostataspezifisches Antigen) 90% of the total cancer volume can be eliminated. Preliminary clinical studies suggest that neo-

schen Therapie mit Interferon-α (INF-α) gegenüber eine alleinigen INF-α-Therapie analysierten und einen Überlebensbenefit von 13,6 Monaten in dem operierten Kollektiv vs. 7,8 Monaten in der nicht operierten Kohorte (p=0,002) dokumentierten [4, 5]. Der Überlebensbenefit zeigte sich jedoch nur für die Patienten in gutem Allgemeinzustand, fehlenden signifi-

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adjuvant systemic treatment might be associated with a significantly reduced 1-year mortality rate. For prostate cancer cytoreductive radical prostatectomy is one of the guideline-recommended treatment options for men with intrapelvic lymph node metastases resulting in survival benefit when compared to androgen deprivation as monotherapy. Cytoreductive radical prostatectomy should be performed (1) in the presence of limited intrapelvic lymph node metastasis without bulky disease, (2) if complete resectability of the primary cancer and its metastasis can be achieved by extended radical prostatectomy and extended pelvic lymphadenectomy, (3) if the patient is included in a multimodality approach, and (4) if the life expectancy is > 10 years.

kanten Komorbiditäten und Metastasen im zentralen Nervensystem (ZNS).

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Die ZRN stellt einen etablierten und integralen Bestandteil der multimodalen Therapie des mNZK dar

The role of cytoreductive radical prostatectomy in men with osseous metastases remains unclear due to the lack of large clinical trials. Despite the presence of the first promising studies, it is not justified to perform cytoreductive radical prostatectomy outside clinical trials. Preliminary results from small studies indicate that patients with minimal metastatic burden, PSA decrease < 1.0 ng/ml following neoadjuvant ADT for 6 months and complete resectability of the tumor exhibit the best prognosis to benefit from this new surgical approach. Keywords Prostate cancer · Lymph node metastasis · Bone metastasis · Bladder neck infiltration · Radical prostatectomy

In der Ära der Therapie mit Multityrosinkinaseinhibitoren (MTKI) wird der therapeutische Stellenwert der ZRN aufgrund fehlender prospektiver klinischer Studien durchaus in Frage gestellt. Ein oftmals angeführtes Argument für die Durchführung der ZRN stellt die Tatsache dar, dass >90% der Patienten nephrektomiert wurden, die in die prospektiven klinischen

Leitthema Studien zu MTKI, VEGF- („vascular endothelial growth factor“) und mTOR-Inhibitoren („mammalian target of rapamycin“) rekrutiert wurden, so dass die Resultate dieser Studien streng genommen nur auf ebendieses Patientenkollektiv übertragen werden können. Verschiedene Arbeitsgruppen haben sich in der jüngsten Vergangenheit in retrospektiven Serien mit dem Nutzen der ZRN in der MTKI-Ära befasst und versucht, Prognosefaktoren zu erarbeiten, die mit einem therapeutischen Benefit assoziiert sein können. Choueri et al. [13] analysierten das größte Kollektiv mit 314 Patienten, von denen 201 eine ZRN erhielten, während 113 nur medikamentös therapiert wurden. Dabei erhielten 198 Patienten Sunitinib und 94 bzw. 22 Patienten Sorafenib bzw. Bevacizumab + IFN-α. Die Patienten wurden bezüglich der Auswertung des Gesamtüberlebens, des progressionsfreien Überlebens sowie der Remissionsraten nach systemischer Therapie entsprechend der von Heng et al. [14] etablierten Risikofaktoren stratifiziert. Die Patienten zeigten nach ZRN ein statistisch signifikant besseres Überleben als die nur medikamentös therapierten Patienten (19,8 vs. 9,4 Monate; p80%) weisen ebenfalls ein signifikant verbessertes Gesamtüberleben nach ZRN (23,9 vs. 14,5 Monate; p

[Radical cancer surgery of renal cell and prostate carcinoma with hematogenous metastasis: benefits].

The therapeutic role of cytoreductive surgery for urogenital malignancies is controversially discussed in the literature. The current article critical...
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