Originalarbeit

Qualitätssicherung in der Sozialmedizinischen Begutachtung durch Peer Review – ein Pilotprojekt der Deutschen Rentenversicherung Quality Assurance in Sociomedical Evaluation by Peer Review: A Pilot Project of the German Statutory Pension Insurance Autoren

A. Strahl1, C. Gerlich1, H.-D. Wolf1, J. Gehrke2, A. Müller-Garnn2, H. Vogel1

Institute

1

Schlüsselwörter ▶ sozialmedizinische ● ­Begutachtung ▶ Qualitätssicherung ● ▶ Peer Review ● ▶ Interrater-Reliabilität ● Key words ▶ sociomedical evaluation ● ▶ quality assurance ● ▶ peer review ● ▶ inter-rater reliability ●

Bibliografie DOI http://dx.doi.org/ 10.1055/s-0034-1390450 Online-Publikation: 2014 Gesundheitswesen © Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York ISSN 0941-3790 Korrespondenzadresse André Strahl M.Sc. Rehabilitationspsychologe Abteilung für Med. Psychologie und Psychotherapie Med. Soziologie und Rehabilitationswissenschaften Universität Würzburg Klinikstraße 3 97070 Würzburg [email protected]

Zusammenfassung

Abstract

Einleitung:  Auf Initiative der Kommission zur Weiterentwicklung der Sozialmedizin in der gesetzlichen Rentenversicherung wurde in den letzten Jahren ein Qualitätssicherungskonzept für die sozialmedizinische Begutachtung bei Anträgen auf Erwerbsminderungsrenten entwickelt, dem ein Peer Review-Verfahren zugrunde liegt. Die Qualitätsbewertung in diesem Verfahren vollzieht sich mithilfe eines hierarchisch aufgebauten Prüffragenkatalogs, der in diesem Pilotprojekt auf seine Güte hin evaluiert wurde. Methoden:  Datengrundlage bildeten 260 Erstgutachten zur Erwerbsminderungsrente von 12 teilnehmenden Rentenversicherungsträgern, zu denen insgesamt 771 Reviews von 19 Peers erstellt wurden. Zur Beurteilung der Reliabilität wurde in erster Linie Kendalls Konkordanzkoeffizient W herangezogen. Ergebnisse:  Für das Verfahren konnten je nach Prüffrage sehr heterogene Reliabilitätswerte identifiziert werden. Der Range für Kendells W erstreckte sich dabei von 0,09 bis 0,88. Das übergeordnete Kriterium, welches gleichzeitig das Hauptzielkriterium ist, erreicht einen Wert von 0,37. Schlussfolgerung: Die Interrater-Reliabilität des Peer Reviews der sozialmedizinischen Begutachtung mithilfe des vorliegenden Manuals erweist sich im Kontext vergleichbarer Studienergebnisse aus anderen Peer Review-Kontexten als akzeptabel. Ansatzpunkte für eine Verbesserung können in einer systematischen Schulung und regelmäßigen Anwendertreffen der Peers gesehen werden.

Background:  The sociomedical evaluation by the German Pension Insurance serves the pur­ pose of determining entitlement to disability pensions. A quality assurance concept for the sociomedical evaluation was developed, which is based on a peer Review process. Peer review is an established process of external quality assurance in health care. The review is based on a hierarchically constructed manual that was evaluated in this pilot project. Methods:  The database consists of 260 medical reports for disability pension of 12 pension insurance agencies. 771 reviews from 19 peers were included in the evaluation of the inter-rater reliability. Kendall’s coefficient of concordance W for more than 2 raters is used as primary measure of inter-rater reliability. Results:  Reliability appeared to be heterogeneous. Kendalls W varies for the particular criteria from 0.09 to 0.88 and reached for primary criterion reproducibility a value of 0.37. Conclusion:  The reliability of the manual seem­ ed acceptable in the context of existing research data and is in line with existing peer review research outcomes. Nevertheless, the concordance is limited and requires optimisation. Starting points for improvement can be seen in a systematic training and regular user meetings of the peers involved.

Einleitung

Qualität von Behandlungsprozessen und Behandlungsergebnissen auf Basis definierter Bewertungskriterien. Voraussetzung für ein faires Konzept zur Qualitätssicherung ist, dass es nicht von Bedeutung ist, von welchem konkreten Beurteiler die Qualitätsbewertung durchgeführt wird,





Das Peer Review ist ein etabliertes Verfahren der externen Qualitätssicherung im Gesundheitswesen [1, 2]. Im Allgemeinen beurteilt im Peer Review ein gleichgestellter externer Fachkollege die



Strahl A et al. Qualitätssicherung in der Sozialmedizinischen …  Gesundheitswesen

Heruntergeladen von: NYU. Urheberrechtlich geschützt.



 Abteilung für Med. Psychologie und Psychotherapie, Med. Soziologie und Rehabilitationswissenschaften, Universität Würzburg, Würzburg 2  Bereich Sozialmedizin, Deutsche Rentenversicherung Bund, Berlin

Originalarbeit

Tab. 1  Aufbau des Prüffragenkatalogs.

Einzelkriterien

Übergeordnetes Kriterium

Kriterium

Anzahl der P ­ rüffragen Pilotprojekt

Stand 2013

formale Gestaltung

2

2

Verständlichkeit Transparenz

4 3

2 3

Vollständigkeit medizinisch-wissenschaftliche Grundlagen Wirtschaftlichkeit

9 2

5 2

2

2

Nachvollziehbarkeit des Gutachtens

1

1

sodass die Rater im Peer Review-Verfahren prinzipiell untereinander austauschbar sind. Hohe Reliabilität ist dann gewährleistet, wenn ein anderer Rater mit gleichem Wissensstand im optimalen Fall zum gleichen, zumindest aber zu einem ähnlichen Ergebnis kommt [3, 4]. Der Einsatz des Peer Reviews als Bewertungsmethode erfordert daher die Überprüfung der Beurteilerübereinstimmung bzw. Interrater-Reliabilität als wichtigstes Gütekriterium [5]. In Deutschland ist das Peer Review seit Mitte der 90er Jahre des 20. Jahrhunderts Bestandteil der externen Qualitätssicherung im Bereich der medizinischen Rehabilitation [6–10]. Die Ergebnisse des Peer Reviews werden vergleichend dargestellt und den teilnehmenden Reha-Einrichtungen systematisch zurückgemeldet, um eine nachhaltige Verbesserung der Qualität zu ermöglichen [11, 12]. Im Gegensatz zur medizinischen Rehabilitation existierte bisher keine externe Qualitätssicherung für die sozialmedizinische Begutachtung. Jedoch war es Anliegen der Kommission zur Weiterentwicklung der Sozialmedizin in der gesetzlichen Rentenversicherung (SOMEKO), eine systematische und bundesweit einheitliche Bewertung der Qualität von Gutachten zu ermöglichen [13–15]. Davon ausgehend wurde durch ein Expertengremium der Deutschen Rentenversicherung ein Qualitätssicherungskonzept entwickelt, dem als Methode das Peer Review durch erfahrene Sozialmediziner zu Grunde gelegt ist. Die Operationalisierung erfolgte bis 2010 durch die Erstellung eines Prüffragenkatalogs sowie eines dazugehörigen Bewertungssystems [16]. Ziel des Qualitätssicherungsverfahrens ist es, die Transparenz der sozialmedizinischen Gutachten für alle Nutzergruppen zu erhöhen und langfristig eine vergleichbar hohe Begutachtungsqualität zwischen den Sozialmedizinischen Diensten der Rentenversicherungsträger zu ermöglichen [15].

Methoden



Qualitätsbewertung sozialmedizinischer Gutachten

Die Qualitätsbewertung sozialmedizinischer Gutachten erfolgt anhand eines in seiner Struktur hierarchisch aufgebauten Prüffragenkatalogs. Auf basaler Ebene liegen 6 Einzelkriterien vor, die sich – je nach Kriterium – aus unterschiedlich vielen ▶  Tab. 1). Den Einzelkriterien konPrüffragen zusammensetzen ( ● zeptionell übergeordnet ist das Kriterium der Nachvollziehbarkeit des Gutachtens als Ganzes (übergeordnetes Kriterium). Zur Beantwortung der Prüffragen steht auf der Ebene der EinzelkriStrahl A et al. Qualitätssicherung in der Sozialmedizinischen …  Gesundheitswesen

Beispiel Inwieweit werden die Gliederungsvorgaben gemäß den Anforderungen eingehalten? Inwieweit ist die sprachliche Ausdrucksweise korrekt und unmissverständlich? Inwieweit sind Herkunft, zeitliche Einordnung und Kernaussagen von medizinischen Informationen erkennbar? Inwiefern wird die Anamnese vollständig dargestellt? Inwieweit wird der allgemein anerkannte Stand medizinischer Erkenntnisse beachtet? Inwieweit ist die eingesetzte Diagnostik für die Beantwortung der sozialmedizinischen Fragestellung geeignet und notwendig? Bewerten Sie die Nachvollziehbarkeit des Gutachtens anhand der Argumentationsführung.

terien ein 4-fach gestuftes Bewertungsschema mit den Kategorien keine/leichte/deutliche/gravierende Mängel zur Verfügung. Hierbei sind jeder Prüffrage spezifische Definitionen und erläuternde Texte zur Mängelabstufung hinterlegt. Auf Ebene des übergeordneten Kriteriums kommt ein Ampelbewertungsschema mit den Mängelabstufungen grün/gelb/rot zum Einsatz. Während ein grün beurteiltes Gutachten keine entscheidenden Mängel in der Argumentationsführung enthält, bedeutet eine gelbe Bewertung, dass Mängel vorliegen, die Argumentationsführung des Gutachtens jedoch mit sozialmedizinischer Expertise rekonstruiert werden kann. Rote Review-Bewertungen signalisieren entscheidende Mängel in der Argumentationsführung eines Gutachtens. Der Prüffragenkatalog und die jeweiligen Mängeldefinitionen sind in einem Manual niedergelegt und können im Detail dort1 nachgelesen werden.

Durchführung

Das Peer Review auf Grundlage des Prüffragenkatalogs wurde im vorliegenden Pilotprojekt hinsichtlich der Beurteilerübereinstimmung bzw. Interrater-Reliabilität überprüft. Dazu wurden zunächst in einem 2-tägigen Schulungsworkshop 20 erfahrene Sozialmediziner von 12 teilnehmenden Rentenversicherungsträgern im Umgang mit dem Manual zum Peer Review-Verfahren geschult. Die Qualitätsbewertung wurde an anonymisierten Beispielgutachten eingeübt, divergentes Antwortverhalten im konsensorientierten Diskurs angeglichen und im Anschluss an den Workshop wurden nochmals 3 Probe-Gutachten beurteilt. Zur Überprüfung der Beurteilerübereinstimmung bzw. Interrater-Reliabilität als Gütekriterium für das Peer Review-Verfahren erfolgte im Review-Zeitraum von Juli bis Dezember 2011 eine Qualitätsbewertung sozialmedizinischer Gutachten. Verwendung fanden ausschließlich Erstgutachten zur Erwerbsminderungsrente mit körperlicher Untersuchung. Insgesamt wurden 260 anonymisierte Gutachten aus den Beständen der teilnehmenden Rentenversicherungsträger beurteilt. 20 dieser Gutachten wurden zufällig ausgewählt und von allen Peers beurteilt. Die verbleibenden 240 Gutachten wurden mithilfe einer Verteilungssystematik auf je 2 Peers (Peer-Doublette) zur Beurteilung aufgeteilt. Kein Peer erhielt dabei Gutachten seines eigenen Trägers. Die Zuordnung der Gutachten auf die Beurteiler bzw. Peer-Doubletten erfolgte randomisiert. 1

 Das Manual zum Peer Review-Verfahren zur Qualitätssicherung der sozialmedizinischen Begutachtung (Stand: Jan. 2013) ist auf der Homepage der Deutschen Rentenversicherung publiziert.

Heruntergeladen von: NYU. Urheberrechtlich geschützt.

Ebene

Originalarbeit

94

Gutachten 2 Gutachten 3

88 35

19

69

Gutachten 6

25

65

29 44

50

Gutachten 8

20

73

Gutachten 9

60 50

Gutachten 11

41

Gutachten 12

27 37

Gutachten 14

31

6

Gutachten 15

31

6

Gutachten 16 Gutachten 17

7

Gutachten 18

Gutachten 19 6

13

Gutachten 20

grün

gelb

Abb. 1  Ampelbewertungen (übergeordnetes Kriterium) für die 20 von allen Peers beurteilten Gutachten (in  %).

12 25

38

31

41

35 65

18

70

24

70

23

77

rot

Gütekriterien

Im Rahmen der Pilotstudie wurden Kendalls Konkordanzkoeffizient W, Cohens Kappa, Spearmans Rho und der Kontingenzkoeffizient C berechnet, um die Beurteilerübereinstimmung und Interrater-Reliabilität durch unterschiedliche Kennzahlen zu charakterisieren [17]. Für diese Koeffizienten liegen keine allgemeingültigen Interpretationskonventionen vor, werden jedoch in der Regel ab einer Höhe von 0,7 als gut interpretiert [3, 4, 17– 21]. Abweichungen von diesem allgemeinen Orientierungswert sind möglich, insbesondere dann, wenn es im speziellen ­Forschungskontext, z. B. aufgrund empirischer Ergebnisse aus vergleichbaren Studien, angezeigt erscheint [17]. Da bei Qualitätsmessungen in der medizinischen Versorgung häufig niedrigere Koeffizienten berichtet werden [5, 22], wurde für das Pilotprojekt als Orientierungsmarke der Wert 0,40 angenommen. So liegen bspw. im Reha-Qualitätssicherungsverfahren der gesetzlichen Rentenversicherung für Kendalls W Reliabilitätswerte zwischen 0,15 und 0,60 [4] beim Peer Review von Entlassungsberichten und für ein Peer Review-Verfahren in der Rehabilitation der gesetzlichen Unfallversicherung (BGSW) Reliabilitätswerte in Höhe von 0,30 bzw. 0,50 vor [21]. Darüber hinaus wurden die Koeffizienten gegen eine überhöhte Ausprägung abgesichert. Es wurde gefordert, dass die Koeffizienten über den Wert hinausgehen, der aufgrund von Einflussfaktoren zu erwarten ist, die für die Gutachtenqualität nicht bedeutsam sind. Hintergrund bilden Überlegungen, dass sich hohe Ausprägungen der Koeffizienten bereits aus Faktoren ergeben können, die in Bezug auf die Qualität der Gutachten inhaltlich irrelevant oder zumeist rein erhebungstechnisch bedingt sind, wie z. B. die Anzahl der Skalenkategorien, bevorzugte Kategorien in der Bewertungssystematik oder Antworttendenzen einzelner Peers [21]. Für die unterschiedlichen Gütekoeffizienten wurde diese Mindestanforderung berechnet2. Die Einhaltung des Mindestkriteriums ist Voraussetzung für die Reliabilität des Verfahrens. Für die Ergebnisdarstellung wird die Höhe der gemittelten Werte berichtet, da für die Beurteilung der Güte die Lageausprägung der Koeffizienten die entscheidende Information vermittelt.

2

41

35

13

18

44

24

12

18

38

47

6

6

41

44

Gutachten 13

75

Gutachten 5

Gutachten 10

12 65

Gutachten 4

Gutachten 7

6

 Die Gütekoeffizienten wurden wie folgt berechnet: Beurteilen normalerweise Rater im Peer Review jeweils das gleiche Gutachten, wurden nun unterschiedliche Gutachten der „gleichen“ Peers miteinander verrechnet (d. h. die Bewertung des Gutachtens X durch Peer A verrechnet mit den Bewertungen des Gutachtens Y durch Peer B einer Peer-Doublette). Somit wurden die Beurteiler-Gutachten-Berwertungsmatrices zeilenweise um ein Gutachten versetzt und die Koeffizienten berechnet.

Ergebnisse



Insgesamt gingen 771 Reviews von 19 Peers in die Reliabilitätsanalyse ein. Davon bezogen sich 325 Reviews auf die 20 Gutachten, die alle Peers beurteilten, 446 Reviews auf die 240 Gutachten, die mithilfe des Verteilungsschemas auf 18 Peer-Doubletten verteilt waren.  ▶  Abb. 1 zeigt exemplarisch die Beurteilung der 20 von allen ● Peers bewerteten Gutachten anhand des übergeordneten Kriteriums der Nachvollziehbarkeit (Ampelbewertungsschema). Es wird zum einen deutlich, dass sich die Gutachten untereinander hinsichtlich der Qualitätszuschreibung unterscheiden. So finden sich Gutachten, die in der Nachvollziehbarkeit des Gutachtens kaum bemängelt wurden (z. B. Gutachten 1). Dagegen finden sich auch Gutachten, für die die Nachvollziehbarkeit als mit entscheidenden Mängeln behaftet gesehen wurde (z. B. Gutachten 20). Gleichzeitig zeigte sich aber auch, dass die Qualitätszuschreibungen durch verschiedene Peers nicht einheitlich ausfallen. Einige Gutachten werden einheitlicher bewertet (z. B. beurteilte die große Mehrheit Gutachten 1 mit „grün“, wenige mit „gelb“), andere dagegen uneinheitlich (z. B. Gutachten 15 mit fast gleichen Anteilen „grün“, „gelb“ und „rot“).

Reliabilitätskoeffizienten

Auf Grundlage des Datenpools aller 771 Reviews zeigte sich für die Gütekoeffizienten folgendes Bild: Für das übergeordnete Kriterium „Nachvollziehbarkeit des Gutachtens“ ergab sich für Ken▶  Tab. 2). Auf Ebene der Einzelkritedalls W ein Wert von 0,37 ( ● rien zeigte sich eine heterogene Datenlage, die Koeffizienten der einzelnen Prüffragen lagen zwischen 0,09 und 0,88. Davon zeigten 6 Prüffragen einen Wert um 0,4, 7 einen Wert um 0,3, 6 einen Wert um 0,2 und 2 einen Wert um 0,1. Der Median für Kendalls W für alle 22 Prüffragen auf der Ebene der Einzelkriterien beträgt 0,31. In ●  ▶  Tab. 2 sind neben Kendalls W die Werte der weiteren Reliabilitätskoeffizienten aufgelistet. Die Reliabilität liegt mit einer Höhe von 0,37 für das übergeordnete Kriterium in der Nähe der angenommenen Orientierungsmarke von 0,4. Insgesamt liegen die ermittelten Werte auf dem Niveau wie in der Literatur für die Messung der Qualität in der medizinischen Versorgung durch Peer Review-Verfahren berichteten Reliabilitätprüfungen. Insbesondere ist Kendalls W für das übergeordnete Kriterium vergleichbar mit den Reliabilitätsergebnissen im Bereich der sozialmedizinischen Stellungnahme im Reha-Qualitätssicherungsverfahrens für die beiden Indika­ tionsbereiche Orthopädie (Kendalls W = 0,35 im Reha-Qualitäts-

Strahl A et al. Qualitätssicherung in der Sozialmedizinischen …  Gesundheitswesen

Heruntergeladen von: NYU. Urheberrechtlich geschützt.

Gutachten 1

Originalarbeit

Tab. 2  Reliabilitätskoeffizienten. Einzelkriterium

Übergeordnetes Kriterium

Übereinstim-

Formale

Verständ-

Transpa-

Vollstän-

Medizinisch-wissen-

Wirtschaft-­

Nachvollziehbarkeit

mungsmaß

Gestaltung

lichkeit

renz

digkeit

schaftliche Grundlagen

lichkeit

des Gutachtens

Kappa Spearman Kontingenz-­ koeffizient C

0,22 0,88 0,09 0,73 0,16 0,82 0,42 0,73

0,15 0,42  − 0,01 0,27 0,09 0,36 0,30 0,52

0,31 0,39 0,10 0,19 0,25 0,33 0,44 0,52

0,7 0,6 0,5 0,42 0,4

0,37

0,37 0,31

0,3

0,2

0,2 0,1 0

0,05 Kendalls W

– 0,01 Spearman Rho

Reliabilität des Peer Review-Verfahrens

–0,01 Kappa

Kontingenzkoeffizient C

Überprüfung der Mindestanforderung

Abb. 2  Reliabilitätskoeffizienten.

sicherungsverfahren) und Neurologie (Kendalls W  =  0,30 im Reha-Qualitätssicherungsverfahren) [4]. Für die Höhe der Reliabilitätskoeffizienten, die als Mindestanforderung für das Verfahren errechnet wurden, zeigte sich folgendes Ergebnis: Kendalls W liegt für das übergeordnete Kriterium (ebenso wie für die einzelnen Prüffragen) mit 0,05 nahe am ▶  Abb. 2). Ein verWert 0 und ist deutlich von 0,37 verschieden ( ● gleichbares Ergebnis zeigte sich für die weiteren berechneten Koeffizienten mit Ausnahme des Kontingenzkoeffizienten C. Die Reliabilitätskoeffizienten erfüllen somit die Mindestanforderung. Folglich kann davon ausgegangen werden, dass die berichteten Reliabilitätskennwerte nicht alleine auf Einflussfaktoren, die für die Gutachtenqualität nicht von Bedeutung sind, beruhen. Lediglich der Kontingenzkoeffizient C erwies sich als sensitiv gegenüber derartigen Einflussfaktoren und kann daher nicht für die Reliabilitätsbetrachtung empfohlen werden. Die Güte des Verfahrens kann aber als substantiell angesehen werden.

Diskussion und Folgerung



Bei der Überprüfung der Interrater-Reliabilität des Peer Review-Verfahrens zur Qualitätssicherung der sozialmedizinischen Begutachtung wurde in der Pilotdurchführung der in der Methodenliteratur empfohlene Grenzwert für die Reliabilität nicht erreicht. Es konnten jedoch ähnliche Ergebnisse erzielt werden wie in Untersuchungen vergleichbarer Peer Review-Verfahren. Während die Spannweite der Prüffragen der Einzelkriterien von einer guten bis sehr geringen Reliabilität reicht, kann Strahl A et al. Qualitätssicherung in der Sozialmedizinischen …  Gesundheitswesen

0,09 0,45 0,01 0,51 0,03 0,39 0,35 0,52

0,24 0,38 0,46 0,46 0,18 0,32 0,34 0,40

0,29 0,31 0,09 0,19 0,23 0,25 0,35 0,45

0,37 0,20 0,31 0,42

für das übergeordnete Kriterium der Nachvollziehbarkeit des Gutachtens eine substantielle Reliabilität festgestellt werden. Das Ergebnis ist vor dem Hintergrund des hierarchischen Aufbaus des Prüffragenkatalogs zu sehen. Das übergeordnete Kriterium erfordert ein integratives Qualitätsurteil über die Argumentationsführung im gesamten Gutachten und ist damit im Vergleich zu den Prüffragen der 6 Einzelkriterien ein eher breiter definiertes Qualitätsmerkmal. Die Prüffragen der Einzelkriterien selbst weisen eine unterschiedliche Definitionsbreite auf, so stellt z. B. die Einhaltung der Gliederungsvorgaben gemäß den Anforderungen (Prüffrage A1) ein formal eng definiertes Kriterium dar, hingegen die Beachtung des allgemein anerkannten Stands medizinischer Erkenntnisse (Prüffrage E1) ein Kriterium ist, das (als Quintessenz aller medizinischer Lehrbücher) nur schwerlich erschöpfend betrachtet werden kann. Je nach Definitionsform sind die Prüffragen daher unterschiedlich leicht zu beantworten. Darüber hinaus stellt die vorgegebene Antwortsystematik einen weiteren Einflussfaktor dar. In der praktischen Anwendung zeigte sich, dass die beschriebenen Mängelkategorien der verschiedenen Einzelkriterien unterschiedlich eindeutig definiert sind, sodass für einige Mängelabstufungen auch durch erfahrene Experten nicht immer ein Konsens für die im konkreten Fall anzuwendende Stufe erreicht werden kann. Im Zuge der Ergebnisauswertung des Pilotdurchlaufs wurde der Prüffragenkatalog um ein Fünftel von 22 auf 17 Prüffragen kom▶  Tab. 1), in seiner grundsätzlichen Struktur jedoch primiert (  ● beibehalten. Das beobachtete Raterverhalten gibt einen eindeutigen Hinweis darauf, dass vor dem Routineeinsatz eine systematische Peer-Schulung erfolgen muss, um individuelle Qualitätsstandards der Peers untereinander anzugleichen. In diesem Sinne wurde ein Nachtreffen mit den am Pilotverfahren beteiligten Peers genutzt, um Lageabweichungen innerhalb der Bewertungen im Diskurs aufzulösen („Kalibrierungsworkshop“). Im Ergebnis mündeten dabei gewonnene Veränderungsvorschläge in Formulierungsänderungen für einzelne Mängelkategorien. In der Wahrnehmung der Peers zeigte sich insbesondere das übergeordnete Kriterium als für die Qualitätszuschreibung entscheidend und unabdingbar. Die Bearbeitung der Prüfkriterien insgesamt ist als komplexe Anforderung an die Peers anzusehen, die sich erst im kollegialen Diskurs vollständig erschließt. Daher erscheinen regelmäßige Anwendertreffen, bei denen die am Verfahren beteiligten Peers mit konkreten Gutachtenfällen arbeiten können, vielversprechende Ansatzpunkte zu bieten, um die Gutachterübereinstimmung substantiell weiter zu erhöhen.

Interessenkonflikt: Die Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Heruntergeladen von: NYU. Urheberrechtlich geschützt.

Min Max Min Max Min Max Min Max

Kendalls W

Literatur

1 Lilford R, Edwards A, Girling A et al. Interrater reliability of case-note audit: a systematic review. Journal of Health Services Research & Policy 2007; 12: 173–180 2 Shaw C.. External assessment of health care. British Medical Journal 2001; 322: 851–854 3 Bortz J, Döring N. Forschungsmethoden und Evaluation für Humanund Sozialwissenschaftler. 4. Aufl. Heidelberg: Springer, 2006 4 Farin E, Carl C, Lichtenberg S et al. Die Bewertung des Rehabilitationsprozesses mittels des Peer-Review-Verfahrens: Methodische Prüfung und Ergebnisse der Erhebungsrunde 2000/2001 in den somatischen Indikationsbereichen. Rehabilitation 2003; 42: 323–334 5 Goldman RL. The reliability of peer assessments – a meta-analysis. Evaluation & the Health Professions 1994; 17: 3–21 6 Egner U, Gerwinn H, Schliehe F. Das bundesweite Reha Qualitätssicherungsprogramm der gesetzlichen Rentenversicherung – Erfahrungen aus einem mehrjährigen Umsetzungsprozess. Zeitschrift für Ärztliche Fortbildung und Qualitätssicherung 2002; 96: 4–9 7 Farin E, Engel E-M, Dimou A et al. Die Erwartungen von Rehabilitations- und Vorsorgeeinrichtungen an externe Qualitätssicherungsmaßnahmen. Phys Med Rehab Kuror 2004; 14: 73–81 8 Farin E, Carl C, Jäckel WH et al. Die Weiterentwicklung des Peer-­ Review-Verfahrens in der medizinischen Rehabilitation. Rehabilitation 2004; 43: 162–165 9 Jäckel WH, Maier-Riele B, Protz W et al. Peer Review: eine Methode zur Analyse der Prozessqualität in der stationären Rehabilitation. Rehabilitation 1997; 36: 224–232 10 Verband Deutscher Rentenversicherungsträger. Das Qualitätssicherungsprogramm der gesetzlichen Rentenversicherung in der medizinischen Rehabilitation. Instrumente und Verfahren. DRV-Schriften, Bd 18. Frankfurt/Main: Verband Deutscher Rentenversicherungsträger, 2000

11 Glattacker M, Jäckel WH. Evaluation der Qualitätssicherung – aktuelle Datenlage und Konsequenzen für die Forschung. Gesundheitswesen 2007; 69: 277–283 12 Korsukéwitz C, Irle H. Medizinische Rehabilitation. Internist 2010; 51: 1219–1230 13 Legner R, Cibis W. Qualitätssicherung in der sozialmedizinischen Begutachtung. Rehabilitation 2007; 46: 57–61 14 Ueberschär U. Qualitätssicherung bei der sozialmedizinischen Sachaufklärung in der Deutschen Rentenversicherung. Gesundheitswesen 2008; 70: 690–695 15 Verband Deutscher Rentenversicherungsträger. Abschlussbericht der Kommission zur Weiterentwicklung der Sozialmedizin in der gesetzlichen Rentenversicherung (SOMEKO). DRV-Schriften, Bd. 53. Frankfurt/ Main: Verband Deutscher Rentenversicherungsträger, 2004 16 Deutsche Rentenversicherung Bund. Qualitätssicherung der sozialmedizinischen Begutachtung – Bericht zur Umsetzung des „Qualitätssicherungsverfahrens der sozial-medizinischen Begutachtung“. Berlin: Deutsche Rentenversicherung Bund, 2013 17 Wirtz M, Caspar R. Beurteilerübereinstimmung und Beurteilerreliabilität. Göttingen: Hogrefe, 2002 18 Altman DG. Practical Statistics for Medical Research. London: Chapman & Hall, 1991 19 Deutsche Rentenversicherung Bund. Peer Review Somatik – Bericht 2010. Berlin: Deutsche Rentenversicherung Bund, 2010 20 Landis JR, Koch GG. The Measurement of Observer Agreement for Categorical Data. Biometrics 1977; 33: 159–174 21 Neuderth S. Externe Qualitätssicherung durch Peer-Review. Landau: Verlag Empirische Pädagogik, 2004 22 Hofer TP, Asch SM, Hayward RA et al. Profiling quality of care: Is there a role for peer review? BMC Health Services Research 2004; 4: 1–12

Strahl A et al. Qualitätssicherung in der Sozialmedizinischen …  Gesundheitswesen

Heruntergeladen von: NYU. Urheberrechtlich geschützt.

Originalarbeit

[Quality Assurance in Sociomedical Evaluation by Peer Review: A Pilot Project of the German Statutory Pension Insurance].

The sociomedical evaluation by the German Pension Insurance serves the purpose of determining entitlement to disability pensions. A quality assurance ...
239KB Sizes 0 Downloads 6 Views