Fragen aus der Forschungspraxis

Qualitative Versorgungsforschung Qualitative Health Services Research Was wird erklärt? Versorgungsforschung ist in Deutschland ein noch junges wissenschaftliches Feld der Gesundheitsforschung. Qualitative Forschungsmethoden haben aufgrund ihrer zentralen Eigenschaften einen besonderen Stellenwert für die Versorgungsforschung.

Versorgungsforschung !

In Deutschland hat sich seit Anfang der 2000er Jahre eine neue Perspektive auf Gesundheitsforschung entwickelt. Die Versorgungsforschung setzt an der sog. letzten Meile der gesundheitsbezogenen Forschung an [1], sie beinhaltet eine wissenschaftliche Reflektion des Handelns der Akteure und Akteurinnen sowie der Strukturen und Auswirkungen der Gesundheitsversorgung [2]. Nach Pfaff [1] ist Versorgungsforschung „ein fachübergreifendes Forschungsgebiet, das die Kranken- und Gesundheitsversorgung und ihre Rahmenbedingungen beschreibt und kausal erklärt, zur Entwicklung wissenschaftlich fundierter Versorgungskonzepte beiträgt, die Umsetzung neuer Versorgungskonzepte begleitend erforscht und die Wirksamkeit von Versorgungsstrukturen und -prozessen unter Alltagsbedingungen evaluiert“. Sie basiert auf 3 Grundkonzepten: Ergebnisorientierung, Multidisziplinarität/-professionalität sowie Patientenorientierung [3]. Seit 2006 existiert das Deutsche Netzwerk Versorgungsforschung e. V. (DNVF), das sich zum Ziel gesetzt hat, die an der Versorgungsforschung im Gesundheitswesen beteiligten Wissenschaftler zu vernetzen und Wissenschaft und Versorgungspraxis zusammenzuführen.

Qualitative Forschungsmethoden !

Qualitative Forschungsmethoden repräsentieren kein einheitliches Forschungsparadigma, vielmehr steht dieser Begriff für sehr heterogene Methoden und Methodologien. Allen Methoden gemeinsam ist, dass sie den Menschen als soziales, kommunikatives Wesen zum Anknüpfungspunkt ihrer Forschung machen. Zen-

trale Merkmale qualitativer Methoden stellen dabei Offenheit, Subjektivität, Forschung als iterativer Prozess und Analyse von Bedeutungen dar [4, 5]. Mit Offenheit ist eine Forschungshaltung gemeint, die im Forschungsprozess so viel Raum ermöglichen soll, dass neue Erkenntnisse entstehen können. Sie zeigt sich u. a. in der Offenheit der Erhebungsmethode und des Datenmaterials. Subjektivität verweist darauf, dass qualitative Forscher und Forscherinnen an den Sichtweisen (subjektive Konstruktionen) von Akteuren interessiert sind, die sie zu rekonstruieren suchen. Zur Subjektivität gehört auch die Annahme, dass objektive Erkenntnis durch ihre unvermeidbare Personengebundenheit nicht möglich ist und daher auch die subjektiven Vorannahmen und Haltungen der Forscher in den Forschungsprozess integriert werden sollten. Der Forschungsprozess selber ist nicht linear, sondern typischerweise zyklisch, z. B. durch eine Verschränkung von Sampling, Erhebung und Auswertung. Die primäre Analyse stellt interpretative Arbeit dar, d. h. die Forscher rekonstruieren und analysieren Bedeutungen und Bedingungen.

Qualitative Versorgungsforschung !

Versorgung beruht auf Kommunikation, sie drückt sich in der Interaktion von Menschen aus. Daher hat qualitative Forschung insbesondere in der Versorgungsforschung eine herausragende Bedeutung im Kontext der Gesundheitsforschung. Sie hat vor dem Hintergrund des Subjektivitätskonzepts einen zentralen Stellenwert in der Analyse der Patientenorientierung. Ferner stellt Multidisziplinarität (bzw. Inter- und Transdisziplinarität) – verstanden im Sinne einer Perspektivenvielfalt – eine wichtige Tradition und Qualitätsbedingung qualitativer Forschung dar. Zur Ergebnisorientierung kann sie insbesondere in der Identifikation und Differenzierung relevanter Outcomes von Versorgung beitragen und Heterogenität von Versorgung aufzeigen. Qualitative Versorgungsforschung bietet zudem die Möglichkeit, der Komplexität von Versorgung angemessen zu begegnen und auch Wertvorstellungen sowie Ausdrucksformen von Machtverhältnissen in Untersuchun-

gen einzubeziehen. Des Weiteren ermöglicht sie Zugänge zu schwer zu versorgende Personengruppen (z. B. [6]). Das Spektrum qualitativer Versorgungsforschung (Beispielstudien in Klammern) reicht von Versorgungserfahrungen von Patienten [7], Erfahrungen und Haltungen von Professionellen [8], über Analyse von Interaktionen zwischen Professionellen und Betroffenen [9], der Analyse organisationsbezogener Prozesse [10], den Folgen normativer Vorgaben für die Versorgungspraxis [11, 12] bis zu allgemeinen gesellschaftlichen Ausdrucksformen von Wertvorstellungen in der Versorgung [13].

Fazit für die Praxis Das Potenzial hochwertiger qualitativer Forschung im Kontext von Versorgungsforschung ist bedeutsam. Es erscheint geboten, diese Art der Forschung in Ausbildung, Forschungsförderung und Rezeption weiter zu stärken.

Zur Person Prof. Dr. Thorsten Meyer, Medizinische Hochschule Hannover, Leiter des Forschungsbereichs Integrative Rehabilitationsforschung, Institut für Epidemiologie, Sozialmedizin und Gesundheitssystemforschung, E-Mail: meyer. [email protected] Dr. Maren Stamer, Medizinische Hochschule Hannover, Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Forschungsbereich Integrative Rehabilitationsforschung, Institut für Epidemiologie, Sozialmedizin und Gesundheitssystemforschung, E-Mail: stamer.maren@mh-hannover. de

Literatur 4 Meyer T, Karbach U, Holmberg C, Güthlin C, Patzelt C, Stamer M, für die Arbeitsgruppe Qualitative Methoden des DNVF. Qualitative Studien in der Versorgungsforschung – Diskussionspapier, Teil 1: Gegenstandsbestimmung. Gesundheitswesen 2012; 74: 510–515

Das vollständige Literaturverzeichnis finden Sie in der Onlineausgabe unter http://dx.doi.org/10.1055/s-00341387405

Meyer T, Stamer M. Qualitative Versorgungsforschung … Psychother Psych Med 2014; 64: 448 · DOI http://dx.doi.org/

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448

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