378

Referat 2

Die Psychosomatlk des Klimakteriums M. Mall-Haefeli, Sozialmed. Dienst d. Univ.-Frauenklinik des Kantonspitals Basel

Das Klimakterium ist eine Zeitspanne im Leben der Frau, in der sich, mehr oder weniger ausgeprggt, Ver/inderungen psychischer und somatischer Art manifestieren. Die modernen Forschungsergebnisse liefern uns die Grundlagen zum Verst~indnis der Psychosomatik dieser Lebensphase. Nervensystem und Endocrinium bilden zusammen eine Funktionseinheit. Eine abnorme Funktion des ZNS, insbesondere Stfrungen der Psyche, kann zu einer Dysfunktion verschiedener somatischer Organe ffihren und umgekehrt kann eine St6rung eines peripheren Organs fiber das ZNS auf die Psyche einwirken. Das ZNS kann als der Tr~iger der psychischen Funktion angesehen werden und so kann eine Beeinflussung des ZNS sich in psychischen Funktionsver~inderungen ausdrficken. Zentralnerv6se St6rungen k6nnen die Peripherie auf drei verschiedenen Wegen beeinflussen (Abb. 1): 1. Uber die motorischen Nerven, die die Erregung zu den Skelettmuskeln leiten (Aufmerksamkeit erh6ht den Muskeltonus, Schl~ifrigkeit setzt ihn herab, neurotische und psychotische Zust~inde, wie Angst, Spannung, Manie verursachen eine generalisierte Oberaktivit/it). 2. Uber das autonome Nervensystem, das die verschiedenen inneren Organe innerviert. Die Hyperaktivit~it des sympathischen oder parasympathischen Systems beeinflul3t die Herzfrequenz, den Blutdruck etc. So kann auch emotionales Verhalten, das die sympathischen und parasympathischen Zentren des Hypothalamus kontrolliert, die verschiedensten peripheren, psychosomatischen Effekte hervorrufen. 3. Ober die Hormonfreisetzung des Hypophysenvorderlappens. Diese wird gesteuert durch die nerv6se Aktivit~it des Hypothalamus, bzw. seiner Releasingfaktoren. Alle psychosomatischen Effekte k6nnen aber auch ihrerseits von der Peripherie her fiber das afferente, sensorische Nervensystem oder fiber die in den Zielorganen (Schilddrfise, Ovar) gebildeten, freigesetzten Hormone im Sinne eines positiven oder negativen feedbacks auf den verschiedensten Stufen des ZNS, Zwischenhirnzentren, limbisches System und Hypothalamus, einwirken. Zu den Funktionen, die vom limbischen System gesteuert werden, geh6ren aber die Affektivit/it, das Triebverhalten, die Antriebshaftigkeit, die Stimmungslage, Funktionen, die, wie wir wissen, im Klimakterium mannigfachen St/Srungen unterworfen sind. Die Einwirkung der Hormone auf das ZNS, d. h. die Transformation der Hormone resp. ihrer Stoffwechselprodukte, in psychische Erregung, ist erst teilweise bekannt. Die grof3e Anzahl von Oestrogenrezeptoren im Zwischenhirn lassen jedoch vermuten, daft sie in diesen Gebieten eine besondere Aufgabe zu erffillen haben. Mit

M. Mall-Haefeli:Die Psychosomatikdes Klimakteriums

[_

. . . . . .

sensorische Afferenzen

-I

ZNS

(PSYCHE) ~

motorische Efferenzen

autonomes Nervensystem

379

neur

Hypophyse

periphere psychosomatische

Syrup,

Parasymp.

Effekte

Abb. 1. PsychosomatischeEffekte biochemischen Methoden konnte gezeigt werden, dal3 die Oestrogene im ZNS, besonders im Hypothalamus, zu Katecholoestrogenen metabolisiert werden. Sie besitzen dann katecholamin~ihnliche Eigenschaften und k6nnten deshalb mit den Katecholaminrezeptoren der hypothalamischen Neuronen konkurrieren [2, 4, 6]. Neurophysiologische Untersuchungen ergaben auch eine Beeinflussung dieser Neuronen durch die Releasing-Faktoren. Durch die Verminderung der Oestrogen-Produktion in der Menopause kann es im Hypothalamus wegen des fehlenden feedbacks aus der Peripherie zu einer erh6hten Aktivit/it der RH produzierenden Neuronen kommen und auf diese Weise eine St6rung des zentralen Gleichgewichtes bewirken. Betrachten wir das psychosomatische Geschehen des Klimakteriums im Lichte dieser Forschungsergebnisse, so w/irde das Verhalten der klimakterischen Frau zum Tell durch die St6rung dieser Reglerkreise erkl~irt werden k6nnen. Sicher ist ein grol3er Tell der psychischen und somatischen St6rungen in dieser Lebensphase auf das Hormondefizit zur/ickzuffihren, doch, /ihnlich wie bei den psychotischen Erkrankungen, ist zus/itzlich eine auf dieser St6rung basierende psychogene Reaktion zu erwarten. Dies ist nur zu verstehen, wenn wit uns jederzeit vergegenw/irtigen, dal3 diese ganzen hormonal bedingten Ver/inderungen den ganzen Menschen betreffen, der als Einheit in individueller und daher einmaliger Lebenssituation reagiert. Diese momentane Lebenssituation hat ihre Wurzeln sowohl in den genetischen Anlagen, wie in dem ganzen bisherigen, durch Milieueinflfisse und nicht zuletzt durch die friihkindlichen Erlebnisse gepr/igten Lebensschicksal. Ffir das Einzelschicksal k6nnte man sich ebenfalls einen Reglerkreis vorstellen zwischen somatogenen Einflfissen, psychogener Entwicklung und sozialer Einwirkung. Kulturkreis und soziale Umwelt pr~igen das Rollenverst/indnis der Frau und werden deshalb auch das Menopausenerlebnis beeinflussen. Die Wertigkeit, die diese Gesellschaft der Fertilit~it, der Nachkommenschaft, der Familie zuschreibt, wirkt sich aus auf die Wertsch/itzung, der sich die Frau im Alter erfreut. In unserer westlichen Welt, wo Jugend und Sch6nheit das Mal3 f/ir die Selbst- und Fremdeinsch~it-

380

M. Mall-Haefeli:Die Psychosomatikdes Klimakteriums

zung der Frau sind, wird das Altern, das sich durch den Eintritt der Menopause anzeigt, zur ,,schwer korrigierbaren narzistischen Kr/inkung", wie Helene Deutseh [3] sagt. Mfitterliche Frauen bedauern auch heute den Verlust ihrer Fertilit/it, doch ein groBer Tell unserer berufst~itigen Frauen und Mfitter sind dankbar fiber den Verlust der Regelblutung, die sie als st6rend empfinden. Die Tatsache, sich nicht mehr urn eine effektive Kontrazeption kfirnmern zu mfissen, wird positiv empfunden. Die ersten sichtbaren Zeichen eines Alterungsprozesses 16sen die Furcht vor dem Verlust der Anziehung auf das andere Geschlecht, vor dern Verlust der gesellschaftlithen Stellung, vor dern Verlust einer mfihsam erreichten Position im Beruf aus, kurz, es entsteht die Angst, nicht mehr konkurrenzf/ihig zu sein, ja sogar fiberflfissig zu sein. Dies dfirfte wohl das zentrale Erlebnis und das Problem jeder aktiven, gesunden Frau beim Eintritt in das Menopausenalter sein. Diese seelische Bedr~ingnis fiihrt in vielen F~illen zu seelischen und funktionellen St6rungen. Die rneisten seelischen Ver/inderungen zeigen sich in depressiven Verstirnmungszust,~inden,entstanden aus der ~iuBeren Situation und dem horrnonalen Defizit. Doch auch andere typische Reaktionen k6nnen auftreten. Der Aktivit/itsschub, von dem Helene Deutsch [3] spricht, dient dazu, sich eine ersatzweise Befriedigung zu verschaffen; er kann sich in einem bektischen Versch6nerungs- und Erneuerungstrieb/iul3ern, der das ,~uBere der Frau, ihre Wohnung, kurz ihre ganze Urngebung betreffen kann. Eine ganze Industrie lebt davon und zfichtet dieses Verhalten. In diesern Alter wird auch das bisherige Rollenverst/indnis der Frau ganz akut dutch das Erlebnis der Menopause in Frage gestellt. Daraus resultiert bei der klirnakterischen Frau eine erhebliche Unsicherheit w~ihrend ihrer Suche nach einern neuen Rollenverst/indnis als alternde Frau. Dies erkl~irt auch die oft beobachtete Labilit/it und BeeinflufSbarkeit, die bis zur Kritikschw/iche reithen kann. In dieser Phase existentieller Unsicherheit werden auch bis dahin latente neurotische Probleme h~iufigaktualisiert, und es kann zur akuten neurotischen Dekompensation kommen. Beispielsweise erleben Frauen, die in masochistischer Weise ganz in ihrer Familie aufgegangen sind, zurn Zeitpunkt der Menopause, dab sie auf ihre eigene psychische Reifung verzichtet haben und so steben geblieben sind, dab sie die Entwicklung ihres Partners nicbt begleiten konnten und jetzt ihre eheliche Gemeinschaft gef/ihrdet sehen. Das Sexualverhalten klimakteriseher Frauen ist nicht einheitlich. W~ihrend bei den einen eine zunehmende Sexualisierung auff/illt, die ganz allgemein unter dem Begriff der ,,TorschluBpanik" bekannt ist, klagen die anderen fiber einen deutlichen Libidoabfall. Diese Frauen leiden unter der sekund~iren Frigidit/it und unter dem Dr/ingen ibres noch aktiven Partners. Wieder andere, in deren Leben die Sexualit~it nie eine positive Rolle gespielt bat, leben zufriedener rnit ihrem Partner, dessen auch abnehrnende Potenz nun ein ruhigeres Zusarnrnenleben erm6glicht. Vieles, was man dern Klimakteriurn als Syrnptomatik zugez/ihlt bat, wird heute zur Syrnptomatik des fortschreitenden Alterungsprozesses der Gesamtpers6nlichkeit gerechnet. Bei beiden Geschlechtern kann man im Alter von 40-50 Jahren die Beobachtung machen, dab die bisher als selbstverst/indlieh erlebte Identit/it fragwfirdig wird. Im rein/iuBerliehen Verhalten kann der physisch deutlich/ilter werdende Mensch sein Alter negieren und an einer jugendlichen Verhaltensweise festhalten, die ihn deutlich fiberfordert.

M. Mall-Haefeli: Die Psychosomatik des Klimakteriums

381

Der/ilter werdende Mensch f/ihlt sich unbarmherzig einem vorgezeichneten Lebensablauf ausgeliefert. Alles, was im Leben einst vers/iumt worden ist, ist ftir den alten Menschen unwiderruflich vorbei. Das Bewu/3tsein v o n d e r Verg/inglichkeit des Lebens HiBt uns erst seine Kostbarkeit erkennen. Die Frau erlebt dieses Schicksal zweimal, n~imlich in der Angst um den Verlust ihres Frauseins im Klimakterium und in der Furcht vor dem Verlust ihres Daseins w/ihrend eines fortlaufenden Alterungsprozesses. Die Bew/iltigung dieses fraulichen und menschlichen Dramas erfolgt durch einen Reifungsprozel3, der durch die entsprechende Altersgruppe untersttitzt werden kann, sowie durch eine moderne medikament6se Therapie - Hormone und Psychopharmaka. Im optimalen Falle k6nnen sich alternde Menschen gegenseitig in diesem ReifungsprozeB beistehen in der Art einer Gruppentherapie. Manchen vereinsamten alten Menschen bleibt nur die stille Resignation oder die Flucht in die Krankheit. Krankheit kann n~imlich auch im Klimakterium die Bedeutung annehmen, dab der Verlust nicht unwiderruflich, sondern vom Arzt behebbar wird. Dem Arzt wird damit eine Aufgabe tiberbunden, die ihn zwingen sollte, in seiner Behandlung immer gleichzeitig die somatischen und die psychosomatischen Faktoren zu ber/icksichtigen und im urspr/inglich selbstverst/indlichen Sinne den ganzen Menschen zu behandeln.

Literatur 1. Akert, K., Hummel, P.: Anatomie und Physiologie des limbischen Systems. Serie: Wissenschaftl. Dienst ,,Roche". Basel: F. Hoffmann-LaRoche 1968 2. Coombs, M. M.: 2-Hydroxyoestrogens.Nature 188, 317-318 (1960) 3. Deutsch, Helene: Psychologieder Frau, Bd. II. Bern: H. Huber 1954 4. Fishman,J.: Catechol estrogenformationby the rat hypothalamus. 55th Annual Meeting Endocrine Society. In: The Endocrine Society, p. 68. Chicago 1973 5. Mall-Haefeli, Marianne: Die hormonale Antikonzeption und ihre Auswirkungen auf die Psyche. Schweiz. med. Wschr. 104, 878-886 (1974) 6. Workshop: Zentrale Wirkungen yon Oestrogenen, Berlin, 4.--6. M~irz 1974. Selecta 21, Mai (1974) 7. Breuer, H., K6ster, G.: Interaction between oestrogens and neurotransmitters at the hypophysialhypothalamic level. J. Steroid Biochem. 5, 961-967 (1974)

[Psychosomatic aspects of the climacteric (proceedings)].

378 Referat 2 Die Psychosomatlk des Klimakteriums M. Mall-Haefeli, Sozialmed. Dienst d. Univ.-Frauenklinik des Kantonspitals Basel Das Klimakterium...
251KB Sizes 0 Downloads 0 Views