436 K/in. Mb!. Augenheilk. 196 (1990)

Psychosoziale Betreuung des RP-Patienten aus der Sicht des Arztes und des Betroffenen E. Guignard

Zusammenfassung

Retinitis pigmentosa (RP) bedeutet fur den Betroffenen eine dauernde Anpassung an die veränderte Sehfahigkeit — d.h. immer wieder Abschied nehmen von Tatigkeiten im Alltag, die nicht mehr moglich

sind. Em RP-Patient und seine Umgebung (Eltern, Partner) sind em Leben lang konfrontiert mit der Krankheitsverarbeitung. Der Augenarzt steht vor einem ihm anvertrauten Patienten — ohne therapeutisches Angebot. Es geht nach der Diagnosestellung vielmehr um die Begleitung und Beratung des RP-Patienten, urn den Beistand durch eine Krise hindurch — d. h. die Krankheit RP ist auch für den Augenarzt eine Herausforderung.

Psychosocial Care of RP Patients

ne harte, niederschmetternde Bilanz, auf die der Betroffene mit heftigen Gefuhlen reagiert. Am Anfang mit Angst. Angst, unselbstandig und abhangig zu werden — Angst, durch die Behinderung nicht mehr als voliwertiges Individuum zu gelten — Angst, vorn Partner nicht mehr geliebt und vielleicht verlassen zu werden. 1st der erste Schock Uber die Diagnose RP em wenig verheilt, steigen abwechslungsweise Wut und Hoffnungslosigkeit auf. Die Wut kann sich gegen sich selber richten in GefUhlen wie Bestraftwerden und Schuld oder wahilos gegen andere, z. B. gegen den Augenarzt, die Familie oder abstrakter gegen die Schlechtigkeit und Ungerechtigkeit der Natur. Diese heftigen Gefuhle erschopfen

den Betroffenen und machen bald einer Leere und Hoffnungsiosigkeit Platz. Was soil es? Es hat alles keinen Sinn rnehr. Es wird em muhsarnes Ringen urn eine Neuorientierung im eigenen Leben mit der Behinderung.

For patients with retinitis pigmentosa (RP), the disease means having to adapt and adjust continuously to their visual loss, i.e., repeatedly giving up everyday activities which they are no longer capable of

performing. RP patients and those around them (parents, partner, children) face a lifetime of coming to terms with the disease and coping. The ophthalmologist

is confronted with a patient to whom he can offer no therapy. Rather, once the diagnosis has been established, the patient must be assisted and advised according to the development of the disease, and given the necessa-

ry support. In other words, RP is a challenge not only for the patient, but also for the ophthalmologist.

Den meisten RP-Patienten gelingt es, die Krankheit zu akzeptieren und die entstandenen Einschrankungen in den Ailtag einzubauen. Aber — fur wie lange? Das Gesichtsfeld nimmt ab, der graue Star beeintrachtigt das zentrale Sehen. Das heii3t, schon wieder Abschied nehmen von einer geliebten Tatigkeit. Schon wieder mitten in einer Krise stecken, hin- und hergerissen von den erwhnten Gefühlen. Und so geht es em Leben lang weiter, bis der RP-Patient aus dem Lager der Sehbehinderten uberwechselt zu den Blinden. Von vielen an RP Erblindeten habe ich erfahren, daB sie das Ende ihrer RP-Reise, das Blindsein, auch als Erleichterung, endlich keine Veranderung mehr auf sich nehmen zu mussel, erlebt haben.

2. Zum zweiten aus der Sicht der Uin-

Vor 10 Jahren wurde die Retinitis pigmengebung tosa-Vereinigung Schweiz gegrundet mit dem Ziel, die RP- Auch fur die Eltern eines RP-Kindes und für die Partner ist Patienten, ihre Angehorigen und die Offentlichkeit uber eine neue Situation entstanden, mit der noch niernand die Krankheit RP zu informieren und die wissenschaftliche recht weiB urnzugehen. Wie leicht vergiflt man, daB der Forschung auf dem Gebiet der Retinitis pigmentosa zu for- neudiagnosdizierte Sehbehinderte noch irnrner die gleiche dern. In der Schweiz rechnet man mit rund 2000 RP-Pa- PersOnhichkeit ist mit allen Facetten wie vor der Diagnose. tienten. Eine Mutter reagiert mit Uberfursorge, sie will es besonDie Diagnose Retinitis pigmentosa setzt ders gut machen. Oder der Partner stellt sich selbst ganz in den Anfang in euler langen Geschichte der Verarbeitung. den Hintergrund, Ubt aus RUcksicht viel seltener Kritik und Betroffen sind der RP-Patient, seine Umgebung und sein baut mehr und mehr eine Wand aus unausgesprochenen Augenarzt. Ich werde versuchen, von den verschiedenen Schwierigkeiten und VorwUrfen auf. Das heif3t, auch die Standpunkten aus den Umgang mit RP zu beleuchten. Partnerschaft und Familie gerät aus dem Gleichgewicht.

1. Zuerst vom Patienten aus gesehen 3. Zum SchluB aus der Sicht des Em Gedanke dreht sich in seinem Kopf: ,,Meine AugenA ugenarztes krankheit RP verschlimmert sich im Laufe meines Lebens Wie schwer ist es, ohne therapeutisches Angebot einem Paund fuhrt zu Blindheit. Eine Behandlung gibt es nicht." Ei- tienten gegenuberzustehen, der eine schlechte Prognose hat. Als Augenarzt ist die nicht zu verhindernde Erblindung wohl die schwierigste Situation. Kim. Mb!. Augenheilk. 196 (1990) 436—437 1990 F. Enke Verlag Stuttgart

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Zurich

Psychosoziale Betreuung des RP-Patienten aus der Sicht des Arztes und des Betroffenen K/in. Mb!. Augenheilk. 196 (1990) 437 — durch diese Fragen dern Patienten das Interesse zeigen





Ich denke, daB der Augenarzt sehr vie! fur den RP-Patienten tun kann. Im medizinischen Bereich die Untersuchung und Diagnosestellung und die regelrnal3igen Kontrollen zur Objektivierung des SehvermOgens. Und im menschlichen Bereich das Angebot einer Begleitung durch alle Schwierigkeiten im Zusammenhang mit RP. Es ist em langer, gemeinsamer Weg mit vielen Fragen und Unsicherheiten.

Die wohi wichtigsten Grundsatze dabei sind:

gute, ehrliche medizinische information. regelmJ3ige Kontrollen bis alle Details der Erkrankung erklart sind. schwierige Themen wie die Vererbung, das Autofahrverbot oder der Einsatz von Hilfsmitteln nicht bei der ersten Konsultation erledigen, sondern erst spater ansprechen, wenn sich das gegenseitige Vertrauen aufgebaut hat. gezielt nach den Auswirkungen der Sehbehinderung fragen im Bereich der Fami!ie, des Berufes und der Freizeit-

an ihrn als gesarnte Personlichkeit und nicht nur als Augenpatient. das heiBt umgekehrt, den Mut aufbringen, sich nicht nur a!s Augenarzt anzubieten, sondern als Personlichkeit. das wiederum bedingt eine gute Kenntnis seiner selbst. Jeder Arzt hat es Ieichter, wenn er sich mit sich se!bst auseinandersetzt, seine Angste wahrnimmt und das MaO einer gesunden Abgrenzung gegenuber dem Patienten kennenlernt, urn so zu verhindern, daB in schwierigen

Arzt-Patienten-Situationen negative Ubertragungen —

vorkornmen. erkennt der RP-Patient in seinem Arzt em vertrautes Gegenuber, das ihn ernst nirnmt, so findet er Raum für seine Fragen, seine Verzweiflungen, seine Bedenken. Die Verarbeitung der schubweise sich verschlimmernden Krankheit gelingt ihm !eichter.

— eine —





beschftigung.

Zusammenfassend heiBt das, daB der RPPatient darauf angewiesen ist, den Augenarzt nicht nur als Mediziner sondern auch als Menschen er!eben zu konnen. Dr. med. Esther Guignard Sekretarin der RP-Vereinigung Schweiz

Scheuchzerstrasse 24 CH-8006 Zurich

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Wie reagiere ich? Was spielt aus meiner Lebensgeschichte eine Rolle? Wie steht es urn meine eigene Angst, die Sehfhigkeit kOnnte nachiassen? Wie gut kann ich selbst mit Verlust urngehen? All diese Fragen sind entscheidend und bestimmen das Klirna im Sprechzimrner.

[Psychosocial management of retinitis pigmentosa patients from the viewpoint of the physician and the patient].

For patients with retinitis pigmentosa (RP), the disease means having to adapt and adjust continuously to their visual loss, i.e., repeatedly giving u...
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