Originalarbeit

Psychiatrische Notfälle auf der medizinischen Notaufnahme des Universitätsklinikums Ulm in den Jahren 2000 und 2010 Psychiatric Emergencies in the Emergency Room of the Ulm University Hospital in 2000 and 2010 Autoren

Roland W. Freudenmann1, *, Johannes Espe1, *, Dirk Lang1, 3, Jochen Klaus2, Maximilian Gahr1, Carlos Schönfeldt-Lecuona1

Institute

1

Klinik für Psychiatrie and Psychotherapie III, Universitätsklinikum Ulm Klinik für Innere Medizin I, Universitätsklinikum Ulm 3 Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Universitätsklinik Ulm

Schlüsselwörter " medizinische Notaufnahme ● " psychiatrische Notfälle ● " Notfallpsychiatrie ● " Konsiliarpsychiatrie ● " Intoxikationen ●

Keywords " emergency department ● " psychiatric emergencies ● " emergency psychiatry ● " consultation and liaison ● " ●

psychiatry intoxications

Zusammenfassung !

Ziel der Studie: Über psychiatrische Notfälle (PN) auf der medizinischen Notaufnahme (MNA) ist wenig bekannt. Methodik: Retrospektive Analyse aller PN auf der MNA des Universitätsklinikums Ulm im Jahr 2000 vs. 2010. Ergebnisse: Die Zahl der PN stieg um 16,5 % in 10 Jahren, ihr Anteil an allen Notfällen aber sank.

Einleitung !

Bibliografie DOI http://dx.doi.org/ 10.1055/s-0035-1552681 Psychiat Prax © Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York ISSN 0303-4259 Korrespondenzadresse Prof. Dr. med. Roland Freudenmann Klinik für Psychiatrie and Psychotherapie III, Universitätsklinikum Ulm Leimgrubenweg 12 89075 Ulm roland.freudenmann@uni-ulm. de

Über psychiatrische Notfälle (PN) und ihre Veränderungen in den letzten Jahren ist überraschend wenig bekannt, obwohl sie im klinischen Alltag der Psychiatrie, der hausärztlichen Versorgung, im Rettungsdienst und der Notfall- und Intensivmedizin eine wichtige Rolle spielen. Ein psychiatrischer Notfall liegt dann vor, wenn eine akute psychiatrische Störung das Leben oder die Gesundheit des Betroffenen oder seines Umfeldes gefährdet und eine sofortige Diagnostik und Therapie unumgänglich sind, um diese Gefahr abzuwenden [1]. Anders als der Name suggeriert, ist bei PN aber nicht immer eine Versorgung in der Psychiatrie sinnvoll. Neben dem Rettungsdienst ist vor allem die medizinische Notaufnahme (MNA) die Schnittstelle zwischen ambulanter und stationärer medizinischer und der psychiatrischen Versorgung [2]. „Psychiatrische Patienten“ werden auf der MNA oft nicht ausreichend differenziert. Man kann formal 3 Untergruppen unterscheiden, von denen 2 auf der MNA versorgt werden müssen (Gruppen 2 und 3), da hier gegenwärtig körperliche Notfälle bestehen (bei Gruppe 2 ausschließlich, bei Grup* Beide Autoren haben in gleichen Teilen zum Manuskript

Intoxikationen aller Art dominierten. Das Alter von Patienten mit einer Alkoholintoxikation sank. Suizidversuche nahmen zu. Grundsätzlich häuften sich PN abends und nachts. Schlussfolgerung: Unsere Studie liefert erstmals Daten zu Entwicklungen von PN auf einer MNA in Deutschland und damit Ansatzpunkte für eine Optimierung der Versorgung.

" Abb. 1); diese machen pe 3 zusätzlich zum PN, ● eine Versorgung in der Psychiatrie unmöglich. Nur Patienten mit einem reinen PN (Gruppe 4) können direkt in die Psychiatrie (weiter-)verlegt werden. Die wissenschaftliche Literatur zu PN auf der MNA ist dürftig, sowohl international als auch in " Tab. 1). Die LiteraDeutschland (Übersicht in ● turübersicht zeigt, dass die Studien methodisch sehr heterogen sind und nur bedingt vergleichbare Zahlen liefern (z. B. verschiedene Art der Definition PN und der Diagnosestellung: Fragenbogen vs. psychiatrische Untersuchung, ICD-9 vs. ICD-10 etc.). Fast alle sind Querschnittsuntersuchungen, die keine Aussagen zu Entwicklungen erlauben. Lediglich bezogen auf die 1990er-Jahre existiert eine Gruppe von Publikationen einer Längsschnittstudie [3 – 5], die aber aus den USA ist. Studien zu aktuellen Entwicklungen von PN in Deutschland fehlen [6 – 9]. Weitere, nicht in der ●" Tab. 1 aufgeführte Arbeiten untersuchten nur einzelne PN, etwa Suizidversuche und Autointoxikationen [10, 11], affektive und/oder Angststörungen [12, 13], Alkohol [14], Drogennotfälle [15], EPMS bei Kindern [16], HIV-assoziierte PN [17] oder andere stark selektierte Patientenuntergruppen (z. B. Immigranten mit psychischen Problemen [18], so dass keine Aussagen über PN insgesamt möglich sind.

beigetragen.

Freudenmann RW et al. Psychiatrische Notfälle auf … Psychiat Prax

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2

Originalarbeit

medizinische Notaufnahme

nein

Notfall?

Entlassung

ja

„Regelfall“ (1) vs. „psychiatrisch“ (2 – 4, ggf. Differenzierung mit*)

1

2

(reiner) med. Notfall

med. Notfall

(+ psychiatrische Diagnose ohne Handlungsrelevanz)

3

4

PN mit führend (reiner) PN körperlicher S. oder med. Notfall + PN (somatisch zu krank für Psychiatrie)

medizinische Notfallbehandlung *Konsiliarpsychiater

medizinische Weiterbehandlung wie üblich

danach evtl. direkt Verlegung in Psychiatrie

Abb. 1 Psychiatrische Patienten auf der medizinischen Notaufnahme. Man kann Patienten auf der MNA formal in einen reinen medizinischen Notfall (Gruppe 1), einen medizinische Notfall (MN) bei psychiatrischer Vordiagnose (Gruppe 2), einen PN mit führender medizinischer Symptomatik (Gruppe 3) und einen reinen PN (Gruppe 4) unterscheiden. Bei Gruppe 2 besteht ein gewöhnlicher medizinischer Notfall bei einer aktuell irrelevanten psychiatrischen (Vor-)Diagnose (was hier nur zur Veranschaulichung von Gruppe 1 unterschieden wird; die Notfallversorgung ist bei beiden gleich, die Gruppen werden aber oft als „etwas anderes“ wahrgenommen). Beispiele für einen medizinischen Notfall mit irrelevanter psychiatrischer Diagnose (Gruppe 2) wären ein Herzinfarkt (bei einer Zwangsstörung), eine Urosepsis (bei einer Depression) oder eine Pneumonie (bei einer stabil behandelten oder remittierten Schizophrenie), selbst eine obere GI-Blutung bei einer aktiven Alkoholabhängigkeit (denn die notfallmäßige Blutungsstillung erfolgt wie bei jedem anderen Patienten; erst elektiv kommen psychiatrische Aspekte auf, z. B. im Falle eines Entzugs). Davon abzugrenzen sind PN mit einer führend körperlichen Symptomatik, die überwachungs- oder intensivpflichtig sind (Gruppe 3), z. B. Patienten mit einem unklaren Delir, einer schweren Intoxikation oder einem malignen neuroleptischen Syndrom, aber auch Fälle mit sowohl einem medizinischen als auch einem PN, z. B. eine Drogenmischintoxikation mit Amphetaminen und Opioiden, die wegen Überwachungspflichtigkeit trotz des Vorliegens eines PN (hier: Fremdgefährdung durch Antriebssteigerung) im Unterschied zum reinen PN erst nach Abklingen des medizinischem Notfalls in der Psychiatrie behandelt werden (bis dahin erfolgt eine konsiliarpsychiatrische Mitbetreuung).

Die Literaturübersicht zeigt, dass mindestens 5 % der auf der MNA versorgten Fälle „psychiatrisch“ sind [4, 7, 9, 19]; dabei wurde aber oft nicht klar zwischen einem PN im engeren Sinne und einem psychiatrischen Patienten auf der MNA unterschieden, was die divergenten Häufigkeitsangaben erklären könnte (z. B. hatten 37 % der Fälle in einer australischen Studie „an actual mental health disorder“, erfüllten aber kaum die Kriterien eines PN [20]). In ihrer praktischen Bedeutung und Häufigkeit dominieren akute Alkohol- oder Tablettenintoxikationen mit und ohne suizidale Absicht sowie andere substanzassoziierte Notfälle (je nach Studie Anteil von 22 % [4], 27 % [3] bzw. 50 % [9]), in anderen Studien eher Angststörungen [13, 19], wohingegen „klassische PN“ wie z. B. ein malignes neuroleptisches Syndrom selten sind. Während sich die Häufigkeit von Psychosen als Aufnahmeanlass zuletzt nicht verändert hat [5], gibt es Hinweise für Häufigkeitsänderungen bei bestimmten PN, z. B. mehr und schwerere Alkoholintoxikationen bei jüngeren Frauen [21], Suizidversuche und andere Freudenmann RW et al. Psychiatrische Notfälle auf … Psychiat Prax

Intoxikationen, aber kaum aussagekräftige Längsschnittstudien. Demgegenüber ist gut abgesichert, dass es fortlaufend zu neuen „Moden“ beim Konsum legaler und illegaler Drogen und somit neuen Trends bei Drogennotfällen auf der MNA kommt (am besten belegt bei Jugendlichen in den USA über die jährliche MTFStudy [22]). Vor diesem Hintergrund führten wir eine erste retrospektive Studie zu PN auf der MNA in Deutschland mit den Vergleichsjahren 2000 und 2010 durch. Wir erwarteten im genannten 10-JahresZeitraum eine Zunahme von PN insgesamt (absolut und relativ), eine Zunahme von Intoxikationen (gerade Alkoholintoxikationen bei jüngeren Frauen und Mischintoxikationen) und Suizidversuchen insgesamt, hingegen eine Abnahme von Suizidversuchen mit Paracetamol (wegen der Einführung der Verschreibungspflicht für Paracetamol-Packungen mit einer Gesamtdosis von > 10 g am 1. Juli 2008). Wir suchten zudem nach „Stoßzeiten“ bei PN im Tages- und Jahresverlauf, um ggf. Personal- und Organisation auf der MNA optimieren zu können.

Methoden !

Als Datenbasis dienten die Krankenakten aller Fälle, die in den Jahren 2000 (N = 5996) bzw. 2010 (N = 7969) auf der MNA des Universitätsklinikums Ulm behandelt wurden (intermediate care M1B und Intensivstation M3G zusammengenommen). Aus diesen wurden zunächst alle psychiatrischen Fälle in den beiden Jahren identifiziert, die Diagnosen aus dem ICD-10 Kapitel F „Psychische Störungen“ (F00 – F99) aufwiesen oder potenziell PN darstellen könnten (z. B. G21, G24, G25, G30, G31, G40 und G41 [für epileptische Anfälle, EPMS], R25, R40 – R49, R56 und R78 [für Bewusstseinstrübung, unklare Krämpfe, Schwindel und Delir], T36 – 65 [für Intoxikationen], X60 – 84 [für Selbstverletzungen] und Y40 – 91 [für UAWs unter Arzneimitteln]). Dies ergab 671 Fälle aus dem Jahr 2000 bzw. 1206 Fälle aus dem Jahr 2010. Dieser erste Suchschritt erfolgte EDV-gestützt in den Arztberichten und im Krankenhausverwaltungssystem. In einem zweiten Schritt wurde nun unter diesen „psychiatrischen Fällen“ die tatsächlichen PN (gemäß obiger Definition) selektiert. Dies erfolgte in einer Einzelfallanalyse unter Supervision von 2 psychiatrischen Fachärzten (CSL, RWF) basierend auf allen Originalpatientenunterlagen (Einweisung, Rettungsdienstprotokoll, Aufnahmebogen, Befunde samt Labor, Entlassbericht, etc.). Dabei wurde eine diagnostische Zuordnung, teils auch eine Neubewertung, vorgenommen. Somit wurden PN im engeren Sinne (Gruppe 3 + " Abb. 1) für die weitere Analyse selektiert, während Patien4 in ● ten mit einem körperlichen Notfall und einer (aktuell irrelevanten) psychiatrischen (Vor- oder Neben-)Diagnose (Gruppe 2) ausgeschlossen wurden. Beispielsweise wurden Herzinfarkte oder akute Bronchitis infolge der psychiatrischen Diagnose Nikotinabhängigkeit ICD-10 F17.2 als Nebendiagnose ausgeschlossen, ebenso eine Pneumonie bei Panikstörung in der Anamnese. Als PN eingeschlossen wurden z. B. alle behandlungspflichtigen Intoxikationen, Entzugs- und Nicht-Entzugsdelirien, nicht hingegen eine obere gastrointestinale Blutung oder eine akute Pankreatitis infolge einer Alkoholkrankheit. So reduzierte sich die Zahl der Fälle auf 369 PN im engeren Sinne im Jahr 2000 und 430 im Jahr 2010. Alle für unsere Forschungsfragen relevanten Daten wurden zu diesen verbliebenen Fällen anonymisiert extrahiert (Alter, Geschlecht, Geburtstag, Diagnosen, Datum und Uhrzeit der Aufnahme und der Entlassung, Laborparameter wie Alkoholspiegel im

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ungeplante Aufnahme („Notfall“), Selbsteinweisung oder professionelle Vorstellung, teils V. a. psychiatrischer Notfall

Originalarbeit

Tab. 1

Übersicht über die wichtigste Literatur zu psychiatrischen Notfällen (PN) auf der medizinischen Notaufnahme (MNA).

Studie

Datenbasis

Land

Design, Datenquelle

Anteil PN bzw.

häufigste Störungen

psych. Störung international: [3]

1992 – 2000

USA

LS, retrospektiv, NHAMCS-Daten, ICD-9

5,4 % (15 % Anstieg)

Substanzmissbrauch (27 %) Neurosen (26 %) Psychosen (21 %)

[4, 5]

1992 – 2001

USA

LS, retrospektiv, NHAMCS-Daten, ICD-9

4,9 – 6,3 %

Substanzabusus (22 %) affektive Störung (17 %), Angststörung (16 %)

[19]

2004

USA

QS, prospektiv, 187 MNA in den USA, N = 310 von 3289, teils Umfrage

9,4 %

„anxious“ (37 %) „depressed“ (32 %) „agitated“ (18 %), „intoxicated“ (17 %)

[29]

? (3 J.)

I

QS, MNA Universität Ferrara, N = 1962 psychiatrische Konsilfälle

1,4 %

„anxiety symptoms“ (20 %) „psychotic symptoms“ (20 %) „depressive states“ (11 %)

[20]

02 – 04/2011

AUS

QS, prospektiv, MNA Brisbane, N = 708, Kessler Psych. Distress Scale (K10)

17 % (S), 37 % (F)

keine Diagnosen

[6 – 8, 14]

2002

D

QS, retrospektiv, MNA Hannover, N = 2632 von 34 058

7,7 %

Alkoholintox. (20 %) Schizophrenie (14 %) akute Belastungs-R. (7 %)

[9]

2007

D

QS, Briefbefragung (15 S.-Fragebogen), 74 MNA (1406 angeschrieben)

9,2 % (14,2 %)

Suchterkrankung (ca. 50 %)

QS = Querschnittstudie, LS = Längsschnittstudie, D = Deutschland, I = Italien, NHAMCS = National Hospital Ambulatory Medical Care Survey, S = Selbstbeurteilung, F = Fremdbeurteilung

relativer Anteil an PN in %

60,0 %

Abb. 2 Diagnosen bei den psychiatrischen Notfällen in der internistischen Notaufnahme des Universitätsklinikums Ulm. Entwicklung im Vergleich der Jahre 2000 und 2010. Aufgetragen ist der relative Anteil der Diagnose an allen psychiatrischen Notfällen in %. n = Anzahl Fälle.

2000 relativ, n = 369 2010 relativ, n = 430

50,0 % 40,0 % 30,0 % 20,0 % 10,0 %

to xik at io nd Alk n o ro h o m le oh nt n zu sy Alk e D gsnd oh el ro ol ir m en m tzu it De gsSc lir hi zo ph re Ps ni yc e ho sc s hi e, zo n ph ich re t De n pr es sio n Pa ak ni ut ka e Be tt ac la ke st un gs re Dr ak tio og M en ed n in ika to m xik en at te io nne / n so ns tig e

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0,0 %

Diagnose

Serum etc.). Für die statistische Auswertung reichten oft deskriptive Parameter. Bei Testungen auf signifikante Unterschiede bzw. Entwicklungen wurde je nach Art der Daten ein Chi-Quadrat-Test basierend auf Vierfeldertafeln (Nominalskalenniveau) oder ein tTest (Intervallskalenniveau) durchgeführt. Chi-Quadrat-Tests wurden mithilfe eines internetbasierten Statistiktools von K. J. Preacher (Vanderbilt University, USA) berechnet [23], die übrigen Berechnungen erfolgten mit Microsoft Excel for Mac 2008 bzw. IBM SPSS Statistics for Mac, Version 21.0 der IBM Corporation. Als Signifikanzniveau wurde p < 0,05 festgelegt. Aufgrund des retrospektiven Ansatzes gab es bei verschiedenen Variablen missing data. Für die Studie lag ein positives Ethikvotum der lokalen Ethikkommission vor.

Ergebnisse !

Psychiatrische Notfälle insgesamt Trotz eines Anstiegs der absoluten Zahl an PN von 369 im Jahr 2000 auf 430 im Jahr 2010 (Zuwachs um 16,5 %) war die Zunahme im Vergleich zu den restlichen Aufnahmen nur ein nichtsigni" Tab. 2). fikanter Trend (● Der relative Anteil der PN betrug im Jahr 2000 6,2 % (369 von 5996 Fällen), fiel aber im Jahr 2010 leicht auf 5,4 % (430 von 7969 notfallmäßigen Aufnahmen); dieser unerwartete Befund lag an der noch stärkeren Zunahme der nichtpsychiatrischen Fälle (knapp 33 %). Bei den Patienten mit PN handelte es sich in den Jahren 2000 und 2010 überwiegend um Männer im Alter um 40 J., wobei sich in dem 10-Jahres-Zeitraum keine signifikanten Änderungen von Geschlecht und Alter zeigten. Die häufigsten PN waren Alkohol-, Drogen- und Medikamentenintoxikationen. Im Jahr 2000 machten sie zusammen 66 % der PN " Abb. 2). Die häufigste Diagnoaus und im Jahr 2010 sogar 83 % (● Freudenmann RW et al. Psychiatrische Notfälle auf … Psychiat Prax

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Deutschland:

Originalarbeit

Psychiatrische Notfälle auf der medizinischen Notaufnahme des Universitätsklinikums Ulm im Vergleich der Jahre 2000 und 2010.

2000

2010

Vergleich

Anteil der PN an allen Aufnahmen

6,2 % (von 5996)

5,4 % (von 7969)

Anzahl PN (vs. übrige Aufnahmen)

369 (vs. 5627)

430 (vs. 7539)

n. s. 1

Geschlechtsverteilung

61,5 % Männer

57,4 % Männer

n. s. 2

mittleres Alter (± SD)

40,6 (± 17,4) Jahre

39,1 (± 17,4) Jahre

n. s. 3

Alkoholintoxikation:

139

151

Anteil an allen PN o. Fällen

37,7 % o. 2,3 %

35,1 % o. 1,9 %

mittleres Alter. (±SD)

39,2 (± 15,9) Jahre

34,1 (± 16,0) Jahre

p = 0,007 4

Alter 15 – 24 Jahre (vs. > 24 ahre.)

31 (vs. 108)

63 (vs. 88)

p = 0,0004 5

davon: Frauen (vs. Männer)

9 (vs. 22)

16 (vs. 47)

n. s. 6

mittlerer BAK (± SD)

3,2 (± 1,2) mg/l

2,7 (± 1,0) mg/l

p = 0,000193 7

dto. Alter 15 – 24 J. (±SD)

2,3 (± 0,8) mg/l

2,2 (± 0,6) mg/l

n. s. 8

andere Intoxikationen:

103

206

Anteil an allen PN o. Fällen

27,9 % o. 1,7 %

47,9 % o. 2,6 %

Anzahl (vs. andere Notfälle)

103 (vs. 5893)

206 (vs. 7763)

p = 0,0006 9

Anzahl (vs. andere PN)

103 (vs. 266)

206 (vs. 224)

p = 0,0001 10

mit Medikamenten:

88

163

mit illegalen Drogen

15

43

Substanznachweise#: – Heroin – Methadon – Cannabis – Amphetamin/Ecstasy – Kokain – LSD

9 3 3 1 1 1

14 9 7 6 1 –

Drogenintoxikation ohne Substanznachweis



10

als Suizidversuch zu werten

74

119

Anteil an allen PN o. Fällen

20,1 % o. 1,2 %

27,7 % o. 1,5 %

Anzahl (vs. PN ohne S.)

74 (vs. 295)

119 (vs. 311)

unter Alkoholeinfluss

47,3 %

38,7 %

dto. (vs. ohne)

35 (vs. 39)

46 (vs. 73)

Anzahl eingenommener Medikamente (± SD)

1,8 (1,1)

1,8 (1,3)

mit Paracetamol

20,3 %

7,6 %

dt. (vs. ohne Paracetamol)

15 (vs. 59)

9 (vs. 110)

p = 0,012 11 n. s. 12

p = 0,009 13

BAK = Blutalkokolkonzentration, S. = Suizidalität 1 2 χ = 3,65, df = 1, p = 0,056; 2 χ2 = 1,38, df = 1, p = 0,242; 3 t = 1,221, df = 797, p = 0,222; 4 t = 2,724, df = 288, p = 0,007; 5 χ2 = 12,47, df = 1, p = 0,0004; 6 χ2 = 0,14, df = 1, p = 0,706; 7 t = 3,780, df = 271, p = 0,000193; geringere Freiheitsgrade wegen 17 fehlenden BAK-Werten; 8 t = 0,193, df = 89, p = 0,847; 9 χ2 = 11,89, df = 1, p = 0,0006; 10 χ2 = 33,46, df = 1, p < 0,0001; # die Summe ist 2000 größer als die Zahl der Intoxikationsfälle, da hier teils mehrere Stoffe pro Intoxikationsfall nachgewiesen wurden; 2010 ist sie kleiner als Zahl der Fälle, da nur bei 33 von 43 Fällen der Substanznachweis gelang (innerhalb dieser 33 Fälle waren Mehrfachintoxikationen, weshalb die Summe der nachgewiesenen Substanzen 37 war); 11 χ2 = 6,29, df = 1, p = 0,012; 12 χ2 = 1,39, df = 1, p = 0,237; 13 χ2 = 6,77, df = 1, p = 0,009

se im Jahr 2000 war die akute Alkoholintoxikation (Anteil 37,7 %) und im Jahr 2010 die Medikamenten-/Drogenintoxikation (Anteil 47,9 %). Alkoholentzug als Aufnahmeanlass war demgegenüber deutlich seltener und sank von einem Anteil von 12,5 % im Jahr 2000 auf 1,9 % im Jahr 2010. Gegenüber diesen substanzassoziierten Störungen waren alle Diagnosen wie Panikattacke, akute Belastungsreaktion, Anpassungsstörung, Psychose, medizinische Delirien oder Serotoninsyndrom mit Anteilen jeweils unter 3 % selten. Raritäten waren nicht anders klassifizierbare Erregungszustände (2 Fälle 2000, 4 Fälle 2010), Wernicke-Enzephalopathie (2 Fälle 2010), malignes neuroleptisches Syndrom (1 Fall 2000), Katatonie (3 Fälle 2000) und Serotoninsyndrom (1 Fall 2010), bei denen wegen der geringen Fallzahlen keine validen Aussagen zu Entwicklungen möglich waren.

Das mittlere Alter der Patienten mit Alkoholintoxikation sank – wie erwartet – signifikant von 39,2 (± 15,9) Jahre im Jahr 2000 auf 34,1 (± 16,0) Jahre im Jahr 2010. Gerade in der Altersgruppe von 15 – 24 Jahre kam es zu einem signifikanten Anstieg von Alkoholintoxikationen; ihre Zahl verdoppelte sich (31 vs. 63 Fälle, Anteil an allen Alkoholintoxikationen 22 % bzw. 41,7 %). Es handelte sich dabei überwiegend um junge Männer (Anteil 71 % im Jahr 2000, 75 % im Jahr 2010). Die Zahl junger Frauen (15 – 24 Jahre) mit einer Alkoholvergiftung nahm zwar von 9 (Jahr 2000) auf 16 (Jahr 2010) zu, der Zuwachs war aber nicht signifikant. Entgegen der Erwartung nahm die mittlere Blutalkoholkonzentration (BAK) im Verlauf signifikant ab; sie sank von 3,2 auf 2,7 mg/l. Auch in der Gruppe mit einem Alter von 15 – 24 Jahre nahm der BAK nicht zu, sondern blieb weitgehend unverändert.

Medikamenten- und Drogenintoxikationen Alkoholassoziierte Notfälle Die Zahl der Alkoholintoxikationen nahm zwischen 2000 und 2010 zu (von 139 auf 151 Fälle), ihr Anteil an den PN sank aber leicht (von 37,7 auf 35,1 %). Alkoholintoxikation war 2010 nur " Tab. 2) noch die zweithäufigste Diagnose (●

Freudenmann RW et al. Psychiatrische Notfälle auf … Psychiat Prax

Medikamenten- und Drogenintoxikationen zusammengenommen haben sich absolut (von 103 auf 206) und relativ in den 10 Jahren annähernd verdoppelt. Sie waren im Jahr 2010 die häufigsten PN und an knapp der Hälfte aller PN beteiligt (An" Tab. 2). teil 47,9 % gegenüber 27,9 % im Jahr 2000) (●

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Tab. 2

Originalarbeit

relativer Anteil an PN in %

20,0 % 16,9 %

18,0 % 16,0 %

14,9 %

17,1 %

15,1 %

Abb. 3 Uhrzeit bei Aufnahme von psychiatrischen Notfällen (gepoolte Daten für 2000 und 2010 mit 799 Fällen).

14,0 % 12,0 % 10,0 %

9,4 %

11,0 %

8,0 %

9,6 %

6,0 % 5,9 %

4,0 % 2,0 % 0,0 %

2000 + 2010, n = 799 0 – 3 Uhr

3 – 6 Uhr

6 – 9 Uhr

9 – 12 Uhr

12 – 15 Uhr 15 – 18 Uhr 18 – 21 Uhr 21 – 24 Uhr

Aufnahmeuhrzeit

Suizidversuche Parallel zu der Auswertung nach Substanzen wurde jeder PN auf das Vorliegen eines Suizidversuchs hin zu bewerten versucht (gegenüber z. B. akzidentellen Überdosierungen). Die Zahl der als Suizidversuch zu wertenden PN stieg von 74 im Jahr 2000 auf 119 im Jahr 2010. Bezogen auf alle PN stieg ihr Anteil von 20,1 % (2000) auf 27,7 % (2010), wobei der Anstieg gegenüber PN ohne das Merkmal „Suizidversuch“ signifikant war " Tab. 2). (● Circa 40 % der Suizidversuche erfolgten unter Alkoholeinfluss. Es gab diesbezüglich zwischen 2000 und 2010 keine signifikante Änderung, wenngleich der Anteil von 47,3 % auf 38,7 % zurückging. Im Mittel wurden bei Suizidversuchen 1,8 Substanzen eingenommen, sowohl im Jahr 2000 als auch 2010. Demgegenüber wurde Paracetamol im Jahr 2010 signifikant seltener als im Jahr 2000 bei Suizidversuchen mit Medikamenten eingesetzt und der Anteil sank von über 20 % auf deutlich unter 10 %. Betrachtet man die Suizidversuche über den Verlauf des Jahres, zeigte sich eine Häufung im Winter bzw. um den Jahreswechsel (12,4 % im Dezember, 10,9 % im Januar) bei einem relativen Minimum im Juni (5,7 %; zu erwarten wäre ein Anteil von 1/12 = 8,3 %).

Häufungen von psychiatrischen Notfällen im Tages- und Jahresverlauf Bei der Analyse der Uhrzeit bei Aufnahme von PN auf der MNA fiel ein ca. 3-mal höheres Patientenaufkommen spätabends zwi" Abb. 3, gepoolschen 21 und 24 Uhr als morgens von 6 – 9 auf (● te Daten aus 2000 und 2010). Bis nachmittags 15 Uhr, also der Regelarbeitszeit vieler psychiatrischer Konsiliardienste, gab es vergleichsweise wenige Aufnahmen mit PN. Beim Vergleich der Kalendermonate waren Aufnahmen von PN um den Jahreswechsel überrepräsentiert (Anteil an allen Aufnahmen im Januar 10,0 %, im Dezember 9,9 %) und im Frühsommer am seltensten (Anteil im Juni 6,1 %; zu erwarten wäre ein Anteil von 1/12 = 8,3 %).

Aufenthaltsdauer und Wiederaufnahmen Bei der mittleren Aufenthaltsdauer gab es im Untersuchungszeitraum mit jeweils 2 Tagen keine signifikante Änderung (2000: 2,0 [± 4,4] d; 2010: 2,1 [± 4,1] d; t = – 0,352, df = 797, p = 0,725). Betrachtet man die Zahlen zu Wiederaufnahmen, so wurden 2010 mehr Patienten wiederholt wegen eines PN behandelt verglichen mit einer einmaligen Aufnahme auf der MNA (2000: 59 vs. 310; 2010: 89 vs. 341, [χ2 = 2,91; df = 1; p = 0,088]). Im Jahr 2010 war jeder 5. Fall eine Wiederaufnahme (Anteil 20,7 %). Rasche Wiederaufnahmen innerhalb der ersten 7 Tage dagegen gingen zurück, und zwar von 28 (7,6 % der 369 Aufnahmen) im Jahr 2000 auf 20 (4,7 % von 420) (χ2 = 3,03; df = 1; p = 0,082).

Diskussion !

Vorgestellt wurden die Ergebnisse einer retrospektiven Studie zur Entwicklung von psychiatrischen Notfällen auf einer medizinischen Notaufnahme in Deutschland im Vergleich der Jahre 2000 und 2010. Hierbei wurden Daten aus der Ulmer Universitätsklinik verwendet. Ziel der Untersuchung war, aus quantitativen und qualitativen Veränderungen bei den PN Schlussfolgerungen für eine verbesserte Versorgung abzuleiten. Erwartungsgemäß fanden wir eine deutliche Zunahme der absoluten Zahl an PN (+ 16,5 %) im Studienzeitraum; wegen der noch stärkeren Fallzahlsteigerung bei den medizinischen Notfällen (+ 33 %), mutmaßlich im Rahmen der DRG-System-Einführung seit 2003 [24], fiel der Anteil entgegen unserer Hypothese. PN machten ca. 5 % der Fälle auf der MNA aus (2000: 6,2 %; 2010: 5,4 %), wobei zwischen „psychiatrischen Patienten auf der MNA“ und tatsächlichen PN unterschieden wurde (soweit retrospektiv möglich). Die einzige Studie aus Deutschland aus Hannover aus dem Jahr 2002 hatte mit einem Anteil von 7,7 % PN auf der MNA ähnliche Werte ergeben [7], die weniger aussagekräftige UmfraFreudenmann RW et al. Psychiatrische Notfälle auf … Psychiat Prax

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Bei diesen Intoxikationen wurden im Jahr 2000 im Mittel 1,6 Stoffe eingenommen (bei 103 Intoxikationen 163 Substanzen), im Jahr 2010 war dies ähnlich (bei 206 Fällen 307 Substanzen). Mischintoxikationen wurden also nicht häufiger beobachtet. Intoxikationen mit Medikamenten dominierten dabei mit einem Anteil von 85 % (88 von 103) im Jahr 2000 bzw. 79,1 % (163 von 206) im Jahr 2010 gegenüber illegalen Drogen, nicht aber gegenüber Alkoholintoxikationen. Betrachtet man nur die Medikamentenintoxikationen, die sich absolut in den Jahren 2000 – 2010 etwa verdoppelt haben (von 88 auf 163 Fällen), waren an der Hälfte der Fälle Psychopharmaka (Anteil von 51 %) und an jedem 5. Fall Analgetika (21 %) beteiligt, während andere Medikamentenklassen jeweils selten waren. Betrachtet man nur die Intoxikationen mit illegalen Drogen, so zeigten sich erwartungsgemäß einige Änderungen. Opiat/Opioidintoxikationen (Heroin oder Methadon) waren sowohl 2000 als auch 2010 die häufigsten drogenassoziierten PN auf der MNA (etwa 2 von 3). Amphetamine/-derivate wurden häufiger nachgewiesen, bei anderen Substanzgruppen war keine Änderung festzustellen (soweit bei den geringen Zahlen erkennbar). Bedeutsam war, dass 2010 bei jedem 4. (mutmaßlichen) Drogennotfall (10 von 43) mit dem vorhandenen Drogenscreening kein Substanznachweis gelungen ist, was im Jahr 2000 so nicht vorkam.

Originalarbeit

Freudenmann RW et al. Psychiatrische Notfälle auf … Psychiat Prax

Verweildauern unter 24 h gingen daher aufgerundet mit „1 Tag“ ein). Die tatsächliche Verweildauer dürfte daher viel näher an der in Hannover liegen, als die Daten suggerieren.

Limitationen der Studie Das retrospektive Design bedingte eine Unvollständigkeit der Daten und erschwerte die Bewertung und Selektion der Fälle mit PN (insbesondere die Abgrenzung von Gruppe 2 und Gruppe 3 ge" Abb. 1). mäß ● Die Bewertung der Fälle bezüglich des Vorliegens eines PN ist letztlich subjektiv. Wir haben durch Standardisierung der Bewertung versucht diesen Effekt zu minimieren. Wir haben allerdings bei der Studie auch z. B. akute Belastungsreaktionen und Panikattacken als PN berücksichtigt, obwohl sie keine PN im strengsten Sinne sind (es droht kein bleibender Schaden ohne Behandlung). Bei Nichtberücksichtigung dieser Zustände wäre kaum Vergleichbarkeit mit anderen Studien gegeben, da diese sie fast immer als PN gewertet hatten. Die Daten aus Ulm sind nicht repräsentativ für Deutschland, so dass eine Generalisierung der Befunde nur bedingt möglich ist. Wegen der EDV-basierten Suchstrategie ist nicht auszuschließen, dass einzelne PN nicht identifiziert wurden. Es wurden nicht alle Akten der MNA aus den Indexjahren per Hand ausgewertet, sondern nur EDV-mäßig vorselektierte Fälle mit bewusst breit gefassten Diagnosen bzw. ICD-10-Codes. Die Übereinstimmung unserer Ergebnisse mit Literaturangaben zeigt, dass die Selektionseffekte gering sein müssten.

Konsequenzen für Klinik und Praxis:

▶ Das Vorliegen eines PN bei etwa jedem 20. Fall auf der MNA belegt die Notwendigkeit einer engen Kooperation mit einem psychiatrischen Konsildienst; dies dient der verzö" Abb. 1) und optigerungsfreien Ersteinschätzung (nach ● malen Versorgung von denjenigen Patienten mit einem PN, die aktuell nur auf der MNA behandelt werden können (Gruppe 3 in ●" Abb. 1). ▶ Die Häufung von PN in den Abend- und Nachtstunden macht die Verfügbarkeit des psychiatrischen Konsildienstes gerade außerhalb der Regelarbeitszeit wünschbar. ▶ Die große und zunehmende Zahl von suchtmedizinischen PN und das Vorliegen von Suizidversuchen in ca. jedem 4. PN legt Fortbildungen im Bereich Suchtmedizin (bes. Alkohol, neue Trends bei Drogen) und Umgang mit Suizidalität für die ärztlichen und nichtärztlichen Mitarbeiter der MNA nahe.

Anmerkungen Die Studie war die Grundlage für die medizinische Dissertation von JE an der Medizinischen Fakultät der Universität Ulm (2015).

Interessenkonflikt !

Die Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

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gestudie von Puffer et al. einen knapp 2-fach höheren Anteil von 9,2 % [9]. Unsere Hauptergebnisse waren in exakter Übereinstimmung mit der Studie von Larkin et al. (Anteil PN 5,4 %), wenngleich sich diese auf die Dekade zuvor bezog und aus den USA stammte [3]. Ob es sich tatsächlich um eine internationale und anhaltende Entwicklung handelt (Zunahme der PN absolut, Abfall relativ), kann aufgrund des Mangels an publizierten Studien leider nicht klar bewertet werden. Aus Ulmer Perspektive waren typische Patienten mit PN auf der MNA ca. 40 Jahre und eher männlich, wobei sich keine Änderungen im Studienzeitraum ergaben und auch keine Abweichungen gegenüber der o. g. deutschen Vorstudie (dort mittleres Alter 43,5 Jahre, 51,6 % Männer) [7]. Bei den PN dominierten Intoxikationen aller Art, passend zu den meisten früheren Untersuchungen [3, 4, 7]. Alkoholintoxikationen als häufigster PN im Jahr 2000 wurde von Intoxikationen mit Drogen und Medikamenten im Jahr 2010 abgelöst. Wir fanden eine Zunahme von Alkoholintoxikationen bei jüngeren Patienten bzw. ein signifikant sinkendes Alter bei Alkoholintoxikationen. Zwar sinkt – entgegen landläufiger Annahmen – epidemiologisch der Konsum von Alkohol und Drogen bei Jugendlichen, nicht aber in Risikogruppen und bezogen auf einzelne Exzesse [21, 22]. Bei Medikamentenintoxikationen spielten Psychopharmaka (etwa 50 %) und Analgetika (etwa 20 %) wie in anderen Studien die größte Rolle [11, 25]. Intoxikationen mit illegalen Drogen waren in Ulm deutlich seltener. Erwartungsgemäß ergaben sich Hinweise für sich ändernde Konsummuster (z. B. 2010 mehr Stimulanzien), wenngleich hier die Datenbasis limitiert war (geringe Fallzahlen). Bemerkenswert war das Ansteigen von klinischen Verdachtsfällen von Intoxikationen, bei denen kein Substanznachweis gelang; hier könnten nicht oder schwer nachweisbare Drogen wie z. B. Liquid Ecstasy [26], synthetische Cannabinoide oder pflanzliche Anticholinergika eine Rolle spielen, wobei der in Ulm eingesetzte Drogentest zudem Tramadol, Tilidin, Buprenorphin und Fentanyl nicht erfasste. Etwa 25 % der PN auf der MNA (1,4 % der Fälle insgesamt dort) waren Suizidversuche, soweit dies retrospektiv zu klären war. Ihre Bedeutung für PN auf der MNA nahm wie erwartet zu (Anteil an den PN stieg von 20 auf 28 %). Damit lagen unsere Werte um den Faktor 2 über denen aus der Studie in Hannover 2002 (12,1 %) [7]. Ob dies auf eine echte Zunahme oder eine abweichende Methodik der Studien zurückzuführen ist, ist unklar. Erfreulich war der Befund, dass Paracetamol im Jahr 2000 signifikant seltener bei Suizidversuchen beteiligt war (weniger als jeder 10.); die Änderung der Verschreibungsfähigkeit 2009 scheint also zu greifen. In England konnte gezeigt werden, dass auch die Mortalität durch Paracetamol-Intoxikationen nach Einführung von Packungsgrößenbeschränkungen 1998 fiel, nicht nur die Zahl der Fälle [27]. Organisatorisch bedeutsam war die klare Häufung von PN abends und nachts mit dem geringsten Patientenaufkommen an PN in der Kernarbeitszeit des psychiatrischen Konsildienstes; dies stand in Widerspruch zu den Vorbefunden von Kropp et al. [7]. In einer Studie zu Autointoxikationen, die auf 2 MNA in England bzw. Australien behandelt werden mussten, fanden dagegen auch 70 % der Aufnahmen „after-hours“ statt [11]. Auch präklinisch finden die Notarzteinsätze bei PN oft nachts statt [28]. Die Verweildauer der PN lag bei im Mittel bei 2 Tagen. In Hannover war im Jahr 2002 bei 2222 PN eine mittlere „door to door time“ von nur 123 Minuten (± 95) ermittelt worden [6]. Der Großteil der Abweichung ist auswertungsbedingt (die Berechnung erfolgte in unserer Studie in Tagen und alle Patienten mit

Abstract

Psychiatric Emergencies in the Emergency Room of the Ulm University Hospital in 2000 and 2010 !

Objective: Despite of the importance of psychiatric emergencies (PE) requiring treatment at an emergency room (ER) little is known about their frequency and current trends in terms of quantity and quality. Methods: A retrospective analysis of all PE treated at the ER of the University Hospital Ulm (Germany) in 2000 and 2010. Results: 6 % (2000) or 5 % (2010) of the ER cases were PE. Despite an increase from 369 to 430 cases (+ 16,5 %) their share decreased because of an even stronger increase of other emergencies (+ 33 %). The most frequent PE in 2000 was alcohol intoxication (37,7 %), while it was intoxication with prescribed and/or illicit drugs in 2010 (47,9 %). Patients with alcohol intoxications were significantly younger in 2010 as compared with 2000. Suicide attempts were seen in every fourth PE. They were significantly more frequent in 2010. PEs were generally more frequent in the evening and over the night. Conclusion: This study provides first insight into current trends in PE treated at the ER in Germany. Our data provide an empirical starting point for optimizing clinical care, although the study is limited by its retrospective and mono-centric design.

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Freudenmann RW et al. Psychiatrische Notfälle auf … Psychiat Prax

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Originalarbeit

[Psychiatric Emergencies in the Emergency Room of the Ulm University Hospital in 2000 and 2010].

Objective: Despite of the importance of psychiatric emergencies (PE) requiring treatment at an emergency room (ER) little is known about their frequen...
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