362 KIm. Mb!. A ugenheilk. 197 (1990)

Pseudoretinoblastom Differentialdiagnostik des Retinoblastoms A. Hamburg Universitats-Augenklinik Utrecht (Direktor: Prof. Dr. J. S. Stilma)

Herrn Professor Dr. med. 0. -E. Lund zum 65. Geburtstag gewidmet

In der Zeit zwischen 1958 und 1988 wurde

im ophthalmo-pathologischen Labor der Universitat Utrecht bei 60 Augen von 59 Patienten mit der klinisch gesteliten bzw. vermuteten Diagnose Retinoblastorn eine andersartige Krankheit festgestellt. Diese sehr un-

gleichartige Gruppe von Pseudoretinoblastornen bestand in etwa 50¾ aus kongenitalen Millbildungen, in 35¾ aus Entzundungen und in 15¾ aus anderen Krankheiten einschlielllich anderen Tumoren. Durch moderne

Untersuchungs- und Behandlungsmethoden ist diese Gruppe heute selten geworden. Pseudoretinoblastoma

zeigte, dalI es sich nicht urn em Retinoblastom handelte. Diese Gruppe wird zusarnmengefallt unter der Bezeichnung Pseudoretinoblastom oder, wie es fruher hiell, Pseudog/mom: eine Gruppe sehr ungleichartiger Falle, die meistens, wie beim fortgeschrittenen Retinoblastom, durch eine undurchsichtige Masse hinter der Iris, eine weilllich-aufleuchtende Pupille oder Leukokorie zeigen. Diese Masse besteht beim Retinoblastom aus Tumorgewebe, rnanchrnal mit Blut, nekrotischem Gewebe oder der abgelosten Netzhaut und ist klinisch oft schwer oder gar nicht von andersartigen Abweichungen zu unterscheiden.

Im aligemeinen ist es histopathologisch leicht festzustellen, dalI kein Retinoblastom vorliegt. Viel schwieriger kann es sein, die wahre Ursache festzustellen. Was der Augenpathologe zur Untersuchung bekornmt, ist

oft em Endstadium: eine totale Netzhautablosung, eine Between 1958 and 1988, at the ophthalrnopathological laboratory of Utrecht University, different diseases were found in 60 eyes of 59 patients with the clinically established or tentative diagnosis of retinoblastoma. In this collection of extremely heterogeneous

cases of pseudoretinoblastoma congenital malformations accounted for around 50¾ of the cases, inflammatory conditions for 35¾ and other diseases, including other tumors, for 15¾. Modern exarnination and treatment methods have brought about a considerable reduction in the number of such cases.

Bindegewebemasse hinter der Linse, mit mehr oder weniger Blutgefallen bzw. Entzundungserscheinungen usw.; em Auge also, in dem so viele reaktive und reparative Prozesse stattgefunden haben, daB die Diagnose oft nur auf Grund einer zuverlassigen Krankheitsgeschichte, zusammen rnit

den Ergebnissen von Laboratoriums- bzw. genetischen Untersuchungen, gestelit oder wenigstens wahrscheinlich gemacht werden kann (Abb. I). Leider sind die Unterlagen oft luckenhaft oder fehlen rnanchrnal ganz.

Abb.

1

Endstadi-

urn: Auge mit totaer Netzhautablb-

Trotz moderner Untersuchungsmethoden kann die Diagnostik des Retinoblastoms schwierig sein. Die Moglichkeit einer sogenannten ,,falsch-positiven" Diagnose oder ,,Uberdiagnose" (Naumann, 1980) ist zeitlos. Es bleibt deshaib sinnvoll, die einschlagigen Falle zu sammein, einzuordnen und zu erlautern. In der Zeit zwischen 1958 und 1988 wurden

im ophthalrno-pathologischen Labor der Universität Utrecht 190 Retinoblastomfäile histopathologisch diagnostiziert (einige waren klinisch nicht erkannt worden; eine Besprechung dieser Falle wurde bereits veroffentlicht: Hamburg, 1984). Weiter gab es 60 Augen von 59 Patienten, bei weichen klinisch die Diagnose Retinoblastom entweder gestelit, erwogen worden war, oder hätte erwogen

werden konnen; die histopathologische Untersuchung KIm. Mb!. Augenheilk. 197 (1990) 362—368

1990 F. Enke Verlag Stuttgart

sung u nd retrolentaler Bindegewebemasse. Ursache unbekannt. Dia-

gnose, 10 Jahre spater. Morbus Norrie. H,-E. Vergr. 2,5fach

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Zusammenfassung

K/in. Mb/. Augenheilk. 197 (1990) 363

Pseudoretinob/astom

Als Auswahlkriterium benutzten wir die Treacher Collins' sche Definition (zit. nach Sanders, 1952):

,,Ein Pseudoretinoblastom ist jeder Zustand des Auges, der zu Unrecht für em Retinoblastom gehalten werden kOnnte." Die klinischen Diagnosen schwanken zwischen ,,Retinoblastom" und ,,ziemlich sicher oder sicher kein Retinoblastom" und sind in Tabelle 1 (in Code) bewertet. Im Gegensatz zu anderen Autoren haben wir keine Altersgrenze festgelegt, da das Retinoblastom manchmal auth bei a!teren Kindern und ausnahmsweise sogar bei Erwachsenen gefunden wurde. Der alteste Patient in unserer Serie war 17

Jahre alt. Erlauterung Em persistierender hyperplastischer primarer Glaskorper soilte erkennbar sein an der Einseitigkeit, dem rnikrophthalrnischen Auge und den ausgezogenen Zi/iarzotten. Trotzdem gab es bei uns viele Zweifelsfalle. Bekanntlich ist das Vorkommen eines Retinoblastoms in ei-

Tab.

nem mikrophthalmischen Auge eine extreme Seltenheit. In spateren Stadien allerdings kann sich em Mikrophthalmus durch em Sekundarglaukom zum Buphthalmus wandein. Histo/ogisch zeigt das mikrophthalmische Auge eine retrolentale Bindegewebemasse und einen Defekt in der hinteren Kapsel der u. U. bereits kataraktOsen Linse, zentralwarts ausgezogene Ziliarzotten und Reste des Arteria hyaloidea-Systems im Glaskorperraum (Abb. 2); manchmal kommen kleine praretinale Gliawucherungeri als Reste der embryonalen Verbindung zwischen Netzhaut und Linse vor. (Weitere Einzelheiten: siehe Nczurnann, 1980 bzw. Spencer, 1985).

Retinitis exsudativa externa (Morbus Coats) ist eine einseitige Retinopathie mit kongenitalen Teleangiektasien und Mikroaneurysmen der Netzhautkapillaren bei meist mannlichen Jugendlichen. Systemische und familiare Veranderungen fehien. Auf die Dauer erscheinen

Lipidexsudationen und Cholesterinablagerungen in dec Netzhaut und im Spatstadium entwickelt sich eine totale Netzhautablosung. Dadurch ist die Art der Erkrankung riicht mehr zu beurteilen. Auf die noch immer umstrittene Beziehung mit der Leberschen Erkrankung sowie weitere Streitpunkte wird hier nicht eingegangen. Die Grundstörung liegt in der Leckage der abnormen Netzhautgefal3e. Histo/ogisch sieht man meistens eine totale trichterformige

Netzhautabhebung, sehr dunnwandige erweiterte Netz-

1

Histologische Diagnose

Anzah)

Bewertung

Bemerkungen

I Kongentia)e Miltbildungen a) Persistierender hyperp)astischer primarer 8 G)askärper b) Retinitis exsudativa externa )Morbus Coats) 8 C) Dominante exsudative VitreoRetinopathie 7

00 ee® + + + $+++++

d Progressive oculo-acustico-cerebrale Degeneration )Morbus Norrie)

2

0+

3

00 e

e) Retinale Dysplasie, unklare kongen. MiRbildungen f) Buphthalmus II Entzundungen a) Endophtba)mitis, Uveitis, Retinitis

+ x 2 Augen von einem Patienten; 4 Fä)Ie kunisch nicht bewiesen Histopathologisch ungenugend charakteristisch: Familienanamnese erforderlich. 2 könnten c) oder d) sein; 3. FaIl ,, Umbrella-

Syndrom" 3 11

00

-I- -- +

+ + + + Oft unbekannter Art; manche khnnen metastatisch seA.

b) Metastatische Entzundungen c) Toxocara-Endopi-ithalmitis I)) Erworben )nicht-inflammatorisch) a) Retinopathia prämaturorum )retro)enta)e Fibroplasie) b) Geburtstrauma

+++

6

0++++

3 1

+

IV Andere Tumoren a) Embryonales Medullo-epitheliom )Diktyom)

2

00

bi Pseudotumor unbekannter Art

1

0

1: ausgehend von Sehnerv und Netzhaut, 2: vom Zi)iarkörper 11 Jahre nach Bestrah)ung wegen Retinob I a sto m

0 Diagnose falsch ,,Retinoblastom" S Vermutlich Retinoblastom, vielleicht etwas anderes S Zweifelhaft: Retinoblastom oder Pseudo+ Ziem)icb sicher oder sicher kein Retinoblastom

x Unbekannt

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Im aligemeinen konnen drei Grundursachen schlieBlich zum Pseudoretinoblastom führen: kongenitale Mijibildungen, Entzundungen und Blutungen. Sie können auch kombiniert vorkommen. Daneben kOnnen andere Turn oren em Retinoblastom vortäuschen.

364 Kim. Mbi. Augenheilk. 197 (1990)

A. Hamburg

I Abb. 2 Persistierender hyperplastisoher prrmdrer G)askorper: I

[Pseudoretinoblastoma. Differential diagnosis of retinoblastoma].

Between 1958 and 1988, at the ophthalmopathological laboratory of Utrecht University, different diseases were found in 60 eyes of 59 patients with the...
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