ZERTIFIZIERTE FORTBILDUNG _ FOLGE 435

Dr. med. Claudia Zeidler Kompetenzzentrum Chronischer Pruritus (KCP), Klinik und Poliklinik für Hautkrankheiten, Universitätsklinikum Münster Koautorinnen: Prof. Dr. med. Ulrike Raap, Hannover, und Prof. Dr. med. Sonja Ständer, KCP Münster

In Zusammenarbeit mit der Bayerischen Landesärztekammer

Teilnahme unter www.springermedizin.de/kurse-mmw

Dermatose oder Symptom einer inneren Erkrankung?

Pruritus im Alter: Jeder Fünfte ist betroffen Pruritus wird wie der Schmerz als Mechanismus zum Schutz der Haut verstanden, indem er auf Verletzungen aufmerksam macht und eine reflexartige Gegenreaktion auslöst. Chronifiziert er jedoch, kann er zur Qual werden und die Lebensqualität erheblich einschränken.



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Eine Vielzahl von Erkrankungen können Pruritus als Begleitsymptom aufweisen (Tab. 1) [1]. Viele davon treten erst im höheren Lebensalter auf. Dementsprechend ist die Prävalenz des chronischen Pruritus im Alter am höchsten. In Deutschland beträgt die jährliche Inzidenz 7%. Die Prävalenz liegt bei unter 30-Jährigen bei 12,3% und steigt bis auf 20,3% bei 60- bis 70-Jährigen an [2, 3].

Was juckt Ihren Patienten?

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Pathophysiologie Pruritus wird über eine Subpopulation polymodaler C-Nervenfasern, die in der Haut liegen, vermittelt. Neben den histaminempfindlichen, mechano-insensitiven unmyelinisierten C-Fasern sind auch mechano-sensitive C-Fasern und Ad-Fasern beteiligt. Dadurch erklären sich evtl. die unterschiedlichen Qualitäten des Juckreizes, über die Patienten berichten:

reines Jucken, Jucken mit Dysästhesien, Jucken nach mechanischen Stimuli. Die Stimulation dieser Nervenfasern erfolgt direkt über chemische oder physikalische Stimuli sowie indirekt über die Interaktion mit Mastzellen, T-Lymphozyten oder eosinophilen Granulozyten sowie intraepidermale Keratinozyten, die verschiedene pruritogene Mediatoren freisetzen [4]. Zu diesen Mediatoren gehören neben Histamin insbesondere Tryptase, Proteasen, Kinine, Prostaglandine, Neurotrophine, Zytokine wie IL-31 und Neuropeptide wie Substanz P (SP). Zentral werden beim Juckreiz verschiedene Regionen des Gehirns aktiviert [5]. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass neben motorischen und sensorischen Arealen für Juckempfinden auch emotionale Bereiche zentral aktiviert werden. Chronischer Pruritus beim älteren Patienten Das klinische Bild des chronischen Pruritus wird in drei Gruppen eingeteilt. Pruritus kann auf unveränderter, normal erscheinender Haut (Pruritus auf nicht entzündlicher Haut; früher: Pruritus sine materia) bei internistischen, neurologischen oder psychiatrischen Erkrankungen, und im Rahmen von Dermatosen (Pruritus auf entzündlicher Haut) auftreten. Ebenso können durch permanentes

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Tabelle 1

Häufige Ursachen von Pruritus bei älteren Patienten Klinische Gruppe

Erkrankungskategorie

Beispiele

Pruritus auf entzündlicher Haut

Dermatosen

Arzneimittelexanthem, atopisches Ekzem, bullöses Pemphigoid, kutanes T-Zell-Lymphom (erythrodermatische Mycosis fungoides, Sézary-Syndrom), Lichen sclerosus et atrophicans (genital), Psoriasis vulgaris, Skabies, Xerosis

Pruritus auf nicht entzündlicher Haut

Internistische Erkrankungen

Arzneimittelreaktion (ohne Exanthem), Cholestase bei Lebererkrankungen (z. B. primär biliäre Zirrhose, HepatitisB-/-C-Infektion), chronische Niereninsuffizienz, Diabetes mellitus Typ 2, Eisenmangel, Lymphome (M. Hodgkin, Non-Hodgkin-Lymphome), Polycythaemia vera (aquagener Pruritus)

Neurologische Erkrankungen

Apoplex, brachioradialer Pruritus, Notalgia paraesthetica, Postzosterneuralgie, Small-fiber-Neuropathie

Psychiatrische Erkrankungen

Depression, Dermatozoenwahn

Kann auf dem Boden einer dermatologischen oder nicht dermatologischen Erkrankung entstehen

Prurigo nodularis, Lichen simplex, Lichen amyloidosus

Ursachen

Trockene Haut. Aufgrund der Reduktion der Lipidproduktion im Stratum corneum kommt es zur Xerosis cutis („trockene Haut“), der häufigsten Ursache für Pruritus im höheren Lebensalter (Abb. 2). Der Lipidverlust führt zu einer verminderten Wasserbindungskapazität, und die Hornschicht reißt ein. In der Folge wandern Entzündungszellen in die Haut ein, die bei der Entstehung von Pruritus mitwirken. Laut einer französischen multizentrischen Beobachtungsstudie sind ab dem 65. Lebensjahr über 60% der Menschen von trockener, juckender Haut betroffen [6]. Nicht nur eine atopische Diathese, sondern auch chronische Nierenerkrankungen oder die Einnahme bestimmter Medikamente wie z. B. Statine können eine trockene Haut hervorrufen bzw. verstärken [7]. Therapieziel ist daher zunächst die äußerliche Substitution der fehlenden Lipide. Bullöses Pemphigoid. Diese Autoimmunerkrankung tritt eher im fortgeschrittenen Lebensalter auf. Zu Beginn bestehen neben dem Pruritus erythematöse, teils auch urtikarielle Plaques. Im weiteren Verlauf entwickeln sich feste, pralle Blasen. Diese können hämorrhagisch gefüllt sein (Abb. 3). Teilweise bestehen jedoch nur Erosionen und Krusten, sodass sich der Hautbefund als „buntes Bild“ darstellt [8].

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Pruritus bei chronischen Kratzläsionen

Erythrodermie. Darunter versteht man eine Rötung von mehr als 90% der Haut. Dies ist ein schwerwiegendes Zustandsbild, das erhebliche Auswirkungen auf den Gesamtorganismus haben kann. Die Ursachenfindung ist nicht einfach. Bei älteren Patienten sind sehr häufig Arzneimittelreaktionen hierfür verantwortlich. Daher sollte das auslösende Medikament abgesetzt bzw. die Medikation umgestellt werden. Ekzeme, z. B. die Kontaktdermatitis und das atopische Ekzem, können auch zu einer Erythrodermie mit starkem Pruritus führen, ebenso Psoriasis vulgaris, die jedoch eher mit gering ausgeprägtem Jucken einhergeht. Kutane TZell-Lymphome sind seltene Ursachen einer Erythrodermie. Sie sind jedoch mit starkem Pruritus verbunden. Da histologische Untersuchungen bei der Erythrodermie häufig in ihrer Aussagekraft

Mod. n. [1]

Kratzen geschlechterunabhängig im Verlauf chronische Kratzläsionen wie Prurigo nodularis (Abb. 1) und Lichen simplex chronicus auftreten (Tab. 1). Die erste differenzialdiagnostische Abwägung richtet sich demgemäß nach dem klinischen Bild und bestimmt auch den weiteren Untersuchungsgang. In allen Fällen ist der Pruritus bei den Dermatosen auf das betroffene Hautareal beschränkt. Bei Pruritus im Rahmen von internistischen und psychiatrischen Erkrankungen ist das Symptom häufig generalisiert (gesamte Haut flächig oder punktuell betroffen), während neurologische Ursachen in der Regel einen lokalisierten Pruritus hervorrufen.

eingeschränkt sind, werden Wiederholungen im Verlauf bzw. gleich eine Mehrfachentnahme (drei Biopsien) empfohlen. Internistische, neurologische oder psychiatrische Erkrankungen. Wenn diese zu Pruritus führen, sind meist ältere Patienten betroffen. Ursache ist häufig eine chronische Niereninsuffizienz mit oder ohne Dialysepflicht (sog. nephrogener Pruritus, früher: urämischer Pruritus). Über 40% der Dialysepflichtigen leiden hierunter, wobei noch nicht genau geklärt ist, wie dieser Pruritus entsteht [9]. Ebenso kann ein nicht ausreichend eingestellter Diabetes mellitus Typ 2 sowie eine Cholestase bei Lebererkrankungen Jucken verursachen. Beim Diabetes konnte als Ursache die frühzeitige Entwicklung einer Kleinfaserneuropathie identifiziert werden, die mittels

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Abb. 1 81-jährige Frau mit Prurigo nodularis (lividrote Knoten) bei Xerosis und atopischer Diathese.

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Abb. 2 91-jährige Patientin mit Xerosis cutis bei chronischer Niereninsuffizienz. Die Hautoberfläche erscheint aufgeraut. Die Haut ist entfettet und die oberste Hautschicht (Stratum corneum) reißt ein. Es entsteht die sog. „trockene“ (= fettund feuchtigkeitsarme) Haut.

Abb. 3 80-jähriger Mann mit bullösem Pemphigoid. Das klinische Bild besteht vorwiegend aus aufgekratzten Bläschen. Intakte Bläschen sind kaum zu finden und erschweren die Diagnosefindung. In solchen Fällen ist eine diagnostische Hautbiopsie sinnvoll.

Hautbiopsie diagnostiziert und mit Gabapentin/Pregabalin behandelt werden kann. Bei bestimmten Lebererkrankungen (z. B. primäre biliäre Zirrhose, primär sklerosierende Cholangitis, Hepatitis C, medikamentös induzierte Cholestase, intrahepatische Cholestase in der Schwangerschaft) kann chronischer Pruritus bevorzugt an Händen und Füßen entstehen, um dann zu generalisieren. Bei allen diesen Formen spielt die Überexpression des neurogenen Enzyms Autotaxin eine große Rolle [10]. Chronischer Pruritus. Hält Juckreiz länger als sechs Wochen an, spricht man von chronischem Pruritus. Dieser kann dem Nachweis der Grunderkrankung um Wochen bis Jahre vorausgehen. Dieser sogenannte prämonitorische Pruritus tritt bevorzugt bei systemischen Lymphomen (M. Hodgkin, Non-Hodgkin-Lymphome) bzw. der Polycythaemia vera auf. Auch solide Neoplasien führen gelegentlich zu einem generalisierten,

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sogenannten paraneoplastischen chronischen Pruritus. Daher ist neben einer genauen Anamnese auch das Abfragen der B-Symptomatik und eine körperliche Untersuchung mit Abtasten der Lymphknoten sinnvoll [11]. Hinter einem lokalisierten Pruritus auf primär unveränderter Haut steht meist eine neurologische Ursache. Es sind Fälle von Schlaganfallpatienten beschrieben, die kurz nach dem Ereignis an einem halbseitigen Pruritus litten [14]. Umschriebenes Jucken zwischen den Schulterblättern (Notalgia paraesthetica) oder dermatombezogen an den Unterarmen (brachioradialer Pruritus) beruht entweder auf einer Spinalkanalkompression oder einer Schädigung des peripheren Nervens. Diese Pruritusformen sprechen gut auf eine Therapie mit Gabapentin an und sind häufig zu geringfügig für eine chirurgische Intervention. Bei den psychiatrischen Erkrankungen, die zu chronischem Pruritus führen können, dominiert die Depression, die einen generalisierten Pruritus hervorruft.

Beim Dermatozoenwahn sind die Patienten davon überzeugt, dass Parasiten in der Haut residieren und sich dort bewegen. Zum Beweis werden oft Hautfragmente zur Untersuchung mitgebracht, die Anteile der Parasiten repräsentieren sollen. Der Pruritus steht bei diesen Patienten nicht im Vordergrund. Teilweise fehlt er sogar. Psychiatrisch induzierter Pruritus spricht nicht auf eine antipruritische Therapie an. Indiziert ist hier eine psychiatrische Behandlung. Diagnostik

Zunächst empfiehlt sich eine ausführliche Anamnese mit der Frage, ob der Pruritus auf unveränderter oder veränderter Haut, lokalisiert oder generalisiert entstanden ist und welche Erkrankungen/Ereignisse in den sechs Monaten vor Beginn des Symptoms stattgefunden haben. Dies schließt insbesondere die Medikamentenanamnese mit ein. Die körperliche Untersuchung mit Inspektion des gesamten Hautorgans und nachfolgend Zuordnung des Patienten zu einer klinischen Gruppe (Tab. 1) stellt einen weiteren wichtigen Schritt in der Diagnostik dar. Bei Pruritus auf primär entzündlicher Haut, insbesondere bei der Erythrodermie oder bei chronischen Kratzläsionen,

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Therapie Allgemeine Maßnahmen und topische Therapie

Vor Einleitung einer lokalen oder systemischen antipruritischen Therapie sollte der Patient, wenn möglich, über die Ursachen seines Pruritus aufgeklärt werden. Häufig haben die Patienten, die unter Pruritus leiden, eine große Erwartungshaltung an die Therapie. Daher empfiehlt sich eine möglichst genaue Aufk lärung über die Therapiedauer und die Wirkungen und Nebenwirkungen der Therapie. Hierzu kann auf die derzeit gültige S2k-Leitlinie zurückgegriffen werden (Abb. 4). Für den Umgang mit dem Pruritus im Alltag empfiehlt sich das Vermeiden von Faktoren, die die Hauttrockenheit fördern (häufiges Baden und Waschen, trockenes Klima, Sauna). Die Badezeit soll limitiert (maximal 20 Minuten) und die Haut bei vorliegenden Hautläsionen mit Dusch- und Badeölen vorsichtig abgetupft werden.

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Tabelle 2

Initiale Laboruntersuchungen bei chronischem Pruritus im Alter Initiale Laboruntersuchungen

BSG/CRP, Blutbild mit Differenzialblutbild, Kalzium, Kreatinin, Harnstoff, GGT, GPT, alkalische Phosphatase, Bilirubin, Hepatitis-B- und -C-Serologie, Eiweiß, Nüchternblutzucker, ggf. HbA1c, TSH, Ferritin, Urinstatus, Hämokkult

Initiale apparative Diagnostik

Röntgen-Thorax, Sonografie des Abdomens, Sonografie der Lymphknoten bei palpablem pathologischem Befund

Erweiterte Laboruntersuchungen (Auswahl)

Natrium, Kalium, Parathormon, Porphyrine, Phosphat Vitamin B12, Vitamin D, Folsäure, Zink PSA, Eiweißelektrophorese, ggf. Paraproteine und Immunglobuline Antinukleäre Antikörper (ANA), C3, C4, antimitochondriale Antikörper (AMA), Auto-Antikörper gegen epidermale Proteine (z. B. BP 180, 230, Desmoglein)

Weitere apparative Diagnostik (bei auffälligen Befunden)

CT, MRT, Knochenmarksbiopsie und -zytologie, endoskopische Diagnostik, szintigrafische Untersuchungen Bei vermuteter neuropathischer Ursache: Neurologie und dann gezielt MRT, Röntgen-Thorax (Halsrippe?) Bei genitoanalem Pruritus: Prokto- und Rektoskopie, gynäkologische/urologische Untersuchung mit Sonografie des Uterus/der Prostata, ggf. Biopsien, MRT (LWS, Sakrum)

Wenn der Pruritus nach Einführung einer neuen medikamentösen Therapie innerhalb von wenigen Wochen neu auftritt, sollte diese umgestellt oder abgesetzt werden. Infrage kommen z. B. Betablocker, Allopurinol, Statine, Chloroquin und Kalziumkanalblocker. Beim Pruritus der Altershaut hat es sich bewährt, auf eine ausreichend rückfettende Basispflege in Form von Cremes, Salben oder Lotionen zu achten. Insbesondere harnstoffhaltige Lotionen erreichen bei regelmäßiger Anwendung in kurzer Zeit eine gute Verbesserung des Hauttugors und können bei leichtem Pruritus der trockenen Altershaut mit gutem Erfolg eingesetzt werden. Darüber hinaus eignen sich Cremes, Lotionen oder Sprays, die Polidocanol, Gerbstoffe oder Menthol enthalten. Hierbei muss die Galenik auf den Hautstatus des Patienten abgestimmt sein. Je fettärmer (trockener) die Haut erscheint, desto fetthaltiger sollte die empfohlene Grundlage sein. So eignen sich bei Xerosis cutis Fettcremes, Lipolotionen oder Salben zur Rückfettung, keinesfalls ein Gel. Die topische Therapie mit Glukokortikosteroiden kann zu einer Linderung des kutanen Pruritus führen und bei be-

Mod. nach Leitlinie

empfiehlt sich die Entnahme einer Hautprobe zur histologischen Untersuchung und Immunfluoreszenzdiagnostik (zum Ausschluss bullöser Autoimmundermatosen) sowie ggf. die Bestimmung von IgE (erhöht bei Atopie). Trat das Jucken anfangs auf unveränderter Haut auf, sind umfangreichere Laboruntersuchungen (Tab. 2) und eine apparative Diagnostik (Sonografie der Lymphknoten und des Abdomens, Röntgen-Thorax) zum Ausschluss einer systemischen Erkrankung notwendig. Diese Untersuchungen werden idealerweise durch den Hausarzt koordiniert, der je nach Befunden und Verdachtsdiagnosen interdisziplinär weitere Fachärzte hinzuzieht (z. B. Dermatologen, Psychiater, Neurologen, Internisten, Gynäkologen). Da chronischer Pruritus prodromal vor den ersten Symptomen einer malignen Grunderkrankung auftreten kann, empfiehlt die S2k-Leitlinie bei Fortbestehen des Pruritus einmal jährlich eine erneute Diagnostik durchzuführen [1]. Verfehlen die Diagnostik oder später die Therapie das gewünschte Ziel, ist die Überweisung des Patienten an ein spezialisiertes Zentrum zu erwägen.

stimmten Dermatosen wie der atopischen Dermatitis oder dem bullösen Pemphigoid kurzzeitig eingesetzt werden. Diese Therapie kann jedoch insbesondere bei der Altershaut problematisch sein und zur raschen Entwicklung von Hautatrophien führen. Ferner stellt sie keine Langzeittherapie dar und muss daher kritisch evaluiert werden. Topisch – insbesondere bei lokalisierten Pruritusformen – können auch Substanzen eingesetzt werden, die direkt an den kutanen Nervenfasern eine Weiterleitung von Pruritus verhindern (Capsaicin, das nicht an erosiven Kratzläsionen angewendet werden soll, oder Calcineurininhibitoren wie Pimecrolimus, oder Tacrolimus). Kratzinstrumente

Häufig versuchen die Patienten mit schwerstem Pruritus durch Kratzinstrumente Schmerzempfindungen hervorzurufen, die den Pruritus überdecken. Leider führt das ausgeprägte und regelmäßige Kratzen der Haut wiederum zu einer Hautschädigung mit Bildung von spezifischen Sekundärläsionen (z. B. Prurigo nodularis). Das Kratzen der Haut zu ver-

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Abbildung 4

Stufenweiser Therapiealgorithmus gemäß der S2k-Leitlinie Stufe 1: Diagnose, Therapie der zugrundeliegenden Erkrankung, allgemeine Basistherapie, Antihistaminika, ggf. topische Steroide Ursache des Pruritus bekannt

Stufe 2: Symptomatisch-ätiologische Therapie Beste Evidenz aus kontrollierten, randomisierten Studien für bestimmte Pruritusformen: atopische Dermatitis, nephrogener, cholestatischer, paraneoplastischer, aquagener Pruritus z. B. Naltrexon, Cholestyramin bei cholestatischem Pruritus Ursache unbekannt, therapierefraktär in 2. Stuf Stufe

Mod. n. [1]

Stufe 3: Symptomatische Therapie: Prinzip der Unterbrechung der Pruritusinduktion, -weiterleitung und -wahrnehmung

get identifiziert [14]. Die Einbeziehung dieser modernen Substanzen in die Pruritustherapie hat zu einer deutlichen Verbesserung der Symptombehandlung und Lebensqualität der Patienten geführt. Daher ist die Entwicklung targetspezifischer Substanzen notwendig und wünschenswert. Literatur unter mmw.de Für die Verfasser: Dr. med. Claudia Zeidler Kompetenzzentrum Chronischer Pruritus (KCP) Klinik und Poliklinik für Hautkrankheiten Universitätsklinikum Münster Von-Esmarch-Str. 58, D-48149 Münster E-Mail: [email protected]

Pruritus im Alter

Fazit für die Praxis bieten ist nicht hilfreich, da sich diese Patienten daran oft nicht halten können. Daher sollte dem Patienten eine Reduktion des Juckreizes bei der therapeutischen Reduktion des Pruritus in Aussicht gestellt werden. Ferner ist es unabdingbar, dem Patienten die regelmäßige Basispflege der Haut zu empfehlen. Medikamentöse Therapie

Nicht sedierende Antihistaminika. Zunächst empfiehlt sich die Anwendung von nicht sedierenden Antihistaminika der 2. Generation (z. B. Cetirizin, Loratadin, Desloratadin, Levocetirizin, Rupatadin). Sollte eine Einfachdosierung therapeutisch nicht ausreichend sein, so kann eine hoch dosierte Antihistaminikagabe (z. B. 4-fach-Dosis), wie sie bei der chronisch spontanen Urtikaria empfohlen wird, initiiert werden. Zentral wirkende Substanzen. Zeigt sich unter der initialen Therapie kein Erfolg, kann die Juckempfindung durch Substanzen, die im zentralen Nervensystem wirken, unterdrückt werden, z. B. durch Gabapentin oder Pregabalin. Diese müssen langsam aufdosiert werden. Ihre volle Wirksamkeit wird ggf. erst nach vier bis acht Wochen erreicht. Beim älteren Patienten ist darüber hinaus eine Dosisanpassung notwendig, insbesondere dann, wenn eine chronische Niereninsuf-

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fizienz vorliegt: z. B. Gabapentin max. 300–600 mg/d, Pregabalin 25–75 mg/d. Ebenfalls wirksam auf spinaler Ebene sind die μ-Opioid-Rezeptor-Antagonisten (Naltrexon, Naloxon) bzw. κ-OpioidRezeptor-Agonisten (Nalfurafin). Zu Naltrexon liegen Ergebnisse aus kontrollierten Studien vor. Sehr gute Effekte zeigten sich beim cholestatischen Pruritus, variables Ansprechen bei nephrogenen Pruritus und atopischer Dermatitis [13]. Auch hierbei ist eine Aufk lärung der Patienten über Latenz des Ansprechens (im Mittel elf Tage) und die initiale hohe Nebenwirkungsrate sehr wichtig. Nalfurafin ist derzeit leider nicht in Europa verfügbar und nur in Japan beim nephrogenen Pruritus zugelassen. Antidepressiva. Amitryptilin, Mirtazapin oder Paroxetin, Fluvoxamin bzw. Sertralin wirken zerebral, insbesondere beim paraneoplastischen, somatoformen oder neuropathischen Pruritus. Bei dieser Substanzgruppe ist eine enge Zusammenarbeit mit psychiatrisch oder psychosomatisch geschulten Kollegen notwendig, um eine latente Depression zu erkennen und hinsichtlich der geplanten Therapie zu beurteilen. Ausblick. Neue Untersuchungen haben die Neurokinin-1-Rezeptoren, die die Wirkung des pruritogenen Neuropeptids SP blockieren, als mögliches Therapietar-

1. Chronischer Pruritus (ab sechs Wochen Dauer) ist ein häufiges Symptom, das eine interdisziplinäre Diagnostik und Therapie erfordert.

2. Derzeit werden Antihistaminika, Gabapentin/Pregabalin, Antidepressiva, µ-Opioid-Rezeptor-Antagonisten und Immunsuppressiva mit unterschiedlichem Evidenzlevel in der S2k-Leitlinie empfohlen.

3. Neue und zielgerichtete Therapien sind in Entwicklung und wünschenswert.

Keywords Pruritus in elderly: causes, prevention and therapy Itch – pruritus on non-inflamed skin – prurigo nodularis – substance P – pruritus guideline

Interessenkonflikt Der Autorinnen erklären, dass sie sich bei der Erstellung des Beitrages von keinen wirtschaftlichen Interessen leiten ließen. Frau Dr. Zeidler und Frau Prof. Ständer legen folgende potenzielle Interessenkonflikte offen: keine. Frau Prof. Raap hat Forschungsgelder und Vortragshonorare von Novartis erhalten und ist Mitglied im Steering Committee dieser Firma. Der Verlag erklärt, dass die inhaltliche Qualität des Beitrags von zwei unabhängigen Gutachtern geprüft wurde. Werbung in dieser Zeitschriftenausgabe hat keinen Bezug zur CME-Fortbildung. Der Verlag garantiert, dass die CME-Fortbildung sowie die CMEFragen frei sind von werblichen Aussagen und keinerlei Produktempfehlungen enthalten. Dies gilt insbesondere für Präparate, die zur Therapie des dargestellten Krankheitsbildes geeignet sind.

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CME-Fragebogen

FIN: MM1505VZ gültig bis 2.4.2015

Bitte beachten Sie: • Die Teilnahme ist nur online unter www.springermedizin.de/eAkademie möglich. • Ausführliche Erläuterungen unter www.springermedizin.de/info-eakademie

Diese CME-Fortbildungseinheit ist von der Bayerischen Landesärztekammer mit zwei Punkten in der Kategorie I zur zertifizierten Fortbildung anerkannt.

Pruritus im Alter Welche Aussage zur Pathophysiologie von Pruritus trifft zu? ⃞ Pruritus wird über mechano-insensitive kutane C-Fasern vermittelt. ⃞ An der Entstehung von Pruritus sind auch neutrophile Granulozyten beteiligt. ⃞ Intraepidermale Keratinozyten spielen keine Rolle bei der Entstehung von Pruritus. ⃞ Durch Pruritus werden ausschließlich sensorische Areale des Gehirns aktiviert. ⃞ Außer Histamin gibt es keine Mediatoren, die Pruritus auslösen können. Welche Aussage ist richtig? ⃞ Chronischer Juckreiz sollte erst nach einem Jahr Dauer abgeklärt werden. ⃞ Chronischer Pruritus ist definiert durch eine Dauer von mindestens sechs Wochen. ⃞ Nephrogener Pruritus tritt bei Hämodialyse, nicht aber bei Peritonealdialyse auf. ⃞ Bei der Psoriasis vulgaris ist Pruritus eine Folge der Medikation. ⃞ Chronischer Pruritus tritt bei Frauen nach dem 60. Lebensjahr nicht mehr auf. Welche Aussage trifft zu? Pruritus auf primär nicht entzündlicher Haut ist typisch für ⃞ die Skabies. ⃞ das kutane T-Zell-Lymphom. ⃞ das Sézary-Syndrom. ⃞ die Polycythaemia vera. ⃞ die Prurigo nodularis. Welche der folgenden gegen Pruritus eingesetzte Medikamentengruppe hat keinen zentralen Wirkanteil? ⃞ Antidepressiva. ⃞ Antikonvulsiva. ⃞ Opiat-Rezeptor-Antagonisten. ⃞ Serotonin-Wiederaufnahmehemmer. ⃞ Nicht sedierende Antihistaminika. Ein 69-jähriger Patient mit Hypertonus, Hyperurikämie, Diabetes mellitus und Hyperlipidämie berichtet von seit zwei Monaten bestehendem generalisierten, plötzlich aufgetretenen Pruritus und fragt nach Ihrem Rat. Was kommt nicht als Ursache für den Pruritus in Frage? ⃞ Diabetes mellitus. ⃞ Einnahme von Statinen.

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⃞ Einnahme von Betablockern. ⃞ Einnahme von Allopurinol. ⃞ Hypertonus. Welche Maßnahme ist bei einem multimorbiden Patienten, der über plötzlich aufgetretenen, seit zwei Monaten bestehenden Pruritus klagt, als erstes zu empfehlen? ⃞ Absetzen aller Medikamente (nicht nur der verdächtigen Kandidaten) und mindestens zwölf Wochen Einnahmepause. ⃞ Genaue Anamnese und Absetzen des Medikaments, das kurz vor Beginn des Pruritus angesetzt wurde. ⃞ Diagnostik und Behandlung auf Skabies. ⃞ Verabreichung von Sedativa, da Pruritus von zwei Monaten Dauer in der Regel nicht mehr erfolgreich therapiert werden kann. ⃞ Anweisung, mindestens zwei Liter Flüssigkeit zu trinken, um verdächtige Medikamente schneller aus dem Körper zu waschen. Eine Patientin mit schwerem Pruritus und blutenden Hautläsionen an den Armen wendet sich an sie zwecks Linderung der Symptome. Welche Maßnahme ist falsch? ⃞ Versorgung der blutenden Läsionen mit Verbandsmaterial. ⃞ Empfehlung von z. B. ureahaltigen Präparaten zur kurzfristigen Prurituslinderung. ⃞ Untersuchung der Haut mit eventueller Durchführung einer Hautbiopsie. ⃞ Empfehlung von Präparaten mit Capsaicin zur Juckreizlinderung. ⃞ Empfehlung von Antihistaminika. Welche Aussage zur Prurigo nodularis trifft zu? Sie ⃞ kann auf dem Boden einer dermatologischen oder nicht dermatologischen Erkrankung entstehen. ⃞ entsteht unabhängig vom Kratzverhalten. ⃞ Frauen sind häufiger betroffen als Männer. ⃞ Die Prurigo nodularis ist Folge autoaggressiven Verhaltens. ⃞ Die Prurigo nodularis kann vor dem Juckreiz auftreten.

Welches ist die häufigste Ursache für chronischen Pruritus im Alter? ⃞ Xerosis cutis. ⃞ Arzneimittelreaktionen. ⃞ Autoimmundermatose. ⃞ Nierenerkrankungen. ⃞ Erythrodermie. Ein 67-jähriger Patient leidet seit fünf Jahren an chronischem Pruritus auf unveränderter Haut nach Wasserkontakt. Bisher konnte keine Ursache gefunden werden. Die regelmäßig durchgeführten Gesundheitschecks verliefen unauffällig. Neben einer mit L-Thyroxin gut eingestellten Hypothyreose besteht eine Rhinokonjunktivitis. Im aktuellen Labor zeigt sich erstmalig ein erhöhter Hämatokrit. Welche Aussage trifft zu? ⃞ Die Ursache für den Pruritus ist sicher eine atopische Diathese. ⃞ Der bestehende erhöhte Hämatokrit ist nicht im Zusammenhang mit dem Juckreiz zu sehen. ⃞ Der Juckreiz ist auf die Langzeiteinnahme des L-Thyroxin zurückzuführen. ⃞ Es sind engmaschige Laborkontrollen sowie die Vorstellung bei einem Hämatologen erforderlich. ⃞ Therapeutisch ist ein niedriger pH Wert des Wassers, mit dem der Patient Kontakt hat, erfolgreich.

Bitte beachten Sie: Diese zertifizierte Fortbildung ist zwölf Monate auf springermedizin.de/eakademie verfügbar. Dort erfahren Sie auch den genauen Teilnahmeschluss und erhalten bei technischen und inhaltlichen Fragen tutorielle Unterstützung. Pro Frage ist jeweils nur eine Antwortmöglichkeit (Richtig- oder Falschaussage) zutreffend. Sowohl die Fragen als auch die zugehörigen Antwortoptionen werden im Online-Fragebogen in zufälliger Reihenfolge ausgespielt, weshalb die Nummerierung von Fragen und Antworten im gedruckten Fragebogen unterbleibt. Prüfen Sie beim Übertragen der Lösungen aus dem Heft daher bitte die richtige Zuordnung.

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DOI 10.1007/s15006-015-2544-1

springermedizin.de/eAkademie

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[Pruritus in elderly: causes, prevention and therapy].

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