Ubersichts- und Fortbildungsaufsätze 355

Proliferative Vitreoretinopathie: Neue Erkenntnisse in Pathophysiologie und Therapie P. Wiedemann, M. Weller, K. Heimann Klinik und Poliklinik fur Augenheilkunde der Universität zu Köln (Direktor: Prof. Dr. G. K. Krieglstein) Netzhaut- u. Glaskorperchirurgie (Direktor: Prof. Dr. K. Heimann)

J-Ierrn Prof. Dr. O.-E. Lund zum 65. Geburtstag gewidinet

In dieser Arbeit geben wir einen Uberden gegenwartigen Kenntnisstand der Pathogenese der proliferativen Vitreoretinopathie. Wir beschreiben Interaktionen der beteiligten Zellen, wie Pigmentepithel, Glia, Makrophagen und Fibroblasten mit den Bestandteilen der Extrazellularsubstanz. Wir richten besondere Aufmerksamkeit auf die Unterschiede zwischen traumatischen und idiopathischen sowie junbuck

gen und alten Membranen und zeigen das Unterschiedli-

che bei PVR- und PDR-Membranen. Die Beteiligung von Wachstumsfaktoren in der Pathogenese der PVR wird dargelegt. Die Bedeutung der Blut-Retina.-Schrarjke, des Gerinnungssystems und eine eventuelle Beteiligung des Immunsystems wird diskutiert. Schliel3lich werden mogliche neue medikamentose Behandlungsstrategien erklärt. Proliferative Vitreoretinopathy: New Pathophysiological and Therapeutic Concepts

In this article the authors review present knowledge concerning the pathogenesis of proliferative vitreoretinopathy (PVR). The function of cells such as

macrophages, fibroblasts, retinal pigment epithelial

Seit der grundlegenden Arbeit von R. Mcichemer uber die Entstehung der proliferativen Vitreoretinopathie (PVR) (26) haben zahireiche Untersuchungen an chirurgisch gewonnenem Glaskorper- und Membranmaterial eine genauere Analyse der Pathogenese ermoglicht. Insbesondere in den Ietzten Jahren sind dabei schnelle und grofie Fortschritte erzielt worden. In diesem Artikel benchten wir uber neue Befunde aus unserer Arbeitsgruppe, geben einen Uberblick uber den gegenwärtigen Kenntnisstand der Pathogenese und zeigen denkbare therapeutische Konsequenzen und Moglichkeiten auf.

Alle klinischen Risikofaktoren der PVR-

Entwicklung, wie Zusammenbruch der Blut-Retina-Schranke mit Leckage von humoralen und zellularen Blutbestandteilen, GroBe des exponierten Pigmentepithelareals bei einem Hufeisenforamen sowie Glaskorperverflussigung und -abhebung, weisen auf zwei Ursachen der PVR-Entstehung hin: 1. eine Milieunderung im Glaskorper 2. die Anwesenheit proliferationsfahiger Zellen (Abb. 1).

Das Zusammentreffen dieser Ereignisse führt zu der für die PVR typischen unkontrollierten Zellproliferation zu beiden Seiten der Retina und im Glaskorperraum.

cells, and glial cells, as well as their interaction with constituents of the extracellular matrix such as fibronectin,

vitronectin, and factor XIII, are described. Current data on growth factor involvement in the pathogenesis of PVR are explained. Attention is focused on the histopathological differences between traumatic and idio-

pathic membranes, "young" and "old" membranes,

and PVR and diabetic membranes. On the basis of the findings presented, the importance of the breakdown of the blood-retinal barrier, the participation of the coagulation system, and immunological aspects of membrane formation are discussed. Conceivable new strategies for medical treatment of PVR are proposed.

a4 Klin. Mbl. Augenheilk. 197 (1990) 355—361

1990 F. Enke Verlag Stuttgart

Abb. 1 Routinefärbung einer diopathischen PVR-Membran )Dff Quick, '80)

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Einleitung

Zusammenfassung

Biologisches Korrelat der Traktionskrfte, die zur PVR-Amotio fuhren, sind die zellulären Membranen. Die Analyse der Membranen mit modernen immunologischen Verfahren bestatigt die Ergebnisse fruherer morphologischer Arbeiten (41) und weist folgende Zellen in periretinalen Membranen nach: Makrophagen, Pigmentepitheizellen, Gliazellen und Fibroblasten (44). Zelluläre Bestandteile der Membranen

P. Wiedemann und Mitarb. beiten als besonders wichtiges Element der Membranen. Sic werden durch Schwerkraft, Konvektion und Migration im Glaskorperraum verteilt. Eventuell korreliert eine erhohte Plasminaktivitat in der subretinalen FlUssigkeit mit der RPE-Ausstreuung in den GlaskOrperraum aufgrund der Degradation der extrazellularen Matrix (20). RPE-Zellen sind nach morphologischen Kriterien bei rhegmatogener Amotio immer in den Membranen vorhanden (24), mit immunologischen Nachweismethoden, die auf dem Nachweis von Zytokeratin beruhen, sind sie jedoch nicht der vorherrschende Zelityp in den Membranen (16). Pigmentepitheizellen produzieren Substanzen, die Gliazellen und Fibroblasten zur Migration und Proliferation anregen. RPE-ZelIen synthetisieren in vitro die wichtigsten Proteine der Extrazellularsubstanz periretinaler Membranen, nämlich Kollagen (4) und Fibronektin (46). SchlieBlich können Pigmentepithelzellen auch Traktionskrafte ausuben (12). Damit erfüllt die Pigmentepitheizelle jede Aufgabe, die den Zellen in den verschiedenen Stadien der formalen Pathogenese der PVR zukommt.

Makrophagen: Durch Stimulation der Chemokinesis, der ungerichteten Zelibewegung, und induktion der Fibroplasie sind Makrophagen (Abb. 2) und ihre Sekretionsprodukte von essentieller Bedeutung in der Fruhphase der PVR (18). Makrophagen fordern die Zellproliferation durch die Synthese von PDGF (platelet derived growth factor), Fibroblastenwachstumsfaktor (FGF), Interleukinen und transformierendem Wachstumsfaktor TGF-j3 und die Chemokinesis durch Synthese von Fibronektin und Leukotrienen. Makrophagen wurden besonders zahlreich in traumatischen Membranen nachgewiesen Gliazel/en: Diese Zellen der Retina lassen (38). Es wird vermutet, dalI Makrophagen aus Blutmono- sich unterteilen in die Mikroglia, die nach uberwiegender zyten, Pigmentepitheizellen, Fibroblasten und Mikroglia Auffassung von eingewanderten Blutmakrophagen abentstehen konnen, denn all diese Zellen haben gemeinsame stammt und dem mononuklearen Phagozytosesystem Eigenschaften und teilen die gleiche defensive Aufgabe. (MPS) zuzurechnen ist und die GFAP-positiven AstrozyDie oben genannten Zellen konnen — mit Ausnahme der ten sowie die Muller-Zellen (36). Während Mullerzellen im Pigmentepitheizellen — auf eine undifferenzierte mesen- Ruhezustand nicht GFAP-positiv sind, exprimieren sie bei chyniale Stammzelle zuruckgefuhrt werden. Eine genaue gesteigerter Aktivitat clieses Intermediarfilament (31). Bestimmung der Abstammung einer einzelnen Zelle ist in Gliazellen konnen wandern und proliferieren (15). Sie bilden Membranpraparaten nicht moglich; daher ist auch un- den in vitro Wachstumsfaktoren für RPE und Fibroblageklart, ob die Mehrzahl der phagozytierenden Zellen aus sten und konnen em Kollagen-Gel kontrahieren (8). Die dem Blut stammt oder sich von ortsstandigen Zellen des Hauptaufgabe der Makroglia scheint die Stutz- und AnAuges ableitet. So weist die fehiende Expression des für kerfunktion für andere an der Membranbildung beteiligte Monozyten des peripheren Blutes typischen OKM-5 Anti- Zellen zu sein (17). Nach morphologischen Kriterien sind gens (30) durch phagozytierende Zellen in den Membranen lediglich auf einen anderen Aktivierungszustand der Zellen

bis zu 80 Prozent der Gliazellen in epiretinalen Membranen zu den fasrigen Astrozyten zu rechnen (24). Die mogliche hin. Eine Abstammung der bei proliferativen Netzhauter- Rolle der Mikroglia als Bestandteil des phagozytaren Sykrankungen nachgewiesenen Vertreter des mononukleären stems in der Fruhphase der Membranentwickung wurde phagozytaren Systems (MPS) aus dem Blut kann durch die bereits besprochen (siehe oben ,,Makrophagen"). Die MiUntersuchung von Aktivierungsmarkern jedoch nicht aus- kroglia soll ,,glial growth promoting factors" absondern, geschlossen werden. die eine Rolle bei der retinalen Wundheilung durch Stimu-

lation der Gliaproliferation spielen (cf. 15). Reuina/e Pigmentepithe/zellen (RPE): Die neuroektodermalen RPE-Zellen gelten seit Machemers Ar-

Fibroblasten: Wie der Name sagt, bilden Fibroblasten — Zellen mesenchymalen Ursprungs — die ex-

trazellularen fibrOsen und amorphen Komponenten der Membranen. Der Name ,,Fibroblast" bezeichnet also nicht einen unreifen Fibrozyten. Der exakte Ursprung der Fibroblasten ist nicht bekannt, aber man nimmt an, daB fibroblastenartige Zellen durch Metaplasie aus Hyalozyten, Makrophagen, Pigmentepithelzellen, Gliazellen, Gefäl3adventitia und mesenchymalem Gewebe des Optikus entstehen konnen. Jede periretinale Membran hat eine fibroblastische Komponente. Vimentin ist kein spezifischer Marker für Fibroblasten, sondern wird auch von Astroglia (31) und RPE-Zellen (27) exprimiert. Diese gemeinsame Zytoskelettstruktur hat Bedeutung für die mogliche Einstufung der drei Zellen als Vorganger des Myofibroblasten, einem Zeiltyp, bei dem die kontraktilen Proteine in StreBfasern organisiert sind. Vor kurzem wurde jedoch gezeigt, dalI der Aktingehalt mit der Kontraktionsfahigkeit nicht in direktem Zusammenhang steht (34). Abb. 2 Makrophagen in traumatischer Membran )Rhycoery-

thrin, 350)

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356 K/in. Mbl. Augenhei/k. 197 (1990)

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Proliferative Vitreoretinopathie: !Veue Erkenntnisse in Pathophysiologie

ExtraeIIuIarsubstanz periretinaler Membranen Extrazellularsubstanz und lOsliche Proteme des GlaskOrpers: Die wichtigsten Proteine der ExtrazelIularsubstanz periretinaler Membranen sind Kollagen, Fibronektin und Vitronektin (29, 39, 40). AuBerdem wurden

Laminin und Heparansulfatproteoglykane nachgewiesen (21). Weiterhin sahen wir in der Extrazellularsubstanz penretinaler Membranen Fibrinogen, Immunglobulin G (43), Gerinnungsfaktor XIII (2) und Transferrin (42), wahrend Haptoglobin und Komplement C3 sowie die niedermolekularen Proteine wie Albumin, a 1 -Antitrypsin, a 1 -saures Glykoprotein und Laktoferrin nicht nachweisbar waren (siehe Tabelle).

Fibronektin: Fibronektin (Abb. 3) findet sich in allen Membranen und ist bei PVR im Glaskorper er-

hoht, insbesondere bei traumatischer PVR. Es ist alterclings kein spezifischer Marker fur die PVR (39). Vitronektin: Vitronektin vermittelt in vitro

die Zelladhasion an Kulturschalen und ist Teil der Geninnungs- und Komplementkaskade. Es besitzt eine Kollagen- und Heparinbindungsstelle (9, 40). Man beobachtet eine Kolokalisation von Fibronektin und Vitronektin in periretinalen Membranen (Abb. 4 u. 5). Interaktion von Zellen, Extrazeflularsubstanz und Wachstumsfakloren

Fibronektin- und Vitronektinrezeptor: Diese beiden zur Gruppe der Integrine gehorenden Membranproteine (Abb. 6), die unter anderem wichtige Signale zwischen Zytoskelett und Extrazellularraum vermitteln, konn-

ten von uns in periretinalen Membranen nachgewie-

Abb. 4 Vitronektin, traumatische Membran. Die Extrazellu)arsubstanz laSt sich in der spezi)ischen Vitronektnmarkierung uniform darstellen, die scbwarzen Aussparungen entsprechen den Zellen. )Pbycoerythrin, '219)

Tab. 1 Verscbiedene Proteine des Glaskbrpers und dci Extrazeiu)brsubstanz periretinaler Membranen. Angegeben sind Moleku)argewicbt, Plasmakonzentration in mg/I, Konzentration im physiologisohen Glaskbrper in mg/I und Anfbrbbarkeit des Proteins in periretinalen Membranen. Man beachte, dalI, insbesondere niedermo)ekulare Proteine wie Albumin nicht in den Membranen anfbrbbar sind. Molekulargewichte und Plasmakonzentrationen nach Greiling H, Gressner AM: Lehrbuch der klinischen Chernie und Pathobrochemie. Schattauer Stuttgart 1987 Protein

MG

Fibronektin Fibrinogen Faktor XII) Komplement C3

440000 340000 320000 185000 145000 100000 76500 75000 75000 66000 54000 41000

IgG

Haptoglobin Transferrin Laktoferrin ViIronektin Albumin

ul-Antitrypsin saures ul-Glykoprotein

Plasmakonz. 1mg/I)

300 4500 10 —20 1200 11000 2000 2900

0,2 200 40000 2900 900

Glaskörperkonz. 1mg/I)

Membranen



a



ja



ja 1

33,5

nein

ja



nein

74

ja

[Proliferative vitreoretinopathy: new discoveries in pathophysiology and therapy].

In this article the authors review present knowledge concerning the pathogenesis of proliferative vitreoretinopathy (PVR). The function of cells such ...
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