Lichtlen: .Prinzmetal-Angina

Nr. 39, 26. September 1975, 100. Jg.

Aktuelle Diagnostik

oder .Variant-Form der Angina pecroris

'977

Redaktion: Prof. Dr. H. Hornbostel, Hamburg Prof. Dr. W. Kaufmann, Köln Prof. Dr. W. Siegenthaler, Zürich

Dtsch. med. Wschr. 100 (1975), 1977-1978 © Georg Thieme Verlag, Stuttgart

P. Lichtlen

oder »Variant-Form «

der Angina pectoris 1959 haben Prinzmetal und Mitarbeiter (2) auf eine zwar typische, aber bis dahin noch wenig abgegrenzte Form der Angina pectoris hingewiesen: anginöse Schmerzen, welche vorwiegend in Ruhe auftreten und im Elektrokardiogramm während des Anf alles von einer ST-Hebung und nicht, wie üblich, von einer ST-Senkung begleitet sind. Sie stützten sich dabei auf 32 Fälle, 20 eigene und 12 aus der Weltliteratur anhand von 250 Artikeln zusammengetragene (1-3).

Definition Das Krankheitsbild ist charakterisiert durch eine vorwiegend in Ruhe, häufig nachts auftretende Angina pectoris, wobei die Schmerzen durch größere Belastungen oder Emotionen nicht provozierbar sind, oft länger dauern als bei der klassischen Angina pectoris, im allgemeinen einen zyklischen Charakter aufweisen und häufig von Rhythmusstörungen begleitet sind, gut auf Nitroglycerin ansprechen, aber nicht selten in einen Infarkt übergehen. Im Elektrokardiograrnm finden sich in der Regel die Zeichen der transmuralen und nicht der subendokardialen Ischämie, also eine ST-Hebung, welche unter Umständen auch im Belastungs-EKG zu finden ist. Das Verdienst von Prinzmetal liegt jedoch nicht nur in der klinischen Abgrenzung, sondern vielmehr in der pathophysiologischen Deutung; dabei ergab sich die Schwierigkeit der Erklärung der Genese der ST-Veränderungen. Nach heutiger Auffassung entspricht die Orientierung des ST-Vektors auf die Außenwand zu, also von innen nach außen gerichtet, einer transmuralen, sowohl die Innen- als auch die Außenschichten betreffenden Ischämie, während die Vektororientierung von außen nach innen als Ausdruck einer InnenschichtIschämie angesehen wird. Die im Elektrokardiogramm gefundene ST-Hebung oder -Senkung ist überdies von der Elektrodenlage abhängig. Generell entspricht somit eine ST-Hebung einer ausgedehnten Ischämie, welche nicht nur auf die inneren Schichten beschränkt ist. Das klinische Bild der »Variant-Form« der Angina pectoris wurde in der Folge von zahlreichen Autoren beschrieben und ist in den letzten Jahren, besonders mit der zunehmenden Koronarographie, wiederum stark in den Vordergrund getreten.

Ätiologie Bereits Prinzmetal äußerte in seinen ersten Veröffentlichungen die Ansicht, daß es sich bei dieser Form von

Department für Innere Medizin, Abteilung für Kardiologie, Medizinische Hochschule Hannover

Angina pectoris mit transmuraler Ischämie um eine Minderdurchblutung handeln könnte, welche durch Spasmen der großen Koronaräste bedingt ist, wobei diese sich auf atheroskierotische Plaques aufpfropfen. Im Vordergrund steht somit die Frage nach Häufigkeit, Typ und klinischer Bedeutung von Koronarspasmen. Koronarspasmen werden während der Angiographie häufig beobachtet, führen jedoch nur sehr selten zu typischen anginösen Beschwerden, das heißt, sie gehen nur selten mit einem vollständigen Gefäßverschluß und einer schweren Ischämie einher. Solche »ischämischen Spasmen« während Koronarographie führen im allgemeinen im Elektrokardiogramm zu einer ST-Hebung sowie zu einem Druckabfall und anginösen Schmerzen (4). Der Schmerzanf all ist meist nur kurzdauernd, der im Koronarogramm sichtbare, bis zum vollständigen Gefäßverschluß reichende Spasmus löst sich meistens sehr rasch, gewöhnlich auch ohne Gabe von Nitroglycerin, und die Ischämie bildet sich zurück. Es ist jedoch zu betonen, daß sich solche Spasmen bei Patienten sowohl mit als auch ohne Prinzmetal-Angina beobachten lassen und bei den letzteren während der Koronarographie nicht häufiger als bei den übrigen Patienten gefunden werden. Der direkte Zusammenhang zwischen Koronarspasmus, wie bei der Angiographie beobachtet, und der Prinzmetal-Angina ist somit nach wie vor nicht erwiesen, auch dann nicht, wenn bei einem Patienten mit Prinzmetal-Angina während der Angiographie solche Spasmen beobachtet werden, wie dies in der Literatur zum Teil beschrieben wurde. Allerdings unterstützen einige neuere experimentelle Arbeiten (5, 6) sowie auch intraoperative Beobachtungen beim Anlegen eines aorto-koronaren Venen-Bypass (7) die Spasmentheorie. Die Möglichkeit, daß Spasmen der auslösende Faktor sind, ist mindestens bei einem Teil dieser Patienten somit wahrscheinlich. Schließlich ist nicht auszuschließen, daß Beobachtungen von ST-Hebungen und Arrhythmien bei Patienten mit normalen Koronargefäßen, wie dies schon vor Prinzmetal beschrieben wurde (8), auf der Grundlage von Spasmen zu deuten sind. Als weitere Faktoren sind metabolische Veränderungen oder Störungen der Mikrozirkulation zu erwähnen.

Verlauf Der Verlauf der Krankheit scheint in vielen Fällen schwerer zu sein als bei der stabilen unkomplizierten, belastungsabhängigen Angina pectoris und ist für die

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» Pri nzmetal-Angina«

Kaltenbach: Die Behandlung der Angina pectoris

Mehrzahl der Fälle demjenigen des drohenden Infarktes oder der Crescendo-Angina gleichzusetzen. Bei etwa 20% der Patienten mit Prinzmetal-Angina entwickelt sich in den ersten 2 Monaten nach Auftreten der Symptome ein Herzinfarkt, bei etwa 40% innerhalb eines Jahres.

Diagnostik Das diagnostische Vorgehen sollte deshalb, wenn möglich, aktiv sein und eine Koronarangiographie mit einschließen, um so mehr, als etwa 15% dieser Patienten normale Koronargefäße aufweisen. Dabei stellt sich die Frage, ob bei den letzteren Fällen ischämische Spasmen bis zur schweren Arrhythmie und damit zum plötzlichen Herztod führen können. Beweise für oder gegen diese Theorie sind heute noch nicht vorhanden, da objektive Daten und gut dokumentierte Beobachtungen noch ausstehen. Die Patienten mit positivem Koronarbefund, im allgemeinen subtotalen Stenosen am Ramus interventricularis anterior oder an der rechten Koronararterie, bedürfen unseres Erachtens einer sehr engmaschigen klinischen Überwachung. Bei rascher Zunahme der Beschwerden an Häufigkeit und Intensität und regionalisierter Koronarsklerose, das heißt proximalen Stenosen und guten peripheren Gefäßverhältnissen am Koronarsystem sowie noch weitgehend normalem linkem Ventrikel sollte bald eine chirurgische Revaskularisation mit aortokoronarem Venen-Bypass durchgeführt werden. Zwar wurde für die Prinzmetal-Angina, wie auch für den drohenden Infarkt, besonders bei Ein-Gefäß-Erkrankungen bis jetzt noch keine sichere Senkung der Letalität durch die chirurgische Revaskularisation nachgewiesen, dagegen hat sich bei 60-80% der Patienten eine oft dra-

Deutsche Medizinische Wochenschrjft

matische Besserung des Beschwerdebildes, nicht selten sogar eine Normalisierung der Angina pectoris gezeigt. Der von Prinzmetal eingehender beschriebene Typ der Angina pectoris muß somit tatsächlich als eine spezielle Form, nämlich Ruhe-Angina mit transmuraler Ischämie, angesehen werden. Wegen des häufigen Überganges in einen Infarkt ist ein aktives Vorgehen in diesen Fällen indiziert. Die Ätiologie ist noch immer umstritten, für viele Patienten kann jedoch das Vorhandensein von Spasmen als auslösender Faktor nicht ausgeschlossen werden. Obwohl Prinzmetal sich bei der Beschreibung dieses Krankheitsbildes wesentliche Verdienste erworben hat, wäre es heute vielleicht besser, die Krankheit nicht mehr mit seinem Namen zu benennen, sondern von einer »Angina pectoris mit transmuraler Ischämie« oder besser von einer »unstabilen Ruhe-Angina« zu sprechen. Literatur Prinzmetal, M., A. Ekmekci, H. Tojoshima, J. Kwoczynski: Angina pectoris. Ill. Demonstration of a chemical origin of ST-deviation in classic angina pectoris; its variant form, early myocardial infarction, and some non-cardiac condition, Amer. J. Cardiol. 3 (1959), 276. Prinzmetal, M., R. Kennamer, R. Merliss, T. Wada, M. Bot: Angina pectoris. I. A variant form of angina pectoris. Preliminary report. Amer. J. Med. 27 (1959), 375. Prinzmetal, M., A. Ekmekci, R. Kennamer, J. Kwoczynski, H. Shubin, H. To)oshïma, Variant form of angina pectoris. Previously

undelineated syndrome. J. Amer. med. Ass. 174 (1960), 1794. Lichtlen, P., M, Schönbeck:

Ischamischer Koronarspasmus bei Angiographie, Z. Kardiol. 63 (1974), 311. Wilson, F. N., F. D. Johnston: Occurrence of electrocardiographic changes in angina pectoris. Amer. Heart J. 22 (1941), 64. Sodi-Pallares, D.: Corrélation électrobiochimique du phénomène de lésion. Cardiologia (Basel) 48 (1966), 2.53. Cherrier, F., M. Cuillière, B. Dodinot, G. Hua: Angine de poitrine dc Prinzmetal. Arch. Mal. Coeur 66 (1973), 579.

Duchosal, P. W., G. Henny: Angine de poitrine et hyperthyroidism. Cardiologia (Basel) 5 (1942), 372.

Prof. Dr. P. Lichtlen Abteilung für Kardiologie Department für Innere Medizin der Medizinischen Hochschule 3 Hannover 61, Karl-Wiechert-Allee 9

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["Prinzmetal-angina" or "variant form" of angina pectoris].

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