Ophthalmologica, Basel 172: 337-345 (1976)

Primäres myxoides Liposarkom der Orbita Klinischer und histopathologischcr Fallbericht

W. Schroeder , H. K astendieck und D. VON D omarus Universitäts-Augenklinik (Direktor: Prof. H. Sautter ) und Pathologisches Institut der Universität (Direktor: Prof. G. S eifert ), Hamburg

Das primäre Auftreten des Liposarkoms ist in der Augenhöhle ausge­ sprochen selten, während der Tumor in anderen Körperregionen weitaus häufiger vorkommt. Wir möchten über einen Fall berichten, bei dem der Tumor röntgenologisch und echographisch festgestellt, daraufhin trans­ frontal operiert und zunächst histologisch fehlgedeutet worden ist.

Fallbericht Klinische Befunde (Universitäts-Augenklinik Hamburg, Akte Nr. 71850): Der 47jährige Mann (Abb. 1) hat einen Albinismus mit Nystagmus, einen alternierenden, divergenten Strabismus und einen hyperopen Astigmatismus. Im Mai 1973 wurde anlässlich einer Brillenbestimmung die Protrusio bulbi rechts von 4 mm entdeckt. Visus R cc 0,3; L cc 0,4, Schielwinkel etwa 25 0 divergent. Intraokulare Tension r 23, 1 19, bei Blickhebung r 32 (!), 1 20 mm Hg applanatorisch. Morphologisch an Augen und übrigem Körper alle Zeichen eines Albinismus. Die Orbitaechographie (Kretz 7200 MA) (Abb. 2) wies eine feste, solide, nach vorn unscharf begrenzt er­ scheinende Veränderung in der rechten nasalen retrobulbären Orbita nach. Die röntgenologische Analyse (Abb. 3a) (Neuroradiologische Abteilung der Universität Hamburg) • der Orbitae ergab eine mässige nach medial gerichtete Exkavation der hinteren Abschnitte der rechten Augenhöhle. Der horizontale Durchmesser der rechten Orbita war infolge Verlagerung der rechten Lamina papyracea des Sieb­ beins vergrössert. Die Veränderungen sprachen für einen expansiv wachsenden raumbeschränkenden Prozess in den hinteren Abschnitten der rechten Augenhöhle.

i Wir danken Herrn Prof. Dr. T änzer für die freundliche Überlassung und Er­ läuterung der Röntgenaufnahmen.

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Klinische Diagnose: Expansiv wachsender retrobulbärer Orbitatumor. Im Juni 1973 wurde durch eine transfrontale Orbitotomie (Neurochirurgische

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Abb. 1. 47jähriger Mann, Albinismus, Strabismus divergens alternans, Exophthal­ mus rechts.

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Klinik der Universität Hamburg) ein pflaumengrosser Tumor entfernt, der glatt begrenzt und eingekapselt erschien. Histologisch wurde er als Myxom eingestuft. Im weiteren Verlauf waren die Augenfunktionen wie vor der Operation unge­ stört, Rückgang der Protrusio. Im August 1974 trat wiederum ein Exophthalmus rechts von 2 mm auf, der von einer Erhöhung des intraokularen Druckes und einer vertikalen Fältelung der Netzhaut am hinteren Augenpol als Zeichen einer Im­ pression des Bulbus begleitet war. Orbitaechographie und native Röntgendiagnostik gaben keinen eindeutigen Hinweis auf ein Tumorrezidiv. Die orbitale Phlebographie (Abb. 3b) (Neuroradiologische Abteilung der Uni­ versität Hamburg) zeigte eine Verlagerung des zweiten Segments der rechten Vena ophthalmica sup. nach lateral oben, so dass sie einen nach lateral konvexen Bogen beschrieb. Dieser Befund sprach für einen retrobulbären raumbeschränkenden Pro­ zess in den medialen hinteren Abschnitten der Orbita, also für ein lokales Rezidiv des Tumors. Dies gab Anlass, die vorhandenen histologischen Präparate durch Dr. L. E. Z immerman (Armed Forces Institute of Pathology, Washington, D.C., Acc. No. 1500792) und Prof. G. Seifert (Pathologisches Institut der Universität Hamburg, J.-Nr. 1283/75) beurteilen zu lassen. Von beiden wurde die Diagnose Liposarkom gestellt. Daraufhin nahm man eine Exenteratio orbitae unter Mitnahme der knöcher­ nen und duralen Begrenzung vor (Kiefernchirurgische Klinik der Universität Ham­ burg). Pathologisch-anatomische Befunde (Pathologisches Institut der Universität Ham­ burg, J.-Nr. 1469/75): Makroskopisch enthielt das Operationsmaterial Anteile der

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Orbitawand mit Knochengewebe, angrenzender Dura, Nasennebenhöhlenschleim­ haut und Muskulatur aus dem Schläfenhereich. Der Retrobulbärraum war von einem 3 x 2 x 3 cm messenden Tumor durchsetzt. Dieser hatte eine gallertige, weiche Kon­ sistenz und zeigte eine glasige, blassgelbe bis graurote Schnittfläche. Der Tumor war von dem umgebenden Muskel- und Bindegewebe relativ scharf abgrenzbar. Nach Formalinfixierung erfolgte die Einbettung in Paraffin. Folgende Färbungen wurden an den histologischen Schnittpräparaten durchgeführt: HE, Azan, MassonGoldner, PAS, Astrablau, Elastica, Gomori. Mikroskopisch erwies sich der Tumor als eine unterschiedlich zellreiche sarkomatöse Geschwulst mit komplexem Aufbau (Abb. 4). Undifferenzierte mesenchymale Zellen lagen unregelmässig angeordnet und locker verteilt in einer an sauren Mukopolysacchariden reichen Grundsub­ stanz; dazwischen fanden sich dissoziiert oder in kleinen Gruppen unterschiedlich ausgereifte Lipoblasten und ein deutliches Flechtwerk schmaler kapillärer Blut-

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Abb.2. Orbitaechographie, a) Transbulbäres Echogramm der rechten nasalen Orbita. Die Veränderung (Tumor) stellt sich bei «Gewebsempfindlichkeit» des Gerätes ungleichförmig inhomogen dar. Die vordere Begrenzung erscheint unscharf, b) Orbitaechogramm der anderen Seite in entsprechender Schallrichtung. c) Der aufgrund der Echographie erhobene topographische Befund schematisch darge­ stellt.

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gefässe. Diese Tumorelemente bildeten dabei ein dicht zusammenhängendes Gefüge, ohne voneinander scharf abgrenzbar zu sein. Struktur und Ausreifungsgrad der Tumorzellen variierten sehr (Abb. 5). Einerseits sah man undifferenzierte Zellformen mit länglich ausgezogenem oder verzweigtem Zytoplasma und polymorphen, teils plumpen, teils spindelförmigen Kernen mit schollig verdichtetem Chromatin; diese besassen unscharfe Konturen und wurden von einem verzweigten Maschenwerk agyrophiler Fasern umsponnen (Abb. 6). Anderseits fanden sich Tumorzellen mit un­ terschiedlicher zytoplasmatischer Differenzierung. Dabei zeigte sich zunächst eine

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Abb.3. Röntgenbefunde der Orbita, a Tomogramm der Orbitae. Nach medial gerichtete Exkavation der hinteren Abschnitte der rechten Orbita mit Verlagerung der rechten Lamina papyracea des Siebbeins nach medial, b Orbitales Phlebo­ gramm. Verdrängung des zweiten Segments der rechten Vena ophthalmica sup. nach lateral oben.

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Abb.4. Myxoides Liposarkom. In einer reichlichen Grundsubstanz unregelmäs­ sig verstreut liegende undifferenzierte Tumorzellen neben ausgereiften Zellformen. Geflecht schmalkalibriger, kapillärer Blutgefässe. PAS. x 90. Abb.5. Myxoides Liposarkom. Unterschiedliche Ausreifung der Tumorzellen. Undifferenzierte zytoplasmaarme Zellen, plurivakuoläre Lipoblasten und univakuoläre Siegelringzellen. PAS. x 370.

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Abb. 6. Myxoides Liposarkom. Feinnetzig verzweigtes Gitterfasergerüst mit klei­ nen Kapillaren und eng benachbarten Lipoblasten. HE. x 800. Abb. 7. Myxoides Liposarkom. Zellreicher Tumoranteil mit ausgereiften Fett­ zellen und am Rande kernreichen Arealen. MG. x 60.

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nur angedeutete wabige Aufhellung, dann eine immer deutlicher werdende Vakuoli­ sierung des Zytoplasmas. Zytologisch waren alle Stadien der Lipogenese anzutreffen: Atypische Lipoblasten mit plurivakuolärem Zytoplasma und teils plumpen, teils sternförmigen Kernen; daneben univakuoläre, reifere Zellen mit an den Rand ver­ drängten, abgeflachten Kernen («Siegelringzellen»). Mitosen waren in dem Tumor nur selten vorhanden. Eine Bildung kollagener Bindegewebsfasern konnte nicht festgestcllt werden. Entzündliche Infiltrate fehlten. Besonders in den Randpartien des Tumors fanden sich neben fettzellreichen Partien kernreiche Zonen (Abb. 7), wobei die Tumorzellen regellos und dicht gelagert waren. Der Tumor infiltrierte die angrenzende quergestreifte Muskulatur. Er war histologisch im Gesunden ent­ fernt. Diagnose: Myxoides Liposarkom im Bereich der Orbita.

Unter den Liposarkomen unterscheidet man vier Differenzierungsfor­ men [E nzinger und W inslow , 1962]: Myxoides, rundzeiliges, pleomor­ phes und hochdifferenziertes adultes Liposarkom. Bei dem dargestellten Fall handelt es sich um ein myxoides Liposar­ kom mit den diesen Tumortyp kennzeichnenden histologischen Struktur­ elementen: Proliferierende Lipoblasten in allen Reifungsstadien, plexi­ formes kapilläres Gefässmuster und myxoide, an sauren Mukopolysaccha­ riden reiche Grundsubstanz. Seit der Erstbeschreibung dieses Tumors durch V irchow ( 1865J sind mehrere Übersichtsarbeiten erschienen, aus denen hervorgeht, dass das myxoide Liposarkom die häufigste Differenzierungsform ist [Stout , 1944; E nzinger und W inslow , 1962]. Nach Stout und L attes [1967] sind die tiefen Weichteilregionen als Hauptlokalisation anzusehen: untere Extremität, Glutäalregion, Retroperitoneum und Schulterregion. Das Vorkommen im Bereich der Orbita stellt eine Rarität dar. In der Litera­ tur wird lOinal darüber berichtet: E nterline et al. [I960], Q éré et al. [1963], R eese [1963], C ilotti [1964], M ortada [1969], H enderson [1973], Liposarkommetastasen in der Orbita werden von A bdalla et al. [1966] sowie von E nterline et al. | 1960] beschrieben. Die Histogenèse dieses Tumors ist letztlich unklar. Die Entstehung aus Lipomen oder durch ein Trauma wird als unwahrscheinlich angesehen [E nzinger und W inslow , 1962; P ack und P ierson , 1954J. Wahrschein­ lich entstehen die Liposarkome de novo aus pluripotenten primitiven Mesenchymzellen in den genannten Spalträumen [E nzinger und W inslow , 1966; Stout und L attes , 1967]; dabei ist die enge Beziehung

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Diskussion

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der unreifen Lipoblasten zu den kapillären Blutgefässen auffällig. Die Blutgefässe bilden offenbar eine Art Wachstumszentrum, wobei ihre nu­ tritive Funktion anscheinend eine untergeordnete Rolle spielt [E nzinger und W insi.o w , 1962], Die Prognose des Liposarkoms ist abhängig von der Differenzierungsform des Tumors, der Lokalisation und der Art des therapeutischen Vorgehens. Die Fünfjahresheilung liegt beim myxoiden und hochdifferenzierten Typ wesentlich günstiger (77 bzw. 85%) als beim pleomorphen bzw. Rundzelltyp (73 bzw. 85% ) [E nzinger und W inslow , 1962). Metastasen wurden von E ntereine et al. 11960] in 31% der Tumoren gesehen, wobei die weniger differenzierten mit 40% häufiger metastasieren als das differenzierte myxoide Liposarkom [Stout und L attes , 1967]. Wenn auch H enderson [1973] bei diesem Tumortyp sehr unter­ schiedliche Verläufe gesehen hat, so weisen doch in dem beschriebenen Fall die klinischen Daten auf ein relativ langsames Wachstum hin, näm­ lich die Ausweitung der knöchernen Orbita und die - abgesehen vom Exophthalmus - spärlichen orbitalen Symptome. Eine Lokalisation in der Orbita kann einerseits als günstig angesehen werden, weil sie frühzeitig zu einer auffälligen Symptomatik und damit zur Diagnose führt. Anderseits ist jedoch das therapeutische Vorgehen schwieriger: Die Exzision des 1 umors 2 cm im Gesunden, wie sie z. B. von Stout und L attes [1967] gefordert wird, ist nur unter Mitnahme der knöchernen Orbitaabgrenzung möglich. Die reine Strahlentherapie sollte den inoperablen Tumoren Vorbehalten bleiben [E nterline et al., I960],

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Dr. W. Schroeder, Universitäts-Augenklinik Hamburg, Martinistrasse 52, D-2 Hamburg 20 (BRD)

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(1865).

[Primary myxoid orbital liposarcoma. Clinical and histopathologic case report].

Ophthalmologica, Basel 172: 337-345 (1976) Primäres myxoides Liposarkom der Orbita Klinischer und histopathologischcr Fallbericht W. Schroeder , H...
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