Primäre Amenorrhoe und Hypokaliämie infolge 7alpha-Hydroxylase-Mangels

Primary amenorrhoea, hypertension, and hypokalaemia in 17-hydroxylase deficiency, a not uncommon condition

W. E. de Lange, R. E. Lappöhn, W. J. Sluiter und H. Doorenbos

Five phenotypic female patients

Universitätsklinik Groningen, Medizinische Klinik (Abteilung Endokrinologie) und Gynäkologie

Bei fiinf Patienten im Alter zwischen 14 und 25 Jahren wurden primäre

Amenorrhoe, geringe Hypertonie und Hypokaliämie festgestellt. Das Krankheitsbild war die Folge eines 17-Hydroxylasemangels, der zu einer Störung der Nebennieren- und Gonadenfunktion gefiihrt hatte. Alle Patienten waren phänotypisch infantile Mädchen. Zwei von ihnen hatten den Genotypus XY, zwei mit dem Genotypus XX waren Schwestern. Man sollte erwägen, bei Patienten mit primärer Amenorrhoe unbekannter Ursache das Serumkalium zu bestimmen. Im Jahre 1966 beschrieben Biglieri und Mitarbeiter (1) eine 35jährige Patientin mit primärer Amenorrhoe, Fehlen der sekundären Geschlechtsmerkmale, Hypokaliämie und Hypertonie. Die Ursache dieses Krankheitsbildes schrieben sie einem Mangel an 17a-Hydroxylase zu. Dieses Enzym kommt normalerweise nur in der Nebennierenrinde und den Gonaden vor. Bei Mangel an 17a-Hydroxylase ist die Cortisolbildung sehr gering. Das fiihrt zu einer erhöhten ACTHSekretion des Hypophysenvorderlappens. Da bei der ACTH-abhängigen Synthese von Desoxycorticosteron und Corticosteron keine 17-Hydroxylierung stattfindet, ist die Produktion dieser Mineralocorticoide erheblich erhöht. Das fiihrt zu einer hypokaliämischen Alkalose und einer Hypertonie. Da auch ein 17a-HydroxylaseMangel in den Gonaden besteht, kann eine Störung in der Geschlechtsentwicklung auftreten.

with primary amenorrhoea, mild hypertension, and hypokalaemia are described. The condition originates from 17-hydroxylase deficiency in both adrenals and gonads. Two cases had a XY chromosome pattern, two cases were familial. It is suggested to determine serum potassium in all cases with unexplained primary amenorrhoea.

Nach der ersten Beschreibung dieses Syndroms wurden noch 18 Krankheitsfälle veröffentlicht, einige nur in Kurzfassung. Tabelle 1 gibt eine übersicht der bereits veröffentlichten Fälle. Darin sind auch fiinf weitere Krankheitsfälle enthalten, die wir in den letzten drei

Jahren beobachtet haben.

Kasuistik Fall 1: 20 Jahre, weiblicher Phänotyp, Karyotyp XX, keine sekundären Geschlechtsmerkmale. Größe 167 cm, Spanngröße 169 cm, Gewicht 61 kg. Augenfundus: Hypertonie Grad II (Keith-Wagener). Elektrokardiogramm: Herzachse nach links, Linkshypertrophie. Alkalische Phosphatase 3,2 E (Bessey), pH des Blutes 7,48, Standardbicarbonat 28 mmo1/1. Laparoskopie: kleiner Uterus und kleine Adnexe. Biopsie: normale Anzahl primordialer Follikel, keine sekundären oder tertiären Follikel. Fall 2: 25 Jahre, weiblicher Phänotyp, Karyotyp XY, keine sekundären Geschlechtsmerkmale. Größe 173 cm, Spanngröße 187 cm,

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Dtsch. med. Wschr. 102 (1977), 1024-1028 (;) Georg Thieme Verlag, Stuttgart

de Lange u. a.: Primäre Amenorrhoe und Hypokaliämie infolge 17a-Hydroxylase-Mangels

Gewicht 63,5 kg. Augenfundus: Hypertonie Grad I (Keith-Wagener). Elektrokardiogramm unauffällig. Alkalische Phosphatase 4,3 E (Bessey), pH des Blutes 7,37, Standardbicarbonat 24,5 mmo1/1. Laparoskopie: Uterus und Adnexe nicht gefunden.

Tab. 1. Klinische Daten von 23 Patienten mit 17-HydroxylaseMangel. Weiblicher Phänotyp mit Ausnahme eines Patienten (New) E

71'

Autor

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Biglieri et al.

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it

1E

Z:1

E

T

1-7 P.,

2,7

26

140-100

3,2

XX

18

12

220-120

2,1

XX

21

-

205-145

2,9

XX*

18

13

150-100

2,8

XX*

17

12

140-100

3,1

150- 90

4,3

35

(2) 1967

XX

(3) 1967 (4) 1968

New

(6) 1970

XY

24

Kondo

(7) 1970

XY

26

-

220-120

2,7

21

16

220-150

2,4

XY

19

-

160-120

2,9

XY

34

-

220-150

2,5

XY*

-

-

-

XY

19

-

150-100

2,8

XY

17

-

normal

3,5

21

-

-

1,2

48

-

160- 90 160-110

2,6

Linquette (8) 1971 et al. Mantero (9) 1971 et al. Bricaire et al. (10) 1973 Alvarez et al.

(11)

1972

Kershnar et al. (12) 1973 Hammerstein et al. (13) 1973 Tronchetti et al. (14) 1973 Tourniaire

et al. Feit de Lange et al.

*

**

XX

(15)

1976

(16)

1976

XY*

XX XY XX

14

erwachsen

9,5

Gewicht 53 kg. Augenfundus: Hypertonie Grad I (Keith-Wagener). Elektrokardiogramm unauffällig. Alkalische Phosphatase 2,6 E (Bessey), pH des Blutes 7,38, Standardbicarbonat 23,0 mmo1/1. Laparoskopie: hypoplastischer Uterus, Gonaden 2 X 3 cm. Biopsie: verdidcte fibröse Kapsel, viele Follikel in verschiedenen Entwidclungsstadien, keine Corpora lutea oder Corpora albicantia. Fall 5: 14 Jahre, weiblicher Phänotyp, Karyotyp XX, Schwester von Patientin 4. Keine sekundären Geschlechtsmerkmale. Größe 157 cm, Spanngrüße 162 cm, Gewicht 45 kg. Augenfundus unauffällig. Elektrokardiogramm unauffällig. Alkalische Phosphatase 5,0 E (Bessey). Laparoskopie: nicht ausgeführt.

E

(Y, E

220-140

XX

(5) 1969

1..

-

1966

(1)

Goldsmith et al. Mills, Wilson Rovner et al. Mallin

74

102.5

-

Methoden Alle hormonalen Untersuchungen wurden am Ende einer siebentägigen Periode ausgeführt. Die Serumelektrolyte wurden unter verschiedenen Bedingungen bestimmt. Während der ersten siebentägigen Periode wurde eine salzarme, während der anderen eine salzreiche Diät vorgeschrieben. Der Effekt von Spironolacton, 400 mg/d, und von Dexamethason, 0,75 mg/d, wurde bei einer salzreichen Diät gemessen. Das Ergebnis der Elektrolytbilanz stellt einen Durchschnittswert der letzten drei Tage einer siebentägigen Periode dar. Die Plasmareninaktivität wurde sowohl im Liegen als auch nach vierstündigem Umhergehen gemessen. Die Wirkung von ACTH auf den Cortisol- und Corticosteronblutspiegel wurde mittels einer achtstiindigen intravenösen Infusion von Tetracosactrin, 0,25 mg, bestimmt. Die Ausscheidung von Steroiden in den Ham wurde folgendermagen bestimmt: 17-Ketosteroide nach Huis in 't Veld und van der Spek (18), 17-ketogene Steroide nach Appleby und Mitarbeitern Pregnandiol und Pregnantriol nach Bongiovanni und Clayton Cortisol, Corticosteron und ihre Metabolite nach Cost und Vegter (21), Aldosteron nach Neher und Wettstein (22). Die hormonalen Blutspiegel wurden folgendermagen gemessen: Cortisol fluorometrisch (23), Corticosteron und Progesteron mittels einer komperitiven Bindungsbestimmung (24), Aldosteron (25), Testosteron (26), Ostradiol (27), LH und FSH (28) und die Plasmareninaktivität (29) mittels einer radioimmunologischen und das ACTH mittels einer radiorezeptorischen Bestimmung (30). Die Cortisolsekretionsrate wurde nach Cope und Black (31) bestimmt.

Tab. 2. Basalwerte im Serum von LH und FSH, Ostradiol und Testosteron und maximale Spiegel von LH und FSH nach Verabintraven6s). reichung von LH-RH (100

n

Fall

2,7

LH

FSH

Ostradiol

Testo steron

[E/1]

[E/1]

[ng/1]

[ng/1]

basal

maximal

-

-

1

basal

mmaaxli-

-

-

-

-

13

230

20

13

170-125

2,8

2

64

250

65

123

2.

XY

25

13

3,5

3

120

475

60

84

29

310

3.

XY

18

12

160-100 140- 95 170-100 140-100

3,6

4

85

268

32

73

22

260

2,5

5

12

15

27

35

11

-

60-130

600-900

1.**

XX

4.

XX*

21

13

S.

XX*

14

10

3,4

Geschwister veröffentlicht 1973 (17)

Fall 3: 18 Jahre, weiblicher Phänotyp, Karyotyp XY, keine sekundären Geschlechtsmerkmale. Größe 173 cm, Spanngrae 172 cm, Gewicht 53 kg. Augenfundus: Hypertonie Grad I (Keith-Wagener). Elektrokardiogramm unauffällig. Alkalische Phosphatase 3,1 E (Bessey), pH des Blutes 7,36, Standardbicarbonat 22,5 mmo1/1. Laparoskopie: kein Uterus und keine Tuben gefunden, kleine Gonaden mit glatter Oberfläche. Biopsie: hypoplastische Testikel.

Fall 4: 21 Jahre, weiblicher Phänoryp, Karyotyp XY, keine sekundären Geschlechtsmerktnale. Grae 173 cm, Spanngrae 172 cm,

Normalwerte

10 + 2

93 ± 21

4±2

6

±

1

Ergebnisse Die Daten der Serumelektrolytveränderungen sind in Abbildung 1, die Harnausscheidung an Steroidmetaboliten in Abbildung 2 und 3, die hormonalen Blutwerte einschließlich der Plasmareninaktivität in Abbildung 4 und Tabelle 2 angegeben. Die Körpergewichte der Patienten schwankten während dieser Untersuchungen nur in geringem Mae.

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Nr. 28, 15. Juli 1977, 102. Jg.

102.6

Deutsche Medizinisdie Wochensdirift

de Lange u. a.: Primäre Amenorrhoe und Hypokaliämie infolge 17a-Hydroxylase-Mangels

Diät

10 mmol Na

Verabreichung

ohne

TH.F

220 mmol Na 220 mmol Na 220 mmol Na ohne

allo TH.E TH,F

E

TH,S

TH.13

allo TH,13

TH.A

A

[mg/24 h]

Dexamethason Spironolacton

12,0

Natrium [mmo1/11 10,0

-

8,0

-

145

Kalium [mmo1/1]

6,0 -

4,0 -

4,0 -

2,0

2,0-

Harn toff [mg/d1] 70 -

o

Abb. 3. Ausscheidung an Steroidmetaboliten im Harn bei salzreicher Diät. Normalbereich schraffiert.

5030-

to

Diät

Abb. 1. Serumspiegel von Natrium, Kalium und Harnstoff bei salzarmer und salzreicher Kost, Dexamethason- und Spironolacton-

Applikation. Diät Verabreichung

10

mmol Na

220 mmol Na 220 mmol Na Normalbereich

ohne

ohne

Dexamethason

mmol 220mmol 220mmol 220mmol 220mmol NormalNa Na Na Na Na bereich

Verabreichung

ohne

ohne

Zeit (h)

8 12 16

8 12 16

Cortisol

ohne

10

Dexamethason 8 12 16

Soirono'

lactan

8

12 16

ACTH

8 12 16

ohne 8 12

]g/l]

200

17-Ketosteroide [mg/24 h]

:

0

:

Corti osteron [pg/1] 400

10 -

o

200

;

17-ketogene Steroide [mg/24 h]

10-

ACTH [ng/I]

800_ Pregnandiol [mg/24 h]

A

400:

13L-

4-

Aldo teron [ng/I] o

80-

Pregnantriol [mg/24 h]

f

0

2-

I

PRA [ng/10 mi x 3 h]

J. 100-

Abb. 2. Ausscheidung der Steroide im Harn. o

Elektrolyte. Während der salzreichen Diät war das Serumkalium unterschwellig und der Serumharnstoff niedrig. Nach Gabe von Dexamethason wurden diese Werte wieder normal, wobei das Serumnatrium zugleich eine geringe Senkung aufwies. Glucocorticoide. Die Ausscheidung an 17-Ketosteroiden, 17-ketogenen Steroiden und Pregnantriol lag bei salzarmer und salzreicher Diät und bei Verabreichung von Dexamethason im unteren Bereich der Normalwerte. Die Exkretion an Glucocorticoidmetaboliten war zu gering, so daß sie nicht bestimmt werden konnte. Dagegen war die Pregnandiolausscheidung sowohl bei salzarmer als auch bei salzreicher Diät sehr hoch. Nach Dexamethasonverabreichung wurden Normalwerte erreicht. Die Plasmacortisolspiegel waren bei allen Untersuchungen sehr niedrig. Auch die Cortisolsekretionsrate war bei salzreicher Kost niedrig: Bei vier darauf untersuchten Patienten betrugen die 24-Stunden-Werte 0,5, 0,7, 1,3 und 2,4 mg. Intravenöse ACTH-Verabreichung



44

Abb. 4. Serumhormonspieg61 einschlidlich Plasmareninaktivität (PRA) bei salzarmer und salzreicher Kost, Dexamethason- und

Spironolacton-Applikation.

verursachte keinen Anstieg der Plasmacortisolspiegel. Die Plasma-ACTH-Spiegel waren erhöht und sanken nach Dexamethasonapplikation. Der Plasmaprogesterongehalt, bei zwei Patienten bestimmt, war erhöht: 7,4 und 8,911g/1 (Normalwert

[Primary amenorrhoea, hypertension, and hypokalaemia in 17-hydroxylase deficiency, a not uncommon condition (author's transl)].

Primäre Amenorrhoe und Hypokaliämie infolge 7alpha-Hydroxylase-Mangels Primary amenorrhoea, hypertension, and hypokalaemia in 17-hydroxylase deficien...
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