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Das primäre Adenokarzinom des Mittelohres U. Schmoldt, F. Isecke1, K. Rohmann2 1

Zusammenfassung

Berichtet wird von einern Fall eines primären Adenokarzinorns des Mittelohres, das sich auf dem Boden einer chronischen Mittelohrentzundung entwickelte. Histologisch handelte es sich urn em Adenokarzinorn, klinisch verhielt sich der Tumor gutartig: Unter Beschrankung auf Mittelohr und Trommelfell zeigte er weder Knochendestruktion noch Metastasierung; nach umschriebener chirurgischer Therapie fand sich nach zwei Jahren kein Hinweis auf em Rezidiv.

Primary Adenocarcinoma of the Middle Ear

One case of primary adenocarcinoma of the middle ear is reported, which developed from a chronic otitis media. Histological examination established the diagnosis of adenocarcinoma. Its clinical appearance was benign, being restricted to the middle ear and tympanic membrane and with no bone destruction or metastases. Two years after local surgery there was no evidence of recurrence.

karzinom entsprachen, sich klinisch und prognostisch jedoch gutartig verhielten. Die Autoren bezeichnen sie deshalb als ,,low grade adenocarcinom", ,,adenomatous tumor", ,,glandular neoplasm of the middle ear, adenoma type" oder als primäre Adenome (2, 3, 5, 6, 8, 11, 12, 14). Das Krankheitsbild verläuft symptomarm. Haufig findet man hinter dem intakten Trommelfell einen lokal invasiv wachsenden, grauen, gefaf?armen Tumor, der unter Aussparung des Tubenwinkels die Pauke ausfiillt und die Kette einhüllt. Histologisch findet man em einformiges Zellbild

mit Kuboid- bis Zylinderzellen ohne Mitosen und

Kernpolymorphie und keine Knochendestruktion. Metastasen kommen nicht vor. Die Rontgendiagnostik gibt keine charakteristischen Hinweise, das Mastoid kann verschattet sein ohne Destruktionszeichen. Therapeutisch wird eine lokal umschriebene Tumorentfernung als ausreichend empfohlen, die Radiatio sei bei Entartungsgefahr der Adenome abzulehnen.

Berichtet werden soil von einem eigenen Fall eines primären Mittelohrkarzinomes, dessen histologisches Bild einem Adenokarzinom entspricht, das sich ohne

Destruktion des Knochens auf dern Boden einer chronischen Mittelohrentzündung auf das Mittelohr beschrànkt und bei umschriebener chirurgischer Therapie bisher einen gutartigen Verlauf zeigt.

Die prirnären Mittelohrkarzinorne sind auferordent1ich selten. Sie sind abzugrenzen von den Malignomen, die aus den Nachbarbereicheri wie Nasenrachen, Parotis oder dem Gehorgang ins Mittelohr einwachsen, was im letzteren Fall bei Perforation des Trommelfells schwierig zu unterscheiden sein kann. Uberwiegend handelt es sich urn Plattenepithelkarzinome, sehr viel seltener urn Adenokarzinome (6, 9, 10). Bis 1961 wurden in der Literatur lediglich 8 primäre Adenokarzinome des Mittelohres beschrieben (1, 4, 7, 13— 15). Die Symptomatik umfafte eine Jahrzehnte andauernde Mittelohrsekretion, Horminderung, Schwindel, Blutung, Schmerzen, Tinnitus und Facialisparese. Die Prognose wurde trotz radikaler Chirurgie und postoperativer Strahlentherapie als infaust bezeichnet.

In den letzten zehn Jahren sind eine ganze primäre Mittelohrturnoren erReihe von Arbeiten schienen, die histologisch einem gut differenzierten AdenoLaryngo-Rhino-Otol. 69 (1990) 77—79 Georg Thieme Verlag Stuttgart . New York

Fallbericht Eine 6ljährige koreanische Patientin stellte sich während eines Besuches bei ihren in Deutschland lebenden Kindern im September 1986 mit einer chronischen Mittelohrentzündung in der Sprechstunde vor. Sejt der Kindheit besteht eine eitrige Ohrsekretion mit Horminderung links, in der letzten Zeit em retroaurikulärer Juckreiz. Das Trommelfell weist einen zentralen Defekt auf mit granulierender Myringitis, die einsehbare Paukenschleimhaut 1st ebenfalls granulomatös verndert. Das Audiogramm zeigt eine mittel- bis hochgradige kombinierte Schwerhorigkeit links, die Röntgenaufnahmen nach Schü!ler eine vollstandige Sklerosierung mit Bogengangszeichnung des linken Warzenfortsatzes bei unauffalliger ausgedehnter Pneumatisation rechts. Unter der Verdachtsdiagnose eines Cholesteatoms erfolgt am 19. 10. 86 die Tympanoplastik: Intraoperativ erscheint das Trommelfell papillomatos verdickt und tumorsuspekt. Eine Schnellschnittuntersnchung des suspekten Bezirkes ergibt jedoch lediglich eine schwere chronische Entzundung. Die Operation wird daraufhin im Sinne einer Tympanoplastik Typ I und Antrotomie fortgesetzt. Pauke und Antrum sind ausgefililt mit einem schwarti-

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Pathologisches Institut des Krankenhauses Bethnien in Moers 2Hals-Nasen-Ohrenklinik der Städt. Krankenanstalten Krefeld (Direktor: Prof. Dr. J. Haubrich)

U. Schmoldt und Mitarb.

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gen, grauen Schleimhautmaterial, aus dem sich bei der Präparation multiple kleine Abszesse ergiefen. Die Ossikula-Kette ist eingehullt, aber intakt, die Tube nicht sondierbar. Das gesamte Schleimhautma-

terial wird unter Opferung der Chorda, abet Schonung der Kette entfernt, der jetzt subtotale Trommelfelldefekt mit Perichondrium und Knorpel aus dem Cavurn conchae unterfüttert.

Die endgultige histologische Untersuchung des

rachen oder der Parotis, die Halsweichteile sind unauffallig. Das Schdel-Cf eigt bis auf den operationsbedingten Knochendefekt im Antrumbereich keine Destruktionszeichen, die Rontgenaufnahme des Thorax keinen metastasenverdächtigen Befund.

Abb. 1 Polymorphes Zeflbild mit vereinzelten mehrkernigen Riesenzellen, am linken Bildrand mit einem tiachen Epithel ausgeklei-

dete mit Schleim angefUllte Zysten (HE, 40 x)

Am 18. 11. 86 wird das linke Mittelohr im Sinne einer Radikaloperation revidiert. Hammer und Ambof sowie das gesamte zuvor implantierte Material werden entfernt, aus alien Mittelohrregionen zusãtzlich Probeexzisionen entnommen; der Steigbugel wird zur Vermeidung einer Labyrinthfistel belassen. Auf einen VerschluI des Mittelohres im Sinne einer Trommelfellrekonstruktion wird aus onkologischen Gründen verzichtet. Alle eingesandten Proben sind histologisch frei vom zuvor beschriebenen Adenokarzinom. Postoperativ heilt die Radikalhöhle innerhaib von 3 Monaten reizios ab, das Ohr 1st allerdings taub. Subjektiv bestehen

darüberhinaus keine Beschwerden. Nach 7 Monaten hat sich die Pauke zum Gehörgang his auf einen winzigen Restdefekt spontan verschlossen. Im Mai 1987 wird em weiterer Aufenthaltsverlangerungsantrag von den deutschen Behörden abgelehnt, die Nachkontrolle endet damit. Nach ihren schriftlichen Au1erungen hat die Patientin his Dezember 1988 keine Beschwerden gehabt.

Pathohistologie Die Ubersichtsvergroferung zeigt Anteile eines soliden Tumors mit polymorphem Zellbild, unregelmäIigen adenoiden Spaltraumen und am Rande mit einem flachen Epithel ausgekleidete, mit Schleim angefiillte Zysten (Abb. 1). Bei stärkerer VergröIerung sind veremzelte residuale Zylinderepithelien zu erkennen mit Uber-

gang in expansiv proliferierende polymorphe mucoide Zellen Abb.2 Unruhiges, polymorphes Zeilbild mit adenoiden Spaltraumen, rn Zentrum einzelne residuale Zylinderepithelien (PAS, 100 x)

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(Abb. 2). Die Zylinderepithelien sind umgeben von polymorphen Zelten mit Anisokaryose und Polychromasie, einzelnen mehrkernigen Zellen und mehrkernigen Riesenzellen. Mitosen werden nicht beobachtet (Abb. 3).

Diskussion

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Abb. 3 Die Ausschnittsvergral3erung zeigt die Anisokaryose und Polychromasie der polymorphen Zellen, einzelne mehrkernige Zellen und eine mehrkernige Riesenzelle (PAS, 400 x)

Auffallig ist beim Studium der diesbeziiglichen Literatur die zeitlich-historische Aufteilung der primären Adenokarzinome des Mittelohres in zwei Gruppen: Bis 1961 werden nur wenige au1erordent1ich maligne, und trotz radikaler Therapie prognostisch ungünstige Karzinome beschrieben, während in den letzten zwanzig Jahren eine gröfere Anzahl primãrer adenomatöser Mittelohrtumoren berichtet wird mit einem Spektrum von benigne bis zum gut differenzierten Adenokarzinom. Zwischen histologischen Dignithtskriterien und dem klinischen Verhalten sowie der Prognose besteht nicht immer Ubereinstimmung, wie bereits Treitel 1898 feststellt (12, 25). Hagan u. Mitarb. halten einen Teil der als primãre Karzinome veröffentlichten Tumoren für Adenome; bei einer chronischen Mittelohrentzundung haben sie allerdings bisher nie em primäres Adenom gesehen, was den Umkehrschluf nahelegen könnte, da1 adenomatöse Tumoren des Mittelohres bei perforiertem Trommelfell klinisch und progno-

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Schnellschnittmaterials und der Mittelohrschleimhaut ergibt das polymorphe Bud elnes papillär-zystischen Karzinoms. Die sich anschliel3ende Diagnostik bringt keinen Hinweis auf einen Tumor im Nasen-

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stisch einem Karzinom entsprãchen (5). Riches und Johnston dagegen stellen fest, daI eine Trommelfeliperforation nicht notwendigerweise em agressives Tumorwachstum bedinge (12). Lä1t sich nun der eigene Fall einer der beiden Gruppen zuordnen? Der Tumor entwickelt sich auf dem Boden einer Jahrzehnte andauernden chronischen Mittelohreiterung. Histologisch ist es em Adenokarainom, das Zelibild ist polymorph mit Anisokaryose, Mehrkernigkeit, Polychromasie, Zysten und Spaitbildungen — die wohi den intraoperativ beobachteten ,,Mikroabszessen" entsprechen —, aber ohne Mitosen. Knochendestruktion und Metastasierung fehien, bei umschriebener chirurgischer Therapie findet sich nach zwei Jahren kein Hinweis auf em Rezidiv. Obwohl die Zeit der postoperativen Kontrolle relativ kurz ist, möchten wir den Tumor der Gruppe der klinisch und prognostisch günstigen adenomatösen Mittelohrtumoren zuordnen.

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Es mu1 der Verdacht geãulert werden, daR bei gleichzeitig bestehender chronischer Mittelohrentzündung diese Tumoren ohne histologische Verifizierung vom werden können, was die NotwendigOperateur keit unterstreicht, auch als Mittelohrchirurg das entnommene Material im Zweifelsfalle einer histologischen Untersuchung zuzuführen.

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Dr. med. UlrichSchmoldt 1-IaIs-Nasen-Ohrenarzt HNO-Abteilung Krankenhaus Bethanien in Moers Ostring 3

4130 Moers

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Das primàre Adenokarzinoni des Mittelohres

[Primary adenocarcinoma of the middle ear].

One case of primary adenocarcinoma of the middle ear is reported, which developed from a chronic otitis media. Histological examination established th...
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