PRAXIS

Originalartikel

Praxis 2014; 103 (14): 8 1 9 -8 2 4

819

Klinik fü r Unfallchirurgie1, Institut fü r Diagnostische und Interventionelle Radiologie2, Universitätsspital Zürich 'Max J. Scheyerer, 'Michael Höllenstein, 'Robert Doering, 'Clement M . L Werner, 'Kai Sprengel, 2Hatem Alkadhi, 'Hans-PeterSimmen

P rävalenz von Z u fa lls b e fu n d e n des A ch sen ­ s ke le tts in c o m p u te rto m o g ra p h is c h e n U n te r­ suchungen p o ly tra u m a tis ie rte r P a tie n te n Prevalence of Incidental Findings of the Axial Skeleton on Computed Tomography of Severely Injured Patients

Zusammenfassung Die Computertomographie hat sich in den vergangenen Jahren zu einem festen Bestandteil der Schockraumdia­ gnostik entwickelt. Neben den trauma­ tisch bedingten Verletzungen ergeben sich dabei oft unfallunabhängige Be­ funde, die bis dahin unbekannt wa­ ren. In der vorliegenden Arbeit wurde ihre Prävalenz im Bereich des Achsen­ skelettes mit über 58% beziffert. Am häufigsten waren dabei degenerative Veränderungen, gefolgt von angebore­ ne Fehlbildungen und Neubildungen. Letztgenannte waren in sechs Fällen weiter abklärungsbedürftig. Zwei stell­ ten sich als bösartig dar. Durch die hohe Inzidenz von Zufallsbefunden ergibt sich daher die Notwendigkeit einheitlicher Kriterien zur Dokumen­ tation, zum Umgang mit ihnen, sowie zur Klärung der Zuständigkeit auf behandlungs- sowie versicherungstechni­ scher Ebene. Schlüsselwörter: Zufallsbefunde Computertomographie - Polytrauma

Einleitung Seit Ihrer Einführung im Jahre 1972 hat sich die Computertomographie durch ihre stetigen Weiterentwicklungen zu einem wichtigen Bestandteil der unfallchirurgischen Routine- und Notfalldia­ gnostik entwickelt [1-4]. © 2014 Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, Bern

Vorteile ergeben sich durch ihre breite Verfügbarkeit, die hohe Auflösung sowie die Möglichkeit, in kurzer Zeit Aufnah­ men des ganzen Körpers anzufertigen [3,5]. Off sind die gewonnenen Erkennt­ nisse massgebend für den weiteren Be­ handlungsablauf. Ausserdem konnte durch ihren breiten Einsatz im Rahmen der Diagnostik beim Schwerverletzten eine Reduktion der relativen Mortali­ tät um bis zu 25% sowie der absoluten Mortalität um beinahe 6% erreicht wer­ den [6]. Trotz der Tatsache, dass die primäre Absicht der computertomographischen Untersuchung beim polytraumatisierten Patienten in der Identifikation von Ver­ letzungen besteht, bringt sie nicht selten Befunde zu Tage, die bisher unerkannt waren [7]. Der überwiegende Teil die­ ser Zufallsbefünde verhält sich klinisch stumm, was durch eine fehlende oder schleichende Progredienz sowie durch einen noch geringen Ausprägungsgrad erklärt werden kann. Mit zunehmendem Alter wird eine Zu­ nahme der Inzidenz von Zufallsbefun­ den beschrieben, ein Zusammenhang zum Geschlecht oder anderen Faktoren besteht dagegen nicht [8,9]. Am häufigsten sind zufällig entdeckte Pathologien im Abdomen und Becken, die meistens durch Veränderungen der Weichteile bedingt sind, gefolgt von Thorax und Schädel [8]. Veränderungen am Achsenskelett dagegen sind in ihrer Gesamtheit seltener. So liegt die Präva­

lenz in der Wirbelsäule bei unter 10% [5,8,9], die Lendenwirbelsäule ist mit 8,4% dabei am häufigsten betroffen. Die sich aus der Erkenntnis dieser Be­ funde erschliessende Problematik stellt sich in unterschiedlicher Art und Weise. So darf ein zufällig erkannter Nebenbefünd nicht fehlgedeutet oder missachtet werden, um so dem Patienten weite­ re Massnahmen nicht vorzuenthalten. Andererseits wäre es wünschenswert, bei der Vielzahl der Befunde die Gut­ artigen zu erkennen, um auf diese Wei­ se auf eine weitere unnötige, potenziell gesundheitsschädigende und eventuell teure Diagnostik verzichten zu können [ 10]. Ziel dieser Arbeit, die sich auf das Ach­ senskelett mitsamt Schädel fokussiert, ist es, neben den traumatischen Befunden, die Inzidenz der Zufallsbefunde aufzu­ zeigen und darüber hinaus die sich er­ gebenden klinischen Konsequenzen zu beurteilen.

Material und Methoden In einer retrospektiven Untersuchung wurden alle Patienten (n=1799), die im Zeitraum zwischen Januar 2008 und De-

Im A rtike l ve rw en d ete Abkürzungen: DRG

Diagnosis related group

ICD

In te rn a tio n a l classification o f diseases DOI 10.1024/1661-8157/a001717

PRAXIS

Originalartikel

Tab. 1: P a tie n te n c h a ra k te ris tik a M itte lw e rt

Anzahl

Standard­

M edian

M in im um

M axim um

45,5

1044

43,1

14

102

W eib lich

52,2

467

21,9

50,6

15

97

Insgesam t

47,6

1511

20,6

45,0

14

102

abweichung M ä n n lic h

Tab. 2: T raum a tische

19,6

Läsionen des A chsenskelettes

Traumatische Befunde

Anzahl (n)

%

S chä de lfrakture n

467

31,0

F raktur des knö che rnen T horax exkl. BWS

384

25,4

W irb e lfra k tu re n

338

22,4

B ecke nfrakture n

177

11,7

Lu xatio n, V ersta u ch u n g , Z erru n g von G elenken und Bändern

55

3,6

zember 2010 über den Schockraum vor­ stellig und behandelt wurden, analysiert. Eingeschlossen wurden Patienten, bei denen eine computertomographische Untersuchung des Schädels, der Hals­ wirbelsäule, des Thorax und Abdomens als Erstuntersuchung vorlag. Alle ande­ ren Patienten, die diese Kriterien nicht erfüllten, wurden ausgeschlossen. Von den insgesamt 1799 Patienten wie­ sen 212 Patienten keine vollständige Ganzkörpercomputertomographie auf, 76 weitere hatten keine computertomo­ graphische Untersuchung des Schädels erhalten, sodass nach deren Ausschluss 1511 Patienten in der Studie verblieben. Als ein Zufallsbefund wurde in dieser Arbeit ein Befund definiert, der uner­ wartet diagnostiziert wurde und nicht im Zusammenhang mit der ursprüngli­ chen klinischen Fragestellung der durch­ geführten Computertomographie stand. Frische traumatische Befunde wurden nicht als Zufallsbefund angesehen. Die diagnostizierten Zufallsbefunde wurden gemäss ihres ICD-10 (Internati­ onal Classification of Diseases)-Codes in Gruppen eingeteilt und gegliedert. E rg e b n is s e

Im Untersuchungszeitraum wurden 1511 Patienten in die Studie aufgenom­ men. Der überwiegende Teil bestand aus Männern (n=1044); Frauen waren mit

467 in der Minderheit. Eine Auflistung der demographischen Patientencharak­ teristika findet sich in Tabelle 1. Die Inzidenz der Zufallsbefunde lag, unter Einschluss der degenerativen Be­ funde, am höchsten im Alter von 50-70 Jahren, wobei der Frauenanteil mit dem Alter zunahm. In 924 Fällen (61,2%) wurden trauma­ tische Verletzungen des Achsenskelettes oder des Beckens diagnostiziert (Tab. 2). Viele der Patienten wiesen dabei multip­ le Verletzungen auf. In 889 Fällen stellten sich Zufallsbefunde dar (58,8%). Bei 36% aller Patienten tra­ ten diese multipel auf. Den grössten Anteil bildeten mit 52,4% degenerative Erkrankungen des muskuloskeletalen Systems, gefolgt von an­ geborenen Fehlbildungen (7,4%) sowie Neubildungen (5,5%) (Tab. 3). Die Gruppe der Erkrankungen des muskuloskeletalen Systems (ICD-10 M0-M99) liessen sich weiter differen­ zieren, wobei allgemeine Krankheiten der Wirbelsäule (ICD-10 M40-54) am meisten anzutreffen waren (Tab. 4). Die­ se liessen sich in absteigender Reihenfol­ ge in Deformitäten (ICD-10 M40-43), Spondylopathien (ICD-10 45-49) so­ wie Bandscheibenpathologien (ICD-10 M50-54) differenzieren. Nach Topogra­ phie aufgeteilt waren Osteochondrosen in der Gruppe der Deformitäten vorwie­ gend zervikal anzutreffen, Spondyloly-

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sen dagegen überwiegend im lumbosakralen Bereich. Auch Spondylopathien waren je nach Untergruppe unterschiedlich lokalisiert. Eine Spondylose war zervikal und tho­ rakal stärker ausgeprägt als weiter kau­ dal, die Spondylarthrose hingegen vor­ wiegend nur im zervikalen Bereich. Die Spondylitis hyperostotica trat fast aus­ schliesslich thorakal auf, das BaastrupSyndrom definitionsgemäss nur an der Lendenwirbelsäule und dem lumbosakralen Übergang. Weitere Untergruppen der Erkrankungen des muskuloskeletalen Systems waren Osteo- und Chondropathien (ICD-10 M80-M94), Arthrosen der Beckengelen­ ke (ICD-10 M15-M19) sowie Erkran­ kungen der Weichteile (ICD-10 M70M75). Unter den Erstgenannten traten über­ wiegend Veränderungen der Knochen­ dichte- und Struktur auf. Der topogra­ phischen Aufteilung folgend waren es an der Wirbelsäule meist Knochenkonti­ nuitätsunterbrechungen, Osteoporosen und selten Knochenzysten, am Thorax vorwiegend Enostome. Veränderungen am Schädel wurden meist durch Hyper­ ostosen verursacht. Am Becken machten Knochenzysten den Hauptanteil aus, ge­ folgt von der fibrösen Dysplasie und der Osteoporose. Die verbleibenden Osteo­ pathien kamen am Becken, Schädel und der Wirbelsäule praktisch ausschliess­ lich durch Osteolysezonen zustande, am Thorax selten auch durch eine chroni­ schen Osteomyelitis (n=l). Angeborene Fehlbildungen (ICD-10 Q65-Q99) konnten in 114 Fällen festge­ stellt werden. In 100 Fällen war nur eine

■ W irb e ls ä u le ■ T h o ra x ■ S chäd el ■ B ecken

Abb. 1: Topographische A u fte ilu n g d u n g e n (IC D -io C0 0 - D 48 ), (n = 83).

de r N e u b il­

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Fehlbildung vorhanden. Die meisten liessen sich an der Wirbelsäule (n=97) beobachten sowie absteigend an der Hüfte (n=14) am knöchernen Thorax in Form von Rippenfehlanlagen (n=12) so­ wie am knöchernen Schädel (n=2). In 83 Fällen dessen sich Neubildungen (ICD-10 C00-D48) diagnostizieren. In 76 Fällen traten diese singulär auf, in sechs Fällen an zwei oder mehr Orten. In 53 Fällen waren dies Enostome, in 28 Fällen Hämangiome und in fünf Fällen eine Läsion unklarer Ätiologie. In zwei Fällen konnte eine Metastase festgestellt werden, wovon sich eine im Verlauf als

Tab. 3: Ü b ersich t

bekannt herausstellte. Die meisten Neu­ bildungen waren am Becken anzutref­ fen gefolgt von solchen der Wirbelsäule (Abb. 1). Weitere diagnostische Abklärungen er­ gaben sich aus den Zufallsbefunden bis auf jene der Gruppe der Neubildungen keine. Hier waren in sechs Fällen wei­ tere diagnostische Abklärungen not­ wendig, was 0,4% der gesamten Studi­ enpopulation und 0,7% derjenigen mit Zufallsbefunden entspricht. Das betraf eine metastatische Läsion, ein Häman­ giom und vier Befunde unbekannter Pathologie.

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D is k u s s io n

Die Computertomographie hat sich im Lauf der letzten Jahre zu einem festen Bestandteil der initialen Diagnostik beim polytraumatisierten Patienten entwickelt. So konnte durch sie eine Reduktion der relativen Mortalität um bis zu 25%, eine der absoluten um bei­ nahe 6% erreicht werden [6]. Durch den weiten Gebrauch und die steti­ ge Weiterentwicklung zu noch höher auflösender Bildgebung sehen sich die Mediziner neben den traumatisch be­ dingten Verletzungen zunehmend auch

üb er d ie Z u fa lls b e fu n d e des A chsenskelettes

Krankheiten des muskuloskeletalen Systems Arthrosen

(n)

%

Krankheiten Wirbelsäule

(n)

%

Weichteil­

(n)

%

erkrankungen

Osteo-/

(n)

%

Chondropathien

Coxarthrose

67

4

Deformitäten

ISG-Arthrose

70

5

Kyphose und Lordose

31

2

O steoporose

71

4,7

Skoliose

53

4

K n o c h e n k o n tin u itä t

102

6,8

32 1

2,1 0

1

0

17

1

1

0,1

Enthesiopathien

1

0,1

Osteopathien

u n te rb ro ch e n O steochondrose

432

29

Sonstige:

S onstige D e fo rm itä te n :

140

9

• O ste o m ye litis

• S pondylolyse

92

6

• O ste o d ystro p h ia

• S onstige Fusionen

54

4

d e fo rm a n s • Sonstige Knochen­ krankheiten

Spondylopathien S p o n d y litis ankylosans

Chondropathien 6

0

Juvenile O ste o ch o n ­ drose H ü fte

S po nd ylose / S po nd ylarth ro se:

437

28

• S pondylose

272

18

• S p o n d ylarth ro se

286

19

• U n carthro se

74

5

• A tla n to d e n ta ia rth ro s e

116

8

S onstige S po nd ylo p a th ie n :

85

• S pinalkan alste no se

15

6 1

• B lo ckw irb el

14

1

• S p o n d y litis hyp e ro s to tic a

23

2

• B aastrup-S yndrom

11

1

32

2

62

4

V erä nd erun ge n

137

9

D iskushernie

3

0

• E rm üd un gsbru ch W irb e lk ö rp e r

Bandscheibenpathologien V akuum phänom e Schm orl'sche

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mit gleichzeitig visualisierten Zufalls­ befunden konfrontiert. In welcher Häufigkeit diese Befunde ef­ fektiv zu beobachten sind, ist abhängig von Körperregion und demographi­ schen Faktoren. So wird die Prävalenz von rein abdominalen Zufallsbefunden in der Literatur zwischen 35 und 45% beziffert [5,10,11]. Allen voran sind un­ ter den gutartigen Prozessen zystische Veränderungen der Niere anzuführen, gefolgt von atherosklerotischen Verän­ derungen, Leberverfettung, Divertikulo­ se, zystischen hepatischen Veränderun­ gen. Unter den möglichen bösartigen Befunden werden nicht-kalzifierende pulmonale Knoten als häufigste Verän­ derung beschrieben, vor unspezifischen Veränderungen der Nieren, jenen im Be­ cken und Aneurysmata [10]. Insgesamt waren in der Arbeit von Ekeh et al. im dreijährigen Beobachtungszeitraum al­ lerdings nur 6,1% der Fälle weiter abklä­ rungsbedürftig [10]. Im Thorax war die Prävalenz von Zu­ fallsbefunden etwas geringer und wird mit 24% beschrieben [12]. Hier zu nen­ nen sind besagte pulmonale Knoten, die Perikardverdickung, mediastinale Zysten, Veränderungen des Thymus, mediastinale Lymphknoten, thyroidale Knoten, Pleuraverdickungen und Aneu­ rysmata [13]. Hingegen ist die Prävalenz von Zufallsbefunden des Achsenskelettes nicht ge­ klärt. So untersuchten vorgängige Ar­ beiten entweder die Inzidenz mit Fokus auf den Kopf, die Hals- oder Lendenwir­ belsäule respektive die gesamten Wirbel­ säule [9,10], oder erfassten die Befunde sekundär im Rahmen von Arbeiten mit primären Fokus auf das Abdomen [10]. Unseres Wissens ist dies nun die erste Studie, die sich mit dem Achsenskelett als Einheit beschäftigt. Neben den traumatischen Verletzun­ gen, die in unserem Kollektiv bei 61% (n=924) diagnostiziert wurden, lag die Inzidenz von Zufallsbefunden in der vorliegenden Arbeit mit 58,8% deutlich höher als in den zuvor erwähnten Stu­ dien. So beschrieb Munk et al, welche

O riginalartikel

die Wirbelsäule als Einheit betrachteten, eine Inzidenz von 7,9%. Am Kopf belief sich der Anteil unter Ausschluss des Ge­ hirns auf 2,6% [140], Berücksichtigt man den Anteil degenerativer Veränderungen, der in der vorliegenden Arbeit 50% der Patienten betraf (n=791), nicht, so reduzierte sich die Inzidenz auf 14,5%. Dennoch war diese knapp dreimal so hoch wie in den Arbeiten von Paluska et al (5,5%) sowie Devine et al. (5,7%) [7,15]. Den degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule folgend waren es dege­ nerative Veränderungen des Beckens (n=115), angeborene Fehlbildungen (n=114) und Neubildungen (n=83). Die höchste Prävalenz von Zufalls­ befunden liess sich im Kollektiv der 50-70-jährigen Patienten beobachten. Nach Ausschluss der degenerativen Ver­ änderungen verlagerte sich dieser Gipfel in die zweite bis dritte Lebensdekade. Dies spräche gegen eine Zunahme der Zufallsbefunde mit steigendem Alter wie in anderen Arbeiten postuliert [5]. Allerdings wurden in der vorliegenden Studie pulmonale und abdominale Ver­ änderungen nicht eingeschlossen, was diesen Unterschied erklären könnte. Auch die Tatsache, dass nur schwerver­ letzte Patienten Berücksichtigung fan­ den, in deren Kollektiv junge Menschen bekanntermassen überwiegen, könnte ursächlich sein für dieses Phänomen. Die Geschlechterverteilung mit einem Männeranteil von 69% liegt in dem Be­ reich anderer Arbeiten [5,16], Eine Kor­ relation der Häufigkeit von Zufallsbe­ funden in Abhängigkeit vom Alter und weiblichen Geschlecht, wie von Barrett et al. beschrieben, konnten wir nicht be­ stätigen [5], In unserer Studie überwiegt in jeder Altersklasse der männliche An­ teil, was wiederum durch die Einschluss­ kriterien begründet sein dürfte. So überwiegt im Kollektiv schwerverletzter Patienten von Grund auf das männliche Geschlecht. Mit Ausnahme der Neubildungen blie­ ben alle weiteren Zufallsbefunde ohne klinische oder therapeutische Konse­

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quenz. So benötigten insgesamt nur 0,7% der Patienten mit Zufallsbefunden weitere Abklärungen. Dieser Anteil ist mit bisherigen Publikationen vergleich­ bar [9,14]. Aufgrund dieser kleinen Zahl erscheint uns die Bürde für das Gesundheitswesen durch zusätzlich anfallende Untersu­ chungen gering zu sein, anders als von vielen Kritikern postuliert wird [17-19]. Dennoch lässt sich diskutieren, ob aus wirtschaftlichen, juristischen aber auch ethischen Aspekten dem Patienten jeder Zufallsbefund mitgeteilt werden muss. Bei eindeutiger klinischer Relevanz muss der Patient selbstredend informiert und es dürfen ihm keine Massnahmen vor­ enthalten werden, durch die er langfris­ tig profitiert. Bei unklaren Befunden mit fehlendem malignen Verhalten oder feh­ lender therapeutischer Konsequenz stellt sich aus wirtschaftlicher Sicht die Frage, inwiefern der Patient zu informieren ist. Dies nicht zuletzt, um die Kosten für etwaige Verlaufsbeobachtungen gering zu halten und Ressourcen zu schonen [ 20 , 21 ],

Letztendlich wird man in jedem einzel­ nen Fall den Zufallsbefund in Bezug auf potenzielle gesundheitliche Gefährdung und Behandlungsdringlichkeit beur­ teilen müssen. Bei Befunden unklarer Malignität stellt sich diese Frage selbst­ redend nicht. Hilfreich wäre in diesem Zusammenhang ein einheitliches Klas­ sifikationssystem mit damit verbunde­ nem Behandlungspfad [14,15,22]. Auch spezifische Protokolle zur Dokumenta­ tion der Zufallsbefunde und der emp­ fohlenen weiteren Massnahmen würden die Arbeit erleichtern und sicherstellen, dass relevante Befunde im Rahmen der Notfallversorgung nicht verloren gehen [10]. So zeigte sich andernorts, dass die Dokumentationshäufigkeit in Austritts­ berichten bei Knochenveränderungen bei nur 25% der Fälle oder gar noch tiefer liegt [8,14]. Durch entsprechende Protokolle, die durch den erstbehan­ delnden Arzt ausgefüllt und der Kran­ kenakte beigelegt werden, wird andern­ orts eine deutliche Verbesserung der

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O rig in a la rtik e l

Key messages • Zufallsbefunde werden sehr häufig im Rahmen der computertomographi­ schen Erstbeurteilung schwerverletzter Patienten beobachtet. • Am häufigsten lassen sich degenerative Veränderungen feststellen, gefolgt von angeborenen Fehlbildungen und Neubildungen. • Nur 0,7% aller Befunde bedurften einer weiteren Abklärung. • Trotz dieser geringen Zahl von weiter abklärungsbedürftigen Befunden erscheint uns aufgrund der hohen Inzidenz von Zufallsbefunden ein Proto­ koll zur Dokumentation und Kommunikation mit anderen Fachdisziplinen unerlässlich, um so einen Informationsverlust zu vermeiden.

Informationsweitergabe gesehen [5,10]. Wie von Ekeh et al. vorgeschlagen, soll­ te ein entsprechendes Protokoll, das zudem dem Hausarzt zugesandt wird, die folgenden Informationen enthalten: Name des Patienten, Datum der Unter­ suchung, Diagnose oder Verdachtsdia­ gnose des Zufallbefundes, Empfehlung für Art und Weise der weiterführenden Untersuchungen, Ansprechpartner [10]. Wichtig wird dieser Aspekt auch aus wirtschaftlichen Gründen. Beim polytraumatisierten Patienten mit Zu­ fallsbefund kommt es versicherungs­ technisch zu einer Durchmischung der beiden Hauptklassen der Unfallversi­ cherungen und der Krankenkassen. Da im Zeitalter der DRG (diagnosis related groups) stationär behandelte Patienten in Fallgruppen eingeteilt und aufgrund ihrer Hauptdiagnose vergütet werden, würden daher weitere Abklärungen der Zufallsbefunde im Rahmen des unfall­ bedingten stationären Aufenthaltes von der Unfallversicherung nicht übernom­ men werden. Idealerweise würden die­ se Abklärungen dann im Anschluss an den stationären Aufenthalt ambulant im Rahmen eines krankheitsbedingten Fal­ les erfolgen. Durch entsprechende zuvor erwähnten Protokolle, die dem nieder­ gelassenen Arzt zugesandt werden, Hesse sich die Informationskontinuität bezüg­ lich des Befundes und empfohlener wei­ terer Massnahmen verbessern. Zusammenfassend konnte in über der Hälfte der Patienten Zufallsbefunde am Achsenskelett festgestellt werden die in keinem Zusammenhang mit dem Un­

fall standen. Den grössten Teil machten dabei degenerative Veränderungen aus. Im Gegensatz zu der Häufigkeit von Zufallsbefunden bedurften nur wenige Fälle (0,7%) einer weiteren Abklärung. Trotz dieser geringen Zahl von weiter abklärungsbedürftigen Befunden er­ scheint es uns unerlässlich, ein Protokoll zu Kommunikation mit anderen Fach­ disziplinen zu entwickeln, damit die wertvollen Informationen der Befunde ohne Informationsverlust weitergeleitet werden können. So liesse sich sicherstel­ len, dass jedem Patienten eine adäquate Diagnostik und Therapie im Anschluss an die unfallbedingte Hospitalisierung zuteil wird.

A bstract Computed tomography has become an important component in the initial assessment of severely injured patients over the last years. The liberal use cou­ pled with advances in imaging technol­ ogy often result in incidental findings. In our present investigation, the preva­ lence incidence of incidental findings of the spine and skull amounted to 58% of all patients with trauma. De­ generative changes were most com­ monly found, followed by congenital defects and neoplasms. Within the latter, further investigation was neces­ sary in six cases, of which two findings proved to be malignant neoplasms. The high incidence of incidental find­ ings calls for a uniform documenta­

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823

tion, handling and clarification of responsibility in treatment and insur­ ance-related competence. Key words: incidental findings - com­ puter tomography - severely injured patients

Resum e La tomodensitometrie est devenue un examen important dans la salle d'urgence au cours de ces dernieres annees. Parallelement aux blessures causees par accidents, d'autres resultats sont apparus par hasard et sans lien direct avec l'accident. Dans ce travail, 1'incidence sur le crane et la colonne vertebrale se chiffre ä 58%. En majorite sont decouverts des changements degeneratifs, suivis par des anomalies congenitales et des neoplasies. Six cas ont necessite d'etre clarifies et deux cas se sont averes malins. Suite ä la repercution de ces decouvertes fortuites, il s'est avere necessaire d'etablir des criteres uniformes afin de clarifier la necessite d'intervention ainsi que pour des questions d'assurance. Mots-cles: fortuite - tomographie blesses graves K o rrespondenzadresse

Dr. med. Max J. Scheyerer Klinik für Unfallchirurgie Universitätsspital Zürich Rämistrasse 100 8091 Zürich maxjscheyerer@gmx. ch In te re sse n sko n flikt: Die A u to re n erklären , dass kein In te re sse n sko n flikt be steht. M a n u s k rip t e in g e re ich t: 20.1.2014, re vid ie rte Fassung a n g e n o m m e n : 3.2.2014.

B ib lio g ra p h ie

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[Prevalence of incidental findings of the Axial skeleton on computed tomograph of severely injured patients].

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