Kommentiertes Referat

Prävalenz und Management von Anämie bei Patienten mit chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen Prevalence and Management of Anemia in Patients with Inflammatory Bowel Disease Z Gastroenterol 2014; 52: 374–375 D. Bettenworth, A. Dignass Høivik ML, Reinisch W, Cvancarova M, Moum B; IBSEN study group. Anaemia in inflammatory bowel disease: a populationbased 10-year follow-up. Aliment Pharmacol Ther 2014; 39 (1): 69 – 76; doi: 10.1111/apt.12 541. Epub 2013 Oct 31. Stein J, Bager P, Befrits R, Gasche C, Gudehus M, Lerebours E, Magro F, Mearin F, Mitchell D, Oldenburg B, Danese S. Anaemia management in patients with inflammatory bowel disease: routine practice across nine European countries. Eur J Gastroenterol Hepatol 2013; 25 (12): 1456 – 1463; doi: 10.1097/MEG.0b013e328 365ca7 f.

Hintergrund Die chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen (CED) Morbus Crohn (M. Crohn) und Colitis ulcerosa (C. ulcerosa) sind gekennzeichnet durch rezidivierende Krankheitsschübe und symptomfreie Remissionsphasen. Neben abdominellen Schmerzen und Diarrhöen als Korrelat der akuten oder chronischen intestinalen Entzündung treten bei etwa einem Drittel aller CED-Patienten extraintestinale Manifestationen oder Komplikationen auf (Ott C et al. Nat Rev Gastroenterol Hepatol 2013; 10: 585 – 595). Dabei ist die Anämie als Korrelat einer systemischen Entzündung und chronischer Blutverluste häufig und wurde zurecht als oftmals „unbemerkter Gauner“ tituliert (Gasche C. Inflamm Bowel Dis 2006; 6: 142 – 150). Im Verlauf kann es durch die Anämie zu einer erheblichen Reduktion der Lebensqualität (Wells CV et al. Inflamm Bowel Dis 2006; 12: 123 – 130; Stein J, Hartmann F, Dignass AU. Nat Rev Gastroenterol Hepatol 2010; 7: 599 – 610; Stein JM, Hartmann F, Cordes HJ, Dignass AU. Z Gastroenterol 2009; 47: 228 – 236) sowie zu Hospitalisierung und Morbidität der betroffenen CED-Patienten kommen (Gisbert JP et al. Am J Gastroenterol 2008; 103: 1299 – 1307). Durch eine adäquate Behandlung der Anämie können diese Komplikationen effektiv therapiert werden.

Die hier vorgestellten Arbeiten dokumentieren zum einen anhand einer Inzeptionskohorte (IBSEN-Studie) nach wie vor hohe Anämieprävalenzraten bei CED-Patienten. Zum anderen belegt die Analyse von anämischen CED-Patienten in 9 europäischen Ländern eine oftmals unzureichende Diagnostik (u. a. durch Anwendung individueller „Cut-off-Werte“) und inadäquate Therapie dieser Patienten. Zusammenfassend sind beide Studien ein deutlicher Beleg für die Notwendigkeit einer europaweit einheitlichen, evidenzbasierten Leitlinie zur Diagnostik und Therapie der Anämie bei CED-Patienten wie sie jüngst von der europäischen Crohn & Colitis Vereinigung (ECCO) erarbeitet wurde und in Kürze publiziert werden wird.

Zusammenfassungen

Prävalenz von Anämie bei Erstdiagnose und im Krankheitsverlauf In der Arbeit von Høivik und Mitarbeitern untersuchen die Autoren die Anämieprävalenz bei CED-Patienten zum Zeitpunkt der Diagnosestellung sowie während der Folgevisiten nach 1, 5 und 10 Jahren. Als Patientenkollektiv dient die populationsbasierte Inzeptionskohorte der IBSEN-(Inflammatory bowel South-Eastern Norway) Studie (Moum M et al. Scand J Gastroenterol 1996; 4: 362 – 366). Gemäß der WHODefinition wurde eine Anämie als HbWert < 12 g/dl bei nicht schwangeren Frauen und Hb-Wert < 13 g/dL bei Männern definiert (World Health Organisation. Iron Deficiency Anemia Assessment, Prevention and Control. A guide for programme managers. Report 2011; Report No.: WHO/NHP/01.3). Die norwegische Normalbevölkerung diente als Referenzgruppe zur Anämieprävalenz im IBSEN-Kollektiv nach 10 Krankheitsjahren, sowie zur Überprüfung möglicher Risikofaktoren für die Manifestation einer Anämie. Zum Zeitpunkt der Diagnosestellung bestand bei 237 eingeschlossenen M.Crohn-Patienten eine signifikant höhere Anämierate als bei 519 eingeschlossenen C.-ulcerosa-Patienten: 48,8 vs. 20,2 %; P< 0,001). Mit Ausnahme von weiblichen M.-Crohn-Patientinnen war der Anteil der anämischen Patienten in allen Subgruppen im Verlauf des Beobachtungszeitraums rückläufig. Interessanterweise ergab die Analyse der Anämieraten nach 5 und 10 Jahren Krankheitsdauer, dass 35 % der zu diesem Untersuchungszeitpunkt anämischen Patienten im Rahmen der vorheri-

gen Visite(n) keine Anämie hatten. Bestand bei M.-Crohn-Patienten ein Jahr nach Erstdiagnose eine Anämie, hatten diese Patienten auch ein signifikant erhöhtes Risiko zu den Visiten 5 und 10 Jahre nach Erstdiagnose anämisch zu sein (P< 0,001). Als größten Risikofaktor für die Manifestation einer Anämie identifizierten Høivik und Mitarbeiter eine Erhöhung des C-reaktiven Proteins (CRP) über 10 mg/L. Fazit der Autoren: Anämie ist bei CED-Patienten ein häufiges Phänomen, betrifft deutlich öfter M.-Crohn-Patienten als Patienten mit C. ulcerosa und korreliert mit der Krankheitsaktivität. Die Variabilität der Anämieraten früherer Studien könnte durch die unterschiedlichen Zeitpunkte der Anämiediagnostik, z. B. während einer aktiven Erkrankungs- oder einer Remissionsphase, beeinflusst sein. Schließlich ist eine regelmäßige laborchemische Anämiediagnostik notwendig, da mehr als jeder dritte Patient erst im Verlauf des 10-jährigen Beobachtungszeitraums eine Anämie entwickelte.

Anämiemanagement bei CEDPatienten in Europa Die Querschnittsstudie von Stein und Mitarbeitern erfasst die routinemäßige Diagnostik und Therapie von CED-assoziierter Anämie und Eisenmangel, sowie die Anwendung von Leitlinien zur Anämiebehandlung in neun europäischen Ländern. Hierzu wurden erfahrene Gastroenterologen in Frankreich, Deutschland, Spanien, der Schweiz, Großbritannien, Österreich, Italien, der Niederlande und Schweden anhand eines internetbasierten Fragebogens zu ihren letzten 5 CED-Patienten mit Anämie interviewt. Insgesamt nahmen 344 zufällig ausgewählte Gastroenterologen an der Umfrage teil, und 1404 anämische CED-Patienten wurden in die Studie eingeschlossen. Zur laborchemischen Überprüfung einer Anämie und des Eisenstatus wurde am häufigsten eine Bestimmung des HbWertes durchgeführt (88 % der Patienten), während die Ferritinwerte etwas weniger häufig (75 %) und die Transferrinsättigung nur selten (25 %) bestimmt wurden. Bei den anämischen CED-Patienten zeigte sich ein mittlerer Hb-Wert von 9,4 g/dl; wobei 56 % dieser Patienten eine moderate Anämie (Hb< 10 g/dl) aufwiesen und bei 15 % eine schwere Anämie (Hb< 8 g/dl) bestand. Eine Eisensubstitutionstherapie wurde bei 92 % aller anämischen Patienten eingeleitet; eine intravenöse Eisensubstitution erfolgte nur bei 28 % der Patienten – obwohl moderate

Bettenworth D, Dignass A. Prävalenz und Management … Z Gastroenterol 2014; 52: 374–375 · DOI http://dx.doi.org/10.1055/s-0034-1366083

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und schwere Anämien gemäß aktuellen Leitlinien eine absolute Indikation zur intravenösen Substitutionstherapie darstellen (Gasche C et al. Inflamm Bowel Dis 2007; 13: 1545 – 1553). Als Gründe für die Wahl einer peroralen Eisensubstitutionstherapie gaben 52 bzw. 48 % der befragten Gastroenterologen „Vertrautheit“ bzw. „komfortable Applikation“ an. Die Befragung der Gastroenterologen nach ihren laborchemischen Grenzwerten, die sie zu einer Eisensubstitution veranlassen, ergab Hb-Werte von durchschnittlich 11 g/dl für männliche Patienten und 10,3 g/dl für weibliche Patienten. Als Behandlungsziel gaben 76 % der Gastroenterologen eine Normalisierung der Hb-Werte und nur 23 % eine Normalisierung der Ferritinwerte an. Die Bestimmung des Eisenstatus anhand der Serumferritinwerte ergab in 76 % der Patientenkohorte einen absoluten Eisenmangel (Ferritin < 30 ng/ml). Die Transferrinsättigung als Marker für die Eisenverfügbarkeit wurde in 25 % der CED-Patienten bestimmt. Fazit der Autoren: Als Ursache für die Häufigkeit von absolutem Eisenmangel und schwerer Anämie bei CED-Patienten vermuten die Autoren eine unzureichende Anämiediagnostik und Eisenersatztherapie. Weiterhin betonen Stein und Mitarbeiter, dass eine leitliniengerechte Bestimmung der Transferrinsättigung bei reduziertem Hb-Wert zu selten erfolge und eine perorale Eisensubstitutionstherapie, insbesondere bei Patienten mit moderater und schwerer Anämie, zu häufig durchgeführt werde. Ausgehend von diesen Ergebnissen fordern die Autoren die Implementierung europaweit einheitlicher Empfehlungen zur Behandlung von Anämie und Eisenmangel bei CED-Patienten.

Kommentar Die beiden hier vorgestellten Arbeiten belegen eindrucksvoll, dass Anämie bei CEDPatienten ein häufiges Phänomen darstellt, sodass die regelmäßige, akkurate Anämiediagnostik einen festen Platz in der klinischen Routine, sowie im Bewusstsein des behandelnden Arztes einnehmen sollte.

Auch wenn die Studie von Høivik et al. nicht zwischen den unterschiedlichen Anämieformen (Eisenmangelanämie, Anämie der chronischen Erkrankungen etc.) differenziert und ein Teil der erfassten Patienten in der Prä-Biologika-Ära behandelt wurde, besitzt die Studie aufgrund der guten Datenqualität der IBSEN-Kohorte hinsichtlich den Prävalenzraten eine hohe Aussagekraft. Angesichts der Tatsache, dass ein erhöhter CRP-Wert als bester Prädiktor für das Auftreten einer Anämie von Høivik et al. identifiziert wurde, kann die Anämie somit als Komplikation/Manifestation der Grunderkrankung gewertet werden. Darüber hinaus verdeutlicht die Beobachtung, dass sich bei 35 % der CED-Patienten eine Anämie erst zwischen dem 2. und 10. Krankheitsjahr manifestiert, die Notwendigkeit einer regelmäßigen Anämiediagnostik. Die Querschnittsstudie von Stein und Mitarbeitern erfasst ebenfalls keine individuellen Daten zur Krankengeschichte bzw. Anämieursache (gastrointestinaler Blutverlust, Vitamin B12-/Folsäure-Mangel usw.). Dennoch zeigen die Ergebnisse sehr eindrücklich, dass auch bei moderaten und schweren Anämien weiterhin die perorale Eisensubstitution europaweit häufig als Therapie der ersten Wahl eingesetzt wird. Hierbei ist zu beachten, dass die Effektivität peroraler Eisengaben durch verminderte Absorption, gastrointestinale Nebenwirkungen (Alleyne M et al. Am J Med 2008; 121: 943 – 948; Stein J, Hartmann F, Dignass AU. Nat Rev Gastroenterol Hepatol 2010; 7: 599 – 610; Stein JM, Hartmann F, Cordes HJ, Dignass AU. Z Gastroenterol 2009; 47: 228 – 236) und insbesondere eine mögliche Aggravierung der Krankheitsaktivität bei M.-Crohn-Patienten (Kulnigg S et al. Aliment Pharmacol Ther 2006; 24: 1507 – 1523) deutlich reduziert sein kann. Während mehrere frühere Studien bei gleicher Effektivität und schnelleren Ansprechraten einer intravenösen Eisenersatztherapie bei CED-Patienten eine bessere Verträglichkeit dokumentieren (Kulnigg S et al. Am J Gastroenterol 2008; 103: 1182 – 1192), gelang es in einer aktuellen Multicenterstudie mit einem neuen intravenösem Eisenpräparat nicht, die Unterlegenheit einer hoch dosierten intravenösen Eisenersatztherapie (Eisen-Isomaltose 1000) im Vergleich zur peroralen Substitutionstherapie auszuschließen (Rei-

nisch W et al. Am J Gastroenterol 2013; 108: 1877 – 1888). Die Ergebnisse dieser Studie erscheinen überraschend unter Berücksichtigung bisheriger Studienergebnisse und pathophysiologischer Überlegungen und erklären sich möglicherweise aufgrund des Studiendesigns und der gewählten Dosierungen, sodass weitere Studien zu dieser Frage sinnvoll erscheinen. Darüber hinaus mag insbesondere bei CED-Patienten, die keine Unverträglichkeit oder Non-Response gegenüber einer peroralen Eisengabe zeigen, und keinen aktiven Schub haben, das Kosten-Nutzen-Verhältnis der verschiedenen Applikationswege relevant sein. Abschließend sei darauf hingewiesen, dass kostenfreie Online-Tools (z. B. www. ferroscope.com) eine schnelle, evidenzbasierte Therapieentscheidung im Hinblick auf eine Eisensubstitutionstherapie bei CED-Patienten ermöglichen (Reinisch et al. Aliment Pharmacol Ther 2013; 38: 1109 – 1118). Weiterhin wird im Februar 2014 eine neue evidenzbasierte ECCOLeitlinie zur Anämie bei CED-Patienten zur Verfügung stehen (https://www.eccoibd.eu/publications/ecco-guidelines-science/published-ecco-guidelines.html), die europaweit zur Vereinheitlichung von Diagnostik und Therapie beitragen soll, um so die Versorgung der Patienten mit chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen weiter zu verbessern. Dr. Dominik Bettenworth Medizinische Klinik und Poliklinik B, Universitätsklinikum Münster Albert-Schweitzer-Campus 1 48149 Münster Tel.: ++ 49/2 51/8 34 76 61 Fax.: ++ 49/2 51/8 34 75 70 [email protected] Kommentierte Referate können von jedem interessierten Kollegen verfasst werden. Sie sollten zuvor beim Koordinator angemeldet werden. Die formale Gestaltung orientiert sich an den publizierten Referaten (Kurzzitate im Text!). Einreichung nicht über die Online-Manuskripteinreichung des Thieme Verlags, sondern via E-mail an den Koordinator der Kommentierten Referate. Prof. Dr. Stefan Müller-Lissner Park-Klinik Weißensee Schönstraße 80, 13086 Berlin Tel. + 49 30 96 28 36 00, Fax 36 05, [email protected]

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