Schwerpunkt Herz 2015 · 40:45–49 DOI 10.1007/s00059-014-4196-9 Online publiziert: 4. Februar 2015 © Urban & Vogel 2015

M. Antz1 · S. Willems2 · B.A. Hoffmann2 1 Klinik für Kardiologie, Klinikum Oldenburg, Herzzentrum, Oldenburg 2 Klinik für Kardiologie mit Schwerpunkt Elektrophysiologie, Universitäres Herzzentrum Hamburg, Hamburg

Prä-, peri- und postinterventionelle Antikoagulation im Rahmen der Vorhofflimmerablation Aktueller Stand und praktisches Vorgehen

Einführung Die adäquate orale Antikoagulation zur Thrombembolieprophylaxe ist einer der wichtigsten Bestandteile der Behandlung von Patienten mit Vorhofflimmern (VHF). Hierzu stehen die Vitamin-K-Antagonisten (VKA) Phenprocoumon und Warfarin sowie als direkte orale Antikoagulanzien (DOAK) der direkte Thrombinhemmer Dabigatran (Faktor IIa) sowie die beiden Faktor-Xa-Inhibitoren Apixaban und Rivaroxaban zur Verfügung. Da die drei zur Thrombembolieprophylaxe bei VHF zugelassenen DOAK im Vergleich zu Warfarin die Hirninfarkte und systemischen Embolien mindestens genauso effektiv vermindern und gleichzeitig das Risiko intrazerebraler Blutungen signifikant reduzieren [1, 2, 3, 4, 5], werden diese, auch periinterventionell bei der VHF-Ablation, zunehmend häufiger eingesetzt. Entsprechend sollen im Weiteren die aktuellen prä-, peri- und postinterventionellen Antikoagulationsregime nach VHF-Ablation diskutiert werden.

Präinterventionelle Antikoagulation Grundsätze der oralen Antikoagulation Grundlage der Empfehlungen zur oralen Antikoagulation ist die Dokumentation von VHF im Zwölfkanal-EKG oder von mindestens 30 s lang anhaltendem VHF in einem Rhythmusstreifen [6]. Ist dies erfolgt, sollte bei jedem Patienten

mit valvulärem VHF (definiert als VHF bei Patienten mit künstlicher mechanischer Herzklappe, rheumatisch bedingter Mitralklappenstenose oder hämodynamisch relevantem, interventionsbedürftigem Herzklappenfehler [6, 7, 8]) eine orale Antikoagulation mit einem VKA eingeleitet werden [6]. Bei nichtvalvulärem VHF ist sowohl in Europa (seit 2010; [6]) als auch in den USA (seit 2014; [9]) der CHA2DS2-VASc-Score anzuwenden. Dieser beinhaltet eine Risikostratifizierung aufgrund eines Punktesystems, wobei jeweils ein Punkt für kongestive Herzinsuffizienz, arteriellen Hypertonus, Alter zwischen 65 und 75 Jahren, Diabetes mellitus, vaskuläre Erkrankungen (Myokardinfarkt, periphere arterielle Verschlusskrankheit, Aortenplaques) und weibliches Geschlecht sowie jeweils zwei Punkte für Alter ab 75 Jahre und stattgehabte(n) Schlaganfall oder TIA bzw. Thrombembolie vergeben werden [6]. Abgeleitet von einer entsprechenden Risikostratifizierung bei 73538 Patienten kann eine individuelle Abschätzung der jährlichen Thrombembolieinzidenz erfolgen, falls keine Antikoagulation durchgeführt würde [10]: F bei einem CHA2DS2-VASc-Score von 0 Punkten: 0,78 Schlaganfälle/Thrombembolien pro Jahr; F bei 1 Punkt: 2,01/Jahr; F bei 2 Punkten: 3,71/Jahr; F bei 3 Punkten: 5,92/Jahr; F bei 4 Punkten: 9,27/Jahr; F bei 5 Punkten: 15,26/Jahr; F bei 6 Punkten: 19,74/Jahr; F bei 7 Punkten: 21,50/Jahr;

F bei 8 Punkten: 22,38/Jahr; F bei 9 Punkten: 23,64/Jahr. Basierend auf diesen Daten werden VHFPatienten eingeteilt in solche mit geringerem Thrombembolierisiko (CHA2DS2VASc-Score = 0), die keine orale Antikoagulation benötigen [auch keine Azetylsalizylsäure (ASS)], und solche mit erhöhtem Thrombembolierisiko (CHA2DS2VASc-Score ≥1; Ausnahme alleiniges weibliches Geschlecht), die oral antikoaguliert werden sollten, wobei der Empfehlungsgrad bei einem CHA2DS2-VASc Score von 1 etwas geringer ist (Empfehlungsgrad: Klasse IIa, Evidenz A) als bei einem CHA2DS2-VASc Score von 2 oder mehr (Klasse I, Evidenz A; [8]). Bei der Langzeitbetreuung von VHF-Patienten ohne Risikofaktoren ist es wichtig, den CHA2DS2-VASc-Score regelmäßig zu reevaluieren, um rechtzeitig zu bemerken, ob sich neue Risikofaktoren entwickelt haben, die eine orale Antikoagulation erforderlich machen. Ist die Indikation zur oralen Antikoagulation gesichert, sollte zwischen einem VKA und einem DOAK entschieden werden. Die alleinige Gabe von Thrombozytenaggregationshemmern (ASS, Clopidogrel) sollte ausschließlich bei solchen VHF-Patienten erwogen werden, die eine orale Antikoagulation ablehnen oder nicht vertragen, zumal das Risiko von schweren Blutungen unter Thrombozytenaggregationshemmern (insbesondere bei älteren Patienten) mit dem unter oraler Antikoagulation vergleichbar ist [8, 11]. Entsprechend den Daten von RELY, ROCKET-AF, ARISTOTLE [1, 2, 3] Herz 1 · 2015 

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Schwerpunkt und den Empfehlungen der European Society of Cardiology (ESC; [8]) sollten zur Antikoagulation bei VHF bevorzugt DOAK zum Einsatz kommen, insbesondere wenn eine vormalige Therapie mit VKA stark schwankende INR-Werte gezeigt hat.

identisch mit der für Patienten, die keiner VHF-Ablation unterzogen werden. Entsprechend sollten alle Patienten mit einem CHA2DS2-VASc-Score von 1 oder mehr auch vor VHF-Ablation auf ein orales Antikoagulans eingestellt werden (VKA oder DOAK; [8, 12, 13, 14]).

Dosierung der DOAK

Präinterventionelle Antikoagulation bei CHA2DS2-VASc-Score von 0

Zur Thrombembolieprophylaxe bei VHF beträgt die Standarddosierung für Apixaban 2-mal 5 mg/Tag, für Dabigatran 2-mal 150 mg/Tag (oder 2-mal 110 mg/ Tag) und für Rivaroxaban 1-mal 20 mg/ Tag. Die niedrigere Standarddosierung (Dabigatran 2-mal 110 mg/Tag) bzw. eine Reduktion der Standarddosierung (Rivaroxaban 1-mal 15 mg/Tag, Apixaban 2-mal 2,5 mg/Tag) wird in folgenden Situationen empfohlen: 1. bei eingeschränkter Nierenfunktion mit einer Kreatinin-Clearance von 30–50 ml/min (niedrigere Dosis von Dabigatran nach ESC-Leitlinien empfohlen [8] bzw. nach Fachinformation zu erwägen; niedrigere Dosis von Rivaroxaban indiziert, niedrigere Dosis von Apixaban indiziert wenn 2 der 3 folgenden Kriterien zutreffen: 1 Serumkreatinin ≥1,5 mg/dl, 1 Alter ≥80 Jahre, 1 Gewicht ≤60 kg); 2. bei eingeschränkter Nierenfunktion mit einer Kreatinin-Clearance zwischen 15 und 29 ml/min ist Dabigatran kontraindiziert, für Rivaroxaban und Apixaban dagegen die jeweils niedrigere Dosis zugelassen, nach ESC-Leitlinien wird deren Anwendung bei dieser stark eingeschränkten Nierenfunktion allerdings nicht empfohlen [8]; 3. für Dabigatran bei alten Patienten (≥80 Jahre) und/oder gleichzeitiger Verapamiltherapie; 4. bei Patienten mit einem hohen Blutungsrisiko zu erwägen (nach ESCLeitlinien bei einem HAS-BLED-Score ≥3; [8]).

Präinterventionelle Antikoagulation bei CHA2DS2-VASc-Score ≥1 Die Indikation zur oralen Antikoagulation vor VHF-Ablation ist grundsätzlich

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Bei VHF-Patienten mit einem niedrigen Thrombembolierisiko aufgrund eines CHA2DS2-VASc-Scores von 0 ist eine orale Antikoagulation grundsätzlich nicht indiziert [8]. Soll aber bei einem Patienten mit länger als 48 h bestehendem VHF (oder Vorhofflattern) eine Kardioversion (elektrisch oder medikamentös) durchgeführt werden, empfehlen die Leitlinien unabhängig vom CHA2DS2-VASc-Score (d. h. auch bei einem CHA2DS2-VAScScore = 0) eine orale Antikoagulation mindestens 3 Wochen davor und 4 Wochen danach (Klasse I, Evidenz B) oder alternativ die Einleitung einer Antikoagulation mit anschließendem Ausschluss eines linksatrialen Thrombus in der transösophagealen Echokardiographie und eine Antikoagulation für 4 Wochen danach (Klasse IIa, Evidenz B; [9]). In den frühen Empfehlungen zur Antikoagulation vor VHF-Ablation aus dem Jahr 2007 wurde bei einem CHADS2-Score von 0 und paroxysmalem VHF der Einsatz von Warfarin oder ASS (75–325 mg/ Tag) diskutiert und bei einem CHADS2Score von 0 und persistierendem VHF eine orale Antikoagulation mit Warfarin (INR: 2,0–3,0) für mindestens 3 Wochen vor VHF-Ablation empfohlen [14]. Aktuell orientieren sich die Empfehlungen für Patienten mit einem CHA2DS2VASc-Score von 0 und persistierendem VHF an den Empfehlungen zur Kardioversion, d. h. diese Patienten sollten vor VHF-Ablation mindestens 3 Wochen lang ein orales Antikoagulans (VKA oder DOAK) oder zumindest präinterventionell eine transösophageale Echokardiographie erhalten, nachdem unmittelbar zuvor ein Antikoagulans (z. B. Heparin oder DOAK) verabreicht wurde [12, 13]. Für Patienten mit einem CHA2DS2-VAScScore von 0 und paroxysmalem VHF, die im Sinusrhythmus sind, gibt es keine klare

Empfehlung, ob es sinnvoll oder notwendig ist, diese Patienten vor VHF-Ablation für mindestens 3 Wochen auf ein orales Antikoagulans einzustellen, um das periinterventionelle Thrombembolierisiko zu minimieren und/oder die Katheterablation unter therapeutischer oraler Antikoagulation durchzuführen [12]. Bei diesen Patienten erscheint somit eine orale Antikoagulation für mindestens 3 Wochen präinterventionell gerechtfertigt, aber nicht zwingend erforderlich.

Periinterventionelle Antikoagulation Vitamin-K-Antagonisten Die meisten Patienten, bei denen eine VHF-Ablation durchgeführt wird, weisen einen erhöhten CHA2DS2-VASc-Score auf und werden aus diesem Grund bereits oral antikoaguliert [15, 16]. Bei einer oralen Antikoagulation mit VKA kommen zwei mögliche Therapiestrategien in Betracht: 1. Fortführung des VKA im therapeutischen Bereich („continued warfarin therapy“), 2. Absetzen und intermittierende Gabe von zumeist niedermolekularem Heparin („discontinued warfarin therapy and bridging“). Durch die zusätzliche Gabe von Heparin ist eine deutliche Zunahme von Leistenhämatomen und anderen Blutungskomplikationen beschrieben worden [17, 18]. Für das Therapieregime der kontinuierlichen Fortführung der VKA-Gabe im therapeutischen Bereich konnte in der COMPARE-AF-Studie eine Überlegenheit gegenüber dem Absetzen und dem „Bridging“ gezeigt werden [19]. Schlaganfall und transitorisch-ischämische Attacken (TIA) traten unter fortgeführter Antikoagulation signifikant seltener auf (4,9 vs. 0,25%; p

[Pre-interventional, peri-interventional and post-interventional anticoagulation in the setting of catheter ablation for atrial fibrillation : current practice and practical approach].

In addition to treatment with drugs to control the rate and rhythm, the method of catheter ablation is a cornerstone in the treatment of atrial fibril...
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