Arch. orthop. Unfall-Chir. 89, 315--318 (1977)

Archiv for orthopfidische und UnfalI-Chirurgie J. F. Bergmann-Verlag 1977

Der aktuelle Problemfall

Polyostische fibr6se kortikale Defekte (bzw. nicht ossifizierende Knochenfibrome) P. Meister 1, E. Konrad 1 und J. Engert 2 Pathologisches Institut der Universit~it Mtinchen (Direktor: Prof. M. Eder), Thalkirchner Stra6e 36, D-8000 Mt~nchen 2 2Kinderchirurgische Klinik der Universidit Manchen (Direktor: Prof, Ch. Hecker), Pettenkoferstrage 8 a, D-8000 MiJnchen 2, Bundesrepublik Deutschland

Multiple, zystische Knochenherde mit einseitigem Befall der unteren Extremit/it bei einem 7j/ihrigen Knaben lieBen in erster Linie and die M6glichkeit einer fibr6sen Dysplasie denken. Die Probeexzision ergab jedoch die Befunde eines fibr6sen kortikalen Defektes oder nicht ossifizierenden Fibrom. Die kortikalen fibr6sen Defekte sind weniger aggressiv als fibr6se Dys-plasien und k6nnen sich z.T. spontan zurt~ckbilden. In vielen F/illen geniigt beim kortikalen fibr6sen Defekt die Absieherung der Diagnose durch die Probeexzision, eine weitere operative Behandlung ist nicht notwendig.

Vorgeschichte: Schmerzen im rechten Bein beim Laufen seit 6 Monaten. Aufnahmebefund: R6ntgenologisch mehrere zystische Defekte, z.T. mit Randsklerose im Bereich des Trochanters und der distalen Metaphyse des rechten Femurs sowie in der proximalen Metaphyse der rechten Tibia (Abb. 1 a und b).

Histologischer Befund: In der Probeexzision fand sich das Knochengewebe verdr/ingt durch ein mN:3ig zellreiches, faserhaltiges Stroma mit einzelnen schaumigen Xanthomzellen und mehrkernigen Riesenzellen vom Osteoklastentyp ohne Atypien (Abb. 2). - - Randstgndig reaktive Knochenneubildung, vereinbar mit der im R6ntgenbefund bemerkten Randsklerose. Jedoch keine metaplastische Knochenneubildung, also keine Befunde wie bei einer fibr6sen Dysplasie. Pathologisch-anatomischeDiagnose: Multiple fibr6se kortikale Defekte bzw. nicht ossifizierende Fibrome.

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b Abb. 1. Mehrere subkortikale Defekte mit Randsklerose a in der proximalen und distalen Femurh~lfte, z.T. zentraler im Markbereich b in der proximalen Tibia

Abb. 2. Subkortikaler fibr6ser Defekt (oder nicht ossifizierendes Fibrom) mit reaktiver Knochenbildung, vereinbar mit der r6ntgenologisch erkennbaren Randsklerose: rechtes Bilddrittel mit m~iBig zell- und faserdichtem Stroma, das von einzelnen mehrkemigen Riesenzellen vom Osteoklastentyp durchsetzt wird. Im mittleren Bilddrittel neugebildete ,,reaktive" Knochenb~ilkchen mit Osteoblastens/iumen und im linken Bilddrittel kompaktes Knochengewebe der Kortikalis (HE, × 64)

Polyostische fibr6se kortikale Defekte

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Diskussion: Das morphologische Substrat der fibr6sen kortikalen Defekte und der nicht ossifizierenden Fibrome ist das gleiche. Fibr6se kortikale Defekte sind h~iufig. Selby fand sie in 27%, Caffey in 35% bei einer Reihenuntersuchung von Schulkindern ohne Beschwerden. Caffey weist auf das Vorkommen multipler Defekte hin. Fibr6se kortikale Defekte bei Geschwistern sind beschrieben, auch wir konnten diese Ver~inderungen bei zwei Briidern beobachten. W~ihrend sich die fibr6sen kortikalen Defekte im allgemeinen zurtickbilden sollen, wird auch der m6gliche Obergang mit zunehmendem Alter in die mehr im Markbereich gelegenen nicht ossifizierenden Fibrome diskutiert (Jaffe). Auf die Dauer sind jedoch nicht nur die kortikalen Defekte, sondern auch die nicht ossifizierenden Fibrome weniger destruktiv und aggressiv, damit weniger invalidisierend als die fibr6se Dysplasie, die auger dem h6heren Risiko einer pathologischen Fraktur auch die Gefahr einer sekund~iren Sarkomentwicklung in sich birgt (Gimes et al., Feintuch, Huvos et al.). Eine m6gliche Sarkomentstehung in einem nicht ossifizierenden Fibrom wurde bis jetzt nur lmal beschrieben (Bhagwandeen). Eine Verwandtschaft zwischen der fibr6sen Dysplasie und dem fibr6sen kortikalen Defekt oder nicht ossifizierenden Fibrom ist diskutiert, jedoch hie bewiesen worden (Schlumberger, Morton, Masshoff et al.).

Differentialdiagnose. R6ntgenologisch:Beim fibr6sen kortikalen Defekt und beim nicht ossifizierenden Fibrom wird der solitaire zystische Herd mit deutlicher Randsklerose als typisch angesehen, im Gegensatz zu multiplen Knochenherden ohne Randsklerose bei der fibr6sen Dysplasie. Es werden jedoch auch bei der fibr6sen Dysplasie sklerosierte Randbereiche beobachtet; andererseits k6nnen die Herde beim fibr6sen kortikalen Defekt oder nicht ossifizierenden Fibrom multipel sein. Der typische fibr6se kortikale Defekt unterscheidet sich durch eine Lokalisation in der Kortikalis v o n d e r eher zentral gelegenen fibr6sen Dysplasie. Da jedoch der fibr6se kortikale Defekt, falls kein Spontanstillstand eintritt, m6glicherweise auch eine Progression der Knochendestruktion mit zentraler Ausbreitung in Richtung Markh6hle und Ubergang in ein nicht ossifizierendes Fibrom aufweisen kann, werden sich mit zunehmender Zeitdauer auch diese differentialdiagnostischen Kriterien einer entweder kortikalen oder medull~iren Lokalisation im R6hrenknochen verwischen (Jaffe).

Histologisch: Auch hier k6nnen in einigen F~illen Schwierigkeiten in der differentialdiagnostischen Abgrenzung auftreten. In der Regel findet sich beim fibr6sen kortikalen Defekt und bei nicht ossifizierenden Fibromen kein Faserknochen. Es sind jedoch einzelne F~ille mit kleinen Herden einer Knochenmetaplasie ~ihnlich wie bei der fibr6sen Dysplasie beschrieben (Dahlin, Morton). Aul~erdem besteht die Gefahr der Verwechslung der reaktiven Knochenneubildung im Bereich der ,Randsklerose" bei fibr6sen kortikalen Defekten und beim nicht ossifizierenden Fibrom sowohl mit der Knochenbildung bei der fibr6sen Dysplasie wie auch beim ossifizierenden Fibrom. Dartiberhinaus k6nnen fibr6se Dysplasien Bereiche aufweisen, in denen kaum eine metaplastische Knochenbildung zu erkennen ist, jedoch Gewebsreak-

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tionen mit schaumigen Xanthomzellen und mehrkernigen Riesenzellen vom Osteoklasentyp, ahnlich wie beim fibr6sen kortikalen Defekt oder beim nicht ossifizierenden Fibrom.. In diesem Zusammenhang kann auch auf die Schwierigkeiten hingewiesen werden, die sich daraus ergeben, dab aus oft winzigen Gewebsfragmenten einer mehrere Zentimeter groBen Ver~inderung histologisch die Diagnose gestellt werden soil. Behandlung: W/ihrend beim fibr6sen kortikalen Defekt und bei vielen F/illen mit nicht ossifizierenden Fibromen im Zweifelsfall eine Absicherung der Diagnose dutch die Biopsie gentigt, ist bei der fibr6sen Dysplasie eine vollst/indige Auskratzung des Herdes und Aufftillung mit Knochensp/inen anzuraten (Ackerman et al., Jaffe, Dahlin, Sharrard). Diese operative Behandlung ist nur bei einigen F/illen mit gr6Beren, nicht ossifizierenden Fibromen zu erwartenden statischen Problemen angebracht. Gebrduchliche Synomyne: Fibr6ser kortikaler Defekt, metaphys/irer fibr6ser Defekt, nicht ossifizierender Fibrom, fibr6ses Xanthom.

Literatur Ackerman, L., Spjut, M., Abell, M.: Baltimore: Williams and Wilkins Com. 1976 Bhagwandeen, S.: J. Path. Bact. 92, 562 (1956) Caffey, J.: Adv. Pediat. 7, 13 (1955) Dahlin, D.: Springfield/Ill.: Charles C. Thomas 1970 Feintuch, T.: Cancer 31, 877 (1973) Gimes, B., Thaisz, E., Feh6r, L.: Fortschr. Rfntgenstrahlen 113, 211 (1970) Huvos, A., Higinbotham, N., Miller, T.: J. Bone Jt. Surg. 54-A, 1047 (1972) Jaffe, H., Lichtenstein, L.: Amer. J. Path. 18, 205 (1942) Jaffe, H.: Philadelphia: Lea and Felbiger 1961 Masshoff, W., Zapfe, E., Neuhauser, R.: Arch. orthop. Unfall-Chir. 80, 319 (1974) Morton, K.: J. Bone Jt. Surg. 46-B, 233 (1964) Schlumberger, H.: Mil. Surg. 99, 504 (1946) Selby, S.: J. Bone Jt. Surg. 43-A, 395 (1961) Sharrard, W.: Oxford: Blackwell Scientific Publ. 1973 Eingegangen am 6. Juli 1977

[Polyostotic fibrous cortical defects (non-ossifying bone fibromas)].

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