1114

Deutsche Medizinische Wochenschrift

Simon u. a.: Vergiftungserscheinungen nach Verzehr von Miesmuscheln

Dtsch. med. Wschr. 102 (1977), 1114-1117 © Georg Thieme Verlag, Stuttgart

B. Simon, D. Mebs, H. Gemmer und W. Sti Ile Zentrum der Inneren Medizin, Abteilung für Hämatologie und Infektionsiaboratorium, und Zentrum der Rechtsmedizin der Universität Frankfurt/Main sowie Staatliches Veterinär-Untersuchungsamt, Frankfurt/Main

Im Oktober 1976 kam es bei insgesamt 19 Patienten im Rhein-Mainvon Miesmuscheln Gebiet zu Vergiftungssymptomen nach dem aus der um (Mytilus edulis) die Region Vigo/Spanien stammten. Leichte Parästhesien im Mundbereich, Kribbeln in Fingerspitzen und Fiigen sowie anschliegend Taubheitsgefühl waren verbunden mit allgemeiner Benommenheit und Schwindel. Diese Symptome, die nach 48 Stunden wieder abklangen, waren durch Saxitoxin verursacht worden, ein Toxin, das einem Dinoflagellaten entstammt und in der Muschel angereichert wird. Das bestätigten die toxikologischen Untersuchungen beschlagnahmter Muschelproben, wobei Toxinkonzentrationen zwischen 6000 und 20 000 MU (Mäuse-Einheiten) pro 100 g Muschelfleisch Genug

Symptoms of poisoning occurred in 19 persons in the Rhein-Main region in October 1976, after they had eaten mussels (Mytilus edulis) imported from Vigo, Spain. Mild oral paraesthesias, tingling in the fingertips and feet were followed by generalised numbness and dizziness. All symptoms disappeared within 48 hours. They had been caused by saxitoxin which is produced by a dinoflagellate and accumulated in the mussels, as confirmed by testing confiscated samples of mussels. Toxin concentration ranged from 6000 to 20 000 MU (mice units) per 100 g mussel meat.

bestimmt wurden. Der Tourismus und die Vielzahl ausländischer Gaststätten machen auch in einer mitteleuropaischen Grogstadt breite Bevölkerungsschichten mit Muschelgerichten vertraut. Wegen der heutigen Möglichkeiten des schnellen Transports, der Tiefkiihlung und Konservierung sind Miesmuscheln zu einem billigen Vergniigen geworden; sie sind auf vielen Speisekarten zu finden. Mit zunehmender Umweltverschmutzung in den Fanggebieten und infolge mangelnder Quarantänebestimmungen besteht damit aber auch die Gefahr, Krankheiten zu importieren, die den erstbehandelnden Arzt vor schwierige diagnostische Probleme stellen können. Abgesehen von der Möglichkeit der übertragung enteraler Infektionen (Hepatitis, Typhus, Cholera und Vibrio parahaemolyticus) miissen bei Vergiftungserscheinungen nach Miesmuschelgenuß unterschieden werden die bisher nur in Japan beobachtete toxische Anreicherung von Schwermetallen in Muscheltieren, die rein allergische Reaktion auf Muschelfleisch und die Vergiftung mit Saxitoxin. Saxitoxin (»Mytilotoxin« der alteren Literatur) ist kein Eigenprodukt der Muschel, sondern wird von ihr mit der Nahrung aufgenommen und in einzelnen Organen angereichert, ohne fiir ihren Organismus toxisch zu sein. Nahrungsgrundlage der Muscheln ist Plankton, das sie aus dem Meerwasser herausfiltern und verdauen. Zu manchen Jahreszeiten tritt im Plankton, abhängig von nicht näher bestimmbaren, komplexen Umständen, in Massen ein Dinoflagellat der Gattung Gonyaulax auf, der Saxitoxin bildet und aus dem die Muscheln es nach

der Verdauung entnehmen. Auf diese Weise werden Konzentrationen des hochwirksamen Neurotoxins erreicht, welches schon nach dem Genuig einer einzigen Muschel typische Symptome hervorrufen kann, angef angen mit leichten Parästhesien im oralen und perioralen Bereich, in den Fingerspitzen und FuEzehen, oft iibergehend in Gefiihllosigkeit der Glieder und Schwäche der Nacken-, Arm- und Beinmuskulatur, Schwindel, Benommenheit und Koordinationsstörungen. In letalen Fallen kommt es zur völligen Paralyse und zur Atemlähmung. Sowohl Parästhesie als auch die paralytischen Erscheinungen im englischen Sprachgebrauch wird die Saxitoxinvergiftung als »paralytic shellfish poisoning. bezeichnet haben ihr Maximum in den ersten 12 Stunden nach dem Muschelverzehr. Patienten, die diesen Zeitraum unbeschadet iiberstehen, sind außer Gefahr. Die Struktur des Saxitoxins konnte endgiiltig erst in den letzten Jahren aufgeklärt werden (9), da allein die tonnenweise Aufarbeitung von Muschelfleisch, die Rei-

.1

OH

2

Abb. 1. Chemische Struktur des Saxitoxins.

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Poisoning after ingestion of mussels (Mytilus edulis)

Vergiftungserscheinungen nach dem Verzehr von Miesmuscheln

Simon u. a.: Vergiftungsersche nungen nach Verzehr von Miesmuscheln

nigung des Toxins sowie die Kristallisierung des Stoffes erhebliche Schwierigkeiten bereiteten. Er entstammt der Gruppe der Purine (3,4,6-Trialkyltetrahydropurin), dessen Ring in Position 2 und 8 zwei NH2-Gruppen und in 3 und 4 als besonderes Kennzeichen einen dritten Ring aus drei C-Fragmenten mit einem hydrierten Keton enthält (Abbildung 1). Die Substanz ist in saurem Milieu aufgerordentlich stabil und widersteht Erhitzen, sie wird jedoch unter leicht alkalischen Bedingungen inaktiviert. So können Kochen und Braten die Toxizität erheblich reduzieren, wenn aufgerdem der im Wasser oder Fett gelöste Saft weggegossen wird.

Saxitoxin hat einen spezifischen Angriffspunkt an allen physiologischen Membranen, die auf Reize mit der Bildung eines Aktionspotentials reagieren (2, 4). Durch regelrechtes Verstopfen der Kanäle oder Poren in der Zellmembran, durch die Natrium-Ionen bei einer Reizung einströmen, hemmt Saxitoxin damit die blitzartige Depolarisation der Membran, es kann als Reizantwort kein Aktionspotential mehr gebildet werden, der Muskel oder Nerv spricht auf keinen Reiz mehr an. Die hohe Spezifität macht das Toxin zu einem wertvollen HiIfsmittel bei der Aufklärung vieler neurophysiologischer Vorgänge.

Abb. 2. Auftreten von Saxitoxin-Vergiftungen. Punkte bezeichnen individuelles, epidemisches Auftreten, die Zahlen annähernd die Anzahl der betroffenen Personen in der jeweiligen Region (nach: US Dept. Health, Education and Welfare, Morbidity and Mortality Weekly Report, Vol. 25, No. 43, 1976).

Vergiftungen durch Saxitoxin kommen gehäuft entlang der west- und nordostamerikanischen Küste, in Japan, in Atlantik- und Nordseeküsten-Gebieten Westeuropas sowie vereinzelt im pazifischen Raum und Sadafrika vor (Abbildung 2). Berichte über Miesmuschelvergiftungen in Deutschland reichen in die Jahre 1885-1888 zurück, als in Wilhelmshaven insgesamt 25 Personen daran erkrankten, von denen sechs starben (6, 10, 12). Aus Grofgbritannien, Frankreich und Belgien wurden zahlreiche, auch tödlich endende Fälle bekannt (5). Um so mehr erscheint uns das plötzliche Auftreten von Vergiftungserscheinungen nach dem Verzehr von Miesmuscheln im Rhein-Main-Gebiet itn. Oktober letzten Jahres von Bedeutung. Insgesamt erkrankten 19 Personen, Todesfälle waren glücklicherweise nicht zu verzeichnen.

1115

Eigene Beobachtungen In der Zeit vom 29. 10. bis 30. 10. 1976 wurden in der Universitätsklinik Frankfurt 19 Patienten notfallmäfgig versorgt, die nach dem Genufg von Miesmuscheln (Mytilus edulis) mehr oder minder ausgeprägte Symptome schilderten, wie sie in der Literatur bei Saxitoxinvergiftungen beschrieben sind. Die Muscheln waren aus Fanggebieten der nordspanischen Provinz Vigo importiert worden.

Gastrointestinale Beschwerden spielten nur eine untergeordnete Rolle, im Vordergrund standen die eingangs beschriebenen neurologischen Erscheinungen. Sofort nach dem Genug der Muscheln beschrieben die Patienten einen säuerlichen Geschmack im Mund und verstärkten Speichelflufg. Kurz darauf trat eine als Kribbeln oder Brennen beschriebene Sensation im Zungen-Lippen-Bereich auf, die sich in einzelnen Fallen auf das ganze Gesicht und den Nacken ausdehnte. Frühestens ein bis zwei Stunden später trat das Kribbeln auch in den Fingerspitzen und Füfgen auf und ging über in ein Taubheitsgefühl, das noch bis zu 2 Tagen Beschwerden verursachte. Die Hälfte der Patienten gab Benommenheit und Schwindel an, selten übelkeit und Erbrechen. Wie aus Tabelle 1 zu ersehen, traten die Beschwerden zu unterschiedlichen Zeiten auf und hielten auch unterschiedlich lange an, wobei zu bedenken ist, clag neun Patienten (Fall 11-19) nach der Muschelmahlzeit und mägigem Alkoholgenug zunächst eine Nacht schliefen und so erst am nächsten Morgen über Symptome klagten, deren Beginn sie zunächst dem Alkoholeinflug zugeschrieben hatten. In 13 der 19 Fälle trat als letztes Symptom eine Schwäche der Skelettmuskulatur auf, die in drei Fällen bei Untersuchung als Verlust der groben Kraft zu objektivieren war. Bei dem Patienten V. S. (Fall 5) war das Krankheitsbild am ausgeprägtesten, mit völliger Kraftlosigkeit der Glieder und Koordinationsstörungen; eine Beeinträchtigung der Atemfunktion trat bei ihm nicht auf. Auffallend war bei den Patienten das lebhafte bis gesteigerte Reflexverhalten. Insgesamt waren die Symptome in allen Fällen innerhalb von 48 Stunden voll reversibel. Ein lebensbedrohlicher Zustand in Form einer Atemlähmung oder eines Schocks trat nicht auf. Die Laboratoriumsuntersuchungen ergaben im Mittel eine Harnstoffkonzentration im oberen Normbereich, Natrium im Serum im Mittel leicht über der Norm und in drei Fällen eine Leukozytose. Bei den in der Nacht vom 29. auf den 30. 10. versorgten zehn Patienten, die also innerhalb der ersten 12 Stunden nach Muschelgenug die Klinik aufsuchten, wurde eine Magenspülung vorgenommen mit abschliegender Instillation von Bittersalz und Aktivkohle. Bei vier Patienten mit ausgeprägten Vergiftungserscheinungen wurde eine forcierte Diurese eingeleitet. Die am 30. 10. versorgten Patienten hatten alle die Muscheln 18-23 Stunden vorher gegessen und gaben bereits ein Abklingen der Beschwerden an, so dag wir uns auf ihre Beobachtung beschränkten.

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Nr. 31, 5. August 1977, 102. Jg.

Schwindel Obelkeit Erbrechen Kopfschmerzen

orale Parästhesien . periorale Parästhesien taube Fingerspitzen taube Faße Muskelschwäche Verlust der groben Kraft Ataxie

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M. G.

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0

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Q. J.

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C. L.

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245

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x x

x

x

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x

141

350

6,1

x

x

x

142

240

6,1

x

48

x

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142

390

5,1

x

48

136

345

6,4

12 12

x

x

146

535

5,4

x

24

12

x

24

24 24

x

24

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24

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3

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3

B. I.

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3

N. A.

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x

x

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0

11

42

Y

Q. R.

9

x

145

321

5,3

x

1

4

12

10

10

++

80

10

18

40

Y

H. A.

12

x

144

428

5,1

x

36

24 36 24

24

++

80

10

18

41

Y

S. A.

13

146

642

10,1

x

x

x x

x

x

+

120

1

23

31

3

M. R.

14

144

428

x

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+

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1

23

26

Y

M. I.

15

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138

375

11,2

x

x x x

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x

Beobachtung iiber 24 Stunden

140

375

6,6

143

310

5,6

x

6

180

0

7

39

3

V. S.

5

+++ ++±+ +++ +++ +++

120

1/2

6

40

Y

K. A.

4

x

x

136

395

11,0

x

6

x

7

72

7

8

12

7

+

120

1/2

3

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3

K. S.

3

forcierte Diurese

Magenspillung

[mmo1/1]

Natrium im Serum

[mg/I]

Leukozyten [109/l] Harnstoff im Serum

Reflexe gesteigert

lebhaft

Reflexe seitengleich

rg

2

5

a)

4

v

.5,

L.)

E

-cs

0

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+++

Intensität der Symptome

120

120

[g]

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1/2

3

Y

44

?

37

3

K. E.

2

L. H.

1

ungefähre Muschelmenge

1

erste Symptome nach Stunden

Stunden nach der Muschelmahlzeit untersucht

Initialen Geschlecht Alter (Jahre)

Fall

Tab. 1. Vergiftungssymptomatik und Therapie der 19 nach dem Verzehr von Miesmuscheln erkrankten Personen

142

1250

6,9

x

10

6

10

6

6

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+

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12

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225

9,0

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6

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+

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4

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53

Y

73

J. D.

3

17

J. I.

16

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535

4,5

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48

48

2

2

2

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22

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Y

F. A.

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30 30

24

24

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60

0

20

32

Y

F. L.

19

Simon u. a.: Vergiftungserscheinungen nach Verzehr von Miesmusc.heln

Toxizitätsbestimmung

Zur Bestimmung der Saxitoxin-Konzentration im Muschelfleisch bildet die biologische Titration nach Sommer und Meyer (11) eine zuverlässige und rasche Methode. Hierzu werden 100 g Muschelfleisch in 0,1 n-HC1 homogenisiert, abzentrifugiert oder nach Vermischen mit Celite iiber Faltenfilter abfiltriert. Vom Säure-Extrakt werden mit physiologischer NaC1Lösung Verdiinnungsreihen hergestellt und auf pH 4,0 mit NaOH eingestellt. 1,0 ml dieser verdiinnten Extrakte wird etwa 20 g schweren Mäusen intraperitoneal injiziert. Die Maus stirbt unter Krämpfen, wobei die Zeit von der Injektion bis zum Eintritt des Todes in Beziehung zur Toxinmenge steht. Eine Mäuse-Einheit (MU) ist als diejenige Toxinmenge definiert, die eine Maus in 15 Minuten tötet. Die Einheiten werden auf 100 g Muschelfleisch berechnet.

Von den verschiedenen beschlagnahmten Proben zeigten sechs folgende Saxitoxin-Konzentrationen: 6228, 6919, 7400, 7400, 15 340 und 20 000 MU pro 100 g Muschelfleisch.

Orientierende Studien zur Charakterisierung des Toxins ergaben, claE es fast vollständig an Amberlite IRC-50-Säulen adsorbiert wird und fast vollständig wieder mit Essigsäure eluiert werden kann (8). Nach Dannschichtchromatographie des teilgereinigten Toxins auf Celluloseplatten in Butanol : Eisessig : Wasser (60: 15 15) la& sich die aktive Fraktion mit Webers Reagenz (5% ige alkoholische Pikrinsäure, Nachsprühen mit 8% iger Na0H-Lösung) orangerot anfärben.

11

17

werden, zu Gefahrenzonen erklärt und für die kommerzielle Verwertung gesperrt. Durch regelmäßige Kontrollen bei der Fischindustrie besonders in Alaska hat die Konservenverarbeitung von Muscheln groge wirtschaftliche Bedeutung wird überprüft, ob zulässige Grenzwerte nicht überschritten werden. Man hat sich in den USA und Kanada darüber geeinigt, daS Muscheln mit einem Toxingehalt von 400 MU pro 100 g für den menschlichen Konsum ungefährlich sind. Das hat zwar in vielen Fallen zu Produktionsausfällen und Verlusten geführt, stellt aber trotzdem einen KompromiE dar, da in manchen Küstenregionen fast das ganze Jahr über mehr oder minder giftige Muscheln auftreten. Zum andern wird während der Konservenverarbeitung ein groEer Teil der Toxizität, etwa 70%, zerstört, so da0 vielfach von einem giftigeren Rohprodukt, das etwa um 1000 MU/100 g liegt, ausgegangen werden kann. Gesetzliche Kontrollen und Vorschriften dieser Art gibt es in Europa nicht, da Vergiftungen nach dem GenuE von Muschelfleisch nur sehr sporadisch auftreten und in neuerer Zeit recht selten sind. Wie jedoch eingangs erwähnt, führen verbesserte Transportwege und Kühleinrichtungen dazu, clag Muschelvergiftungen, wenn sie einmal auftreten, keineswegs nur auf die Küstenregion beschränkt bleiben, sondern, das haben unsere Fälle gezeigt, auch im Binnenland unvermutet auftreten können. Die sofortige Meldepflicht auch bei Verdachtsfällen scheint uns notwendig.

Diskussion Sowohl Medcof und Mitarbeiter (7) als auch Bond und Medcof (1) haben nach Auswertung von Krankheitsverläufen bei epidemisch aufgetretenen Saxitoxin-Vergiftungen eine Relation zwischen der verzehrten Muschelmenge und der beobachteten Symptomatik beschrieben, wobei jedoch auch auf eine individuell verschiedene Toleranz gegenüber Saxitoxin hingewiesen wurde (3). So werden bei einer aufgenommenen Toxinmenge von 2000-10 000 Mäuse-Einheiten (MU) milde Parästhesien beschrieben, zwischen 10 000 und 20 000 MU paralytische Zeichen und ab 22 000 MU Atemlähmungen. Die letale Dosis dürfte zwischen 20 000 und 40 000 MU liegen. Uns liegen verständlicherweise nur ungefähre Angaben über die verzehrten Muschelmengen vor, die nach Rückrechnung auf das durchschnittliche Gewicht verzehrten Muschelfleisches Gewichte zwischen 80 und 180 g Muschelfleisch ergaben. Entsprechend den von uns bestimmten Toxinmengen pro 100 g Muschelfleisch würden sich damit Gesamttoxinmengen bis zu 18 000 MU ergeben, im ungünstigsten Fall bei einem Patienten (Fall 5) sogar von 24 000 MU, was durchaus mit der beobachteten Symptomatik in Einklang steht. Hierbei muE jedoch offenbleiben, wieviel Toxin bei der Bereitung des Muschelgerichtes, etwa durch Kochen, inaktiviert wurde. Das re.gelmäßige Auftreten von Muschelvergiftungen entlang der pazifischen Küste Nordamerikas und entlang der atlantischen Küste Kanadas hat die dortigen Gesundheitsbehörden schon seit langem zu strengen Magnahmen veranlaEt. So werden Küstenstriche, wo zu bestimmten Zeiten vermehrt giftige Muscheln gefunden

Dettbarn, W. D.: Mechanism of action of tetrodotoxin (TTX) and saxitoxin (STX). In: Simpson, L. L. (Ed.): Neuropoisons, their Pathophysiological Actions (Plenum Press: New York 1971), 169. Edwards, H. I.: The etiology and epidemiology of paralytic shellfish poisoning. J. Milk, Food Technol.

Ursachen des Muschelgiftes. Dtsch. med. Wschr. 9 (1888), 585, 597. (7) Medcof, J. C., A. H. Leim, A. B. Needler, J. Gibbard, J. Naubert: Paralytic shellfish poisoning on the Canadian Atlantic coast. Bull. Fish Res. Board Canad. 75 (1947), 32. (8) Schantz, E. J., J. D. Mold, D. W. Stanger. J. Shave!, F. J. Riel, J. P. Bowden, J. M. Lynch, R. S. Wyler, B. Riegel, H. Sommer: Paralytic shellfish poison. IV. A procedure for the isolation and purification of the poison from toxic clam and mussel tissues. J. Amer. chem. Soc. 79

19 (1956), 331. '(4) Gage, P. W.:

(1957), 5230. (9) Schantz, E.

Literatur Bond, R. M., J. C. Medcof: Epidemic shellfish poisoning in New Brunswick. Canad. med. Ass. J. 79 (1957), 1.

Tetrodotoxin and saxitoxin as pharmacological tools. In: Simpson, L. L. (Ed.): Neuropoisons, their Pathophysiological Actions (Plenum Press: New York 1971), 187. (5) Halstead, B.: Poisonous and Venomous Marine Animals of the World. Vol. I (U. S. Gov. Printing Office: Washington 1965). Lindner, G.: Ober giftige Miesmuscheln. Zbl. Bakt. 3 (1888), 352. Lindner, G.: Beitrag zur Kennzeichnung giftiger Miesmuscheln und zur Ermittlung der veranlassenden

J., V. E., Ghazarossian, H. K. Schnoes, F. M. Strong, J. P. Springer, J. O. Pezzanite, J. Clardy: The structure of saxitoxin. J. Amer. chem. Soc. 97 (1975), 1238. (10) Schmidtmann, A.: Miesmuschelvergiftung zu Wilhelmshaven im Herbst 1887. Z. Med.-Beamte 1 (1888), 19, 49. (11) Sommer, H., K. F. Meyer: Paralytic shellfish poisoning. Arch. Path. 24 (1937), 560. (12) Virchow, R.: Ober die Vergiftungen durch Miesmuscheln in Wilhelmshaven. Berl. klin. Wschr. 22 (1885), 781.

Dr. B. Simon Abteilung für Hämatologie Prof. Dr. W. Stille Infektionslaboratorium Zentrum der Inneren Medizin der Universität 6000 Frankfurt/Main 70, Theodor-Stern-Kai 7 Dr. D. Mebs Zentrum der Rechtsmedizin der Universität 6000 Frankfurt/Main, Kennedyallee 104 Dr. H. Gemmer Staatliches Veterinär-Untersuchungsamt 6000 Frankfurt/Main, Deutschordenstr. 48

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Nr. 31, 5. August 1977, 102. Jg.

[Poisoning after ingestion of mussels (mytilus edulis) (author's transl)].

1114 Deutsche Medizinische Wochenschrift Simon u. a.: Vergiftungserscheinungen nach Verzehr von Miesmuscheln Dtsch. med. Wschr. 102 (1977), 1114-11...
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