Kasuistiken Anaesthesist 2014 DOI 10.1007/s00101-014-2305-z Eingegangen: 21. August 2013 Überarbeitet: 27. Januar 2014 Angenommen: 28. Januar 2014 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

Redaktion

B. Zwißler, München

Progrediente neurologische Verschlechterungen nach Operationen geben i. Allg. einen Hinweis auf eine intrakraniale Beteiligung. In die Beurteilung einer solchen Verschlechterung sollten sämtliche, auch lange zurückliegende pathologische Ereignisse einbezogen werden, damit die Gefahr einer Fehlinterpretation minimiert wird.

Hintergrund Verletzungen der Frontobasis können bekanntermaßen durch eine direkte oder indirekte Verbindung des intrakranialen Raums mit dem Nasen-Rachen-Raum zu Liquorrhö und Pneumozephalus führen [1–4]. Deswegen sollten sämtliche Arten der Überdruckbeatmung ohne endotracheale Intubation und nasale Manipulationen bei den betreffenden Patienten vermieden werden [5–7]. Im vorliegenden Beitrag wird über einen 70-jährigen Patienten berichtet, der sich nach einem schweren Schädel-Hirn-Trauma vor mehr als 10 Jahren einem urologischen Eingriff in Allgemeinnarkose unterziehen musste und der postoperativ einen schweren Pneumozephalus entwickelte, obwohl bisher keinerlei Hinweise auf eine Liquorrhö oder sonstige Affektion der Frontobasis vorlagen.

S. Welschehold1 · P. Wegermann2 · A. Reuland1 1 Sektion Neurotraumatologie und Neurochirurgie, Unfallklinik, Asklepios Klinik Weißenfels 2 Klinik für Anästhesie und Intensivmedizin, Asklepios Klinik Weißenfels

Pneumozephalus als seltene Komplikation einer Narkose Fallbeschreibung Anamnese Der 70-jährige Patient hatte vor mehr als 10 Jahren ein schweres Schädel-HirnTrauma mit langwierigem intensivmedizinischem Aufenthalt, Tracheotomie, Kraniektomie, lumboperitonealem Shunt, Rehabilitation und Kranioplastie erlitten. In der Folge war er bei hochgradiger rechtsseitiger Hemiparese erwerbsunfähig, jedoch in der Lage, mit Hilfestellung an den Aktivitäten des täglichen Lebens der Familie teilzunehmen. Schließlich entwickelte sich eine Orchitis, die einen­operativen Eingriff in Allgemeinnarkose notwendig machte. Nach Prä­oxygenierung des Patienten erfolgten die Narkoseeinleitung mit Sufentanil, Propofol, kurzer Maskenbeatmung und die anschließende Atemwegssicherung mithilfe einer Larynxmaske (Gr. 5). Die Narkose wurde mithilfe einer totalen intravenösen Anästhesie (TIVA; Sufentanil/Propofol) aufrechterhalten. Der 30-minütige Eingriff und die Narkose verliefen komplikationslos.

Befund Postoperativ fielen bei dem Patienten eine­ Desorientierung und deutliche psychomotorische Verlangsamung auf, die als postoperatives Durchgangssyndrom gewertet wurden. Schließlich erfolgte die Entlassung in das häusliche Umfeld. Hier akzentuierte sich die Symptomatik weiter, sodass der Patient zur weiteren Abklärung

erneut in die Klinik eingewiesen wurde. Die Diagnostik ergab einen massiven Pneumozephalus mit nachweisbaren Defekten der Frontobasis und mehreren Verbindungen der Nasennebenhöhlen (Sinus frontalis und Sinus ethmoidalis) nach intrakranial (. Abb. 1).

Therapie/Verlauf Nach Kraniotomie, Rekonstruktion und plastischer Deckung der Frontobasis (. Abb. 2) sowie Explantation des alten lumboperitonealen Shunt und Neuanlage einer Liquorableitung [ventrikuloperitonealer (VP)-Shunt] waren im Verlauf keine intraranialen Lufteinschlüsse mehr nachweisbar. Der klinisch-neurologische Zustand des Patienten besserte sich in der Folge, jedoch konnte trotz sich anschließender Rehabilitation der vor der urologischen Erkrankung/Operation bestehende Ausgangszustand des Patienten nicht mehr erreicht werden.

Diskussion Bekanntermaßen sind bei Patienten mit frischen Verletzungen der Schädelbasis Maskenbeatmung und Manipulation im Nasenraum, wie beispielsweise die transnasale Anlage von Magen- oder Temperatursonden und das Absaugen zu vermeiden [4, 5]. Auch sind in der Literatur Einzelfälle von Pneumozephalus nach Beatmung mit supraglottischen Atemwegshilfen berichtet worden [8], sodass davon ausgegangen werden kann, dass bereits geringe Druckunterschiede bei bestehenDer Anaesthesist 2014 

| 1

Kasuistiken

Abb. 1 8 Computertomographie des Schädels einige Jahre vor der stattgehabten Narkose (oben links), 3 Wochen nach dem  urologischen Eingriff zum Zeitpunkt der Krankenhausaufnahme (oben Mitte) sowie nach Krankenhausentlassung und Revision der Frontobasis (oben rechts). Zu erkennen sind mehrere Verbindungen der Nase über die Nasennebenhöhlen nach intrakranial (untere Reihe, Pfeile)

Abb. 2 8 Intraoperatives Bild nach Kraniotomie und Entfernung der Hinterwand des Sinus frontalis mit sichtbarer Verbindung zur Nasenhaupthöhle  (Pfeilspitze) bis nach intrakranial (Pfeil). Mikroskopischer Blick nach bifrontaler Kraniotomie auf die Schädelbasis. Die Knochenlamelle in Höhe der Pfeilspitze entspricht der Vorderwand, die Knochenlamelle in Höhe des Pfeils der  Hinterwand des Sinus frontalis. Eine direkte Verbindung von nasal über den  Sinus frontalis (Pfeilspitze) bis nach intrakranial (Pfeil) ist damit plausibel zu  erklären

2 | 

Der Anaesthesist 2014

der Vorschädigung zum Auftreten eines Pneumozephalus führen können. Im vorgestellten Fall ging das behandelnde Team davon aus, dass über 10 Jahre nach dem stattgehabten Schädel-Hirn-Trauma die Verletzung konsolidiert war. Auch bei retrospektiver nochmaliger Befragung des Patienten und der Angehörigen bestanden keine Hinweise auf eine Liquorrhö. Das einige Jahre vor dem urologischen Eingriff angefertigte Schädel-Computertomogramm (. Abb. 1, oben links) zeigte keine intrakranialen Lufteinschlüsse, jedoch war bei Betrachtung im Knochenfenster bereits zu diesem Zeitpunkt eine knöcherne Konturunterbrechung zwischen dem intrakranialen Raum und den Nasennebenhöhlen nachzuweisen. Offensichtlich ist es nach dem Schädel-HirnTrauma zu einer dünnen membranösen Abdichtung an der Schädelbasis gekommen, die dann durch die Maskenüberdruckbeatmung bei Narkoseeinleitung perforierte, was zum folgenden Pneumozephalus führte. Aufgrund der ausge-

Zusammenfassung · Abstract dehnten intrakranialen Lufteinschlüsse konnte im Verlauf keine Nasoliquorrhö bemerkt und auch nicht provoziert werden. Lediglich die progrediente neurologische Verschlechterung des Patienten gab einen Hinweis auf eine intrakraniale Beteiligung; dies war von den behandelnden Kollegen als postoperatives Durchgangssyndrom fehlinterpretiert worden.

Schlussfolgerungen Auch etliche Jahre nach stattgehabtem schwerem Schädel-Hirn-Trauma mit Beteiligung des Gesichtsschädels/der Frontobasis kann eine konsolidierte, jedoch fragile Abdichtung der Schädelbasis vorliegen, die durch medizinische Maßnahmen, insbesondere eine Maskenüberdruckbeatmung, erneut symptomatisch werden kann. Gleiches gilt für sämtliche Eingriffe, die zu einer direkten oder indirekten Verbindung zwischen intra- und extrakranialem Raum, wie beispielsweise die transphenoidale Hypophysenchirurgie, führen, auch wenn hier besonders viel Wert auf eine stabile Abdichtung gelegt wird [9, 10]. Auch wurden Fälle von Pneumozephalus bei Tumoren, nach Bestrahlungen und Nasennebenhöhleneingriffen beschrieben [11–16].

Fazit für die Praxis Verletzungen der Frontobasis können noch nach Jahren durch eine direkte oder indirekte Verbindung des intrakranialen Raums mit dem Nasen-RachenRaum zu Liquorrhö und Pneumozephalus führen. Dies sollte dem behandelnden Arzt bewusst sein, damit entsprechende prophylaktische Maßnahmen ergriffen werden können. Eine postoperative neurologische Verschlechterung des Patienten sollte immer Anlass zur bildgebenden Diagnostik des Schädels sein.

Korrespondenzadresse Dr. S. Welschehold Sektion Neurotraumatologie und Neuro-  ­chirurgie, Unfallklinik,   Asklepios Klinik Weißenfels Naumburger Str. 74–76, 06667 Weißenfels [email protected]

Anaesthesist 2014 · [jvn]:[afp]–[alp]  DOI 10.1007/s00101-014-2305-z © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014 S. Welschehold · P. Wegermann · A. Reuland

Pneumozephalus als seltene Komplikation einer Narkose Zusammenfassung Der vorliegende Beitrag berichtet über den Fall eines massiven Pneumozephalus bei einem Patienten, der sich mehr als 10 Jahre nach einem schweren Schädel-Hirn-Trauma einer urologischen Operation in Allgemeinnarkose unterzog. Nach seinerzeit langwierigem Verlauf mit Tracheotomie, dekompressiver Kraniektomie, Rehabilitation, Dekanü­ lierung und Kranioplastie hatte sich der Patient erholt, jedoch blieben eine Hemiparese und eine psychomotorische Antriebsminderung bestehen. Unmittelbar nach einer urologischen Operation verschlechterte sich der neurologische Zustand des Patienten. Eine­ Schädel-Computertomographie zeigte einen­ massiven Pneumozephalus bei bestehen-

der Frontobasisverletzung. Nach Rekonstruktion der Frontobasis, Entfernung des alten lumboperitonealen und Neuanlage eines ventrikulo­peritonealen Shunt war keine intrakranielle Luft mehr nachweisbar. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass eine Schädelbasisverletzung auch noch Jahre nach dem Ereignis, insbesondere im Rahmen der Maskenbeatmung bei einem operativen Eingriff, symptomatisch werden kann. Schlüsselwörter Schädel-Hirn-Trauma · Liquor-Shunt · Nasennebenhöhlen · Intraoperative Komplikationen · Allgemeinanästhesie

Pneumocephalus as a rare complication of general anesthesia Abstract This article reports a case of massive postoperative pneumocephalus in a patient following general anesthesia for a urological procedure. The patient had sustained a severe head injury more than 10 years ago with long-term treatment in an intensive care unit (ICU) including decompressive craniectomy, tracheostomy followed by rehabilitation, decanulation and cranioplasty. The patient recovered but suffered severe hemiparesis and mild neurocognitive deficits. Immediately after the current operation the patient was disoriented and did not recover in an appropriate interval. A cranial computed tomography (CT) scan revealed massive intracranial

Einhaltung ethischer Richtlinien Interessenkonflikt.  S. Welschehold, P. Wegermann und A. Reuland geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht. Der Beitrag enthält keine Studien an Menschen oder Tieren.

Literatur   1. Clark DW, Citardi MJ, Fakhri S (2010) ­Endoscopic management of skull base defects associated with persistent pneumocephalus following pre­vious open repair: a preliminary report. Otolaryngol Head Neck Surg 142:820–826   2. Reiss M, Reiss G (1997) Pneumatocele as a complication of frontobasal fracture. Schweiz Med Wochenschr 127:1400

air and frontobasal skull defects. After frontobasal reconstruction, removal of an old lumboperitonal shunt and placement of a ventriculoperitoneal shunt, intracranial air was no longer observed. In summary a frontobasal injury may become symptomatic many years after injury, especially when face mask ventilation with positive pressure is applied during surgical interventions. Keywords Traumatic brain injury · Cerebrospinal fluid shunt · Paranasal sinuses · Intraoperative complications · General anesthesia

  3. Simma K (1963) Spontaneous ­pneumocephalus after fracture of the base of the skull. Wien Klin Wochenschr 75:547–548   4. Schirmer CM, Heilman CB, Bhardwaj A (2010) Pneumocephalus: case illustrations and review. Neurocrit Care 13:152–158   5. Ferreras J, Junquera LM, Garcia-Consuegra L (2000) Intracranial placement of a nasogastric tube ­after severe craniofacial trauma. Oral Surg Oral Med Oral Pathol Oral Radiol Endod 90:564–566   6. Klopfenstein CE, Forster A, Suter PM (1980) Pneumocephalus. A complication of continuous positive airway pressure after trauma. Chest 78:656–657   7. Lee LC, Lieu FK, Chen YH et al (2012) Tension pneumocephalus as a complication of hyperbaric oxygen therapy in a patient with chronic traumatic brain injury. Am J Phys Med Rehabil 91:528–532   8. Gurajala I, Azharuddin M, Gopinath R (2013) General anaesthesia with laryngeal mask airway may cause recurrence of pneumocephalus in a patient with head injury. Br J Anaesth 111:675–676

Der Anaesthesist 2014 

| 3

Kasuistiken   9. Harvey RJ, Smith JE, Wise SK et al (2008) Intracranial complications before and after endoscopic skull base reconstruction. Am J Rhinol 22:516–521 10. Wanamaker JR, Mehle ME, Wood BG, Lavertu P (1995) Tension pneumocephalus following craniofacial resection. Head Neck 17:152–156 11. Hou W, Wen Y, Wang Z et al (2013) Clinical analysis of the cranial complications of endoscopic sinus surgery. Acta Otolaryngol 133:739–743 12. Kiu MC, Wan YL, Ng SH et al (1996) Pneumocephalus due to nasopharyngeal carcinoma: case report. Neuroradiology 38:70–72 13. Matsuba HM, Thawley SE, Smith PG (1986) Tension pneumocephalus: a case following otologic surgery. Am J Otol 7:208–209 14. Ng WF, Fung KH, Sham JS (1995) Tension pneumocephalus – a rare complication of radiotherapy in nasopharyngeal carcinoma. Pathology 27:204– 208 15. Wang HC, Hwang JC, Peng JP et al (2006) Tension pneumocephalus – a rare complication of radiotherapy: a case report. J Emerg Med 31:387–389 16. Whitmore RG, Bonhomme G, Balcer LJ, Palmer JN (2008) Tension pneumocephalus after endoscopic sinus surgery: case report of repair and management in absence of obvious skull base defect. Ear Nose Throat J 87:96–99

4 | 

Der Anaesthesist 2014

[Pneumocephalus as a rare complication of general anesthesia].

This article reports a case of massive postoperative pneumocephalus in a patient following general anesthesia for a urological procedure. The patient ...
354KB Sizes 0 Downloads 3 Views