Kasuistiken Anaesthesist 2014 · 63:231–233 DOI 10.1007/s00101-014-2304-0 Eingegangen: 13. November 2013 Überarbeitet: 20. Januar 2014 Angenommen: 26. Januar 2014 Online publiziert: 26. Februar 2014 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

M. Seemann · N. Zech · M. Kieninger · B. Graf · H. Künzig

In Deutschland wird jährlich eine Vielzahl an zentralvenösen Kathetern eingebracht. Hierbei ist eine Fehlpositionierung unter besonderen Bedingungen auch bei unauffälliger, atraumatischer Anlage des Katheters möglich.

ZVK angeschlossenen Propofolperfusor aufrechterhalten. Bei fehlender Lagekontrolle des ZVK im Rahmen der Anlage erfolgte nun eine a.-p.-Thoraxröntgenaufnahme. Hier stellte sich der Katheter mit einem komplett linkslateralen Verlauf dar. Wie in . Abb. 1 ersichtlich, projizierte sich die ZVK-Spitze über das Lumen eines atypisch verlaufenden Gefäßes hinaus. Darüber hinaus zeigte sich eine Zeichnungsvermehrung des linken Oberfelds ausgehend von der ZVK-Spitze, die eine intrapulmonale Applikation von Flüssigkeit durch den Katheter vermuten lässt. Endotracheal konnte reichlich milchig-weiße Flüssigkeit, vom Aspekt her an Propofol erinnernd, abgesaugt werden. Bei Verdacht auf eine Gefäßperforation durch den ZVK mit Infusionsthorax und Einblutung in das Lungenparenchym wurde der Katheter umgehend entfernt und ein peripher-venöser Zugang gelegt. Bei gutem Gasaustausch konnte der Patient noch in der gleichen Nacht extubiert werden. Um einen potenziell entstandenen Schaden erfassen zu können, erfolgte am Folgetag eine Thoraxcomputertomographie. Hierbei konnte das in der konventionellen Röntgenaufnahme atypisch verlaufende Gefäß als persistierende linke V. cava superior sinsitra (PLVCS, . Abb. 2) identifiziert werden. Gemäß thoraxchirurgischem Konsil ergab sich bei Hämoglobinstabilität und anhaltend gutem Gasaustausch kein weiterer Handlungsbedarf. Der Patient wurde zur Beobachtung eine weitere Nacht intensivmedizinisch betreut und konnte dann ohne weitere Komplikationen auf die Normalstation verlegt sowie nach Hause entlassen werden. Um bei weiteren

Falldarstellung Bei einem 24-jährigen Patienten mit Neurofibromatose Typ 2 wurde zur Entfernung eines raumfordernden zerebralen Fibroms eine Kraniotomie durchgeführt. Aufgrund eines ventrikuloperitonealen Shunts mit rechtszervikaler Ableitung und unter der Haut sichtbaren großen Neurofibromen an der rechten Halsseite entschied sich der Anästhesist nach der Narkoseeinleitung für die Anlage eines zentralen Venenkatheters (ZVK) an der linken V. jugularis interna, die problemlos punktiert werden konnte. Zum Zeitpunkt der vorgesehenen Elektrokardiographie(EKG)-gesteuerten Lagekontrolle der ZVK-Spitze bestand bei dem Patienten nach medikamentös bedingter Bradykardie im Rahmen der Narkoseeinleitung und Atropingabe ein atrioventrikulärer(AV)-junktionaler Rhythmus, sodass die korrekte Lage des Katheters nicht auf diese Weise überprüft werden konnte. Alle Schenkel des ZVK waren aber durchgängig und rückläufig, sodass dieser bestückt und mit der Operation in balancierter Allgemeinanästhesie begonnen wurde. Nachdem der Eingriff komplikationslos abgeschlossen war, wurde der Patient geplant zur Überwachung auf die Intensivstation aufgenommen. Zum Transport wurde die Narkose durch einen über den

Klinik für Anästhesiologie, Universitätsklinikum Regensburg

Anlage eines zentralen Venenkatheters bei persistierender V. cava superior sinistra Operationen einen ähnlichen Zwischenfall und, damit verbunden, möglicherweise schwerwiegende Komplikationen zu verhindern, wurde ein Anästhesieausweis ausgestellt.

Diskussion Zentralvenöse Katheter In Deutschland wird jährlich eine Vielzahl an zentralvenösen Kathetern eingebracht. Allein die Klinik für Anästhesiologie am Universitätsklinikum Regensburg verwendet jährlich ca. 3500 Katheter. Ein Großteil der Punktionen erfolgt über die rechtsund linksseitige V. jugularis interna. Typische Komplikationen sind Hämatome an der Punktionsstelle (1–2%), akzidentelle arterielle Punktionen (1,5–3% A. carotis), Hämato- und Pneumothorax (0–1%) sowie seltener Nervenläsionen (Horner-Syndrom), Tracheal- und Spinalkanalpunktionen. Der Einsatz der Sonographie vermag die lokalen Punktionskomplikationen erheblich zu reduzieren [6, 7, 8]. Wie die Cochrane-Analyse zeigt, ist die Komplikationsrate darüber hinaus vom Punktionsort abhängig [5]. Zentrale Venenkatheter in der V. subclavia weisen so im Vergleich zur Femoralvene eine niedrigere Rate an Katheterkolonisationen und Thrombosen auf. Vergleicht man die V. jugularis interna mit der V. femoralis als Punktionsort, finden sich vergleichbare Komplikationsraten, bis auf ein höheres Risiko an mechanischen Komplikationen bei den ZVK in der Jugularvene. (Hierzu zählen u. a. arterielle Punktion, Hämatom, Pneumothorax, Katheterfehllage.) Aufgrund der potenziellen Komplikationen ist somit jede ZVK-Anlage in Abhängigkeit von Vorerkrankungen Der Anaesthesist 3 · 2014 

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Abb. 1 8 Verlauf des zentralen Venenkatheters (Pfeile), rechts ventrikuloperitonealer Shunt

teriores und inferiores sammeln das Blut aus der oberen bzw. unteren Körperhälfte des Embryos. Um die 8. Gestationswoche entsteht eine Anastomose zwischen den beiden vorderen Kardinalvenen, die spätere V. brachiocephalica sinistra. Normalerweise verschließt sich anschließend die linke Kardinalvene kaudal der Anastomose. Passiert dies nicht, entsteht eine PLVCS [3]. Diese leitet das Blut aus der linken V. subclavia und V. jugularis über den Koronarsinus in den rechten Vorhof, seltener auch in die V. cava inferior. Fehlbildungen des V.-cava-Systems bleiben gewöhnlich asymptomatisch, sind aber mit manchen Herzfehlbildungen assoziiert [4]. Meistens wird eine PLVCS zufällig entdeckt, z. B. im Rahmen eines Thoraxröntgens, das einen geradlinig vertikalen Venenschatten am linken oberen Mediastinum sichtbar macht.

Komplikationen bei der Anlage eines zentralen Venenkatheters

Abb. 2 8 Linkslaterale Infiltrate als Folge der paravasalen Infusion, Pfeil persistierende linke V. cava superior sinistra. A Aorta, TrP Truncus pulmonalis

und geplantem Eingriff individuell und keinesfalls großzügig zu indizieren.

Persistierende linke V. cava superior Autopsien zufolge kann bei etwa 0,3% der Allgemeinbevölkerung von einer PLVCS ausgegangen werden [1]. Bei Patienten mit angeborenen azyanotischen Herzfehlern (z. B. Ventrikel-, Vorhofseptumdefekt, persistierender Ductus arteriosus) oder zyanotischen Herzfehlern (z. B. FallotTetralogie, Transposition der großen Arterien) ist die Prävalenz mit 3–4% wesentlich höher [2]. Zum Verständnis der Pathogenese erfolgt ein kurzer Blick auf die Embryologie: Die paarig angelegten Vv. cardinales an-

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Liegt eine PVLCS vor, ist mit einer deutlich erhöhten Inzidenz an Fehlpositionierungen linksseitig angelegter Jugularvenenkatheter zu rechnen. Bleibt dies unbemerkt, können die Folgen für die Patien­ ten verheerend sein. Sie reichen von der Unwirksamkeit der applizierten Medikamente bis hin zu Pneumonie, Pleuraempyem, Hämato-, Pneumothorax und persistierenden Lungenschäden durch die infundierten Lösungen.

Diagnostik und Therapie Wie der geschilderte Fall zeigt, können beim Vorliegen einer PLVCS perioperative Probleme nicht nur in thorax- und gefäßchirurgischen Bereichen, sondern bei jeder beliebigen Operation, bei der die Indikation zur linksseitigen ZVK-Anlage besteht, auftreten. Bei Aspiration großer Mengen von Flüssigkeit aus dem Tracheobronchialsystem oder der Pleura ist stets an eine Affektion durch den ZVK zu denken. Es sollte in diesem Fall umgehend eine Bildgebung zur Diagnosesicherung veranlasst und der Katheter entfernt werden. Die Therapie hängt von den jeweiligen klinischen Symptomen ab. Weitere, meist gefäßchirurgische Interventio­ nen sind nur selten erforderlich.

Prävention von Komplikationen Von weitaus größerer Bedeutung ist jedoch die Komplikationsprävention. Es soll daher an dieser Stelle die Achtsamkeit bei der ZVK-Anlage betont werden. Der Seldinger-Draht darf auf keinen Fall gewaltsam vorgeschoben werden, um das Risiko einer Gefäßperforation zu minimieren. Wie das Fallbeispiel jedoch zeigt, ist eine Fehlpositionierung unter besonderen Bedingungen auch bei unauffälliger, atraumatischer Anlage des Katheters möglich. Deshalb müsste vor Befahren des Katheters ein Thoraxröntgenbild erstellt werden, falls eine Lagekontrolle der ZVK-Spitze mithilfe des EKG nicht möglich ist. Dies wurde im vorgestellten Fall unterlassen und dürfte in vielen Kliniken auch nicht zur gängigen Praxis gehören. So müsste beispielsweise bei Patienten mit Vorhofflimmern stets nach ZVK-Anlage präoperativ und vor Bestückung des Katheters eine Röntgenkontrolle erfolgen. Die ZVK-Anlage mithilfe der Sonographie kann die Punktion erleichtern und zahlreiche Komplikationen an der Punktionsstelle verhindern. Sie wäre jedoch im vorgestellten Fall keine Lösung gewesen, da sich die Gefäßperforation an der Katheter- bzw. Drahtspitze und somit außerhalb des für die Sonographie zugänglichen Bereichs ereignet hatte. Komplikationen müssen genau dokumentiert werden, um den Patienten vor erneuten Zwischenfällen zu schützen. Neben dem Arztbrief empfiehlt sich hier v. a. die Ausstellung eines Anästhesieausweises, der vom Patienten stets mitgeführt und beim Prämedikationsgespräch vorgelegt werden sollte. Anhand des dort aufgelisteten Risikoprofils kann das anästhesiologische Vorgehen optimal geplant werden (im Fall einer PLVCS in der Regel Verzicht auf eine linksseitige Punktion der V. jugularis interna). Wird im Rahmen der Prämedikation eine Bildgebung veranlasst (Thoraxröntgen), sollte der Anästhesist diese auch bezüglich atypischer Gefäßverläufe sichten. Dieses Vorgehen empfiehlt sich aufgrund der höheren Prävalenz von Gefäßfehlbildungen besonders bei Patienten mit angeborenen Herzfehlern. Hier kann häufig auf bereits vorliegende Bilder zur Darstellung des Operationsbefundes zurückge-

Zusammenfassung · Abstract griffen werden. Auch eine umfassendere Anamnese kann hilfreich sein. Die wichtigste Präventionsstrategie scheint jedoch im Bewusstsein des Anästhesisten für eine PLVCS oder ähnliche Anomalien – auch außerhalb des kardiochirurgischen Settings – zu bestehen. Eine negative EKG-Kontrolle trotz wiederholter Lagekorrektur und unkomplizierter Punktionssituation bei der ZVK-Anlage könnte ein Hinweis sein, zumal bei Patien­ten mit Sinusrhythmus eine EKGLage-Kontrolle möglich sein sollte.

Fazit für die Praxis Die PLVCS ist eine seltene Gefäßanomalie, die für den Patienten jedoch verheerende Folgen bei der ZVK-Anlage haben kann. Da sie asymptomatisch bleibt, ist ihr Vorhandensein in der Regel nicht bekannt. Deshalb muss auf die ­generelle Achtsamkeit bei der ZVK-Anlage und ein Befahren des Katheters möglichst nur nach erfolgreicher ­EKG-Lage-Kontrolle oder Röntgen hingewiesen werden. Kommt es dennoch zur ZVK-Fehllage oder gar Gefäßperforation, sollte der Katheter entfernt und der Patient entsprechend seiner klinischen Symptome behandelt werden. Wichtig ist auch die Sekundärprävention durch die sorgfältige Dokumentation einer PLVCS für folgende Eingriffe.

Korrespondenzadresse Dr. H. Künzig Klinik für Anästhesiologie,   Universitätsklinikum   Regensburg Franz-Josef-Strauß-Allee 11, 93053 Regensburg [email protected]

Einhaltung ethischer Richtlinien Interessenkonflikt.  M. Seemann, N. Zech, M. Kieninger, B. Graf und H. Künzig geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht. Alle Patienten, die über Bildmaterial oder anderweitige Angaben innerhalb des Manuskripts zu identifizieren sind, haben hierzu ihre schriftliche Einwilligung gegeben. Im Fall von nichtmündigen Patienten liegt die Einwilligung eines Erziehungsberechtigen oder des gesetzlich bestellten ­Betreuers vor.

Literatur 1. Albert M, Geissler W (1956) Persistent left superior vena cava and mitral stenosis (German). Z Ges Inn Med 11:865–874 2. Biffi M, Boriani G, Frabetti L et al (2001) Left superior vena cava persistence in patients undergoing pacemaker or cardioverter-defibrillator implanta­ tion: a 10-year experience. Chest 120:139–144 3. Campbell M, Deuchar DC (1954) The left-sided ­superior vena cava. Br Heart J 16:423–439 4. Fang CC, Jao YT, Han SC, Wang SP (2007) Persistent left superior vena cava: multi-slice CT images and report of a case. Int J Cardiol 121:112–114 5. Ge X, Cavallazzi R, Li C et al (2012) Central venous access sites for the prevention of venous thrombosis, stenosis and infection. Cochrane Database Syst Rev 3:CD004084 6. Lennon M, Zaw NN, Poepping D, Wenk M (2012) Procedural complications of central venous catheter insertion. Minerva Aestesiol 78:1234–1240 7. Mehta N, Valesky WW, Guy A, Sinert R (2012) Systematic review: is real-time ultrasonic-guided central line placement by ED physicians more successful than the traditional landmark approach? Emerg Med J 30:355–359 8. Ruesch S, Walder B, Tramèr MR (2002) Complications of central venous catheters: internal jugular versus subclavian access – a systematic review. Crit Care Med 30:454–460

Anaesthesist 2014 · 63:231–233 DOI 10.1007/s00101-014-2304-0 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014 M. Seemann · N. Zech · M. Kieninger · B. Graf · H. Künzig

Anlage eines zentralen Venenkatheters bei persistierender V. cava superior sinistra Zusammenfassung Es wird über die Anlage eines zentralen Venenkatheters (ZVK) bei einem Patienten mit nichtbekannter persistierender linker V. cava superior (PLVCS) berichtet. Die PLVCS bleibt in aller Regel asymptomatisch, kann jedoch im Rahmen der ZVK-Anlage mit verheerenden Folgen für den Patienten assoziiert sein. Hierunter zählen z. B. Gefäßperforation und Lungenschädigung. Besonders häufig tritt die PLVCS in Verbindung mit kongenitalen Herzfehlern auf. Allerdings können auch gesunde Patienten betroffen sein. Da ihr Bestehen in aller Regel nicht bekannt ist, muss bei jedem Patienten besondere Achtsamkeit bei der ZVK-Anlage geboten sein. Schlüsselwörter Anästhesie · Kardiovaskuläre   Abnormalitäten · Thoraxröntgen ·   Sonographie · Jugularvenen

Placement of a central venous catheter in cases of persistent left superior vena cava Abstract This article presents a case report on the placement of a central venous catheter (CVC) in a patient with an unknown persistent left superior vena cava (PLSVC). Normally, PLSVCs remain asymptomatic but can be associated with disastrous consequences for the patient during placement of a CVC particularly due to vascular perforation and pulmonary injury. A PLSCV is particularly common in association with congenital heart defects; however, otherwise healthy patients can also be affected. As the presence of a PLSCV is normally unknown special attention must be paid in every patient during placement of a CVC. Keywords Anesthesia · Cardiovascular abnormalities · Radiography, thoracic · Ultrasonography ·   Jugular veins

Der Beitrag enthält keine Studien an Menschen oder Tieren.

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[Placement of a central venous catheter in cases of persistent left superior vena cava].

This article presents a case report on the placement of a central venous catheter (CVC) in a patient with an unknown persistent left superior vena cav...
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