Leitthema Urologe 2014 · 53:1482–1488 DOI 10.1007/s00120-014-3572-7 Online publiziert: 19. September 2014 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

G. Magistro · C.G. Stief · C. Gratzke Urologische Klinik und Poliklinik, Klinikum der Universität München – Campus Großhadern,   Ludwig Maximilians Universität München

Perioperative Antibiotikaprophylaxe bei großen urologischen Eingriffen

Gemäß den veröffentlichten Daten des statistischen Bundesamtes wurden in Deutschland im Jahr 2012 ca. 51 Mio. Operationen und medizinische Prozeduren bei stationären Patienten durchgeführt [1]. Mit 15,7 Mio. stellen operative Eingriffe die häufigste Maßnahme dar. Unter den 50 häufigsten Operationen im stationären Bereich belegte im Jahr 2012 die transurethrale Resektion der Harnblase mit 92.922 Eingriffen den 8. Rang und die transurethrale Resektion der Prostata mit 75.279 Operationen erreichte Platz 19. Die Gesamtprävalenz der nosokomialen Infektionen stieg in einem Zeitraum von knapp 20 Jahren von 3,5% nur unwesentlich auf 5,1% an [2, 3]. Im gleichen Zeitraum verzeichnete der Gesamtantibiotikabedarf einen Anstieg von 17,7 auf 25,5%. Die höchste nosokomiale Infektionsrate wurde für postoperative Wundinfektionen (24,3%) ermittelt, gefolgt von Harnwegsinfektionen (HWI, 23,2%) und unteren Atemwegsinfektionen (21,7%). Die perioperative Antibiotikaprophylaxe soll als Ergänzung zu grundlegenden Hy­ gienemaßnahmen und aseptischen und gewebeschonenden Operationstechniken die Zahl postoperativer Wundinfektionen reduzieren. Im Rahmen von urologischen Eingriffen umfasst dies auch die Vermei­ dung von HWI. Postoperative Wund­ infektionen erhöhen das Risiko, weite­ re Komplikationen zu entwickeln, erzeu­

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gen zusätzliche Kosten und verlängern die Krankenhausverweildauer. Eine adäquate antimikrobielle Prophylaxe ist somit auch von sozioökonomischer Relevanz für das Gesundheitssystem, da sie Kosten und Komplikationsraten zu senken vermag. Das bedenklich zunehmende Aufkom­ men multiresistenter Bakterien und die seit Jahren stagnierende Neuentwicklung antimikrobieller Substanzen erfordern all­ gemein den rationalen Einsatz von Anti­ biotika. Dies betrifft im Besonderen die perioperative Antibiotikaprophylaxe. Im Rahmen der „Global Prevalence Study on Infections in Urology“ (GPIU) von 2005 bis 2010 wurde die Anwendung der peri­ operativen Antibiotikaprophylaxe­für uro­ logische Prozeduren weltweit untersucht [5]. Interessanterweise wurde für Europa eine Antibiotikaprophylaxe in 56,6% der sauberen, offenen Eingriffe festgestellt, obwohl dies laut europäischer Leitlinie nicht empfohlen wird [11]. Die Deutsche Nationale Punktprävalenzstudie zu no­ sokomialen Infektionen und Antibiotika­ anwendung aus dem Jahr 2011 [4] legte of­ fen, dass zu einem hohen Prozentsatz die perioperative Prophylaxe über den Ope­ rationstag hinaus fortgeführt wird. De­ finitionsgemäß handelt es sich hierbei um eine therapeutische Anwendung und nicht mehr eine prophylaktische Maßnah­ me. Durch Vermeidung dieser nicht evi­ denzbasierten, prolongierten, periopera­ tiven Antibiotikaprophylaxe könnte der Gesamtantibiotikaverbrauch im stationä­ ren Sektor um bis zu 13% gesenkt werden. Der vorliegende Beitrag soll über die Grundlagen und Empfehlungen zur peri­

operativen Antibiotikaprophylaxe bei gro­ ßen, offenen Operationen in der Urologie informieren.

Grundlagen Die perioperative Antibiotikaprophylaxe stellt in der Regel eine kurzzeitige, meist einmalige Gabe eines Antibiotikums kurz vor, bei Beginn oder spätestens während des operativen Eingriffs dar [6, 7]. Die prophylaktische Gabe dient der Vermei­ dung von postoperativen Wundkompli­ kationen. Dabei komplementiert sie ope­ rative Hygienemaßnahmen und adäqua­ te Operationstechniken, kann diese je­ doch nicht ersetzen. Die Indikation zur peri­operativen Antibiotikaprophylaxe wird unter Berücksichtigung der Aspek­ te Wundklassifikation und Risikofakto­ ren gestellt.

Wundklassifikation Die klassische Wundklassifikation opera­ tiver Verfahren basiert auf der Einteilung nach Cruse u. Foord [8]. Hier erfolgt die Einteilung der Kontamination des Opera­ tionsgebiets in vier Gruppen von „sauber“, zu „sauber kontaminiert“, über „kontami­ niert“ bis hin zu „schmutzig“ [7]: F Saubere (aseptische) Eingriffe: z. B. primär sterile Eingriffe, keine Eröff­ nung eines kontaminierten Hohl­ raumsystems (Respirations-, Gastro­ intestinal- und Urogenitaltrakt), asep­ tisches Operationsgebiet, atraumati­ sche Operationstechnik, Verschluss der Wunde durch Primärnaht.

Leitthema Tab. 1  Wundklassifikation modifiziert für offene urologische Eingriffe. (Nach [9]) Kategorie Sauber

Sauber   kontaminiert A

Risiko einer Wundinfektion 1–4%

4–10%

Sauber   kontaminiert B Kontaminiert

10–15%

Schmutzig

15–40%

Beschreibung

Offene oder laparoskopische Eingriffe

Keine Infektion keine Entzündung geschlossener Urogenitaltrakt regelrechter Operationsverlauf Urogenitaltrakt eröffnet mit keiner/  geringer (kontrollierter) Kontamination regelrechter Operationsverlauf

Nephrektomie skrotale Chirurgie Vasektomie Varikozele Pyeloplastik partielle Nephrektomie Nephroureterektomie radikale Prostatektomie Adenomenukleation Blasenteilresektion Harnableitung Dünndarm Ileumneoblase Ileumkonduit Harnableitung Kolon gastrointestinale Erkrankung Traumachirurgie

Gastrointestinaltrakt eröffnet mit keiner/ geringer (kontrollierter) Kontamination regelrechter OP-Verlauf Kontamination aus Urogenitaltrakt und/ oder Gastrointestinaltrakt entzündliches Gewebe komplizierter Operationsverlauf frische traumatische Wunde Vorbestehende Infektion Darmperforation alte traumatische Wunde

Eingriffe bei HWI Abszessdrainage ausgedehnte schmutzige Traumachirurgie

Empfehlung zur Antibiotikaprophylaxe Nein

Ja

Ja

Ja

Infektion bereits unter Behandlung

HWI Harnwegsinfektionen.

Tab. 2  Risikofaktoren für postoperative Wundinfektionen. (Nach [6]) Patienteneigene Faktoren – Alter – Diabetes mellitus – Immuninkompetenz – Reduzierter Allgemeinzustand – Übergewicht – Mangelernährung – ASA-Score >2 – MRSA/MSSA-Träger – Fieber/Schüttelfrost innerhalb einer Woche vor der Operation – Weibliches Geschlecht bei Eingriffen am Kolon – Kardiochirurgie – Männliches Geschlecht nach Trauma in der Gefäßchirurgie, bei Kniegelenkersatz – Dialysepatienten – Hepatitis – Stoma – Drogenabusus – Infektion anderer Lokalisation – Arterielle Mangeldurchblutung – Periphere Ödeme – Lymphangitis – Neuropathie – Vorausgegangene Antibiotikatherapie – Rauchen – Linksherzversagen nach koronarem Bypass – Bakterielle Translokation bei Laparatomie – Rheumatoide Arthritis – Zirrhose

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Chirurgische Faktoren Präoperativ – Notfalloperation – Längerer präoperativer Krankenhausaufenthalt – Falsche Wahl des   Antibiotikums – Zeitpunkt der Antibiotikagabe: mehr als 2 h zu früh oder spät – Wundklassifikation   „kontaminiert-schmutzig“ – Vorbestrahlung – Hochrisikooperation – Rezidiveingriff – Steine im Gallengang,   Gallengangsverschluss – Erhöhte Werte für   C-reaktives Protein – Fremdkörperimplantation – Rasur nicht unmittelbar vor Operation – Präoperativer Urinkatheter – Vorausgegangene Eingriffe

Intraoperativ – Erfahrung des Chirurgen – Operationsdauer >2 h – Infizierter Operationsbereich – Kontaminierter   Operationsbereich – Bluttransfusion,   Albuminzufuhr – Lange Anästhesiedauer – Mehr als ein operativer Eingriff – Diathermie – Sauerstoffabfall – Unterkühlung – Wundstapler – Unvorhersehbare   Komplikation – Operationstechnik – Unterkühlung – Ineffektiver Wirkspiegel – Verfahrenswechsel Laparoskopie/Laparotomie – Enterokokken, Enterobakterien – Bacteroides fragilis in der Wunde

Postoperativ – Drainagedauer länger als 3 Tage – Respiratorische Sepsis – Invasive Techniken, Urinkatheter, Thoraxdrainage, Nasensonde – Zentraler Venen-  katheter – Nachweis von Dialyse – Frühe Reoperation wegen Blutungen – „Leak“ der Zerebro-  spinalflüssigkeit – Externer Shunt

Zusammenfassung · Abstract F sauber kontaminierte Eingriffe (be­ dingt aseptisch): z. B. Eingriffe mit Eröffnung des Gastrointestinal-, ­Respirations- und Urogenitaltrakts ohne signifikante Kontamination, Wundverschluss ohne Drainage. F kontaminierte Eingriffe: z. B. Eröff­ nung des infizierten Respirationsoder Urogenitaltrakts, Darmeröff­ nung, traumatische Wunden. F verschmutzte (infizierte) Eingriffe: z. B. Eingriffe mit akuten bakteriellen Infektionen, traumatische Wunden mit devitalisiertem Gewebe, purulen­ te Entzündung im Operationsgebiet Fremdkörperentfernungen, Eröff­ nung von Abszessen, Eingriffe nach Darmperforation, nach verspäteter Behandlung (älter als 4 h), Wundver­ schluss mit anschließender Drainage. Eine perioperative Antibiotikaprophyla­ xe ist indiziert bei den Kontaminations­ graden sauber kontaminiert, kontami­ niert und schmutzig, da in diesen Fäl­ len aufgrund der Erregerexposition des Operationsgebiets das Risiko einer post­ operativen Wundkomplikation gegeben ist. Bei sauberen Eingriffen besteht pri­ mär keine Indikation zur Prophylaxe. Unter aseptischen Bedingung ist die pe­ rioperative Antibiotikaprophylaxe bei Implantationen­von Prothesen (Penispro­ thesen, artifizielle Sphinkter, Hodenpro­ these, Inkontinenzbänder) etabliert, weil eine postoperative Wundinfektion zum potentiellen Verlust des Implantats und zu schweren Komplikationen führen kann. Urologisch-spezifische Interventionen fanden keine Berücksichtigung in der tra­ ditionellen Wundklassifikation, die im Wesentlichen im Zweiten Weltkrieg ent­ wickelt wurde. Eine überarbeitete Ver­ sion für offene urologische Eingriffe wur­ de vorgeschlagen (. Tab. 1). Die Katego­ rie sauber kontaminiert wurde hierzu wei­ ter unterteilt. Dies wird dadurch begrün­

Urologe 2014 · 53:1482–1488  DOI 10.1007/s00120-014-3572-7 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014 G. Magistro · C.G. Stief · C. Gratzke

Perioperative Antibiotikaprophylaxe bei großen urologischen Eingriffen Zusammenfassung Hintergrund.  Das bedenklich zunehmende Aufkommen multiresistenter Bakterien und die seit Jahren stagnierende Neuentwicklung antimikrobieller Substanzen erfordern mehr denn je einen umsichtigen und rationalen Einsatz von Antibiotika. Bei weiterhin steigender Anzahl operativer Eingriffe nehmen postoperative Wundinfektionen unter den nosokomialen Infektionen den ersten Platz ein. Methode.  Neben grundlegenden Hygienemaßnahmen, aseptischen und gewebeschonenden Operationstechniken stellt die perioperative Antibiotikaprophylaxe einen wesentlichen Bestandteil zur Vermeidung von postoperativen Gewebeinfektionen dar. Sie umfasst eine kurzzeitige, meist einmalige Gabe eines Antibiotikums kurz vor, bei Beginn

oder spätestens während des operativen Eingriffs. Da sie zum Gesamtantibiotikaverbrauch beiträgt und bei unsachgemäßer Anwendung die Resistenzentwicklung fördert, ist eine angemessene und kontrollierte Anwendung notwendig. Indikation.  Die Indikation zur perioperativen Antibiotikaprophylaxe sollte nach der Art des operativen Eingriffs, der Wundklassifikation sowie nach individuellen und operationsbedingten Risikofaktoren gestellt werden. Schlüsselwörter Offene urologische Operationen · Wundinfektion, postoperative · Antimikrobielle Substanzen · Infektion, nosokomiale · Hygienemaßnahmen

Perioperative antibiotic prophylaxis for major urological interventions Abstract Background.  With the emergence of multidrug resistant bacteria reaching alarming levels and the year-long developmental void of new antimicrobial drugs, the rational and appropriate use of antibiotics is of paramount importance. The number of surgical interventions is still increasing so that surgical site infections represent the most frequent form of nosocomial infection. Method.  Fundamental hygiene measures as well as aseptic and tissue-preserving surgical techniques are supported by perioperative antibiotic prophylaxis to prevent surgical site infections. This is accomplished by a single short-term antibiotic administration at the beginning of or at the latest dur-

det, dass die Eröffnung des Harntraktes nach Ausschluss einer Bakteriurie einen sauber kontaminierten Eingriff per de­ finitionem präsentiert, während die Er­

ing the operative intervention. Due to its contribution to the total consumption of antibiotics and when misused to the development of multidrug resistance, an appropriate and controlled perioperative antibiotic prophylaxis is mandatory. Indication.  The indications for perioperative antibiotic prophylaxis depend on the type of surgical procedure, the classification of operative wounds as well as individual patient and operation-related risk factors. Keywords Urological surgery procedure · Surgical site infection · Antimicrobial substances · Infection, nosocomial · Hygiene measures

öffnung des Gastrointestinaltraktes eine quantitativ relevante Erregerexposition zur Folge hat [9].

Leitthema Tab. 3  Allgemeine und spezielle Risikofaktoren für urologische Eingriffe. (Nach [11]) Allgemeine Risikofaktoren Alter Mangelernährung Immuninkompetenz Diabetes mellitus Rauchen Übergewicht Infektion anderer Lokalisation Mangelnde Kontrolle über Risikofaktoren

Tab. 4  Antimikrobielle Substanzen für

die perioperative Antibiotikaprophylaxe. (Nach [6, 7]) Antibiotikum

Dosierung

Ampicillin Ampicillin/  Sulbactam Amoxicillin Amoxicillin/  Clavulansäure Cefazolin Cefotaxim Ceftriaxon Cefuroxim Ciprofloxacin Clindamycin Gentamicin Imipenem/  Cilastatin Levofloxacin Meropenem Metronidazol Piperacillin Piperacillin/  Tazobactam Vancomycin

2 g 2 g/1 g

Halbwertszeit 60 min 60 min

2 g 2 g/0,2 g

60 min 60 min

2 g 2 g 2 g 1,5 g 400 mg 600 mg 240 mg 0,5 g/0,5 g

94 min 60 min 7–8 h 70 min 3–5 h 2,5 h 1,5–2 h 60 min

500 mg 1 g 500 mg 4 g 4 g/0,5 g

7–8 h 60 min 7 h 60 min 45 min

1 g

6 h

Risikofaktoren Neben der Einschätzung des Kontamina­ tionsgrades des Operationsgebiets sind zur Abschätzung des Risikos für post­ operative Wundkomplikationen sowohl patientenbezogene als auch operations­ bezogene Risikofaktoren zu beachten (. Tab. 2). Eine Einteilung in die vier Kategorien patienteneigene, präoperati­ ve, intraoperative und postoperative Risi­ kofaktoren wurde vorgeschlagen [6]. Die Berücksichtigung dieser Risikofaktoren macht eine erweiterte Indikationsstellung zur perioperativen Antibiotikaprophyla­ xe notwendig. Folgende drei Risikofak­

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Risikofaktoren für eine erhöhte Keimbelastung Längerer präoperativer Krankenhausaufenthalt Rezidivierende Urogenitalinfektion Eingriffe mit Kolon Keimbesiedlung Harnblasenkatheterdauerversorgung Obstruktive Blasenentleerung Urolithiasis  

toren wurden mit einem erhöhten Risi­ ko für eine postoperative Wundinfektion identifiziert [10]: F verlängerte Operationszeit, F ASA-Score >2 (American Society of Anesthesiologists), F kontaminierte bis schmutzige ­Wundverhältnisse. Speziell in der Urologie werden die in (. Tab. 3, [11]) dargestellten Aspekte mit einem erhöhten Infektionsrisiko in Ver­ bindung gebracht, wobei folgende drei Risikofaktoren besonders hervorzuheben sind [12]: F liegender Harnblasenkatheter, F Harnwegsinfektionen in der ­Anamnese, F längerer präoperativer Krankenhaus­ aufenthalt.

Durchführung der perioperativen Antibiotikaprophylaxe Um einen optimalen Wirkspiegel des Antibiotikums im Operationsgebiet zu erzielen, sind folgende Aspekte für die Durchführung der perioperativen Anti­ biotikaprophylaxe zu beachten: F Zeitpunkt der Gabe F Operationsdauer F intraoperativer Blutverlust F Wahl des Antibiotikums

Zeitpunkt Die Wundinfektionsrate nimmt mit je­ der Stunde nach Operationsbeginn signi­ fikant zu. Die erforderliche prophylakti­ sche Abdeckung umfasst das Zeitfenster von Operationsbeginn bis Operationsen­ de. Die perioperative Antibiotikaprophy­ laxe sollte daher rechtzeitig verabreicht

werden, d. h. eine intravenöse Gabe wird 30 bis 60 min vor Hautschnitt empfohlen. Der späteste, noch effektive Zeitpunkt besteht intraoperativ bei einem plötz­ lichen Auftreten von Komplikationen (z. B. Darmperforation). Nach Wundver­ schluss kann eine Antibiotikaprophylaxe die Wundinfektionsrate nicht mehr güns­ tig beeinflussen [13, 14, 15].

Operationsdauer Eine einmalige Gabe erscheint ausrei­ chend bei einer Operationsdauer von we­ niger als 2 h. Je nach pharmakokineti­ schen Eigenschaften der antimikrobiellen Substanzen kann eine Folgedosis notwen­ dig sein. Dies ist der Fall, wenn die Opera­ tionsdauer die doppelte Halbwertszeit des Antibiotikums überschreitet. In . Tab. 4 sind Dosierungen und Halbwertszeiten empfohlener Wirkstoffe angegeben [6, 7].

Intraoperativer Blutverlust Bei intraoperativen Blutverlusten von mindestens 1 l wird eine Folgedosis emp­ fohlen, da wirksame Serum- und Gewe­ bekonzentrationen nicht mehr gewähr­ leistet sind [6].

Wahl des Antibiotikums Die Wahl der geeigneten antimikrobiel­ len Substanzen richtet sich nach dem zu erwartenden mikrobiellen Spektrum des Operationsgebiets und der entsprechen­ den lokalen Resistenzentwicklung. Ne­ ben pharmakokinetischen Parametern wie einer guten Gewebegängigkeit soll­ te das Präparat nebenwirkungsarm sein und möglichst kostengünstig. In . Tab. 5 werden je nach offenem urologischem Eingriff das potentielle Erregerspektrum und die empfohlenen Antibiotika abge­ bildet [11].

Perioperative Antibiotikaprophylaxe bei großen urologischen Eingriffen Primäres Ziel der perioperativen Antibio­ tikaprophylaxe bei großen urologischen Operationen ist die Vermeidung von post­ operativen Wundinfektionen und HWI. Insgesamt ist die Datenlage zur Antibio­

Tab. 5  Perioperative Antibiotikaprophylaxe für offene/laparoskopische/roboterassistierte

Operationen. (Nach [11]) Kategorie

Keimspektrum

Sauber

Hautpathogene (Staphylokokken) katheterassoziierte Uropathogene Enterobacteriaceae Enterokokken Staphylokokken

Sauber   kontaminiert A Sauber   kontaminiert B Kontaminiert

Prothetik

Enterobacteriaceae Enterokokken Anaerobier Hautpathogene Enterobacteriaceae Enterokokken Anaerobier Hautpathogene Hautpathogene   (Staphylokokken)

Perioperative Antibiotikaprophylaxe Nein

Antibiotika

Anmerkung



Nur bei   Risikofaktoren

Ja

Cephalosporin   Gruppe 2 oder 3 TMP ± SMX Aminopenicillin/BLH Cephalosporin   Gruppe 2 oder 3 Metronidazol



Ja

Cephalosporin   Gruppe 2 oder 3 Metronidazol

Vergleiche Kolon-  chirurgie

Ja

Cephalosporin   Gruppe 2 oder3 Penicillin   (penicillinasefest)



Ja

Vergleiche Kolon-  chirurgie

TMP±SMX Trimethoprim mit/ohne Sulphamethoxazol (Cotrimoxazol), BLH Betalaktamasehemmer.

tikaprophylaxe bei offenen, laparoskopi­ schen oder roboterassistierten urologi­ schen Eingriffen unzureichend [16]. Eine Adaptation an die Wundklassifiaktion nach Cruse u. Foord [8] ist für offen uro­ logische Eingriffe hilfreich und folgende Empfehlungen lassen sich hieraus ablei­ ten (. Tab. 1, 5):

Saubere Eingriffe Dies umfasst die radikale Nephrektomie, skrotale Eingriffe, Vasektomie und Vari­ kozele. Bei insgesamt schwacher Daten­ lage für urologische Operationen ergibt sich für Patienten ohne Risikofaktoren kein Vorteil einer Antibiotikaprophyla­ xe bei „sauberen“ Eingriffen. Daher wird eine standardmäßige perioperative Anti­ biotikaprophylaxe nicht empfohlen.

Sauber kontaminierte Eingriffe (Eröffnung des Harntraktes) Hier sind die partielle Nephrektomie, die Nephroureterektomie, die Nierenbecken­ plastik, die radikale Prostatektomie, die offene Adenomenukleation und Eingrif­ fe an der Harnblase (z. B. Teilresektion) zu subsumieren. Aussagekräftige Daten stehen für diese Eingriffe nicht ausrei­ chend zur Verfügung. Eine einmalige peri­operative Antibiotikaprophylaxe wird hier empfohlen. Sie sollte als potentielles Keimspektrum Enterobacteriacea, Ente­ rokokken und Staphylokokken abdecken.

Sauber kontaminierte Eingriffe   (Eröffnung des Gastrointestinaltraktes) Dazu zählen Formen der Harnableitung unter Verwendung von Darmsegmenten

des Dünndarms wie beispielsweise Ileum­ konduit oder der orthotope Blasenersatz mittels Ileumneoblase. Für urologische Prozeduren ist diesbezüglich die Daten­ lage schwach, doch lassen sich Empfeh­ lungen aus der Viszeralchirurgie ableiten. Eine perioperative Antibiotikaprophylaxe sollte durchgeführt werden, wobei neben den pathogenen Erreger wie Enterobacteriacea, Enterokokken und Staphylokok­ ken auch Anaerobier berücksichtigt wer­ den müssen. Der Nutzen einer prolon­ gierten Antibiotikaprophylaxe über 24 h steht für den orthotopen Blasenersatz mit Ileumneoblase zur Diskussion.

Kontaminierte und schmutzige Eingriffe Eine vorbestehende Bakteriurie oder eine wesentliche Kontamination mit Darmin­ halt, wie es bei Harnableitungen mit Ab­ schnitten des Kolons möglich ist, trifft bei kontaminierten Eingriffen zu. Dazu zäh­ len auch Operationen bei entzündlichem Gewebe, frischen traumatischen Wunden oder bei kompliziertem Operationsver­ lauf. Im Falle von schmutzigen Eingriffen liegen z. B. eine HWI, Darmperforation oder alte traumatischen Wunden schon vor. Eine ausgedehnte operative Wund­ versorgung im Rahmen der Traumachi­ rurgie, Abszessdrainage und Eingriffe an bereits infiziertem Gewebe sind Bestand­ teil schmutziger Operationen. Da bereits eine Infektion vorliegen kann (kontami­ niert) oder nachweislich bereits zutrifft (schmutzig), ist diese präoperativ mit einer adäquaten antimikrobiellen Thera­ pie zu behandeln. Eine verlängerte anti­ mikrobielle Therapie nach Intervention kann notwendig sein.

Prothetik Desinfektion und sterile Operationstech­ nik sind neben sauberen/aseptischen

Leitthema Wundverhältnissen Grundvoraussetzung der prothetischen Chirurgie. Da jedoch die Konsequenzen einer Wundinfektion komplikationsreicher sind und zum Ver­ lust des Implantats führen können, wird in diesem Fall eine perioperative Anti­ biotikaprophylaxe empfohlen. Besonders Staphylokokken sind hier als mögliche Er­ reger zu bedenken.

Endokarditisprophylaxe Ergänzend zu den angeführten Erläu­ terungen sind Patienten mit einem er­ höhten Risiko für die Entwicklung einer Endokarditis für die Wahl des Antibio­ tikums im Rahmen der perioperativen Prophylaxe­ zu berücksichtigen. Zu den Hochrisikopatienten zählen Patienten mit Zustand nach Herzklappenersatz (mecha­ nisch, bioprothetisch), mit infektiöser En­ dokarditis in der Anamnese und Patien­ ten mit angeborenen Herzfehlern [17]. Neben Staphylokokken oder Streptokok­ ken müssen Enterokokken als mögliche pathogene Erreger bei urologischen Ein­ griffen in Betracht gezogen werden. Als Antibiotika der Wahl gelten Aminopeni­ cilline (Ampicillin, Amoxicillin). Alterna­ tiv ist auch Vancomycin möglich. Dies ist bei der Wahl der perioperativen Antibio­ tikaprophylaxe umzusetzen.

Fazit für die Praxis F Primäres Ziel der perioperativen Antibiotikaprophylaxe bei großen urologischen Operationen ist die Vermeidung von postoperativen Wundinfektionen und Harnwegsinfektionen. F Die perioperative Antibiotikaprophylaxe stellt in der Regel eine kurzzeitige, meist einmalige Gabe eines Antibiotikums kurz vor, bei Beginn oder spätestens während des operativen Eingriffs dar. F Sie komplementiert operative Hygienemaßnahmen und adäquate Operationstechniken, kann diese jedoch nicht ersetzen. F Die Indikation zur perioperativen Antibiotikaprophylaxe sollte nach der Art des operativen Eingriffs, der Wundklassifikation sowie nach indivi-

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duellen und operationsbedingten Risikofaktoren gestellt werden.

Korrespondenzadresse G. Magistro Urologische Klinik und Poliklinik, Klinikum der Universität München – Campus Großhadern, Ludwig Maximilians Universität München, Marchioninistraße 15, 81377 München [email protected]

Einhaltung ethischer Richtlinien Interessenkonflikt.  G. Magistro, C.G. Stief und ­ C. Gratzke geben an, dass kein Interessenkonflikt   besteht. Dieser Beitrag beinhaltet keine Studien an Menschen oder Tieren.

Literatur   1. Statistisches Bundesamt (Hrsg) 2013. Wiesbaden. Fallpauschalenbezogene Krankenhausstatistik (DRG-Statistik) Operationen und Prozeduren der vollstationären Patientinnen und Patienten in Krankenhäusern 2012   2. Robert Koch-Institut (2012) Deutsche Daten im Rahmen der ersten europäischen Prävalenzerhebung zum Vorkommen nosokomialer Infektionen und zur Antibiotikaanwendung. Epidemiol Bull 26:239–240   3. Behnke M, Hansen S, Leistner R et al (2013) Nosocomial infection and antibiotic use: a second national prevalence study in Germany. Dtsch Arztebl Int 110(38):627–633   4. Nationales Referenzzentrum für die Surveillance von nosokomialen Infektionen (NRZ) (2013) Deutsche Nationale Punkt-Prävalenzstudie zu nosokomialen Infektionen und Antibiotika-Anwendung 2011 Abschlussbericht. NRZ, Berlin   5. Cek M, Tandogdu Z, Naber K et al (2013) Antibiotic prophylaxis in urology departments, 2005–2010. Eur Urol 63(2):386–394   6. Wacha H, Hoyme U et al (o J) Perioperative Antibiotika-Prophylaxe. Empfehlung einer Expertenkomission der Paul-Ehrlich-Gesellschaft für Chemotherapie e. V. Chemother J 19:70–84   7. Arbeitskreis der „Krankenhaus- und Praxishygiene“ der AWMF (2012) Perioperative Antibiotikaprophylaxe. AWMF, Düsseldorf. http://www.awmf.org   8. Cruse PJ, Foord R (1980) The epidemiology of wound infection. A 10-year prospective study of 62,939 wounds. Surg Clin North Am 60(1):27–40   9. Grabe M, Botto H, Cek M et al (2012) Preoperative assessment of the patient and risk factors for infectious complications and tentative classification of surgical field contamination of urological procedures. World J Urol 30(1):39–50 10. Culver DH, Horan TC, Gaynes RP et al (1991) Surgical wound infection rates by wound class, operative procedure, and patient risk index. National Nosocomial Infections Surveillance System. Am J Med 91(3B):152–157 11. Grabe M, Bartoletti R, Bjerklund-Johansen TE et al (2014) European Association of Urology Guidelines on Urological Infections. http://www.uroweb.org

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[Perioperative antibiotic prophylaxis for major urological interventions].

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