Kasuistiken HNO 2014 DOI 10.1007/s00106-013-2783-3 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

F. Bast1 · A. Buchal2 · T. Schrom2 1 Craniofacial Surgery, Chelsea and Westminster Hospital, London 2 Klinik für Hals-, Nasen-, Ohrenheilkunde, Kopf- und Halschirurgie/

Plastische Operationen, Helios Klinikum Bad Saarow

Perkutane Dilatationstracheotomie oder Tracheostomie? 2 Kasuistiken

Falldarstellung

Klinischer Befund

Anamnese

Fall 1: Wir sahen eine adipöse Patien­ tin mit kurzem Hals und schwer zu pal­ pierenden anatomischen Strukturen. Der kollabierte Punktionskanal konnte nicht sondiert werden. Durch zahlreiche Gefäß­ operationen der Aorta thoracalis et abdo­ minalis im Rahmen des langstreckigen Aneurysmas lagen Anomalien im Verlauf der großen arteriellen Gefäße zervikal, thorakal und abdominell vor (. Abb. 1). Fall 2: Wir sahen einen adipösen Pa­ tienten mit einem sehr kurzen Hals. Auf das Entfernen der Trachealkanüle bei un­ klarem Stoma wurde präoperativ verzich­ tet.

Berichtet wird von 2 Patienten, welche auf­ grund längerer Beatmungsnotwendigkeit mittels perkutaner Dilatationstracheo­ tomie (PDT) versorgt wurden. Fall 1: Es handelte sich um eine 74-jäh­ rige Patientin, die nach einer ausgedehn­ ten Bauchaortenaneurysma-Op. auf der Intensivstation zunächst mit einer PDT nach Ciaglia versorgt wurde. Aufgrund einer Kanülendislokation mit fehlgeschla­ gener Rekanülierung musste die Patien­ tin reintubiert werden, und es erfolgte die konsiliarische Vorstellung zur Umwand­ lung in ein plastisches Tracheostoma. Fall 2: Hierbei handelte es sich um einen­72-jährigen Patienten, welcher auf­ grund einer Cholezystolithiasis mit aku­ ter Cholezystitis und beginnender Peri­ tonitis operativ durch die Kollegen der Allgemeinchirurgie versorgt wurde. Bei massiver intraoperativer Blutung, post­ operativem Nierenversagen und ausge­ prägten Pleuraergüssen beidseits erfolgte zuerst die Intubation. Bei anhaltender res­ piratorischer Globalinsuffizienz und feh­ lendem Weaning-Potenzial erfolgte die PDT nach Ciaglia. Da auch im intensiv­ medizinischen Verlauf das Weaning vom Respirator nicht gelang, erfolgte die kon­ siliarische Vorstellung zur Anlage eines plas­tischen Tracheostomas.

der Punktionsstelle zeigte sich ein gro­ ßes, pulsierendes Gefäß (. Abb. 2). So­ wohl das Gefäß als auch die Punktions­ stelle wurden durch einen prälaryngealen Muskellappen gedeckt, und das plastische Tracheostoma wurde zwischen 1. und 2. Knorpelspange neu angelegt. Fall 2: Intraoperativ zeigte sich nach Darstellung der Tracheavorderwand, dass die Punktion direkt unterhalb des Schildknorpels erfolgt war (. Abb. 3). Die Membrana cricothyroidea konnte

Diagnostik Aufgrund der vorliegenden Klinik er­ folgte bei beiden Patienten die chirur­ gische Umwandlungstracheostomie. Bei unserem 2. Patienten erfolgte zuerst die orotracheale Umintubation, abschließend wurde die Trachealkanüle entfernt. Hier zeigte sich auf den ersten Blick ein weiter, stabiler, reizloser, aber sehr tiefer Punkti­ onskanal.

Therapie und Verlauf Fall 1: Intraoperativ zeigte sich ein großer Defekt der Tracheaseitenwand unterhalb der 3. Knorpelspange. Direkt unterhalb

Abb. 1 8 CT-Angiographie der Aorta thoracalis und abdominalis mit Darstellung der A. carotis communis sinistra (Fall 1) HNO 2014 

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Abb. 2 8 Intraoperativer Befund mit Darstellung des Punktionsdefekts mit sichtbarem Tubuscuff und freiliegender A. carotis communis sinistra (Pfeil, Fall 1)

nicht mehr gefunden werden. Weiter late­ ral konnte man Reste des sonst komplett arrodierten Ringknorpels tasten. Ebenso fehlten große Teile der 1. Knorpelspange, kaudal war die PDT von der 2. Knorpel­ spange begrenzt. Es erfolgte die Mobilisa­ tion der Haut und mukokutane Anasto­ mose, jedoch wurde die kraniale Naht da­ bei untypischerweise am Schildknorpel gesetzt. Eine erneute Tracheostomie wei­ ter kaudal, also zwischen 2. und 3. Tra­ chealspange, erschien aufgrund des gro­ ßen Defekts mit nahezu fehlendem Ring­ knorpel und 1. Trachealspange sowie sehr kurzem Hals als nicht sinnvoll. Beide Patienten wurden postoperativ auf der Wach- bzw. Intensivstation über­ wacht. Es erfolgte eine tägliche intensi­ ve Stomapflege mit einer jodhaltigen Sal­ be sowie eine antibiotische Abschirmung mit Cefuroxim 3-mal 1,5 g täglich i.v. für 5 Tage. Der 1. Kanülenwechsel wurde am 3. postoperativen Tag durchgeführt. Die Fädenentfernung erfolgte am 12. postope­ rativen Tag. Die weitere Stomapflege und ein regelmäßiger Kanülenwechsel wur­ den bei Verlegung dringend empfohlen. Bei beiden Patienten erfolgte 10 Wochen postoperativ eine Kontrolle in unserer Klinik. Es zeigte sich in beiden Fällen ein weites, stabiles Stoma, und der Kanülen­ wechsel war auch durch die Pflegekräfte der betreuenden Rehabilitationseinrich­ tungen gut möglich.

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Abb. 3 8 Großer Punktionsdefekt direkt unterhalb des Schildknorpels mit arrodiertem Ringknorpel (Pfeil, Fall 2)

Diskussion Die Tracheotomie ist eine der ältesten chi­ rurgischen Prozeduren und wurde wahr­ scheinlich schon etwa 2900 v. Chr. zur Si­ cherung des Luftwegs im alten Ägypten durchgeführt. Gerade in den letzten 25 Jahren haben sich die zur Verfügung ste­ henden Techniken und die Indikations­ stellung zu einer Tracheotomie stark ge­ ändert. Die Vorteile einer frühzeitigen Tracheotomie bei beatmungspflichti­ gen Patienten gegenüber der orotrachea­ len Intubation sind in der Literatur viel­ fach beschrieben worden. Eine Tracheo­ tomie kann als Punktionsminitracheo­ tomie, als PDT oder als offene chirurgi­ sche Tracheostomie durchgeführt werden. Die offene Tracheostomie beinhaltet die Schaffung einer mukokutanen Anasto­ mose zwischen Haut und Trachealwand. Dafür wird die Trachealvorderwand ein­ geschnitten und mit der Haut anastomo­ siert, eine mukokutane Anastomose ent­ steht. Die chirurgische Tracheostomie schafft somit ein unmittelbar stabiles Sto­ ma, das einen sicheren und kontrollierten Kanülenwechsel zu jedem Zeitpunkt er­ möglicht [1, 3, 9, 10]. Mit der Häufigkeit einer chirurgi­ schen Intervention steigen auch die auf­ tretenden Komplikationen. Die PDT ist mit mehr als 30.000 Anwendungen pro Jahr in Deutschland das zahlenmäßig be­ deutendste Tracheotomieverfahren. Kom­ plikationen und die Notwendigkeit einer chirurgischen Revision nach erfolgter

PDT bleiben daher nicht aus. Aber neben auftretenden Komplikationen im Rah­ men der PDT kann auch die falsche Indi­ kationsstellung einer PDT erst im Verlauf eine Umwandlungstracheostomie not­ wendig machen. Gerade in ambulanten Beatmungsheimen oder Rehabilitations­ kliniken kann der Kanülenwechsel nach PDT abenteuerlich werden, da medizi­ nisch speziell geschultes Personal und die spezielle Ausrüstung oft fehlen und eine permanente ärztliche Betreuung sehr häu­ fig nicht gegeben ist [1, 4, 6, 7]. Insgesamt ist die in der Literatur be­ schriebene Rate relevanter und lebens­ bedrohlicher Komplikationen sowohl bei der PDT als auch bei der chirurgischen Tracheostomie gering. Die Komplikati­ onen werden in perioperative (24 h postope­ rativ) und späte Komplikationen (>6 Mo­ nate postoperativ) eingeteilt. Als häufig­ ste perioperative Komplikationen bei der PDT sind Blutungen, Knorpelspangen­ bruch, Tubusfehllagen, Verletzungen der Tracheahinterwand, subkutane Emphy­ seme und Spannungspneumothorax zu nennen. Postoperative Komplikationen beinhalten lokale Infektionen, die bei je­ der Art der Tracheotomie auftreten kön­ nen, bei der offenen Tracheostomie aller­ dings häufiger beobachtet werden. Wei­ tere postoperative Komplikationen sind Granulationen oder eine Tracheomalazie. Trachealstenosen sind gefürchtete späte Komplikationen nach Tracheotomie, die in Höhe der Kanülenblockung oder im

Zusammenfassung · Abstract Bereich der Tracheaeröffnung auftreten können und unabhängig vom Verfahren sind [1, 3, 4, 6, 7]. Voraussetzung für eine niedrige Kom­ plikationsrate eines Eingriffs ist die kon­ sequente Beachtung der Indikationen und Kontraindikationen für das jeweilige Ver­ fahren. Kontraindikationen für eine PDT sind u. a. Notfallsituationen, fehlende Tracheoskopie- bzw. Bronchoskopiemög­ lichkeit, schwierige anatomische Bedin­ gungen, instabile Frakturen der Halswir­ belsäule, frische Tracheal- oder Bronchus­ nähte, demographische Faktoren (z. B. Kinder und Jugendliche), Voroperationen am Hals mit erheblicher Narbenbildung sowie schwere Gerinnungsstörungen und hochgradige Kreislaufinstabilität. Zusätz­ lich sollte bei einer geplanten Verlegung des Patienten auf eine periphere Station, in eine Rehabilitations- oder Pflegeein­ richtung oder die Entlassung nach Hau­ se, wenn kein sicherer Atemweg vorhan­ den ist, auf eine PDT verzichtet und eine chirurgische Tracheostomie angelegt wer­ den. Des Weiteren muss natürlich darauf hingewiesen werden, dass auch die un­ sachgemäße Durchführung der Punkti­ on durch mangelndes anatomisches Ver­ ständnis des Operateurs eine Ursache für eine erhöhte Komplikationsrate im Rah­ men der PDT, aber auch der Tracheosto­ mie darstellt [1, 2, 5, 8, 10]. Die beiden beschriebenen Fälle zei­ gen, wie wichtig es ist, vor der geplanten Durchführung einer PDT die entspre­ chenden Kontraindikationen zur PDT zu beachten. Hier wurden die anatomischen Verhältnisse nicht richtig eingeschätzt. Es handelte sich bei beiden beschriebenen Fällen um adipöse Patienten mit kurzem Hals und schwer zu palpierenden anato­ mischen Strukturen. Ein weiteres wich­ tiges Problem lag in der teilweise falschen Einschätzung der klinischen Gesamtsitu­ ation und der Notwendigkeit einer Lang­ zeitbeatmung. Die Entscheidung, welche Form der Tracheotomie für den zu behandelnden Patienten angelegt wird, sollte in Abhän­ gigkeit von der Indikation im interdiszi­ plinären Team erfolgen [9]. Um schwer­ wiegende Komplikationen zu vermei­ den, müssen dabei die jeweiligen Kontra­ indikationen genauestens beachtet wer­ den. Von großer Wichtigkeit ist zusätz­

lich die möglichst genaue Abschätzung der notwenigen Dauer einer Tracheoto­ mie, auch wenn dies im klinischen Alltag nicht immer möglich ist. Eine Punktions­ minitracheotomie und PDT sind als pas­ sager zu betrachten. Bei voraussichtlicher Längerfristigkeit der Tracheotomie sollte bereits initial eine chirurgische Tracheo­ stomie angelegt werden, da Umwand­ lungstracheostomien aufgrund von Ver­ narbungen, Wundinfektionen, postdila­ tativen Veränderungen und bei unklaren anatomischen Strukturen auch den ver­ sierten Chirurgen vor Probleme stellen können [1–3, 5, 7, 8].

Fazit für die Praxis Die Vorteile einer frühzeitigen Tracheotomie bei beatmungspflichtigen Patienten gegenüber der orotrachealen Intubation sind in der Literatur vielfach beschrieben worden. Im interdisziplinären Konsens sollte jeweils das richtige Verfahren gewählt werden, um dadurch mögliche Früh- und Spätkomplikationen sowie die Notwendigkeit einer Umwandlungstracheostomie zu vermeiden.

Korrespondenzadresse Dr. F. Bast Craniofacial Surgery, Chelsea and Westminster Hospital 369 Fulham Road, SW10 9NH London United Kingdom [email protected]

Einhaltung ethischer Richtlinien Interessenkonflikt.  F. Bast, A. Buchal und T. Schrom geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht. Dieser Beitrag beinhaltet keine Studien an Menschen oder Tieren.

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HNO 2014 · [jvn]:[afp]–[alp] DOI 10.1007/s00106-013-2783-3 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014 F. Bast · A. Buchal · T. Schrom

Perkutane Dilatationstracheotomie oder Tracheostomie? 2 Kasuistiken Zusammenfassung Die perkutane Dilatationstracheotomie (PDT) ist das zahlenmäßig bedeutendste Tracheotomieverfahren, da dieses sowohl von chirurgischen als auch von nichtchirurgischen Fachdisziplinen angewandt wird. Bei richtiger Indikationsstellung stellt die PDT eine schnelle, kostengünstige und einfach reversible Methode dar. Bei falscher Indikationsstellung muss teilweise eine Umwandlungstracheo­ stomie erfolgen. Hierbei können Narbenbildung, Wundinfektionen und unklare anatomische Strukturen eine chirurgische Herausforderung darstellen. Bei voraussichtlich längerfristiger Notwendigkeit der Tracheotomie sollte eine chirurgische Tracheostomie angelegt werden. Schlüsselwörter Tracheostomie · Tracheotomie · Komplikationen · Beatmung · Umwandlungstracheostomie

Percutaneous dilatational tracheotomy or tracheostomy? Two case reports Abstract In terms of numbers, percutaneous dilatational tracheotomy (PDT) is the most important tracheotomy technique since it is applied in surgical and nonsurgical disciplines. Where correctly indicated, PDT is a fast, economical and easily reversible procedure. Incorrect indication sometimes necessitates conversion of a PDT into a conventional surgical tracheostomy. In these cases scarring, wound infections and ambiguous anatomical structures can represent a surgical challenge. Where a long-term tracheotomy requirement is predicted, a surgical tracheostomy should be performed. Keywords Tracheostomy · Tracheotomy · Complications · Pulmonary ventilation · Conversion into a surgical tracheostomy

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Kasuistiken   4. Halum SL, Ting JY, Plowman EK et al (2012) A multi-institutional analysis of tracheotomy complications. Laryngoscope 122:38–45   5. Haspel AC, Coviello VF, Stevens M (2012) Retrospective study of tracheostomy indications and perioperative complications on oral and maxillofacial surgery service. J Oral Maxillofac Surg 70:890– 895   6. Karvandian K, Jafarzadeh A, Hajipour A, Zolfaghari N (2011) Subglottic stenosis following percutaneous tracheostomy: a single centre report as a descriptive study. Acta Otorhinolaryngol Ital 31:239– 242   7. Koscielny S, Guntinas-Lichius O (2009) Dilatation tracheotomy update: indications, limitations and management of complications. HNO 57:1291– 1300   8. Madsen KR, Guldager H, Rewers M et al (2011) Guidelines for Percutaneous Dilatational Tracheostomy (PDT) from the Danish Society of Intensive Care Medicine (DSIT) and the Danish Society of Anesthesiology and Intensive Care Medicine (DASAIM). Dan Med Bull 58:C4358   9. Mascia L, Terragni P (2011) Tracheostomy in ICU patients: question of timing is question of indication. Minerva Anestesiol 77:1137–1138 10. Vallamkondu V, Visvanathan V (2011) Clinical review of adult tracheostomy. J Perioper Pract 21:172–176

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In terms of numbers, percutaneous dilatational tracheotomy (PDT) is the most important tracheotomy technique since it is applied in surgical and nonsu...
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