286

Kasuistik

Perampanel in der Behandlung eines Patienten mit Glioblastoma multiforme ohne IHD-1-Mutation und ohne MGMT-Promotor-Methylierung Perampanel in the Treatment of a Patient with Glioblastoma Multiforme without IDH1 Mutation and without MGMT Promotor Methylation Autoren

J. Rösche1, J. Piek2, G. Hildebrandt3, A. Grossmann4, T. Kirschstein1, R. Benecke1

Institute

1

3 4 5

Klinik und Poliklinik für Neurologie, Universität Rostock Chirurgische Klinik und Poliklinik, Abteilung für Neurochirurgie, Universitätsmedizin Rostock Klinik und Poliklinik für Strahlentherapie, Universitätsmedizin Rostock Institut für Diagnostische und Interventionelle Radiologie, Universitätsmedizin Rostock Oscar-Langendorff-Institut für Physiologie, Universitätsmedizin Rostock

Schlüsselwörter

Zusammenfassung

Abstract

"

!

!

Die Zellen maligner Gliome wie des Glioblastoma multiforme (GBM) schütten Glutamat aus, das einen exzitotoxischen Zelltod der umgebenden Neurone bewirkt und so Raum für das Tumorwachstum schafft. Wir berichten über einen Patienten mit GBM, der mit dem AMPA-RezeptorBlocker Perampanel (PER) im Rahmen einer Kombinationstherapie gegen seine fokalen Anfälle behandelt wurde. Der histopathologische Befund der Tumorbiopsie zeigte das Gewebe eines GBM ohne Mutation der Isocitrat-Dehydrogenase 1 (IDH 1) und ohne Methylierung der Promotorregion der O6-Methylguanin-Methyltransferase (MGMT). Die mediane Überlebenszeit nach Tumorresektion in einer Gruppe von Patienten mit GBM und IDH-1Wildtyp sowie ohne Methylierung der Promotorregion der MGMT lag bei 199 Tagen (d. h. ca. 6,5 Monaten). Unser Patient lebte etwa ein Jahr länger. PER wurde gut vertragen, sorgte für Anfallsfreiheit in den letzten 7 Lebensmonaten und steigerte nicht die Toxizität des Temozolomids. Bei der Auswahl von Antiepileptika für die Behandlung von Anfällen bei Patienten mit malignen Hirntumoren sollten die Wirksamkeit, das Interaktionspotenzial und vielleicht auch deren mögliche Effekte auf die Tumorprogression berücksichtigt werden.

Malignant gliomas like glioblastoma multiforme (GBM) release glutamate which causes excitotoxic death to surrounding neurons, thereby vacating room for tumor expansion. We report the case of a patient with GBM treated with the AMPA receptor blocker Perampanel (PER) in combination therapy for partial seizures. Histological work-up of a biopsy showed the tissue of a GBM without mutation of the isocitrate dehydrogenase 1 (IDH1) and without promotor methylation of the O6-methylguanine-DNA methyltransferase (MGMT). In a group of patients with IDH 1 wild type and nonmethylated MGMT a median survival of 199 days after surgery (i. e. 6.5 months) was described. Our patient lived about one year longer. PER rendered our patient seizure-free for at least the last seven months of his life. It was well tolerated and did not increase the toxicity of temozolomide. When choosing an antiepileptic drug (AED) for the treatment of seizures in patients with malignant brain tumors, the efficacy, the tolerability and perhaps possible effects on tumor progression of the AED should be taken into account.

Einleitung

Chemotherapie. Ein anderer Grund für die Auswahl eines bestimmten Antiepileptikums könnte seine mögliche Wirkung auf das Tumorwachstum sein. Insbesondere die Anwendung von Valproinsäure könnte zu einem verlängerten Überleben von Patienten mit Glioblastoma multiforme (GBM) führen [2]. Die Zellen maligner Gliome wie des GBM schütten Glutamat aus, das einen exzitotoxischen Zelltod der umgebenden Neurone bewirkt und so Raum für das Tumorwachstum schafft. Das ausgeschüttete Glutamat trägt auch zur Epileptogenität des Gewebes in der Tumor-

● Glutamat ● Tumorprogression ● Perampanel " "

Key words

● glutamate ● tumour progression ● perampanel " " "

Bibliografie DOI http://dx.doi.org/ 10.1055/s-0034-1399459 Fortschr Neurol Psychiatr 2015; 83: 286–289 © Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York · ISSN 0720-4299 Korrespondenzadresse Dr. med. Johannes Rösche Klinik und Poliklinik für Neurologie, Universität Rostock Gehlsheimer Str. 20 18147 Rostock Johannes.Roesche@ uni-rostock.de

!

Das Lebenszeitrisiko von Patienten mit Hirntumoren für das Auftreten von fokalen epileptischen Anfällen wird mit 20 – 80 % angegeben. Beim derzeitigen Wissensstand unterscheidet sich die medikamentöse Behandlung hirntumorbedingter fokaler Anfälle nicht von der Behandlung von Anfällen anderer Ätiologie [1]. Die Auswahl der Antiepileptika richtet sich daher vor allem nach dem Nebenwirkungsspektrum und den pharmakokinetischen Interaktionen mit der

Rösche J et al. Perampanel in der … Fortschr Neurol Psychiatr 2015; 83: 286–289

Heruntergeladen von: NYU. Urheberrechtlich geschützt.

2

Kasuistik umgebung bei [3]. Die Anwendung des α-Amino-3-hydroxy-5methyl-4-isoxazolpropionat(AMPA)-Rezeptor-Blockers Talampanel führte zu einer 5,7 Monate längeren medianen Überlebenszeit bei Patienten mit GBM verglichen mit einer historischen Kontrollgruppe [4]. Zugegebenermaßen wurde dieser Effekt nur bei der zusätzlichen Anwendung zu Temozolomid und Chemotherapie gesehen, während sich bei der Anwendung von Talampanel bei Patienten mit Tumorrezidiv ohne erneute Radiotherapie oder Chemotherapie kein Effekt auf die Tumorprogression oder die Überlebenszeit der Patienten erkennen ließ [5]. Wir berichten nun über einen Patienten mit GBM, der mit dem AMPARezeptor-Blocker Perampanel (PER) [6] im Rahmen einer Kombinationstherapie gegen seine fokalen Anfälle behandelt wurde.

287

er jedoch eine Plegie des linken Arms, der eine ausgeprägte " Abb. 3, 4). Er erhielt eine Tumorprogression zugrunde lag (● erneute Radiochemotherapie und wurde zusätzlich mit komplementärmedizinischen Mitteln behandelt. Dennoch kam es 14 Monate nach der Biopsie auch zu einer Plegie im Bereich des linken Unterschenkels. Zu diesem Zeitpunkt zeigte sich kernspintomografisch keine sichere weitere Tumorprogression " Abb. 5, 6). 17 Monate nach der Biopsie verschlechterte sich (● sein neurologischer Befund erneut. Er entwickelte eine Dysphagie und wurde schließlich in ein Hospiz aufgenommen, wo er 18 Monate nach der Biopsie verstarb.

Diskussion

!

Ein 48-jähriger Mann kam mit einfach-fokalen motorischen Anfällen im Bereich seines linken Arms und seiner linken Gesichtshälfte zur Aufnahme. Kernspintomografisch zeigte sich ein kleiner Tumor parietal rechts unmittelbar hinter dem motorischen " Abb. 1, 2). Der histopathologische Befund der TumorKortex (● biopsie zeigte das Gewebe eines GBM ohne Mutation der Isocitrat-Dehydrogenase 1 (IDH 1) und ohne Methylierung der Promotorregion der O6-Methylguanin-Methyltransferase (MGMT). Wegen seiner unmittelbaren Nachbarschaft zu einem eloquenten Hirnareal konnte der Tumor nicht reseziert werden. Der Patient erhielt eine Standardchemotherapie mit Temozolomid und eine Radiotherapie mit 60 Gray. Trotz einer antiepileptischen Therapie mit Levetiracetam (LEV) 3000 mg und Pregabalin (PGB) 600 mg kam es bei dem Patienten in der Folge mindestens zweimal pro Woche zu einfach-fokalen motorischen Anfällen mit einer Dauer von etwa 15 Minuten. Daher wurde nach etwa drei Monaten PER in die Therapie eingeführt. Bereits nach zweiwöchiger Behandlung mit PER 2 mg waren die Anfälle in Dauer und Frequenz deutlich reduziert. In den folgenden drei Monaten wurde PER in der Dosis schrittweise auf 8 mg erhöht. In der Folge blieb der Patient für fünf Monate anfallsfrei. Dann kam es zu einem etwa eine Woche anhaltenden Verwirrtheitszustand. Unter der Annahme eines nonkonvulsiven Status epilepticus wurde PER auf 10 mg erhöht. In der Folge blieb der Patient bis zu seinem Tod anfallsfrei und es traten auch keine weiteren Verwirrtheitszustände mehr auf. Neun Monate nach der Biopsie entwickelte

Abb. 1 Magnetresonanztomografie bei Aufnahme. MRT Siemens Avanto, 1,5 T, tra Flair, 5 mm SD.

Angesichts der Tatsache, dass keine Tumorresektion erfolgte und weder eine IDH-1-Mutation noch eine Methylierung der Promotorregion der MGMT vorlag, ist eine Überlebenszeit von 18 Monaten nach Biopsie als ein sehr günstiger Verlauf anzusehen. Die mediane Überlebenszeit der Patienten, die im Rahmen der Studie der European Organisation for Research and Treatment of Cancer (EORTC) [7] mit Radiotherapie und Temozolomid behandelt worden waren, betrug 14,6 Monate. 43 % dieser Patienten hatten eine Methylierung der Promotorregion des MGMT. Die Mediane

Abb. 2 Magnetresonanztomografie bei Aufnahme. MRT Siemens Avanto, 1,5 T, T1 mit Kontrastmittel.

Abb. 3 Magnetresonanztomografie bei Tumorprogression 9 Monate nach Biopsie. MRT Siemens Avanto, 1,5 T, tra Flair, 5 mm SD.

Rösche J et al. Perampanel in der … Fortschr Neurol Psychiatr 2015; 83: 286–289

Heruntergeladen von: NYU. Urheberrechtlich geschützt.

!

Fallbericht

Kasuistik

Abb. 4 Magnetresonanztomografie bei Tumorprogression 9 Monate nach Biopsie. MRT Siemens Avanto, 1,5 T, T1 mit Kontrastmittel.

Abb. 5 Magnetresonanztomografie 14 Monate nach Biopsie. MRT Siemens Avanto, 1,5 T, tra Flair, 5 mm SD.

Abb. 6 Magnetresonanztomografie 14 Monate nach Biopsie. MRT Siemens Avanto, 1,5 T, T1 mit Kontrastmittel.

leptischen Anfälle bei unserem Patienten, bevor PER eindosiert wurde. Natürlich kann auch ein Effekt der komplementärmedizinischen Methoden nicht ausgeschlossen werden. Zumindest bewirkte PER aber bei unserem Patienten Anfallsfreiheit in seinen letzten sieben Lebensmonaten. PER wurde gut vertragen und steigerte nicht die Toxizität des Temozolomids. Es ist daher von einer guten Wirksamkeit und Verträglichkeit bei geringem Interaktionspotenzial auszugehen. Bei der Auswahl von Antiepileptika für die Behandlung von Anfällen bei Patienten mit malignen Hirntumoren sollten die Wirksamkeit, das Interaktionspotenzial und vielleicht auch deren mögliche Effekte auf die Tumorprogression berücksichtigt werden.

Fazit für die Praxis !

Überlebenszeit nach Tumorresektion in einer Gruppe von Patienten mit GBM und IDH-1-Wildtyp und zugleich ohne Methylierung der Promotorregion der MGMT lag bei 199 Tagen (d. h. ca. 6,5 Monaten) [8]. Unser Patient lebte etwa ein Jahr länger. Einschränkend muss gesagt werden, dass die Patienten in der zitierten Studie [8] zumeist noch nicht mit Temozolomid behandelt worden waren. Patienten ohne Methylierung der Promotorregion der MGMT profitieren jedoch wenig von der Zusatzbehandlung mit Temozolomid. In einer Subgruppenanalyse [9] der EORTC-Studie [7] lag der Unterschied der medianen Überlebenszeit im Vergleich zu nur mit Radiotherapie behandelten Patienten bei nur 0,9 Monaten. Das verlängerte Überleben unseres Patienten ist nicht ausschließlich auf die Anwendung von PER zurückzuführen. Allein das jüngere Patientenalter, das Fehlen eines permanenten neurologischen Defizits und der hohe Karnofsky-Index bei Erstdiagnose sowie die initial geringe Tumorgröße dürften zu dem günstigen Verlauf beigetragen haben. PGB könnte ebenso wie Gabapentin die Verzweigtketten-Aminotransferase 1 (BCAT1) supprimieren und so indirekt die Ausschüttung von Glutamat reduzieren, da sowohl das Enzym BCAT1 als auch der Glutamat-Zystin-Austauscher in Gliomzellen hochreguliert ist [10, 11]. Drei von sechs Patienten mit GBM, die mit PGB behandelt worden waren, zeigten keine Tumorprogression innerhalb von 6 Monaten [12]. Allerdings unterdrückte PGB nicht die epi-

Rösche J et al. Perampanel in der … Fortschr Neurol Psychiatr 2015; 83: 286–289

Bei der Auswahl von Antiepileptika für die Behandlung von Anfällen bei Patienten mit malignen Hirntumoren sollten vielleicht neben der Wirksamkeit, den Nebenwirkungen und möglichen Interaktionen mit der Chemotherapie mögliche Effekte auf die Tumorprogression berücksichtigt werden.

Take Home Message Bei der Auswahl von Antiepileptika für die Behandlung von Anfällen bei Patienten mit malignen Hirntumoren sollten vielleicht neben der Wirksamkeit, den Nebenwirkungen und möglichen Interaktionen mit der Chemotherapie mögliche Effekte auf die Tumorprogression berücksichtigt werden.

Interessenkonflikt: J. Rösche war als Berater für EISAI GmbH tätig, erhielt Reisekostenunterstützung von EISAI GmBH und UCB und Forschungsgelder von Pfizer GmbH für ein Investigator initiated Trial sowie ein Vortragshonorar von UCB und EISAI. Die übrigen Autoren haben keine Interessenskonflikte.

Literatur 01 Fröscher W, Kirschstein T, Rösche J. Anticonvulsant therapy in brain-tumor related epilepsy. Fortschritte Neurol Psychiat 2014; 82: 678 – 690 02 Yuan Y, Xiang W, Quing M et al. Survival analysis for valproic acid use in adult glioblastoma multiforme: A meta-analysis of individual patient data and a systematic review. Seizure 2014; 23: 830 – 835

Heruntergeladen von: NYU. Urheberrechtlich geschützt.

288

Kasuistik

09

10

11

12

better than either IDH1 or MGMT alone. Neuro-Oncology 2014; 16: 1263 – 1273 Hegi ME, Diserens A-C, Gortia Th et al. MGMT gene silencing and benefit from temozolomide in glioblastoma. N Engl J Med 2005; 352: 997 – 1003 Buckingham SC, Campbell SL, Haas BR et al. Glutamate release by primary brain tumors induces epileptic activity. Nat Med 2011; 17: 1269 – 1274 Tönjes M, Barbus S, Park YJ et al. BCAT1 promotes cell proliferation through amino acid catabolism in gliomas carrying wild-type IDH1. Nature med 2013; 19: 901 – 908 Maschio M, Dinapoli L, Sperati F et al. Effect of pregabalin add-on treatment on seizure control, quality of life, and anxiety in patients with brain tumour-related epilepsy: a pilot study. Epileptic Disord 2012; 14: 388 – 397

Heruntergeladen von: NYU. Urheberrechtlich geschützt.

03 Sontheimer H. A role for glutamate in growth and invasion of primary brain tumors. J Neurochem 2008; 105: 287 – 295 04 Grossman SA, Ye X, Chamberlain M et al. Talampanel with standard radiation and Temozolamide in patients with newly diagnosed glioblastoma: a multicenter phase II trial. J Clin Oncol 2009; 27: 4155 – 4161 05 Iwamoto FM, Kreisl TN, Kim L et al. Phase 2 trial of talampanel, a glutamate receptor inhibitor, for adults with recurrent malignant gliomas. Cancer 2010; 116: 1776 – 1782 06 Steinhoff BJ. Das neue Antiepileptikum Perampanel. Psychopharmakotherapie 2012; 19: 202 – 208 07 Stupp R, Mason WP, van den Bent MJ et al. Radiotherapy plus concomitant and adjuvant temozolomide for glioblastoma. N Engl J Med 2005; 352: 987 – 996 08 Molenaar RJ, Verbaan D, Lamba S et al. The combination of IDH1 mutations and MGMT methylation status predicts survival in glioblastoma

289

Rösche J et al. Perampanel in der … 2015; 83: 286–289

[Perampanel in the treatment of a patient with glioblastoma multiforme without IDH1 mutation and without MGMT promotor methylation].

Malignant gliomas like glioblastoma multiforme (GBM) release glutamate which causes excitotoxic death to surrounding neurons, thereby vacating room fo...
148KB Sizes 0 Downloads 12 Views