Schwerpunkt Schmerz 2014 · 28:43–64 DOI 10.1007/s00482-013-1384-0 Online publiziert: 19. Februar 2014 © Deutsche Schmerzgesellschaft e.V.   Published by Springer-Verlag Berlin Heidelberg all rights reserved 2014

B. Messerer1 · G. Grögl2 · W. Stromer3 · W. Jaksch4 1 Universitätsklinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin, Medizinische Universität Graz,

LKH-Universitätsklinikum Graz 2 Abteilung für Anästhesiologie und Intensivmedizin, Rudolfstiftung Wien 3 Abteilung für Anästhesiologie und allgemeine Intensivmedizin, Landesklinikum Waldviertel Horn 4 Abteilung für Anästhesie, Intensiv- und Schmerzmedizin, Wilhelminenspital der Stadt Wien

Perioperative systemische Schmerztherapie bei Kindern Österreichische interdisziplinäre   Handlungsempfehlungen zum perioperativen Schmerzmanagement bei Kindern

Allgemeines Bei den Überlegungen zur medikamentösen postoperativen Schmerztherapie spielt der Aspekt, dass viele bewährte Analgetika aus der Erwachsenenmedizin für Kinder nicht zugelassen sind eine entscheidende Rolle (. Abb. 1, 2). Die Studienlage und damit die Evidenz sind eingeschränkt. „Off label use“ bedeutet, dass ein Medikament zugelassen ist, aber anders, als in der Produktlizenz angegeben, verwendet wird. Eine Off-label-Gabe kann im Hinblick auf Indikation, Altersgruppe, Dosierung, Dosisintervall, Applikation oder Gewicht erfolgen [1]. Es handelt sich häufig um routinemäßig verwendete Medikamente; viele sind sogar Säulen der medikamentösen Therapie bei Kindern [2, 3]. Eine Off-label-Medikamentengabe erfolgt überall, wo Kinder behandelt werden [4 – 8]. Üblich und weitverbreitet ist die Gabe v. a. in der Neonatologie, in der bis zu 93% der Kinder ein Medikament „off label“ erhalten, auf pädiatrischen Intensivstationen und in der Onkologie [9, 10]. Der Einsatz basiert auf jahrelangen Erfahrungen und klinischen Studien [2]. Zulassungseinschränkungen dürfen speziell in der perioperativen Schmerztherapie nicht

dazu führen, dass Kindern eine suffiziente Schmerztherapie vorenthalten wird bzw. Kinder unter einem Jahr Medikamente laut Zulassung i.m. verabreicht bekommen (s. Zulassung von Novalgin®). Der „off label use“ ist erlaubt und ggf. geboten, sofern die Verabreichung des Medikaments medizinisch indiziert und erfolgversprechend ist. Dazu muss die Anwendung natürlich dem Stand der medizinischen Wissenschaft entsprechen und eine entsprechende Aufklärung über den „off label use“ erfolgen (s. auch Stellungnahme zum „off label use“ aus rechtlicher Sicht). Gerade Richtlinien bzw. Handlungsempfehlungen medizinischer Gesellschaften können dem behandelnden Arzt Sicherheit bei der Entscheidung zum „off label use“ geben [5, 11]. Von der Pharmaindustrie zu fordern sind auch für Kinder Medikamentenzulassungsstudien, geeignete Darreichungsformen und mehr Informationen, um die Sicherheit, Effektivität und Qualität in der Behandlung dieser vulnerablen Patientengruppe zu erhöhen [2, 4, 7, 10, 12 – 14]. Für eine suffiziente schmerztherapeutische Behandlung entscheidend ist die Erstellung eines klinikeigenen Analgesiekonzepts. Alle an der Therapie betei-

ligten Mitarbeiter müssen darin geschult sein und das Wissen muss durch intensive Fortbildung gefestigt werden [15]. Die Behandlung orientiert sich grundsätzlich an der Stärke der zu erwartenden bzw. erfassten Schmerzen des Kindes [15]. Basis der systemischen Schmerztherapie sind Nichtopioide, die perioperativ regelmäßig, d. h. antizipierend gegeben werden [16]. Die Dosierung muss gewichtsadaptiert erfolgen (bei Adipositas sollte das altersentsprechende Idealgewicht herangezogen werden), Tagesmaximaldosen sind zu beachten. Die Auswahl der Analgetika richtet sich nach dem individuellen Risiko der Patienten bzw. nach der Art der zu erwartenden Schmerzen [17]. So wird für viszerale oder krampfartige Schmerzen Metamizol empfohlen, bei Entzündungsschmerzen oder Weichteilschwellungen gibt es Vorteile für Cyclooxygenase(COX)-Hemmer, die die Prostaglandin(PG)-Synthese hemmen [16]. Bei bestehender oder zu erwartender unzureichender Analgesie müssen Opioide zusätzlich verabreicht werden. Sie werden bedarfsorientiert nach Wirkung bzw. Nebenwirkung titriert. Die Beschränkung auf wenige Analgetika, die in kindergerechter ApplikaDer Schmerz 1 · 2014 

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Schwerpunkt Neugeborene

Säugling

Tage 0 7 14 21 28

Monate 3 4 6 9 11

Arzneistoff

Kleinkind Vorschulkind Monate 12 16 23

Jahre 2345

Schulkind

Jugendliche

Jahre 6 8 9 11

12 14 17

Paracetamol Mefenaminsäure Ibuprofen Naproxen Diclofenac 4-12 LM i.m.

Metamizol S-Ketamin Pregabalin Gabapentin Saft

Tablette

Zäpfchen

i.v.

Abb. 1 8 Zulassungsdaten der Nichtopioide. LM Lebensmonat. (Erstellt von B. Keck, St. Anna Kinderspital, Zentrum für Kinder- und Jugendheilkunde, Wien)

Neugeborene Säugling Arzneistoff

Tage 0 7 14 21 28

Monate 3 6 9 11

Kleinkind

Vorschulkind

Schulkind

Jugendliche

Monate 12 16 23

Jahre 2345

Jahre 6 8 9 11

12 14 17

Tramadol Piritramid Buprenophin Morphin Nalbuphin Hydromorphin Fentanyl Saft

Tablette

Tropfen

i.v.

Abb. 2 8 Zulassungsdaten der Opioide. (Erstellt von B. Keck, St. Anna Kinderspital, Zentrum für Kinderund Jugendheilkunde, Wien)

tionsform und Dosierung zur Verfügung stehen, hat sich bewährt [15]. Über diese Analgetika mit ihrem pharmakologischen Profil müssen, für einen sicheren Einsatz, alle ärztlichen Kollegen genaue Kenntnis haben. Die Applikation der Analgetika sollte in der frühen postoperativen Phase vorwiegend i.v. erfolgen und dann so rasch wie möglich auf eine orale oder evtl. rektale Gabe (bei „Windelkindern“) umgestellt

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Der Schmerz 1 · 2014

werden. Auf i.m.- und s.c.-Injektionen ist zu verzichten [18]. Diese sind schmerzhaft, die Pharmakodynamik und Pharmakokinetik unsicher, für Kinder sind sie besonders traumatisierend und angstauslösend [19]. Kinder können darauf mit einer Unterlassung der Anforderung einer Schmerzmedikation oder einer Verleugnung der Schmerzen reagieren [19]. Wie in der Erwachsenenmedizin sinnvoll, sollten auch bei Kindern prozedu-

renspezifische Empfehlungen für häufige Eingriffe von den beteiligten Abteilungen gemeinsam erarbeitet und schriftlich festgelegt werden. Das Spektrum dieser Konzepte ist dabei überschaubar zu halten, um die Umsetzung zu garantieren und Risiken zu minimieren [20, 21]. Sinnvolle Kombinationen sind COXHemmer mit Paracetamol oder Metamizol. Verschiedene COX-Hemmer sollten nicht kombiniert werden. Laut experimentellen Untersuchungen ist auch die Kombination von Metamizol und Paracetamol sinnvoll [22]. Jedes der hier besprochenen Medikamente birgt ein potenzielles Risiko für die Patienten (s. die aktuelle Diskussion rund um Metamizol oder Diclofenac). Entscheidend ist, dass jeder Therapeut die Kontraindikationen und Nebenwirkungen der von ihm verordneten Medikamente kennt und vor jeder Verordnung die Indikation gegen potenzielle Nachteile abwägt.

Paracetamol Der genaue Wirkmechanismus von Paracetamol ist noch immer ungeklärt. Mehr als ein Wirkmechanismus wird vermutet. Der Ansatz an verschiedenen Systemen des Zentralnervensystems (ZNS) bewirkt wahrscheinlich den Gesamteffekt [23, 24]. Es finden sich signifikante Hinweise für einen zentralen antinozizeptiven Effekt: Paracetamol ist ein Prodrug. Erst der Metabolit AM404 (N-Arachidonylphenolamin), der im ZNS durch Konjugation des deacetylierten Paracetamolderivats p-Aminophenol (entsteht in der Leber) mit Arachidonsäure über die Fettsäureamidhydrolase (FAAH) entsteht, wirkt an CB1-Rezeptoren (Canabinoidrezeptoren) im Gehirn und Rückenmark (RM), inhibiert COX-1 und COX-2 und aktiviert direkt Transient-receptor-potential-vanilloid-subtype-1(TRPV1)-Rezeptoren, die bei der Nozizeption eine große Rolle spielen [24 – 29]. Diese Systeme sind auch bei der Regulation der Körpertemperatur beteiligt [30]. Paracetamol aktiviert auch serotonerge schmerzhemmende Mechanismen an Interneuronen des dorsalen RM, sodass ankommende Schmerzsignale frühzeitig

Zusammenfassung · Abstract Schmerz 2014 · 28:43–64  DOI 10.1007/s00482-013-1384-0 © Deutsche Schmerzgesellschaft e.V. Published by Springer-Verlag Berlin Heidelberg - all rights reserved 2014 B. Messerer · G. Grögl · W. Stromer · W. Jaksch

Perioperative systemische Schmerztherapie bei Kindern. Österreichische interdisziplinäre Handlungsempfehlungen zum perioperativen Schmerzmanagement bei Kindern Zusammenfassung Allgemeines.  Viele Analgetika aus der Erwachsenenmedizin sind für Kinder nicht zugelassen. Zulassungseinschränkungen rechtfertigen speziell in der perioperativen Schmerztherapie dennoch nicht, dass Kindern eine suffiziente Schmerztherapie vorenthalten wird. Die Behandlung orientiert sich grundsätzlich an der Stärke der Schmerzen. Auf i.m.- und s.c.-Injektionen ist aufgrund der Schmerzhaftigkeit generell zu verzichten. Nichtopioide.  Basis der systemischen Schmerztherapie bei Kindern sind Nichtopioide, zuvorderst nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR). Sie sollten prophylaktisch angewendet werden. NSAR sind bei akuten posttraumatischen und postoperativen Schmerzen deutlich wirksamer als Paracetamol. Zudem ermöglichen sie eine Einsparung von Opioiden. Schwere Nebenwirkungen sind bei

Kindern selten, der Einsatz sollte aber u. a. bei einer Leber- und Nierendysfunktion oder Gerinnungsstörung wohlüberlegt sein. Paracetamol sollte in der Schwangerschaft und bei Kindern nur bei entsprechender Indikation eingesetzt werden, da möglicherweise ein kausaler Zusammenhang mit dem Auftreten von Asthma bronchiale besteht. Für eine sichere Dosierung müssen Alter, Körpergewicht, Dauer der Therapie, Tageshöchstdosis und Dosierungsintervalle berücksichtigt werden. Metamizol wird bei Kindern zur Behandlung von viszeralen Schmerzen und von Koliken eingesetzt. Die Agranulozytose als seltene, aber schwerwiegende Nebenwirkung rechtfertigt nach aktuellem Wissensstand keine generelle Ablehnung des kurzfristigen, perioperativen Einsatzes. Opioide.  Bei unzureichender Analgesie durch Nichtopioidanalgetika werden auch

bei Kindern in allen Altersgruppen ergänzend Opioide eingesetzt. Sie sind die Medikamente der Wahl bei mittleren bis starken Schmerzen. In Orientierung an der Wirkung werden sie titrierend appliziert. Ist mit starken Schmerzen über mehr als 24 h zu rechnen, sollte die patientenkontrollierte Analgesie Anwendung finden. Diese erfordert eine umfassende Überwachung durch das Pflegepersonal. S-(+)-Ketamin.  S-(+)-Ketamin ist in der postoperativen Schmerztherapie als Adjuvans anzusehen. Es wird für den Einsatz bei pädiatrischen Sedierungen bzw. Analgosedierungen empfohlen. Schlüsselwörter Off-label-Anwendung · Paracetamol ·   Metamizol · Antirheumatika, nichtsteroidale · Opioidanalgetika

Pediatric perioperative systemic pain therapy. Austrian interdisciplinary recommendations on pediatric perioperative pain management Abstract Background.  Many analgesics used in adult medicine are not licensed for pediatric use. Licensing limitations do not, however, justify that children are deprived of a sufficient pain therapy particularly in perioperative pain therapy. The treatment is principally oriented to the strength of the pain. Due to the degree of pain caused, intramuscular and subcutaneous injections should be avoided generally. Non-opioids.  The basis of systemic pain therapy for children are non-opioids and primarily non-steroidal anti-inflammatory drugs (NSAIDs). They should be used prophylactically. The NSAIDs are clearly more effective than paracetamol for acute posttraumatic and postoperative pain and additionally allow economization of opioids. Severe side effects are rare in children but administration

gehemmt werden [26, 27, 31]. Insbesondere Serotoninrezeptoren vom Typ 5-HT3 spielen dabei eine Rolle [32, 33]. Die Gabe spezifischer 5-HT3-Rezeptor-Antagonisten, die häufig zur Prophylaxe und Therapie von postoperativer Übelkeit und Erbrechen eingesetzt werden, könnte die analgetische Wirkung von Paracetamol hemmen [34].

should be carefully considered especially in cases of hepatic and renal dysfunction or coagulation disorders. Paracetamol should only be taken in pregnancy and by children when there are appropriate indications because a possible causal connection with bronchial asthma exists. To ensure a safe dosing the age, body weight, duration of therapy, maximum daily dose and dosing intervals must be taken into account. Dipyrone is used in children for treatment of visceral pain and cholic. According to the current state of knowledge the rare but severe side effect of agranulocytosis does not justify a general rejection for short-term perioperative administration. Opioids.  In cases of insufficient analgesia with non-opioid analgesics, the complementary use of opioids is also appropriate for chil-

Die Depolarisation afferenter Neurone durch periphere schmerzvolle Stimuli führt zu einer Aktivierung spinaler NMethyl-D-Aspartat(NMDA)-Rezeptoren. Als Reaktion darauf wird NO gebildet und eine neuronale Aktivität verstärkt. Paracetamol blockiert indirekt spinale NMDA- und Substanz-P-Rezeptoren und hemmt die spinale Stickstoffmonoxid(NO)-Produktion durch Hem-

dren of all age groups. They are the medication of choice for episodes of medium to strong pain and are administered in a titrated form oriented to effectiveness. If severe pain is expected to last for more than 24 h, patient-controlled anesthesia should be implemented but requires a comprehensive surveillance by nursing personnel. Ketamine.  Ketamine is used as an adjuvant in postoperative pain therapy and is recommended for use in pediatric sedation and analgosedation. Keywords Off label use · Acetaminophen · Dipyrone · Anti-inflammatory agents, non-steroidal · Analgesics, opioid

mung der NO-Synthetase, sodass in Abhängigkeit vom Schmerzstimulus eine Nozizeption abgeschwächt wird [23, 27, 35 – 37]. Paracetamol senkt auch die Prostazyklinproduktion im ZNS, indem es als reduzierendes Kosubstrat weniger EisenProtoporphyrin-IX-Radikale auf der Peroxidaseseite des Arachidonsäurestoffwechsels zur Verfügung stellt. In der weiDer Schmerz 1 · 2014 

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Schwerpunkt teren Folge werden weniger Tyr385-Radikale auf der COX-Seite gebildet und damit weniger Prostaglandin G2 (PGG2) zu Prostaglandin H2 (PGH2) reduziert, aus dem die anderen PG gebildet werden [27, 38]. Die Peroxidasekonzentration der Umgebung beeinflusst die Effektivität von Paracetamol: Es scheint, dass Paracetamol in einer Umgebung mit einer niedrigen Peroxidkonzentration die PGH2-Synthetase effektiver hemmen kann, z. B. im Gehirn. Peripher und besonders in Entzündungsherden oder Thrombozyten, wo die Peroxidkonzentration hoch ist, ist die Wirkung von Paracetamol stark reduziert [24, 39]. Hinz et al. wiesen bei gesunden Probanden nach, dass nach Gabe von 1 g Paracetamol COX-2 zu 83% gehemmt wurde, also vergleichbar mit der Wirkung nichtsteroidaler Antirheumatika (NSAR) und selektiver COX-2-Hemmer. Eine >95%ige COX-1-Hemmung, die erforderlich wäre, um die Thrombozytenfunktion zu beeinflussen, wurde allerdings nicht erreicht [40, 41]. Durch diese selektive COX-2-Hemmung, die vergleichbar mit Celecoxib und Rofecoxib zu sein scheint, besteht die Möglichkeit, dass auch Paracetamol bei Risikopatienten zu kardiovaskulären Komplikationen führt [42]. Paracetamol wird in der Pädiatrie als Antipyretikum und als Analgetikum bei geringen bis mittelstarken Schmerzen eingesetzt [24, 27]. Es kann rektal, oral oder auch i.v. verabreicht werden. Vorteilhaft ist die fehlende Hemmung der Thrombozytenaggregation ohne nennenswerte gastrointestinale und renale Nebenwirkungen [43]. Die Bioverfügbarkeit nach oraler Gabe liegt bei 63–89% [25]. Die Resorption nach rektaler Verabreichung ist sehr variabel (24–98%). Sie ist abhängig von der Größe der Zäpfchen, ihrer Zusammensetzung, der Anzahl der Applikationen sowie dem rektalen pH-Wert und ist zudem bei Frühgeborenen (FG) besser als bei älteren Kindern und Erwachsenen [25, 38]. Die rektale Steuerbarkeit ist somit schlecht. Die erreichten Plasmaspiegel nach rektaler Applikation sind geringer als nach oraler oder i.v.-Gabe. Die rektale Verabreichung ist folglich den anderen Applikationswegen unterlegen, sodass die i.v.-

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und die p.o.-Anwendung zu bevorzugen sind [27]. Paracetamol wird kaum an Plasmaproteine gebunden, überschreitet die Plazenta wie auch die Blut-Hirn-Schranke und tritt in die Muttermilch über, wobei diese Menge für das Kind bedeutungslos ist [38, 44]. Nach i.v.-Applikation flutet die Sub­ stanz rasch im Liquor an, woraus sich das schnelle Erreichen des analgetischen Wirkungsmaximums nach i.v.-Gabe erklärten könnte [25, 45]. Die parenterale Verabreichung führt zu einer schnelleren Analgesie. Das Ausmaß der Schmerzreduktion scheint bei den i.v.- und p.o.-Applikationsformen jedoch gleich zu sein [46, 47]. Die Pharmakokinetik von Paracetamol weist v. a. in den ersten Lebenswochen deutliche Veränderungen auf [25, 48, 49, 50]. Die Eliminationshalbwertszeit beträgt bei Erwachsenen 2–4 h, 4–6 h bei Neugeborenen (NG) und 11 h bei FG. Für eine sichere Dosierung von Paracetamol müssen Alter, Körpergewicht, Dauer der Therapie, Tageshöchstdosis und Dosierungsintervalle berücksichtigt werden, um Überdosierungen zu vermeiden [38]. Um einen analgetischen und antipyretischen Effekt zu erzielen, sollte die Plasmakonzentration von Paracetamol 10– 20 mg/ml betragen [38, 51]. In den Fachinformationen von Paracetamol-Zäpfchen wird eine rektale Dosis von 10–15 mg/kgKG empfohlen. Birmingham et al. [52] konnten aber an Kindern zwischen dem zweiten und dem zwölften Lebensjahr zeigen, dass eine Initialdosis von 40 mg/kgKG erforderlich ist, um therapeutische Spiegel zu erreichen. Folgt man der Dosisempfehlung des Herstellers, sind somit regelhaft subtherapeutische Wirkspiegel zu erwarten. Pharmakodynamisch wird eine Ladedosis gefolgt von niedrigeren Erhaltungsdosen v. a. bei oraler und rektaler Gabe empfohlen [27, 52]. Bei NG und Säuglingen 3 LM >1 Jahr >6 Jahre

20 20–30 30 40 40 40

15 20 20 15–20 15–20 15–20

12 8–12 8 6–8 6 6

30 45 60 60 75 90; maximal   4 g/Tag

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Oral FG (28.–32. SSW) FG (32.–36. SSW) 0–3 LM >3 LM >1 Jahr >6 Jahre

20 20 20 20 30 30

10–15 10–20 10–20 15 15 15

12 8 6–8 6 6 6

30 60 60 75 90 90; maximal   4 g/Tag

48

6

30

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6

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6 8

60 3 g

6

4 g

Intravenös (Gabe über 15 min) 50 kgKG mit 1 g 1 g Risikofaktoren für Lebertoxizität >50 kgKG ohne 1 g 1 g Risikofaktoren für Lebertoxizität

Der Aspekt der optimalen Dosierung im Hinblick auf die größtmögliche Wirkung und Sicherheit ist nicht eindeutig zu beurteilen. Die hier zusammengefassten Empfehlungen können nach derzeitigem Wissensstand als bestmöglicher Kompromiss diesbezüglich gelten. FG Frühgeborene; LM Lebensmonat; SSW Schwangerschaftswoche.

sonderheit dieser Patientengruppe. Sie verfügen über ein größeres Verteilungsvolumen, die Aktivität des CytochromP450-Systems ist geringer, bis zum neunten Lebensjahr erfolgt eine stärkere Metabolisierung durch Sulfatisierung, bei NG werden bis zu 24,9% unverändert ausgeschieden [38, 48]. Eine Zusammenfassung klinischer Studien, in denen mehr als 32.000 Kinder mit Paracetamol behandelt wurden, zeigt in 0,031% der Fälle einen vorübergehenden Anstieg der Leberenzyme, wobei bei keinem Kind dauerhafte Schäden zu verzeichnen waren [61]. Die protrahierte Gabe therapeutischer Dosen, v. a. im Zusammenhang mit Fieber, Virusinfekten mit stiller Leberbetei-

ligung, Malnutrition, Dehydratation und gleichzeitiger Induktion des CytochromP450-Systems durch Anwendung anderer Medikamente (z. B. Antikonvulsiva wie Carbamazepin und Phenytoin), kann die Glutathionspeicher reduzieren und damit die Toxizitätsanfälligkeit erhöhen [38, 62 – 64]. Das Risiko der Toxizität ist auch bei hepatischen und renalen Begleiterkrankungen erhöht. Kommt es unter Paracetamol zu einem Anstieg des unkonjugierten Bilirubins als Marker der Leberkonjugation, so ist die Dosis zu reduzieren [48, 55]. Zu beachten ist, dass bei der i.v.-Applikationsform eine 10-fache Überdosierung möglich ist, wenn die Einheiten Milligramm und Milliliter verwechselt wer-

den. Aufgrund der Verschreibung in Milligramm und Verabreichung in Milliliter Infusionslösung ist dies insbesondere bei kleinen Kindern leicht denkbar [64]. Bisher erhielten 23 Kinder eine 10-fach zu hohe Dosis. Ein Kind verstarb [66]. Als Antidot bei einer Paracetamol-Intoxikation steht N-Acetylcystein (NAC) zur Verfügung, das einerseits als Gluthationvorläufer fungiert und damit zu einem gesteigerten Glutathionangebot führt und andererseits, wie Glutathion, direkt mit NAPQI reagiert [67]. Es existiert bisher kein weltweiter Konsensus, ab welchem Paracetamol-Serumwert eine NAC-Gabe erfolgen sollte [68]. Der Therapiebeginn muss innerhalb von 8–15 h nach der Intoxikation erfolgen, um die Mortalität zu reduzieren [69, 70]. Die analgetische Wirkung von Paracetamol wird wahrscheinlich oft überschätzt. Die NSAR sind bei akuten posttraumatischen und postoperativen Schmerzen deutlich besser wirksam [71, 72]. Dies findet sich bei Erwachsenen und dürfte auch für Kinder zutreffen [73]. Die Zeit bis zu einer klinisch erfassbaren Wirkung von Paracetamol ist der von Ibuprofen deutlich unterlegen [74]. Studien zeigten, dass NSAR im Vergleich zu Paracetamol nicht nur den Opiatverbrauch deutlich senken, sondern auch eine bessere Analgesie bei weniger opioidinduzierten Nebenwirkungen bewirken [75 – 78]. Auch bei Kindern im Alter von 0–2 Monaten fand sich kein Vorteil, wenn zusätzlich zu Morphin Paracetamol verabreicht wurde [79]. Wird zu Oxycodon Paracetamol i.v. verabreicht, so verbessert sich die Analgesie. Es kommt jedoch zu keiner Opioideinsparung [80]. Tzortzopoulou et al. [81] analysierten 36 Studien mit 3896 Patienten, um die Effektivität einer einmaligen i.v.-Gabe von Paracetamol zu erfassen. Der Opioidbedarf war um 30% geringer als in der Placebogruppe, führte aber zu keiner Abnahme der opioidinduzierten Nebenwirkungen. Bei 37% der behandelten Patienten kam es zu einer deutlichen Verbesserung der Analgesie. Aktuelle Erkenntnisse deuten darauf hin, dass Kombinationen von Paracetamol und NSAR bessere Ergebnisse zeigen als die Einzelgaben [82, 83]. Unklar ist aber der analgetische Nutzen im VerDer Schmerz 1 · 2014 

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Schwerpunkt gleich mit einer alleinigen NSAR-Therapie [84 – 86]. Gazal et al. [87] zeigten an 201 Kindern zwischen 2 und 12 Jahren, dass es nach einer Zahnextraktion durch die Gabe von Ibuprofen bzw. Kombination von Paracetamol und Ibuprofen zu einer signifikanten Schmerzreduktion im Vergleich zu einer alleinigen ParacetamolGabe kommt. In 0,01–0,1% der Fälle kann es bei Erwachsenen nach der Applikation von Perfalgan® zu einer Hypotonie kommen. Die Inzidenz scheint aber bei kritisch Kranken höher zu liegen [88, 89]. Der Wirkmechanismus ist nicht bekannt. Allegaert et al. [90] zeigten in einer retrospektiven Studie, dass es auch bei NG zu einer Senkung der Herzfrequenz, zu einem Abfall des mittleren Blutdrucks und bei 11,1% der Kinder zu einer Hypotonie kommt. Der klinische Stellenwert dieser Beobachtung muss allerdings erst prospektiv und randomisiert verifiziert werden. In den letzten Jahren wurden zahlreiche Studien publiziert, die den möglichen kausalen Zusammenhang zwischen der pränatalen und kindlichen ParacetamolExposition und dem vermehrten Auftreten von obstruktiver Atmung („wheezing“), Asthma bronchiale, Rhinokonjunktivitis, ekzematösen Hautveränderungen sowie erhöhten IgE-Werten im Kindes- und Jugendalter zum Inhalt haben [91, 92]. Die Ergebnisse dieser Publikationen sind widersprüchlich. Für großes internationales Aufsehen hat die von Beasley 2008 in Lancet veröffentlichte Phase-3Studie des ISAAC-Programms gesorgt. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass bei Einnahme von Paracetamol sowohl im ersten Lebensjahr als auch im späteren Kindesalter ein geschlechtsunspezifisches, signifikant erhöhtes Risiko für das Auftreten von Asthma bronchiale, Rhinokonjunktivitis und ekzematösen Hautveränderungen gegeben ist [93]. Die Eltern der 194.555 bzw. 205.487 evaluierten 6- bis 7-jährigen Kinder wurden in dieser Studie retrospektiv mittels Fragebogen gefragt, ob ihr Kind im ersten Lebensjahr Paracetamol gegen Fieber erhalten habe bzw. ob, indikationsunabhängig, Paracetamol innerhalb des letzten Lebensjahrs verabreicht worden

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sei. In dieser retrospektiven Befragung liegen sicherlich auch die methodischen Probleme dieser Studie: F Entwickelten die Kinder Asthma wegen dem verabreichten Paracetamol oder erhielten sie Paracetamol zur Therapie der Asthmasymptomatik? F Es findet sich in der Studie kein Hinweis auf die Ursache des Fiebers, in dessen Rahmen Paracetamol verabreicht wurde (respiratorischer Infekt, Gastroenteritis?) F Wie gut ist eine Medikamentengabe nach einem so langen Zeitraum noch erinnerlich? F Erinnern sich Eltern von kranken Kindern besser an verabreichte Medikamente als Eltern von gesunden Kindern? F Respiratorische Infekte gehen meist mit Fieber einher, das sehr häufig mit Paracetamol behandelt wird. Respiratorische Infekte im Säuglings- und Kleinkindalter sind aber auch eine der wichtigsten Ursachen für das Auftreten von Asthma, sodass eine positive Korrelation zwischen dem Gebrauch von Paracetamol und kindlichem Asthma nicht verwunderlich ist [94 – 99]. Der zugrunde liegende Mechanismus ist bisher nicht ganz geklärt: Paracetamol bewirkt auch in der Lunge eine Verminderung von Gluthation, das eine wichtige Rolle als Schutzmechanismus vor Antioxidanzien darstellt [100 – 102]. Die Cytochrom-P450-Isoenzyme CYP2E1, CYP3A5 und zu 20% CYP3A4 sind in TypII-Pneumozyten, pulmonalen Makrophagen und Epithelzellen zu finden. Insbesondere CYP2E1 scheint pulmonal für die Transformation von Paracetamol in seinen toxischen Metaboliten NAPQI verantwortlich zu sein. Die Bindung von NAPQI an Glutathion führt zu dessen Detoxifikation, andererseits zur Reduktion des freien Glutathions. Aus dem verminderten Spiegel des Antioxidans Glutathion im Respirationstrakt resultiert eine Verschlechterung der respiratorischen antioxidativen Abwehrmechanismen. Sauerstoffradikale führen zu epithelialen Gewebeschäden und zu einer gestörten Mukusproduktion in den Lungen, zu einer gesteigerten Muskelkontraktion der

glatten Muskulatur, einer bronchialen Hyperreagibilität, gesteigerten Gefäßpermeabilität, vermehrten Freisetzung proinflammatorischer Mediatoren und veränderten β-adrenergen Funktion. Diese Mechanismen gehören zur Pathogenese des Asthmas und können durch ein gut funktionierendes System von Antioxi­ danzien wie Gluthation vermieden werden [92]. Ein verminderter Glutathionspiegel kann auch zu einer Verschiebung von Th1- zu Th2-Zellen führen. Die Folge ist eine gesteigerte Immunantwort durch eine vermehrte Produktion von Zytokinen [92]. Ein weiterer möglicher Mechanismus ist die Beeinflussung der COX2-Aktivität und der PGE 2-Produktion durch Paracetamol, sodass wiederum die Balance zwischen Th1- und Th2Zellen gestört wird [92, 101]. Von Bedeutung dürfte auch eine genetische Prädisposition sein, z. B. ein vorliegender Polymorphismus der Gluthation-S-Transferase [103]. In seiner 2011 veröffentlichten retro­ spektiven Studie an 13- bis 14-jährigen Jugendlichen kommt Beasley [93] ebenfalls zu dem Resultat, dass die rezente Einnahme von Paracetamol einen Risikofaktor für das Auftreten von Asthma bronchiale, Rhinokonjunktivitis und ekzematösen Hautveränderungen darstellt. Als Bias ist zu erwähnen, dass Jugendliche mit Asthma bronchiale häufiger fieberhafte Erkrankungen aufweisen, die oft mit Paracetamol behandelt werden. Eine inverse Kausalität kann daher vorliegen. In einer von Bakkeheim et al. [104] durchgeführten prospektiven Geburtenkohortenstudie an 1016 Kindern zeigte sich, dass ein bestehendes Asthma bronchiale und eine allergische Sensibilisierung in einem Alter von 10 Jahren in keinem Zusammenhang mit der Einnahme von Paracetamol während der Schwangerschaft und während der ersten 6 LM stehen. Wurde Paracetamol in der Frühschwangerschaft genommen, so ist das Risiko für das Auftreten einer allergischen Rhinitis jedoch signifikant erhöht. Eine Paracetamol-Therapie in den ersten 6 LM führte bei Mädchen zu einem erhöhten Risiko für eine allergische Sensibilisierung und anamnestisch vorliegende bronchiale Hyperreagibilität.

Hinweise für einen kausalen Zusammenhang zwischen der pränatalen Exposition mit Paracetamol und dem vermehrten Auftreten von obstruktiver Atmung, Asthma bronchiale und erhöhten IgE-Werten im Kindesalter liegen aus zahlreichen retro- und prospektiven Studien vor [105 – 113]. Die ParacetamolEinnahme in der frühen oder auch späten Kindheit und im Schulalter scheint ebenfalls mit der Entwicklung von Atopien und der Aufrechterhaltung von Asthma zusammenzuhängen [91, 114, 115]. Dem gegenüber steht das Ergebnis einer 2010 von Lowe [115] publizierten prospektiven Geburtenkohortenstudie. In dieser Studie konnte kein Zusammenhang zwischen der Paracetamol-Gabe in den ersten beiden Lebensjahren und dem Auftreten von Asthma bronchiale bei genetisch prädisponierten 6- bis 7-jährigen Kindern gefunden werden. Auch in der prospektiven Studie von Kang et al. [116] findet sich kein signifikant erhöhtes Risiko für das Auftreten von Asthma im Kindesalter nach pränataler Paracetamol-Exposition. Aufgrund der widersprüchlichen Datenlage sehen wir derzeit in Übereinstimmung mit den Stellungnahmen der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin, der Schweizerischen Gesellschaft für Pädiatrische Pneumologie und der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) keine Veranlassung, die Therapieempfehlungen für die Verabreichung von Paracetamol bei Säuglingen und Kindern zu verändern [71, 95, 118]: „Paracetamol wirkt analgetisch und hat kaum Kontraindikationen. Der Einsatz sollte aber sehr gut begründet werden, denn für die perioperative Schmerztherapie stehen für die meisten Patienten wirksamere Substanzen aus der Gruppe der NSAR zur Verfügung“ [71, 95]. Die EMA erklärte 2011 [118]: F Gemäß der verfügbaren Evidenz besteht kein kausaler Zusammenhang zwischen der Paracetamol-Einnahme während der Schwangerschaft oder frühen Kindheit und dem Auftreten von Asthma im Kindesalter. F Angesichts der Unsicherheiten bezüglich der derzeitigen Evidenz wird

die regelmäßige Anwendung als nicht notwendig erachtet. F Nur bei entsprechender Indikation sollte Paracetamol in der Schwangerschaft und bei Kindern eingesetzt werden. Auf jeden Fall sollten Anästhesisten, Kinderärzte, Gynäkologen und Allgemeinmediziner mit der Thematik vertraut sein, um sicherstellen zu können, dass die Verabreichung von Paracetamol wohlüberlegt erfolgt. Ebenso ist es erforderlich, die Entwicklung dieses Themas aufmerksam zu verfolgen, um ggf. Handlungsempfehlungen rasch modifizieren zu können.

Metamizol Metamizol gehört zur Gruppe der Pyrazolonderivate. Hauptmetaboliten sind 4-Methyl-Amino-Antipyrin (4-MAA) und 4-Amino-Antipyrin (4-AA; [119]). Die Elimination erfolgt renal. Metaboliten können auch in der Muttermilch nachgewiesen werden [120]. Bei Patienten mit einer eingeschränkten Leber- oder Nierenfunktion ist eine entsprechende Dosisanpassung erforderlich [120]. Metamizol und seine Metaboliten zeigen keine klinisch relevante Interaktion mit anderen Medikamenten [120]. Die Letaldosis LD50 liegt bei ≥1 g/kg. Die therapeutische Breite ist sehr hoch. Von Vorteil ist auch die nur geringe renale, hepatische und gastrointestinale Toxizität bei Überdosierung [121, 122]. Metamizol und dessen Metaboliten passieren die Blut-Hirn-Schranke und sind in der zerebrospinalen Flüssigkeit nachweisbar [123]. Es findet sich dabei eine signifikante Korrelation zwischen der hier und der im Plasma gemessenen Konzentration von 4-MAA wie auch 4-AA und dem analgetischen Effekt von Metamizol [124 – 127]. Obwohl schon 1922 in die klinische Praxis eingeführt, ist wie bei Paracetamol auch für Metamizol der genaue Wirkmechanismus nicht geklärt. Die analgetische, antiphlogistische, antipyretische und spasmolytische Wirkung lässt sich nicht durch einen einzigen Wirkmechanismus erklären. Es finden sich sowohl periphere als auch zentrale Angriffspunkte. So binden die Hauptmetaboliten an Cannabi-

noidrezeptoren (CB1 und CB2) und hemmen peripher nichtselektiv COX-1 und COX-2 [128, 129]. Im Gegensatz zu klassischen COX-Inhibitoren zeigt Metamizol aber nur eine geringe antiinflammatorische Potenz und eine deutlich bessere gastrointestinale Verträglichkeit [130]. Pierre et al. [131] konnten zeigen, dass 4-MAA und 4-AA nicht mit Arachidonsäure um die katalytische Aktivität der COX konkurriert, sondern mit Häm, das als prosthetische Gruppe in der PG-Synthese der COX dient, einen Komplex bildet. Es entstehen Radikalfänger, die Radikale binden, die für die katalytische Aktivität der COX notwendig sind. Für den peripheren antinozizeptiven Effekt von Metamizol wird die Aktivierung der ATP-abhängigen Kaliumkanäle diskutiert [132]. Die lokale Freisetzung von NO und die Aktivierung des NO/ cGMP-Wegs auf peripherer Ebene werden ebenfalls angenommen [133]. Im periaquäduktalen Grau aktiviert Metamizol absteigende Bahnen, die die Nozizeption hemmen; in der Substantia nigra reduziert es die Aktivität nozizeptiver Neurone [125]. Metamizol ist zugelassen für die Behandlung von starken Schmerzen nach Verletzungen bzw. Operationen, zur Therapie von Tumorschmerzen, Koliken und sonstigen Schmerzen, falls andere analgetische Maßnahmen nicht geeignet sind. Auch hohes Fieber, das auf andere Maßnahmen nicht anspricht, ist eine Indikation für den Einsatz [134, 135]. Metamizol besitzt die höchste Potenz der peripheren Analgetika [136]. Die spasmolytische Wirkung ist an der glatten Muskulatur des Sphinkter Oddi, der Gallenblase und der Harnwege mit der von Butylscopolamin vergleichbar [137]. Die analgetische Effektivität ist mit der von Tramadol vergleichbar [137]. Basierend auf den Resultaten von Studien können durch den Einsatz von Metamizol Opioide eingespart werden [138, 139, 140]. Auch bei Kindern wird Metamizol als Antipyretikum und aufgrund der spasmolytischen Eigenschaften zur Behandlung von viszeralen Schmerzen und von Koliken eingesetzt [141]. Offiziell ist es in Österreich ab dem vierten LM bzw. bei >5 kgKG zugelassen. Parenteral sollte, wie oben erwähnt, die Kurzinfusion AnwenDer Schmerz 1 · 2014 

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Schwerpunkt dung finden, keinesfalls die bis zum ersten Lebensjahr zugelassene i.m.-Injektion. Zu den häufigsten Nebenwirkungen von Metamizol zählen allergische Hautreaktionen wie Juckreiz (an den Hand­ innenflächen, Fußsohlen und Kopfhaut) und Urtikaria [119]. Überempfindlichkeitsreaktionen bis hin zum anaphylaktischen Schock sind selten. Eine Gefahr für allergische Reaktionen besteht v. a. bei Patienten mit Asthma oder bekannten Allergien. Eine diesbezügliche Anam­nese muss vor dem Einsatz von Metamizol unbedingt erfolgen. Im Falle eines Erstauftretens einer anaphylaktischen Reaktion hilft aber auch die Frage nach Medikamentenunverträglichkeiten nicht [142]. Nach rascher i.v.-Gabe kann eine arterielle Hypotonie auftreten, die bis zum manifesten Schock führen kann [134]. Das Risiko steigt bei hoher Dosierung, bei vorbestehender Hypotonie oder erhöhtem Risiko hierfür (z. B. bei Hypovolämie oder Schock) sowie bei hohem Fieber [134]. So ist auf einen ausgeglichenen Volumenstatus sowie auf eine langsame Applikation als Dauerinfusion oder als Kurzinfusion über mindestens 10 min zu achten [134]. Metamizol kann eine temporäre Thrombozytenfunktionsstörung bewirken, die jedoch klinisch kaum relevant erscheint [143 – 145]. So ist diese Substanz bei Patienten mit niedriger Thrombozytenzahl oder Gerinnungsstörungen eine gute Wahl [16]. Da Metamizol die enzymatische Aktivität der Diaminoxidase, die für den Abbau von Histamin eine entscheidende Rolle spielt, hemmt, sollte die Metamizolgabe bei bekannter Histaminintoleranz vermieden werden. Die schwerwiegendste Nebenwirkung, die mit Metamizol in Verbindung gebracht wird, ist die Auslösung einer Agranulozytose. Sie ist durch eine Neutrophilenzahl von 1 Woche! [153, 154, 157, 165]). So wird nach längerer Anwendung die Durchführung von Blutbildkontrollen empfohlen [166]. Die Art der Applikation (oral oder i.v.) beeinflusst das Risiko vermutlich nicht [135]. Jede Neutropenie bedeutet ein erhöhtes Infektionsrisiko. Die körpereigene Abwehr bricht zusammen. Bakterielle und virale Infektionen sowie Mykosen können sich ausbreiten und bis zur Sepsis führen [167]. Auf Symptome wie eine Verschlechterung des Allgemeinbefindens, Fieber, Schüttelfrost, Muskelschmerzen und Entzündungen im Bereich der Schleimhäute (Proktitis, Stomatitis, Pharyngitis mit Schluckstörungen, Halsschmerzen und Heiserkeit, Tonsillitis, Schleimhaut- und Hautnekrosen, Nekrosen im Genitalund Analbereich, Auftreten einer Pneumonie) ist unter der Einnahme zu achten [135, 146, 150]. Die Patienten bzw. ihre Eltern müssen über diese Warnsignale aufgeklärt werden [135]. Die Diagnose einer Agranulozyto-

Tab. 2  Dosierungshinweise für Metamizol Applikationsform

Dosierung   (mg/kgKG)

Oral i.v. als Kurz­ infusion Kontinuierlich

10–15–(20)

Maximale   Tagesdosis   (mg/kgKG) (50)–80

2,5 mg/kgKG/h

se wird anhand des peripheren Blutbilds gestellt. Bei gleichzeitiger Anämie oder Thrombozytopenie muss an eine aplastische Anämie oder aleukämische Leukämie gedacht werden [147]. Die Therapie beinhaltet ein sofortiges Beenden der Gabe, den Einsatz von Antibiotika, die symptomatische Therapie von Infektionen und die Gabe des granulozytenkoloniestimulierenden Faktors (G-CSF) oder des Granulozyten-Makrophagen-Kolonie-stimulierenden Faktors (GM-CSF; [149, 150, 158]). Morbidität und Mortalität konnten durch diese Vorgehensweise reduziert werden und liegen derzeit bei etwa 5% [149, 168 – 170]. Schlechte Prognosefaktoren sind eine Neutrophilenzahl von 5 kgKG



Cyclooxygenasehemmer (nichtsteroidale Antirheumatika und COX-2-Hemmer) Zu den COX-Hemmern gehören die Gruppe der NSAR sowie die spezifischen COX-2-Hemmer (Coxibe). Der analgetische, antipyretische und antiphlogistische Effekt dieser Substanzgruppe beruht auf der Beeinflussung der PG- und Leukotriensynthese im peripheren Gewebe wie auch im ZNS durch Hemmung der COX [173]. Die Isoformen COX-1 und COX-2 werden unterschieden [174]. Die kon­stitutive COX-1 findet sich in Zellen bereits unter physiologischen Umständen. So schützt COX-1 die Magenschleimhaut, reguliert die Nierendurchblutung und induziert eine Plättchenaggregation. COX2 hingegen wird im Rahmen einer Verletzung oder Entzündung durch einige Zytokine, Mitogene und Endotoxin induziert [174]. COX-2-Inhibition bedeutet somit entzündungshemmende und analgetische Wirkung. Der analgetische Nettoeffekt dieser Substanzgruppe kann bei Inflammation bzw. Schwellung dem von Opioiden überlegen sein [175]. NSAR spielen bei der Behandlung postoperativer Schmerzen im Kindesalter eine große Rolle und stellen die Basis jedes multimodalen Analgesiekonzepts dar [43, 54, 176 – 181]. Sie sollten dabei, im Gegensatz zu Opioiden, prophylaktisch, d. h. antizipierend, angewendet werden [179, 182]. Der konsequente Einsatz bewirkt eine verbesserte Analgesie und eine Einsparung von Opioiden um 30–50%, wodurch die Inzidenz opioidtypischer Nebenwirkungen reduziert werden kann [183, 187 – 189]. Wird Diclofenac in Kombination mit Metamizol postoperativ in der kleinen Traumachirurgie eingesetzt, können Opioide sogar bis zu 70% eingespart werden [138]. Die NSAR wirken stärker als Paracetamol, sind aber noch als schwache bis mittelstarke Analgetika zu werten [19].

Allen NSAR ist gemeinsam, dass sie die Thrombozytenaggregation vermindern und das Auftreten gastrointestinaler Blutungen begünstigen (COX-1-Hemmung). Über die COX-2-Hemmung können NSAR, aber auch Coxibe über die Reduktion des renalen Blutflusses zur Nierenfunktionseinschränkung führen [19, 190]. Der Einsatz sollte bei Vorliegen einer Leber- und Nierendysfunktion, Hypovolämie oder Hypotonie, Gerinnungsstörung oder akuten Blutung wohlüberlegt sein [19, 182]. Schwere Nebenwirkungen von COXHemmern sind bei Kindern aber selten [182, 191]. Überempfindlichkeitsreaktionen können von allen Substanzen ausgelöst werden. Vorsicht ist auf jeden Fall bei Kindern mit schweren Ekzemen, Polyal­ lergien und bekannten Überempfindlichkeiten auf NSAR geboten [182]. Potenziell kann eine Exazerbation in Form eines Bronchospasmus bei Asthmatikern auftreten. Insgesamt sind schwere Ereignisse jedoch extrem selten und sollen nicht dazu führen, dass Kindern die gute analgetische Wirkung vorenthalten wird [191, 192]. Bei vielen Kindern mit mildem Asthma ist der Einsatz möglich [182, 192, 193]. Bei schwerem akutem Asthma sollen NSAR aber nicht appliziert werden. Wie bereits erwähnt, beeinflussen NSAR über die PG-Synthese den renalen Blutfluss und die glomeruläre Filtrationsrate. Dieser Effekt ist besonders bei renalen Begleiterkrankungen und Dehydratationszuständen zu beachten. Auch die gleichzeitige Verabreichung mit anderen potenziell nephrotoxischen Substanzen muss vermieden werden. In sonst gesunden Kindern ist die Nephrotoxizität von NSAR aber niedrig, bei kurzer Anwendung sieht man keine Auswirkung auf die Nierenfunktion [187, 194]. Auch gastrointestinale Nebenwirkungen sind beim kurzfristigen perioperativen Einsatz vernachlässigbar [195, 196]. Eine Ausnahme bilden nur Kinder mit gastroduodenalen Ulzera in der Anamnese. NSAR beeinträchtigen in unterschiedlichem Ausmaß die Funktion der Blutplättchen. Das Risiko für postoperative Blutungen wurde lange kontrovers diskutiert. Vor allem der Einsatz von NSAR nach einer Tonsillektomie ist GegenDer Schmerz 1 · 2014 

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Schwerpunkt Tab. 3  Dosierungshinweise zu nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR)  

Applikation Oral/rektal

Dosierung (mg/kgKG) 5–10

Ibuprofen

Diclofenac

Intervall (h)

Maximale Tagesdosis (mg/kgKG) 30–40; maximal 2400 mg

8

Oral/rektal

1

8–12

3

Neodolpasse®

3 ml/kgKG

12

Maximal 250 ml 2-mal täglich

Mefenaminsäure

Oral/rektal

6,5 (oral); 12 (rektal)

8

20 (oral); 36 (rektal)

Naproxen

Oral

5–7,5

12

15

Anmerkung Ab drittem LM zugelassen Zulassungsalter ist produktabhängig Zugelassen für Jugendliche über 14 Jahre Ab sechstem LM zugelassen Ab erstem Lebensjahr zugelassen

LM Lebensmonat. Mefenaminsäure ist nur in Österreich zugelassen. Die hier angegebenen Dosierungen entsprechen den Empfehlungen des Herstellers. Referenzen aus der Literatur fehlen zu dieser Substanz.

stand der Diskussion, da eine entsprechende Nachblutung eine lebensbedrohliche Nebenwirkung darstellt. Im Gegensatz zu Erwachsenen kamen verschiedene Studien zu dem Schluss, dass bei Kindern durch den perioperativen Einsatz von NSAR kein erhöhtes Blutungsrisiko bei Tonsillektomien entsteht [197 – 200]. Ein aktueller Cochrane-Review zu diesem Thema besagt aber, dass derzeit die Beweislage nicht ausreichend ist, ein erhöhtes Blutungsrisiko bei Kindern durch den Einsatz von NSAR ganz auszuschließen [201]. Durch die Anwendung kann aber die Häufigkeit von Erbrechen gesenkt werden [201]. NSAR sollten jedenfalls in so niedriger Dosis und so kurz wie möglich eingesetzt werden [196]. NSAR werden auch mit dem Risiko, die Knochenheilung zu verzögern, in Zusammenhang gebracht, da extrem hohe Dosen und eine lange Anwendung (4– 12 Wochen) in Tierversuchen und in Invitro-Untersuchungen primär die Frakturheilung negativ beeinflussten [202 – 204]. Eine klinische Bestätigung fand sich bisher nicht [205, 206]. Nach Möglichkeit sollte die Anwendung auf 30% der antiinflammatorischen und antipyretischen Potenz besitzt. Aufgrund der starken entzündungshemmenden Wirkung findet Diclofenac v. a. bei rheumatischen Erkrankungen Verwendung. Diclofenac steht auch zur parenteralen Anwendung zur Verfügung. Nach rektaler Gabe ist die relative Bioverfügbarkeit höher als bei oraler Applikation, zudem wird die Plasmakonzentration rascher erreicht [218, 219]. Es sollte immer die niedrigste wirksame Dosis über den kürzesten erforderlichen Zeitraum angewendet werden. Die Häufigkeit ernster Nebenwirkungen liegt bei

[Pediatric perioperative systemic pain therapy: Austrian interdisciplinary recommendations on pediatric perioperative pain management].

Many analgesics used in adult medicine are not licensed for pediatric use. Licensing limitations do not, however, justify that children are deprived o...
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