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Fachwissen: Topthema

Patientenautonomie und Aufklärung

Ethische und rechtliche Aspekte der Aufklärung

Barbara Wolf-Braun • Hans-Joachim Wilke

Die Aufklärung gilt als zentrales Element der Beziehung zwischen Arzt und Patient. Ethisch wie juristisch ist sie Voraussetzung für eine informierte und wirksame Einwilligung des Patienten in einen ärztlichen Eingriff, der ohne sie nicht vorgenommen werden darf. Vor allem bei schweren Erkrankungen und bei Maßnahmen, welche die Lebensführung des Patienten entscheidend beeinflussen können, umfasst die Aufklärung weit mehr als eine bloße Informationsvermittlung: In einem dialogischen Prozess soll der Arzt den Patienten bei der Entscheidungsfindung unter Beachtung seiner individuellen Situation und seiner Werte unterstützen. Rechtsgeschichtlicher Hintergrund Es ist heute unstrittig, dass jeder ärztliche Eingriff in die kör­ perliche Integrität des Patienten, in den dieser nicht eingewilligt hat, den Straftatbestand der Körperverletzung erfüllt. Darüber hinaus stellt er – aus Sicht des Zivilrechts – einen Delikt (un­ erlaubte Handlung) dar [1, 2]. ▶ Eine in ärztlicher Eigenmacht durchgeführte Maßnahme ist also trotz ihrer offenkundig kunstgerechten Durchführung in heilender oder gar lebenserhaltender Absicht grundsätz­ lich rechtswidrig. Diese Wertung geht auf eine Entscheidung des Reichsgerichts aus dem Jahre 1894 zurück. Rechtsgeschichtlich reichte nach diesem rich­ tungsweisenden Urteil zunächst die ausdrückli­ che Einwilligung des Patienten in die Maßnahme als Rechtfertigung. Erst wesentlich später wurde zusätzlich eine umfassende und allgemein ver­ ständliche Aufklärung zwingende Voraussetzung für eine rechtlich wirksame Einwilligung. Eine Einwilligung in eine ärztliche Maßnahme ist nur nach ordnungsgemäßer Aufklärung rechtswirksam.

Grund für Aufklärungspflicht Dass eine einfa­ che Zustimmung zu einer angebotenen ärztlichen Maßnahme juristisch nicht (mehr) genügt, grün­ det sich auf dem grundgesetzlich garantierten, unveräußerlichen Recht jedes Menschen auf Leben und körperliche Unversehrtheit und seinem kor­

respondierenden Recht, über Eingriffe in sein Leben und seine körperliche Unversehrtheit selbst zu entscheiden. Im Prinzip wird davon aus­ gegangen, dass nur der Patient wirklich selbst­ bestimmt handeln kann, der durch eine sachge­ rechte Aufklärung in die Lage versetzt wurde, das Ausmaß des potenziellen Nutzens einer ärztli­ chen Maßnahme bzw. das mit ihr einhergehende Risiko für sein Leben und seine Gesundheit gegeneinander abzuwägen. So wichtig, klar und eindeutig dieses mit der Auf­ klärung verfolgte Ziel auch ist, desto schwieriger ist oft seine Umsetzung in der ärztlichen Praxis, wie eine Sichtung der einschlägigen Judikatur belegt.

Nicht nur juristische Aspekte entscheidend Wie oben dargelegt wurde die Aufklärungspflicht entscheidend durch rechtliche Vorgaben in die medizinische Praxis implementiert. Sie sollte jedoch nicht allein unter dem Aspekt der recht­ lichen Verpflichtung betrachtet werden. Diese Sichtweise würde der ethischen Bedeutung der Aufklärung für eine gelingende, als Behandlungs­ und Entscheidungspartnerschaft verstandene Arzt­Patient­Beziehung nicht gerecht. Aus ethischer Perspektive geht es zentral darum, im Aufklärungsgespräch dem Patienten eine autonome Entscheidung überhaupt zu ermöglichen [3–6].

Verankerung in Berufsordnung Die Bindung jeder medizinischen Maßnahme an die vorherige Aufklärung und Einwilligung findet sich nicht nur in der Rechtsprechung (aktuelles Patientenrech­ tegesetz), sondern auch in der standesrechtlichen Berufsordnung für Ärzte. Dort heißt es: „Zur Behandlung bedürfen Ärzte der Einwilligung der Patientin oder des Patienten. Der Einwilligung hat grundsätzlich die erforderliche Aufklärung im persönlichen Gespräch vorauszugehen. Die Aufklärung hat der Patientin oder dem Patienten insbesondere vor operativen Eingriffen Wesen,

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Wann ist die Einwilligung des Patienten autonom? Voraussetzungen In ihrem grundlegenden Lehrbuch zur Medizinethik führen Beauchamp und Childress die in q Tab. 1 dargestellten Ele­ mente der aufgeklärten Einwilligung auf [8]. Um als legitimierend zu gelten, muss die Zustimmung bzw. Ablehnung des Patienten autonom sein. Dafür muss sie bestimmte Voraussetzungen erfüllen, über die in Ethik wie Recht grundsätz­ lich Einigkeit herrscht. Diese Bedingungen wer­ den im Folgenden erläutert [4–6, 8].

Hinreichende Einsichts- und Urteilsfähigkeit („Kompetenz“)



Mentale Voraussetzung Die Bedingung „Kom­ petenz“ beschreibt die mentalen Voraussetzun­ gen, die ein Patient mitbringen muss, um in der konkreten Situation entscheiden zu können. Urteilsfähigkeit bedeutet, die relevanten Infor­ mationen des Aufklärungsgesprächs aufnehmen und verarbeiten zu können. Sie liegt letztlich nur dann vor, wenn der Patient die Konsequenzen seiner Einwilligung überblicken kann. Die Entscheidungskompetenz kann schwanken (Schmerz, Aufregung) und in Bezug auf unter­ schiedliche Fragen (z. B. Krankheit vs. Geschäfts­ dinge) unterschiedlich ausfallen. Es handelt sich um eine Fähigkeit, die häufig nur graduell mehr oder weniger gegeben ist. Zugleich gilt sie immer nur in Bezug auf bestimmte Entscheidungen. So kann ein Patient mit Demenz im Hinblick auf eine Therapieentscheidung, die ein hohes Abstrak­ tionsniveau erfordert, nicht einwilligungsfähig sein, jedoch sehr wohl entscheiden, ob er seine Medikamente lieber als Tropfen oder Tablette ein­ nehmen möchte.

Eingeschränkte Kompetenz Jüngere Kinder und Patienten mit entsprechenden kognitiven Einbußen können keine Entscheidungsautonomie praktizieren. Aus ethischer und rechtlicher Sicht sollten dennoch auch diese nur eingeschränkt entscheidungsfähigen Patienten der Situation angemessen aufgeklärt werden – selbst wenn die

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I Elemente der aufgeklärten Einwilligung

Tab. 1

Daten nach [8].

1. Voraussetzungen ▶ Kompetenz zu verstehen und zu entscheiden ▶ Freiwilligkeit des Entscheidens 2. ▶ ▶ ▶

Elemente der Aufklärung Erläuterung der relevanten Informationen Empfehlung einer Vorgehensweise Verstehen

3. Elemente der Einwilligung ▶ Entscheidung für eine Vorgehensweise ▶ Erteilung des Behandlungsauftrags

Entscheidung von einem Bevollmächtigten oder Betreuer im Sinne des Patienten getroffen werden muss.

Hinreichendes Verständnis



Bewusstsein der praktischen Konsequenzen Patienten müssen über ein hinreichendes Ver­ ständnis dessen verfügen, worüber entschieden werden muss. Das bedeutet, sie müssen über Nut­ zen, Art, Risiken und Chancen sowie Bedeutung und Alternativen der geplanten Intervention so unterrichtet werden, dass sie verstehen können, worum es für sie geht. Dabei betrachten Patienten ihre Erkrankung im Zusammenhang mit ihren sozialen Folgen (Einfluss auf die Angehörigen, Arbeitsfähigkeit) und den Folgen für ihre Lebens­ führung, ihre Alltagsbewältigung. Viele Ärzte nei­ gen hingegen dazu, sich auf die Vermittlung rein medizinischer Informationen zu beschränken. Vielmehr müssten die praktischen Konsequenzen für den Patienten vor dem Hintergrund seiner Bewertungen wesentliche Inhalte des Aufklä­ rungsgesprächs sein. Autonomie des Patienten stärken Nicht zu­ letzt müssen die Patienten auch verstehen, dass sie selbst durch Fragen den Umfang der Informa­ tion bestimmen können und dass sie das Recht der letzten Entscheidung haben. Wo immer möglich, sollen Ärzte die Voraussetzungen für eine autonome Entscheidung ihrer Patienten befördern.

Dies bedeutet, dass Ärzte das Verständnis und die Aufnahmekapazität ihrer Patienten erkennen und sie zu Fragen ermuntern sollten. Ziel ist es, den Patienten eine Kontrolle des Informationsflusses zu ermöglichen. ▶ Die Informationen sollten in einer dem Patien­ ten angemessenen, verständlichen Weise über­ mittelt werden.

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Bedeutung und Tragweite der Behandlung einschließlich Behandlungsalternativen und die mit ihnen verbundenen Risiken in verständlicher und angemessener Weise zu verdeutlichen. Insbesondere vor diagnostischen oder operativen Eingriffen ist soweit möglich eine ausreichende Bedenkzeit vor der weiteren Behandlung zu gewährleisten. Je weniger eine Maßnahme medizinisch geboten oder je größer ihre Tragweite ist, umso ausführlicher und eindrücklicher sind Patientinnen oder Patienten über erreichbare Ergebnisse und Risiken aufzuklären.“ [7]

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Freiwilligkeit der Entscheidung



Keinen Druck ausüben Weder Ärzte noch Angehörige dürfen einen Patienten so unter Druck setzen oder unzulässig beeinflussen, dass er nicht anders kann, als sich in eine bestimmte Richtung zu entscheiden. Solche Einflussnahme kann ausdrücklich oder versteckt vor sich gehen und könnte im angedrohten Entzug der fachlichen oder emotionalen Zuwendung bestehen, im Ver­ ächtlichmachen abweichender Sichtweisen oder auch im selektiven Vorenthalten von Informatio­ nen. Unter solchen oder vergleichbaren Umstän­ den kann man nicht mehr von einer freiwilligen Patientenentscheidung ausgehen. Durch Argumente überzeugen Sehr wohl zulässig, ja sogar geboten sind hingegen Versuche von Angehörigen, Ärzten und anderen Therapeu­ ten, den Patienten durch Argumente von einer vermeintlich unverständigen Entscheidung abzu­ bringen. Solches (respektvolles) Überreden­ oder Überzeugenwollen gehört geradezu zur Pflicht der Therapeuten und arbeitet im Gegensatz zu Zwang und Manipulation mit Argumenten statt mit Druck­, Droh­ oder Belohnungsmitteln. Ver­ einbar mit dem Respekt vor der Autonomie des Patienten ist es auch, wenn dieser sich auf eige­ nen Wunsch dem Urteil seines Arztes anvertraut.

Unterstützung bei der Entscheidungsfindung Partizipative Entscheidungsfindung Patienten benötigen besondere Unterstützung bei der Ent­ scheidungsfindung, wenn ▶ verschiedene Therapieoptionen mit vergleich­ barem Chance­Risiko­Profil bestehen und / oder ▶ Erkrankungen und Therapien nachhaltige Aus­ wirkungen auf die persönliche Lebensplanung haben. Hier hat sich die partizipative Entscheidungs­ findung zwischen Arzt und Patient besonders bewährt (q Tab. 2). Studien haben folgende Effekte dieser Entscheidungsfindung gezeigt [10, 11]: Tab. 2

Daten aus [9].

Partizipative Entscheidungsfindung 1. mitteilen, dass eine Entscheidung ansteht 2. Gleichberechtigung der Partner formulieren 3. über Wahlmöglichkeiten informieren 4. über Vor- und Nachteile der Optionen informieren 5. Verständnis, Gedanken und Erwartungen erfragen 6. Präferenzen ermitteln 7. Aushandeln der Entscheidung 8. Entscheidung des Patienten gemeinsam herbeiführen 9.  Vereinbarungen zur Umsetzung der Entscheidung treffen

▶ Zunahme des Wissens ▶ realistischere Erwartung über Behandlungs­ verläufe ▶ aktivere Beteiligung am medizinischen Behand­ lungsprozess ▶ Verringerung von Entscheidungskonflikten ▶ Abnahme der Unentschlossenheit der Patien­ ten gegenüber Behandlungen ▶ Verbesserung der Arzt­Patienten­Kommunika­ tion und der Risikowahrnehmung der Patienten. Die partizipative Entscheidungsfindung ist jedoch nicht für jeden Patienten passend. Manche fühlen sich überfordert. Patienten sollten in dem Maße beteiligt werden, wie es ihren individuellen Bedürfnissen entspricht. Ziel sollte sein, diese zu erkennen und zu berücksichtigen.

Erhebliche Diskrepanz Studien zufolge beste­ hen jedoch erhebliche Perspektivendiskrepanzen von Arzt und Patient hinsichtlich der Informa­ tionsbedürfnisse von Patienten. Ärzte unter­ schätzen regelmäßig den Wert, den Patienten der Information und der eigenen Entscheidung beimessen [9]. Ähnliche Diskrepanzen bestehen bei der Wahrnehmung von Befürchtungen und Ängsten der Patienten vor operativen Eingriffen. Das Bedürfnis nach Information ist auch durch die Art geprägt, wie Patienten gewöhnlich Belas­ tungen bewältigen [10]: ▶ Die einen („Monitorer“) versuchen, ihre Angst zu reduzieren, indem sie mittels Informationen Kontrolle über die Situation gewinnen. ▶ Die anderen („Blunter“) hingegen versuchen, ihre Angst zu beherrschen, indem sie medizini­ sche Informationen vermeiden, um bei der Überzeugung bleiben zu können, alles sei in Ordnung. Bewährte Kriterien Allgemein haben sich folgende Kriterien für eine patientenorientierte Aufklärung bewährt [10]: ▶ den Patienten dort abholen, wo er steht (Beach­ ten von Kenntnisstand, Auffassungsgabe, Ein­ stellungen, Erwartungen und Befürchtungen des Patienten sowie seiner Bewältigungsmög­ lichkeiten) ▶ verständliche Information: begrenzte Menge korrekter und relevanter Information ▶ Ermutigung zum Fragen ▶ Vergewisserung, inwieweit man verstanden wurde Hier wird deutlich, dass die Aufklärung als dialo­ gischer Prozess zu verstehen ist, der bei komple­ xen Sachverhalten und schwierigen Entscheidun­ gen in Etappen erfolgen sollte und eine hohe ethi­ sche und kommunikative Kompetenz des Arztes voraussetzt.

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Aufklärung vor Eingriffen Drei Phasen Bei der Aufklärung über einen geplanten Eingriff unterscheidet Hick in seinem praxisorientierten Lehrbuch der klinischen Ethik 3 Phasen [3]: 1. umfassende Information 2. Zusammenfassung 3. Entscheidung des Patienten Diese 3 Phasen werden im Folgenden näher erläutert.

Umfassende Information



Bei der Informationsvermittlung ist ein systema­ tisches Vorgehen in 5 Schritten empfehlenswert:

1. Schritt Die Beschwerden des Patienten soll­ ten mit den medizinischen Befunden in Verbin­ dung gebracht und der Erkrankung sollte ein Name gegeben werden. 2. Schritt Anschließend soll der Nutzen des vor­ geschlagenen Eingriffs dargestellt werden sowie die möglichen Folgen, die sich aus dem Unterlas­ sen des Eingriffs ergeben. 3. Schritt In der Folge werden die mit dem Ein­ griff verbundenen Risiken benannt. Dabei sollte auf die Art des Risikos, seine Bedeutung für das Leben des Patienten und die statistische Wahr­ scheinlichkeit des Risikos eingegangen werden. Die Risiken sollten vollständig und umfassend geschildert und in Verhältnis zum Risiko des Spontanverlaufs gesetzt werden. Außerdem ist über das Risiko aufzuklären, dass die Beschwer­ den des Patienten durch den geplanten Eingriff nicht oder nicht vollständig beseitigt werden. Dies entspricht nicht nur den rechtlichen Vor­ gaben, sondern soll dabei helfen, Enttäuschungen zu vermeiden, die bei zuvor nicht erwähnten Risiken auftreten können. Bei der Risikokommunikation sind tragfähige Arbeitsbeziehungen besonders wichtig. „Bezie­ hungsqualitäten“ wie Offenheit, Transparenz, Bereitschaft zum Zuhören, das Offenlegen von Absichten ermöglichen es dem Patienten, Risiken realistischer zu bewerten. 4. Schritt In einer 4. Phase soll über mögliche alternative, gleich wirksame und indizierte Behandlungsmöglichkeiten aufgeklärt werden. Alternativen müssen wahrheitsgemäß dargestellt werden, auch wenn diese vom einzelnen Arzt oder dem Krankenhaus nicht angeboten werden. Hierbei sind medizinische Alternativen (z. B. Ope­ ration einer Leistenhernie in Lokal­ oder Allge­ meinanästhesie) von Alternativen zu unterschei­ den, welche die persönliche Lebensplanung des

Patienten betreffen (z. B. Palliativtherapie vs. erneute Chemotherapie bei Tumormetastasen). Hier kann der Patient auch dazu angeregt werden, eine 2. Meinung einzuholen.

Anmerkung In der Praxis wird die geforderte Aufklärung über alternative Verfahren häufig unterlassen: Ärzte neigen dazu, ausschließlich den Eingriff oder das Verfahren darzustellen, von dem sie selbst überzeugt sind [12]. Auch scheinen ökonomische (Fehl­)Anreize bzw. Vorgaben zunehmend zu einem einseitigen Therapieange­ bot zu führen. So haben in einer repräsentativen Umfrage unter Klinikern aus Intensivmedizin und Kardiologie 78 % der Ärzte angegeben, dass sie im letzten Halbjahr eine für den Patienten nützliche Maßnahme aus Kostengründen nicht durch­ geführt bzw. durch eine preiswertere und zu­ gleich weniger effektive Leistung ersetzt haben. 13 % gaben an, dies wöchentlich bis täglich zu tun [13]. Dies führt zu emotionalem Stress und Gewissenskonflikten bei den Ärzten [14].

Zu Beginn der Aufklärung gilt es, den Patienten umfassend über Nutzen, Art, Risiken und Chancen sowie Bedeutung und Alternativen der geplanten Intervention zu unterrichten. Dabei sollten die Informationen in einer dem Patienten angemessenen, verständlichen Weise übermittelt werden.

5. Schritt Schließlich erteilt der Arzt eine Emp­ fehlung, die nicht nur die rein medizinische Sicht sondern auch die besondere Situation des Patien­ ten und seine Präferenzen berücksichtigen sollte.

Zusammenfassung



Kurzes Resümee mit Rückfragen In der 2. Phase werden die wichtigsten Punkte noch einmal kurz zusammengefasst. Durch Rückfragen stellt der Arzt sicher, dass der Patient den geplanten Ein­ griff in Grundzügen verstanden hat, und klärt, worin die anstehende Entscheidung besteht.

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Bildnachweis: Thomas Möller / Thieme Verlagsgruppe

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Fachwissen: Topthema Entscheidung des Patienten



Zustimmung oder Ablehnung? In der 3. Phase erhält der Patient Gelegenheit, weitere Fragen zu stellen oder auch explizit auf weitere Informatio­ nen zu verzichten und sich dem Urteil des Arztes anzuvertrauen. Schließlich entscheidet der Pati­ ent, ob er in den Eingriff einwilligt, ob er ihn ablehnt oder ob er die Entscheidung erst zu einem späteren Zeitpunkt treffen möchte. Die ausdrück­ liche Zustimmung des Patienten ist nicht nur rechtlich erforderlich sondern auch psycholo­ gisch bedeutsam. Denn damit macht der Patient den Eingriff zu seiner Sache.

Sonderfall: Patient verzichtet auf Aufklärung



Recht des Patienten Es kann durchaus als Aus­ druck der Selbstbestimmung eines Patienten gesehen werden, wenn er freiwillig auf sein Infor­ mationsrecht verzichtet und die Entscheidung seinem Arzt überlässt. Eine solche Entscheidung sollte respektiert werden. Allerdings können im weiteren Verlauf Probleme bei der Compliance auftreten. Deshalb sollte der Arzt immer wieder versuchen, den Patienten in die Therapie und die anstehenden Entscheidungen einzubeziehen. Der Verzicht auf Aufklärung sollte auf jeden Fall vom Arzt dokumentiert werden.

Sonderfall: Aufklärung schadet dem Patienten



Wandel der Ansichten Noch in den 1960er­ Jahren war es üblich, Patienten mit lebensbedroh­ lichen Erkrankungen nicht über ihre infauste Prognose aufzuklären. In einer paternalistischen Grundhaltung gingen die Ärzte davon aus, dass dem Patienten durch die Aufklärung ein erhebli­ cher Schaden zugefügt würde, wenn diese seine Lebenshoffnung zerstöre. Studien zufolge hatte sich diese Einstellung bereits 20 Jahre später grundlegend geändert [3]. Abgesehen davon, dass Wahrhaftigkeit ein ethi­ scher Wert an sich ist, hat sich heute weitgehend die Erkenntnis durchgesetzt, dass eine wahrhaf­ tige Aufklärung dem Patienten mehr nützt als schadet: Sie bewahrt ihn vor angsterfüllten Spe­ kulationen, ermöglicht ihm, seine Lebensplanung anzupassen, und fördert die Krankheitsbewälti­ gung und die therapeutische Kooperation. Das Überbringen schlechter Nachrichten gehört zu den schwierigsten und stark belastenden Ele­ menten der Arzt­Patient­Kommunikation und sollte bereits im Studium bzw. im Rahmen von Fortbildungen eingeübt werden.

„Therapeutisches Privileg“ Die Möglichkeit psychischer Extremreaktionen wird auch heute noch manchmal zugunsten eines Aufklärungs­ verzichts („therapeutisches Privileg“) angeführt. In der Regel führt jedoch eine fachgerecht durch­ geführte Aufklärung nicht zu psychischen Störun­ gen oder suizidalem Verhalten. Deshalb kann aus ethischer Sicht das therapeutische Privileg nur in extremen Ausnahmefällen das Absehen von einer Aufklärung rechtfertigen [3]. Auch das Recht setzt dem therapeutischen Privi­ leg sehr enge Grenzen: ▶ Der Patient muss seine Diagnose kennen, wenn er in die damit verbundenen Behandlungen (Chemotherapie, Strahlentherapie, Palliativ­ behandlung) wirksam einwilligen soll.

Kulturelle Unterschiede



Familie entscheidet Mitunter fordern Angehö­ rige von Patienten aus anderen Kulturkreisen, dass der Patient nicht aufgeklärt werden soll. So ist es z. B. in China noch heute üblich, nur die Familienangehörigen über eine infauste Prognose zu informieren, nicht jedoch den Patienten. Die Entscheidungsfindung über das weitere Vorge­ hen findet dann mit der Familie statt.

„Interkultureller Kompromiss“ Ein in Taiwan praktiziertes Vorgehen könnte Anregungen für einen „interkulturellen Kompromiss“ bieten: Der Patient wird gefragt, ob zuerst er oder seine Familie aufgeklärt werden soll. Entscheidet er sich für die Familie, bespricht der Arzt die Dia­ gnose und das weitere Vorgehen zuerst mit den Angehörigen. Für einen vollständigen „Informed Consent“ bedarf es jedoch darüber hinaus in jedem Fall der Einwilligung durch den Patienten. Unter Umständen berät also zunächst die Familie mit dem Arzt allein, um dann dem Patienten zu einer angemessenen Entscheidung zu ver­ helfen. Die Aufgabe des Arztes besteht darin, zu moderie­ ren und Kompromisse zu suchen, die einen Kon­ sens ermöglichen, und zugleich den Patienten zu schützen, wenn die Familie zu stark interveniert. Ziel ist es v. a., ein Gleichgewicht zwischen der individuellen Zustimmung durch den Patienten und der Zustimmung durch die Familie („Family Consent“) herzustellen. Damit wird die Bedeu­ tung der Familie bei der Entscheidungsfindung gewürdigt, diese darf jedoch die Entscheidung des Patienten nicht vollständig ersetzen. ▶ Im Zweifel ist es Aufgabe des Arztes, die Inte­ ressen des Patienten auch gegen die Vorstellun­ gen der Familie durchzusetzen. Diese Konflikte werden offenbar sehr ernst genommen, denn die Krankenhäuser setzen in solchen Situationen sog. Case­Manager ein [15].

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Aufklärung bei nicht einwilligungsfähigen Patienten

Primär wird die Aufklärung immer dem Patien­ ten selbst geschuldet. Nur wenn dieser nicht (mehr) einwilligungsfähig bzw. entscheidungs­ fähig ist, muss sich der Arzt an seinen Stellvertre­ ter (Betreuer, Bevollmächtigter) wenden und die­ sen ebenso sorgfältig aufklären, um ihm eine Ent­ scheidung im Sinne des Patienten zu ermöglichen [1, 2].

Status des Betreuers / Bevollmächtigten Sowohl Betreuer als auch Bevollmächtigter sind Treu­ händer des Willens des entscheidungsunfähigen Patienten. Der Arzt ist verpflichtet, dem Stellver­ treter des Patienten die geplante Maßnahme im Hinblick auf ihren Nutzen, ihr Risiko und das mit ihr verfolgte Therapieziel zu erläutern. Aufgabe des Patientenstellvertreters ist es, festzustellen, ob es in Bezug auf die Maßnahme eine einschlä­ gige schriftliche Verfügung (Patientenverfügung) oder einen eindeutigen mündlichen Behand­ lungswusch oder einen ermittelbaren mutmaß­ lichen Willen des Patienten gibt. Ist dies der Fall und können Arzt und Patienten­ vertreter nach sorgfältiger Prüfung ihr Einverneh­ men feststellen, dass eine der oben genannten Willensbekundungen auf die aktuelle Lebens­ und Behandlungssituation des Patienten zwei­ felsfrei zutrifft, dann muss gemäß dem festge­ stellten Willen des Patienten gehandelt werden. Der Arzt ist berechtigt, ohne Einschaltung des Betreuungsgerichts gemäß dem Willen des Pati­ enten Behandlungsmaßnahmen durchzuführen, abzubrechen oder zu unterlassen, auch wenn die begründete Gefahr besteht, dass der Patient auf­ grund der Durchführung, des Unterlassens oder des Abbruchs der Maßnahme stirbt oder einen schweren und längerdauernden Gesundheits­ schaden erleidet.

Vorgehen bei Uneinigkeit Können Arzt und Patientenstellvertreter kein Einvernehmen darü­ ber erzielen, dass in der aktuellen Lebens­ und Behandlungssituation eine zutreffende Willens­ bekundung des Patienten vorliegt, muss das Betreuungsgericht angerufen werden, um den Patientenwillen zu ermitteln. Kann trotz sorg­ fältiger Prüfung kein eindeutiger Patientenwille ermittelt werden, hat der Arzt die Behandlung im Sinne des (objektiven) Wohls des Patienten durchzuführen. Hierbei hat im Zweifel der Erhalt des Lebens Vorrang (in dubio pro vita). Behandlungsmaßnahmen dürfen am entscheidungsunfähigen Patienten nur bei vitaler Indikation bzw. Unaufschiebbarkeit durchgeführt werden. Ist eine indizierte Maßnahme in solchen Situationen hingegen aufschiebbar, muss der Arzt, wenn vorhanden, den vom Patienten benannten Bevollmächtigten an dessen Stelle aufklären. Wurde kein Bevollmächtiger benannt, muss beim zuständigen Betreuungsgericht die Bestellung eines Betreuers herbeigeführt werden.

Wesentliche juristische Aspekte der Aufklärungspflicht Wichtigste Anforderungen Im Folgenden soll die Aufklärungspflicht nur in ihren essenziellen Elementen kurz dargestellt werden. Für die Details verweisen die Autoren auf die einschlä­ gige Literatur [1, 2]. Sieht man einmal von den besonderen Fällen des Aufklärungsverzichts und des nicht ansprech­ baren, von schwersten gesundheitlichen Schäden akut bedrohten Patienten ab, so ist juristisch un­ strittig, dass der rechtswirksamen Einwilligung eines Patienten in einen medizinischen Eingriff eine angemessene Aufklärung vorangegangen sein muss. Es gilt also:

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Erst wenn der Patient nach ordnungsgemäßer Aufklärung ausdrücklich in den Eingriff einwilligt, darf dieser vorgenommen werden.



Aufschiebbare vs. nicht unaufschiebbare Maßnahmen Behandlungsmaßnahmen dürfen am entscheidungsunfähigen Patienten nur bei vitaler Indikation bzw. Unaufschiebbarkeit durchgeführt werden. Hier handelt der Arzt als „Geschäfts­ führer ohne Auftrag“: Er darf und muss davon ausgehen, dass die Lebensrettung – wenn anders­ lautende Willensbekundungen des Patienten fehlen – durch die „mutmaßliche“ Einwilligung des Patienten gerechtfertigt ist. Ist eine indizierte Maßnahme in solchen Situa­ tionen hingegen aufschiebbar, muss der Arzt gemäß § 1896 BGB zunächst beim zuständigen Betreuungsgericht die Bestellung eines Betreuers herbeiführen. Diese ist entbehrlich, wenn der Patient durch Ausstellung einer rechtswirksamen Vollmacht einen Bevollmächtigten benannt hat.

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Fachwissen: Topthema Kein Eingriff ohne Einwilligung / keine Einwilligung ohne Aufklärung Dass ein schlichtes „Ja“ als Einwilligung nicht (mehr) genügt, ist im Kern der Tatsache geschuldet, dass ärztliche Eingriffe notwendiger Weise immer die Grundrechte des Patienten auf körperliche Unversehrtheit und Selbstbestimmung verletzen. Die Rechtsordnung toleriert diese Eingriffe nur, wenn die notwendige Einwilligung des Patienten in Kenntnis aller wesentlichen Eingriffsrisiken in freier Selbst­ bestimmung erteilt wurde. Um die Grundrechte des Patienten zu schützen, d. h. den Patienten vor ärztlicher Eigenmacht zu bewahren, stellt die Rechtsordnung strenge Anforderungen an die Aufklärung – nicht nur im Hinblick auf die Person des Aufklärenden son­ dern auch im Hinblick auf Art und Weise, Umfang und Zeitpunkt derselben. Aufklärung durch sachkundigen Arzt Die Auf­ klärung muss durch einen sachkundigen Arzt erfolgen. Der grundlegende Gedanke dieser Anforderung ist, dass in der Medizin nur der Arzt als ausgebildeter und berufener Spezialist dem Patienten ein adäquater Berater und Helfer sein kann. Das Recht verkennt dabei nicht, dass auch ein Nicht­Arzt über hinreichende theoretische Kenntnisse des Sinns und der Risiken eines Ein­ griffs verfügen kann. Gleichwohl wird dem Nicht­ Arzt aber regelmäßig die umfassendere Kenntnis des Eingriffs fehlen, die sich aus der praktischen Anwendung und Erfahrung mit einem Eingriff ergibt. Sachkunde bedeutet dabei nicht, dass nur der Arzt über einen Eingriff aufklären kann, der den Eingriff selbstständig durchführen kann. Es soll genügen, dass der Arzt aufgrund seiner Aus­ bildung den gegebenen Eingriff bei geeigneter Aufsicht bzw. Überwachung durch Kollegen selbst durchführen könnte. Dialog zwischen Arzt und Patient Die Aufklä­ rung muss im Dialog zwischen Arzt und Patient erfolgen. Die Rechtsordnung postuliert, dass nur dieser gewährleistet, dass Eingriffsrisiken, die den Patienten in seiner individuellen Lebenssitu­ ation besonders belasten, angemessen erörtert werden. ▶ Vorgefertigte, standardisierte Aufklärungs­ bögen können den Dialog also nur vorbereiten, aber grundsätzlich nicht ersetzen. Konkrete Auswirkungen des Eingriffs Der Arzt ist verpflichtet, dem Patienten aufzuzeigen, was das Risikospektrum eines gegebenen Eingriffs in seinem konkreten Fall bedeuten kann. Hierzu muss der Arzt über Eingriffsrisiken immer wahr­ heitsgemäß aufklären sowie realistische Alterna­ tiven aufzeigen. Ob ein eingriffstypisches Risiko aufklärungspflichtig ist oder nicht, hängt aus juristischer Sicht nicht primär davon ab, mit wel­ cher Häufigkeit es sich manifestiert oder ob bei seiner Verwirklichung bleibende Schäden entste­

hen können oder eine Behandlung notwendig ist. ▶ Entscheidend ist, ob die Verwirklichung des Risikos für die Lebensführung des Patienten von Bedeutung ist. Im Prinzip gilt: Aus juristischer Sicht ist der Umfang der geschuldeten Aufklärung der Dring­ lichkeit und der Indikation des Eingriffs sozu­ sagen umgekehrt proportional. ▶ Je weniger dringlich ein gegebener Eingriff ist und je zweifelhafter seine Indikation, desto höher ist die Aufklärungspflicht des Arztes.

Ausreichende Bedenkzeit Zwischen Aufklärung und Eingriff muss eine ausreichende Bedenkzeit gegeben sein. Ob der Patient eine ausreichende Bedenkzeit hatte, richtet sich nicht nach einem willkürlich gewählten Ablauf von Stunden oder Tagen, sondern ob unter den gegebenen, konkre­ ten Umständen eine angemessene Bedenkzeit bestand oder nicht. Nicht einwilligungsfähige Patienten Bei nicht entscheidungsfähigen Patienten muss der beru­ fene Patientenvertreter aufgeklärt werden. Aus juristischer Sicht ist ein Patient entscheidungs­ fähig (und somit einwilligungs­ bzw. aufklä­ rungsfähig), wenn er in der Lage ist, nach seiner geistigen und sittlichen Reife die Bedeutung und Tragweite des Eingriffs sowie dessen Gestattung oder Ablehnung zu ermessen. Ist dies nicht oder nicht mehr der Fall, muss der Arzt den Bevoll­ mächtigten bzw. den Betreuer des Patienten auf­ klären. ▶ Der Arzt schuldet in dieser Situation dem beru­ fenen Patientenvertreter die gleiche Aufklärung, die er dem entscheidungsfähigen Patienten geschuldet hätte. Denn nur so kann der Stellvertreter feststellen, ob ein vorgeschlagener Eingriff aufgrund einer schriftlichen Verfügung, eines mündlichen Behandlungswunsches oder des mutmaßlichen Willens des Patienten zu autorisieren bzw. abzu­ lehnen ist. Auch wenn der Patient selbst nicht mehr ent­ scheiden kann, ist der Arzt dennoch verpflichtet, den Patienten über avisierte Eingriffe zu infor­ mieren – vorausgesetzt, dies ist im gegebenen Fall sinnvoll und möglich.

Resümee



„Maßgeschneiderte Aufklärung“ Gesetzgeber und Rechtsprechung stellen sehr hohe Anforde­ rungen an die Aufklärungspflicht des Arztes. Die Rechtsordnung toleriert weder eine schemati­ sierte Auflistung aller möglichen Eingriffsrisiken ohne Bezugnahme auf die Lebenssituation des Patienten, noch deren Bagatellisierung bzw. Trivi­ alisierung. Gefordert ist im Kern die im Blick auf den Patienten „maßgeschneiderte“ Aufklärung.

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Im Zivilprozess muss der Arzt nachweisen, dass er angemessen aufgeklärt hat. Das wird regelmäßig nur dann gelingen, wenn adäquate Aufzeichnungen im Hinblick auf die Aufklärung angefertigt wurden.

Wenn es auch richtig ist, dass der mündige Patient auf die Aufklärung (völlig) verzichten kann, weil die Rechtsordnung keine „Belehrungspflicht“ des Patienten kennt: Der Arzt muss auch in einem solchen Fall dem Patienten immer ein klares, ein­ deutiges Aufklärungsangebot machen. Bleibt es seitens des Patienten dennoch beim Aufklärungs­ verzicht, so ist dieser Verzicht in geeigneter Weise zu dokumentieren.

Verantwortung auf beiden Seiten Juristisch angemessene Aufklärung erfordert ohne Frage seitens des Arztes ein hohes Maß an Sachkunde, Einfühlungsvermögen und Kommunikations­ fähigkeit. Angemessene Aufklärung erfordert Zeit. Umgekehrt gilt aber auch: Der Patient, der über die inhärenten Risiken eines Eingriffs kor­ rekt aufgeklärt wurde, muss alle Folgen tragen, die sich aus der schicksalhaften Verwirklichung der besprochenen Risiken ergeben. Fazit Die normative Begründung der ärztlichen

Aufklärung liegt in der Achtung der Autonomie des Patienten. Ziel der Aufklärung ist es, den Patienten in einem dialogischen Prozess mit seinem Arzt alle relevanten medizinischen Informationen zu vermitteln und ihm dadurch eine seiner individuellen Situation und seinen Werten angemessene Entscheidung für oder gegen eine therapeutische Maßnahme zu ermöglichen. ◀

Dr. phil. Barbara Wolf-Braun ist wissenschaftliche Oberassistentin am Dr. Senckenbergischen Institut für Geschichte und Ethik der Medizin, Goethe-Universität Frankfurt / Main, und Geschäftsführerin des Klinischen Ethik-Komitees am Universitätsklinikum Frankfurt. E-Mail: [email protected]

Dr. med. Hans-Joachim Wilke, DEAA, ist Oberarzt an der Klinik für Anästhesiologie, Intensivmedizin und Schmerztherapie des Universitätsklinikums Frankfurt. E-Mail: [email protected]

I Kernaussagen

▶ Eine Einwilligung in eine ärztliche Maßnahme ist nur nach ordnungsgemäßer Aufklärung rechtswirksam. ▶ Die Aufklärung sollte dem Patienten angepasst werden, sein Vorwissen, seine Einstellungen, Erwartungen sowie seine kognitive und emotionale Situation beachten. Daher: ▷ begrenzte Menge korrekter, verständlicher und relevanter Information ▷ zum Fragen ermutigen ▷ den Patienten je nach seinen Bedürfnissen an der Entscheidung beteiligen ▷ über etwaige alternative Therapieoptionen informieren ▷ bei der Entscheidung keinen Druck ausüben, durch Argumente überzeugen ▷ Aufklärung erfolgt im Dialog zwischen Arzt und Patient, manchmal in Etappen ▶ Konkrete (mögliche) Auswirkungen eines Eingriffs / Therapie auf die Lebensführung  des Patienten sollten im Zentrum der Aufklärung stehen.

Literaturverzeichnis 1 Deutsch E, Spickhoff A. Medizinrecht. Berlin, Heidelberg: Springer; 2014 2 Laufs A, Katzenmeier C, Lipp V. Arztrecht. München: C.H. Beck; 2010 3 Hick C, Hrsg. Klinische Ethik. Heidelberg: Springer; 2007 4 Maio G. Mittelpunkt Mensch: Ethik in der Medizin. Stuttgart: Schattauer; 2012 5 Schöne-Seifert B. Grundlagen der Medizinethik. Stuttgart: Kröner; 2007 6 Wiesing U, Hrsg. Ethik in der Medizin. Ein Studienbuch. Stuttgart: Reclam; 2012 7 (Muster-)Berufsordnung für die in Deutschland tätigen Ärztinnen und Ärzte – MBO-Ä 1997 – in der Fassung der Beschlüsse des 114. Deutschen Ärztetages 2011 in Kiel. Im Internet: http://www.bundesaerztekammer.de/page. asp?his=1.100.1143 (Stand: 16.09.2014) 8 Beauchamp TL, Childress JF. Principles of biomedical ethics. New York, Oxford: Oxford University Press; 2009 9 Bieber C, Loh A, Ringel N et al. Patientenbeteiligung bei medizinischen Entscheidungen. Manual zur Partizipativen Entscheidungsfindung (Shared Decision-Making). Freiburg i. Br.: Universitätsklinikum Freiburg; 2007 10 Fischbeck, S, Laufenberg-Feldmann R, Laubach W. Patientenorientierte Kommunikation in der Anästhesie. Die gelbe Fortbildungs-Reihe, Band 6. Ludwigshafen: AbbVie; 2012 11 Loh A, Simon D, Kriston L, Härter M. Patientenbeteiligung bei medizinischen Entscheidungen. Effekte der Partizipativen Entscheidungsfindung aus systematischen Reviews. Dt Ärztebl 2007; 104: 1483–1488 12 Rieser S. Patientenrechtegesetz. Nüchterne Bilanz. Dt Ärztebl 2014; 11: 448 13 Strech D, Danis M, Löb M, Marckmann G. Ausmaß und Auswirkungen von Rationierung in deutschen Krankenhäusern. DMW 2009; 134, 1261–1266 14 Strech D, Börchers K, Freyer D et al. Ärztliches Handeln bei Mittelknappheit. Ergebnisse einer qualitativen Interviewstudie. Ethik in der Medizin 2008; 20: 94–109 15 Braune F, Wiesemann C, Biller-Andorno N. Informed Consent und seine Konkretisierung in der internationalen Bioethik: Zur medizinethischen Bedeutung von Aufklärung und Zustimmung in Taiwan und Deutschland. In: Biller-Andorno N, Schaber P, Schulz-Baldes A, Hrsg. Gibt es eine universale Bioethik? Paderborn: mentis; 2008: 135–156

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VNR: 2760512015147121517

Interessenkonflikt Die Autoren erklären, dass keine Interessenkonflikte vorliegen.

Wolf-Braun B, Wilke H-J. Patientenautonomie und Aufklärung – Ethische und rechtliche Aspekte der Aufklärung. Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2015; 50: 202–209

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Dokumentationspflicht Der Arzt muss diese maßgeschneiderte Aufklärung nicht nur erbrin­ gen. Er ist darüber hinaus verpflichtet, ihre Durch­ führung in geeigneter Weise in der Krankenakte zu dokumentieren.

209

I

CME

Fachwissen: Topthema

CME-Fragen

Ethische und rechtliche Aspekte der Aufklärung

Welche Aussage ist richtig? Die ärztliche Aufklärungs-

1 pflicht kann an folgende Personen delegiert werden: jede sachkundige Person eine sachkundige Pflegekraft eine sachkundige Fachpflegekraft einen sachkundigen Medizinstudenten im klinischen Ausbildungsabschnitt einen sachkundigen Arzt

A B C D E

2 A B C D E

Welche Aussage ist richtig? In jedem Fall aufklärungspflichtig ist ein Behandlungsrisiko …

mit dessen Auftreten in < 1 % zu rechnen ist. mit dessen Auftreten in < 1 ‰ zu rechnen ist. bei dessen Verwirklichung ein bleibender Schaden objektiv nicht gegeben ist. bei dessen Verwirklichung eine Behandlung objektiv nicht notwendig ist. bei dessen Verwirklichung eine Beeinträchtigung der individuellen Lebensführung des Patienten gegeben ist.

3 Welche Aussage ist falsch? A B C D E

Die Aufklärung soll den Patienten in die Lage versetzen, sein Selbstbestimmungsrecht auszuüben. Zwischen Aufklärung und Einwilligung muss eine ausreichende Bedenkzeit liegen. Bei hochelektiven Eingriffen reduziert sich der Umfang der Aufklärung. In Notfällen reduziert sich der Umfang der Aufklärung. Bei entscheidungsunfähigen Patienten ist dessen berufener Stellvertreter (Bevollmächtigter bzw. Betreuer) aufzuklären.

C D E

Welche der folgenden Aussagen trifft eher nicht zu?

7 Die juristisch wie ethisch angemessene Aufklärung des Patienten beinhaltet die folgenden Elemente:

A B C D E

A B C D E

Die Aufklärung erfolgt grundsätzlich mündlich (Dialog zwischen Arzt und Patient). Das Aufklärungsgespräch kann durch standardisierte Informationsbögen vorbereitet, aber nicht ersetzt werden. Die Inhalte des Aufklärungsgesprächs sind durch den Arzt zu dokumentieren. Im Zivilprozess muss der Patient dem Arzt die mangelhafte Aufklärung nachweisen. Der Patient kann grundsätzlich auf sein Aufklärungsrecht verzichten.

Welche Aussage ist falsch? Voraussetzung für eine

A B C D E

5 Welche Aussage ist falsch?

C

D E

Die Aufklärung hat grundsätzlich wahrheitsgemäß zu erfolgen. Die Aufklärung muss die individuelle Lebenssituation sowie die Wertvorstellungen des Patienten berücksichtigen. Angemessene Aufklärung kann auch bedeuten, dass der Arzt den Patienten von der Notwendigkeit der Durchführung einer Maßnahme überzeugt. Entscheidungsunfähige Patienten haben prinzipiell kein Recht auf Aufklärung oder Information. Bei schicksalhafter Verwirklichung von Risiken, über die korrekt aufgeklärt wurde, muss der Patient die Folgen tragen.

Welche Aussage ist falsch?

6 Angemessene Aufklärung …

CME A B

vermittelt dem Patienten ein realistisches Bild der potenziellen Risiken. zeigt dem Patienten eventuell gegebene Alternativen auf.

die Kompetenz des Patienten, zu verstehen und zu entscheiden. die Freiwilligkeit der Entscheidung. die Geschäftsfähigkeit des Patienten. ein hinreichendes Verständnis des Patienten dessen, worüber entschieden werden muss. die patientenorientierte Aufklärung durch den Arzt.

9 Welche Aussage ist falsch? A B C

E

Patienten sollten in dem Maß an der Entscheidung beteiligt werden, wie es ihren individuellen Bedürfnissen entspricht. Über eine indizierte alternative Behandlung muss nur aufgeklärt werden, wenn der Arzt oder das Krankenhaus diese anbietet. Im Zentrum der Aufklärung sollten die Auswirkungen einer Intervention auf die persönliche Lebensplanung des Patienten stehen. Wenn ein Patient die Aufklärung verweigert, sollte der Arzt dennoch immer wieder versuchen, ihn in die Therapie und in die anstehenden Entscheidungen einzubeziehen Der Arzt sollte bei seiner Therapieempfehlung die besondere Situation und die Präferenzen des Patienten berücksichtigen.

10 Welche Aussage ist falsch? A B C

A B

Respekt Fürsorge Schadensvermeidung Selbstbestimmung Gerechtigkeit

8 autonome Entscheidung des Patienten ist …

D

4 Welche Aussage ist falsch?

erhöht die Patientenzufriedenheit. erhöht die Arbeitszufriedenheit des Arztes. entlastet den Arzt auch bei der Verwirklichung vermeidbarer Risiken.

D E

Ärzte unterschätzen regelmäßig den Wunsch von Patienten nach der eigenen Entscheidung. Ärzte überschätzen regelmäßig den Wunsch von Patienten nach Information. Die Aufklärung über indizierte alternative Behandlungen wird in der Praxis häufig unterlassen. Die partizipative Entscheidungsfindung führt zu einer Verbesserung der Risikowahrnehmung der Patienten. Aus ethischer und rechtlicher Sicht kann ein Aufklärungsverzicht seitens des Arztes („therapeutisches Privileg“) nur in extremen Ausnahmefällen gerechtfertigt sein.

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CME-Fragen – Ethische und rechtliche Aspekte der Aufklärung. Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2015; 50: 210

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210

[Patient autonomy and informed consent - ethical and legal issues].

Informing patients about the benefits and risks of and alternatives to proposed medical or surgical procedures is crucial to the patient-physician rel...
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