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Dtsch. med. Wschr. 103 (1978), 1143-1144 © Georg Thieme Verlag, Stuttgart

Pasteurella-multocida-Infektion nach einem Hundebiß*

Pasteurella multocida infection after a dog bite

I. Böhick

In a 3-year old girl Pasteurella infection developed after a dog bite. The infection resolved within 9 days without sequelae after 6 days of ampicillin and clindamycin therapy.

Abteilung für Hygiene und Mikrobiologie des Fachbereiches Medizin der Universität Kiel (Leiter: Prof. Dr. H. Gärtner)

Bei einem dreijährigen Mädchen kam es nach einem Hundebiß zu einer P..multocida-Infektion, die nach einer sechstägigen Ampicillin- und Clindamycin-Therapie innerhalb von 9 Tagen folgenlos abheilte. Die Züchtung einer Pasteurella multocida aus einem Wundsekret veranlaßt uns, erneut auf die Bedeutung dieses Keimes für Wundinfektionen nach Tierbissen hinzuweisen.

Kasuistik Ein dreijähriges Mädchen wurde am 2.5. 1977 gegen 16 Uhr von einem Pudel in die linke Wange gebissen. Die Bißwunden wurden in einem Kreiskrankenhaus nach Wundexzision primär geschlossen. Als die Wunde am folgenden Tag beim Verbandswechsel vereitert war, wurde das Kind stationär ins Krankenhaus eingewiesen1. Bei der Aufnahme des Kindes, das offenbar unter heftigen Schmer-

zen litt, fanden sich an der linken Wange zwei etwa 2 cm lange Wunden, die mit je einer Naht adaptiert worden waren. Aus der oberen Wunde entleerte sich ein Tropfen seröses Sekret. Die gesamte Wange sowie das Ober- und Unterlid des linken Auges waren * Professor Dr. Dr. h. c. F. Klose zum 90. Geburtstag

1 Dr. Willers und Dr. Petersen, Kreiskrankenhaus Itzehoe, danke ich für die freundliche tYberlassung der Krankheitsgeschichte. 0012-0472/78 0714 - 1143

erhèblich geschwollen. Die Schwellung reichte jedoch nicht über den Unterkieferrand hinaus. An der Innenseite der linken Wange waren keine Verletzungsfolgen festzustellen. Lymphknotenschwellungen

waren ebenfalls nicht tastbar. Die Rektaltemperatur betrug 39 °C. Blutsenkungsreaktion 10/27 mm, Leukozytenzahl 18,2 X 10/l. Die infizierte Wunde wurde anfangs mit Alkoholumschlägen behandelt. Am 4. 5. entleerte sich nach der Entfernung der Situationsnähte aus der Wunde etwa 1 ml nicht-hämorrhagischer Eiter, aus dem P. multocida gezüchtet wurde. Während einer sechstägigen Therapie mit Ampicillin und Clindamycin bei täglichem Verbandswechsel mit Kampferstreifen bildeten sich die Rötung und perifokale Schwellung schnell zurüs.k. Nachdem die Wunden am neunten Behandlungstag verheilt waren und die Leukozytenzahl auf 6,2 X 10/l zurückgegangen war, wurde das Kind am 11. 5. 1977 beschwerdefrei entlassen.

Aus zwei Wundabstrichen vom 4.5. wurden bei aerober Züchtung auf Blutagar mucoide, nicht-hämolysierende Kplonien isoliert, die auf Nähragar nicht angewachsen waren. Es handelte sich um unbewegliche, kokkoide, gramnegative Stäbchen, die als P. multocida identifiziert wurden. Der Keim war Oxidase-positiv, Urease-negativ, bildete Indol und reduzierte Nitrat. Die H2S-Bildung war in Kliglers lisenagar nega-

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Böhick: pasteurella-multocida-Infektion nach Hundebiß

Nr. 28, 14. Juli 1978, 103. Jg.

Böhick: Pasteurella-multocida-Infektion nach Hundebiß

tiv. Glucose, Fructose, Lactose, Maltose, Mannit, Saccharose, Sorbit und Xylose wurden unter Säurebildung gespalten. Nicht angegriffen

wurden Adonit, Dulcit, Inosit, Raffinose, Salicin und Trehalose. Im Antibiogramm war der Keim empfindlich gegen Ampicillin, Carbenicillin, Cephalosporine, Aminoglykoside, Chloramphenicol, Erythromyciri, Tetracycline und 10 JE Penicillin G. Eine Resistenz lag lediglich gegen 3 p.g Phenethicillin sowie Cotrimoxazol vor.

Diskussion Pasteurella multocida, im englischen Sprachraum auch als Pasteurella septica bezeichnet (10), ist in Tierbeständen ubiquitär verbreitet (1, 3, 6-12, 18-20). Als Erreger der hämorrhagischen Septikämie verschiedener Tierarten spielt der Keim jedoch heute nur noch unter ungünstigen Umweltbedingungen oder nach bakteriellen oder Virusinfekten eine Rolle (8, 10, 18). Beim Menschen tritt P. multocida vorwiegend als Erreger einer lokalen Wundinfektion nach Tierbissen auf. Demgegenüber spielen Infektionen des Respirationstraktes, Entzündungen der Meningen, Nebenhöhlen oder anderer Organe eine untergeordnete Rolle. Obwohl Menschen viel häufiger von Hunden als von Katzen oder anderen Tieren gebissen werden - 70-93 %

aller ärztlich behandelten Bisse werden durch Hunde verursacht (4, 5) -, tritt die posttraumatische Wundinfektion durch P. multocida nach Katzenverletzungen häufiger auf als nach anderen Bissen, da der Keim bei 50-90% gesunder Katzen, aber nur bei 30-55% gesunder Hunde als Saprophyt in der Mundhöhle nachweisbar ist (6, 12, 14, 16, 17). Die erste menschliche Pasteurellose nach einem Katzenbiß beobachteten Kapel und Holm 1930 in Dänemark (9), und Weber (20) berichtete 1941 in Deutschland über neun Handrückenphlegmonen nach Katzenbiß und eine nach einem Hundebiß. Drei Katzenbißinfektionen wiesen einen schweren Verlauf auf, der in einem Fall zur Unterarm amputation führte. Helm und Stille (4) diagnostizierten

nach 517 Tierbissen 19 P.-multocida-Infektionen, davon elf (16,9%) nach einem Katzen- und acht (2,1%) nach einem Hundebiß. Unter zehn von Hawkins (3) beobachteten Pasteureilosen folgten acht einer Katzenbißverietzung und zwei einem Hundebiß. Einen höheren Prozentsatz lokaler Pasteurellosen nach Hundebißverletzungen

beobachteten Lee und Buhr (14,5% [11]) und Smith (17% [17]), während Williams (21) über 165 und Holloway und Mitarbeiter (6) über 21 P.-multocida-Infektio-

nen berichteten, die je zur Hälfte nach Verletzungen durch Hunde oder Katzen auftraten. In Ubereinstimmung mit den Befunden anderer Autoren lag auch bei unserer Patientin eine kurze Latenzzeit von wenigen Stunden vor, die für die posttraumatische P.-multocida-Infektion charakteristisch ist (1,3,6,13,19). Die erhebliche ödematöse Schwellung sowie der starke

Wundschmerz sind ebenfalls typische Symptome der primären Pasteurellose (1, 4, 6, 18, 20). Die schlechte Heilungstendenz, auf die fast alle Autoren hinweisen (1, 4, 6, 9, 11, 20), bestätigte sich in unserem Fall nicht, da sofort, nachdem die Infektion diagnostiziert worden war, eine antibiotische Therapie mit Ampicillin durchgeführt

Deutsche Medizinische Wochensctj

wurde. Unser Stamm war, ebenso wie die Stämme ande rer Untersucher (4, 6, 11, 15, 18), gegen alle Antibiotika außer Cotrimoxazol, empfindlich. Die rasche Wundhei lung, die bereits neun Tage nach dem Unfall zur Entias sung führte, während andere Autoren über einen Kran

kenhausaufenthalt von 3-7 Wochen nach Tierbißver letzungen berichten (11), beweist den Wert einer recht zeitigen Antibiotikatherapie.

Da P. muitocida der häufigste Erreger von Wund infektionen nach Tierbissen ist und die schlechte Hei lungstendenz dieser Wunden möglicherweise mit den Auftreten der Pasteureila-Infektion zusammenhängt, er scheint nach Tierverletzungen mit tiefen oder genähtei Bißwunden eine Antibiotikaprophylaxe, zu der auch an dere Untersucher raten (1-4, 10, 11, 18), indiziert. We gen der guten Empfindlichkeit der P. multocida gegei fast alle Antibiotika kommt die prophylaktische Gabe vol Penicillin G oder V, Ampicillin oder einem Tetracyclin derivat in Betracht.

Unsere Beobachtung soil auf die Wichtigkeit eine mikrobiologischen Untersuchung des Wundsekretes hin weisen, da eine nichtdiagnostizierte P.-multocida-Infek tion zu einer Keimausbreitung mit schweren Komplika tionen wie Lymphangitis, Lymphknotenabszessen urn einer Beteiligung tiefer liegender Gewebe in Form eine Tendovaginitis oder Osteomyeiitis sowie zur Septikämi führen kann (1, 3, 4, 9, 15, 18, 19, 20, 21). Literatur (1) Bergogne-Berezin, E., D. Christo!, N. Zechovsky, S. Bonfils: Pasteurelloses humaines par morsure. Nouv. Presse méd. 1 (1972), 2953. (2) But!er, T. Unidentified Gramnegative rod infection. Ann. intern. Med. 86 (1977), 1. (3) Hawkins, L. G. Local Pasteurella multocida infections. J. Bone Jt Surg. 51 A (1969), 363.

(4) Helm, E. B., W. Stille: Über die Erreger bei infizierten Tierbissen. Münch. med. Wschr. 114 (1972), 922. (5) Hervey, E.: Incidence of bites due to dogs and other animals in Leeds. lint. med. J. 1977/2, 53.

(6) Holloway, W. J., E. G. Scott, Y. B. Adams: Pasteurella multocida infection in man. Report of 21 cases. Amer. J. clin. Path. 51 (1969), 705. (7) Hueppe, F.: Über die Wildseucht

(12) Mollaret, H. H., M. Bourdin: Les principales maladies infectieuses transmises en France à l'homme par les animaux familiers. Méd. Malad. infect. 1 (1971), 147, zitiert nach Bergogne-Berezin et al. (1). (13) Mollaret, P. Infektionen nach Katzen- oder Rattenbiß. Münch. med. Wscht. 111 (1969), 13. (14) Moore: Pathogenic and toxigenic bacteria in the upper air passages etc. Bureau Anim. md. 1893, Bull. 3, zitiert nach y. Hutyra, F. (8). (15) Müller, H. E., E. Raschke: Zur Pasteurella multocíds-Infektion des Menschen. Mönch. med. Wschr. 111 (1969), 19.

(16) Schenk, H.: Pasteurellen in den Luftwegen von Katzen als Ursache von Wundinfektionen beim Menschen nach Katzenbiß. Dissertation, München 1931 zitiert nach Knapp, W. (10). (17) Smith, J. E.: Studies on Pasteurell, septica. I. The occurrence in the nose and tonsils of dogs. J. comp. Path. 65

und ihre Bedeutung füs- die Nationalökonomie und die Hygiene. Ben. kim. (1955), 239. Wschr. 23 (1886), 752, 794. (18) Stille, W., L. Stoll, E. Helm: (8) y. Hutyra, F.: Septicaemia haemorInfektionen mit Pasteurella multocida rhagica. In: Kolle, W., R. Kraus, nach Tierbissen. Dtsch. med. Wschr. P. Uhlenhuth (Hrsg.): Handbuch patho94 (1969), 1816. genen Mikroorganismen, Bd. 6/1 (G. Fischer: Jena 1929) 483. (19) Trummert, H., l-l. Remky, C. Anders: Über traumatische Pasteurella(9) Kapel, O., J. Holm: PasteurellaPhlegmonen beim Menschen. Münch. infektion beim Menschen nach Katzenmed. Wacht. 101 (1959), 34. biß. Zbl. Chir. 57 (1930), 2906. (20) Weber, B.: Pasteurellosen beim (10) Knapp, W.: Pasteurellose. In: GseH, O., W. Mohr (Hrsg.): Infektions- Menschen nach Tierbissen. Zbl. Chit. 68 (1941), 653. krankheiten, Bd. Il/i (Springer: BerlinHeidelberg-New York 1968), 384. (21) Williams, E.: Septicaemia caused by an organism resembling Pasteurella (11) Lee, M. L. H., A. J. Buhr: Dogseptica after a dog-bite. lint. med. J. bites and local infection with Pasteu1960/2, 1926. relIa septica. Brit. med. J. 1960/1, 169.

Dr. Ingeburg Böhlck Abteilung für Hygiene und Mikrobiologie der Universität 2300 Kiel 1, Brunswiker Str. 2-6

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[Pasteurella multocida infection after a dog bite (author's transl)].

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