Klinische Wochenschrift

Klin Wochenschr (1990) 68:247-255

9 Springer-Verlag 1990

Ubersicht

Paroxysmale n ichtliche H imoglobinurie P. Blaas 1, S. Weber 2, G.M. Hfinsch 1, und H.H. Peter 2 1 Institut fiir Immunologie und Serologie der Universitfit Heidelberg 2 Abteilung fiir Rheumatologie und Klinische Immunologie der Universitfitsklinik Freiburg

Paroxysmal Nocturnal Hemoglobinuria Summary. Paroxysmal nocturnal hemoglobinuria, first described in the late 19th century, is an acquired disorder characterized by hemoglobinemia and hemoglobinuria. The major clinical manifestation of P N H is chronic intravascular hemolysis of various severity. Patients-mostly young adults - may also present with episodes of abdominal or back pain. Common cause of death is thrombosis especially of the hepatic veins. Granulocytopenia and thrombocytopenia may be the initial manifestation of PNH, indicating that the disorder is a primary bone-marrow disease, affecting not only the erythrocytes but also other peripheral blood cells and the haematopoietic stem cell. The course of the disease is variable. Partial complete recovery was described, but also fatal thrombosis. The major phenotypic expression of P N H is an increased susceptibility of the erythrocytes to the lytic action of complement in vitro. The enhanced complement susceptibility is most probably due to membrane defects: two membrane proteins regulating the complement cascade in P N H cells were missing, the decay-accelerating factor, DAF, inhibiting the activation of the lytic complement complex and the C8 binding protein, C8bp, which interferes with the lytic process. Aside from the lack of the complement regulators also other membrane defects have been described (e.g. of acetylcholinesterase or alkaline phosphatase). The proteins as well as D A F and C8bp are linked to the cell membrane via a phosphatidylinositol (PI) anchor, leading to the speculation that Abki~rzungen: PNH=paroxysmale n/ichtliche H/imoglobinurie; PNH-E=PNH-Erythrozyten; C56, C7, C8, C9=Komplement-Komponenten 56, 7, 8 und 9; DAF = ,,decay accelerating factor" ; C8bp = C8 binding protein; PI = phosphatidyl-inositol-Anker

the disease results from a deficiency in the posttranslational PI anchoring mechanism. The diagnosis of P N H is based on the Hamtest, but will be extended to the quantitation of the above described membrane proteins. Therapy of PNH is restricted to treatment of symptoms: Transfusion of washed erythrocytes necessary when the hemoglobin level is critically low, iron supplementation, or in cases of thrombosis anticoagulans. Ideal treatment of P N H would be a replacement of the abnormal stem cells by bone-marrow transplantation. Due to its limitations bone-marrow transplantation have been done only in a few cases.

Key words: Paroxysmal nocturnal hemoglobinuria - Membrane defects - Complement regulation Diagnosis - Therapy

Die paroxysmale n/ichtliche H/imoglobinurie (PNH) geh6rt zu den diagnostisch oft unklaren Krankheitsbildern der Hfimatologie. Neue Erkenntnisse zur Pathogenese zeigen, dab Membrandefekte von Komplement-regulierenden Proteinen als Ursache fiir die charakteristische Hfimolyse und Thromboseneigung der PNH-Patienten angenommen werden kann.

Historisches Bereits 1882 erkannte Paul Strfibing die P N H als ein eigenst/indiges Krankheitsbild. Seine Arbeit enth/ilt eine/iul3erst genaue Beschreibung aller Wesenziige der Erkrankung und auch erste Erkenntnisse zur Pathogenese, die sich 50 Jahre sp/iter best/itigen sollten [78]. In Unkenntnis der Striibingschen Arbeit galt

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Ettore Marchiafava lange Zeit als Erstbeschreiber dieses Krankheitsbildes [49]. Erst 1951 wurde die Ver6ffentlichung Strfibings wieder entdeckt [13], und die PNH wird nun - besonders im angloamerikanischen Raum - auch als Strtibing-MarchiafavaAn/imie bezeichnet.

Epidemiologie Die PNH ist weder rassisch noch geographisch gebunden. Uber die H/iufigkeit des Krankheitsbildes liegen nur ungenaue Zahlenangaben vor. Die Erkrankung ist insgesamt relativ selten [23], aber da die PNH oft nicht als solche diagnostiziert wird, dtirfte die tats/ichliche Inzidenz wohl h6her sein (geschfitzt 1:100000). Das Haupterkrankungsalter liegt zwischen dern 25. und 45. Lebensjahr. Erkrankungen nach dern 70. Lebensjahr und irn Kindesalter sind ebenfalls beschrieben [23]. M/inner und Frauen erkranken im Verh/iltnis 1:1. Eine famili/ire H/iufung konnte nicht nachgewiesen werden [15], und irn allgerneinen ist der Karyotyp bei PNH-Patienten unauff/illig [84]. Symptome Die klinischen Erscheinungen sind sehr variabel und erschweren die Diagnosestellung. Die PNH ist die einzige erworbene korpuskul/ire hfimolytische An/imie. Sie wurde durch eine z.T. nachts auftretende H/imolyse mit Ausscheidung von H/imoglobin und H/imosiderin im Urin charakterisiert. Neben schubweisem Erythrozytenzerfall ist die chronische intravasale H/imolyse die h/iufigere klinische Erscheinungsform. So stehen bei der Mehrheit der Patienten die Symptome einer An/imie im Vordergrund. Die als charakteristisch angegebene Braun-Schwarzverf/irbung des Morgenurins fehlt in ca. 25% der F/ille. Auger Erythrozyten sind Leukozyten und Thrombozyten betroffen. Eine Thrombozytopenie oder Granulozytopenie kann manchmal als Friihmanifestation der PNH auftreten. Die PNH kann sich aus einer aplastischen An/imie [41, 46] entwickeln oder in andere h/imatologische Erkrankungen, wie z.B. akute myeloische Leuk/imie fibergehen [8, 19, 38, 39]. In vielen F/illen pr/isentieren sich die Patienten mit Bauch-, Riicken- und Kopfschmerzen sowie Schmerzen in der Skelettmuskulatur [23, 68]. Ffir diese Schmerzzust/inde gibt es bisher keine befriedigende Erkl/irung, jedoch wird ein Zusammenhang mit der Entstehung von Mikrothromben angenommen. Es kann zu Thrombosen, vor allem der Lebervenen (Budd-Chiari-Syndrorn) [35, 43], der Pfortader, der Milzvene und cerebraler Venen [5, 21, 22,

P. Blaas et al. : Paroxysmale n/ichtliche Hfimoglobinurie

85] kommen. Thrombotische Komplikationen und nicht die An/imie - sind die h/iufigste Todesursache von PNH-Patienten.

Pathogenese Seit den klassischen Untersuchungen yon Ham [31, 32] weig man um die Bedeutung des Komplementsystems bei der Pathogenese der PNH. Erythrozyten yon PNH-Patienten lassen sich irn Gegensatz zu normalen Erythrozyten durch anges/iuertes Serum lysieren. Bei der S/iureaktivierung wird im hurnanen Serum das Komplernentsystem unabh/ingig von den friihen Komponenten aktiviert. Es entsteht ein C56-Kornplex, der zusarnmen rnit C7, C8 und C9 die Lyse yon PNH-Erythrozyten bewirkt [28]. Unterschiedliche Empfindlichkeit der PNHErythrozyten in vitro gegeniiber Kornplement f/.ihrten zur Einteilung der PNH in 3 Typen. PNH-E Typ I und II sind gegenfiber Gesarntkornplernent m/igig ernpfindlich. Sie lassen sich 3-6mal leichter lysieren als norrnale humane Erythrozyten [63]. PNH-E Typ III h/irnolysieren dagegen 1525rnal leichter als normale Zellen [60, 62]. Auger Erythrozyten sind auch Granulozyten und Thrombozyten sowie Knochenmarkszellen gegenfiber Kornplement ungew6hnlich ernpfindlich [1, 20, 76, 80]. Man nahrn an, dag es sich bei der PNH um eine prim/ire Knochenrnarkerkrankung handelte, deren Defekt klonal bedingt ist [18, 55]. Die PNH kann aus anderen dysplastischen Knochenmarkerkrankungen entstehen bzw. in solche iibergehen, wie z.B. aplastische An/irnie [41, 46], Myelofibrose [47] und akute Leuk/imie [8, 19, 39, 40]. Es wurde ein Membrandefekt postuliert, der allerdings nur durch erh6hte Lysierbarkeit der Zellen definiert wurde. Mit der verminderten Aktivit/it des Enzyms Acetylcholinesterase (AchE) wurde ein Unterschied zu norrnalen Erythrozyten beschrieben [2]. Komplement-empfindliche Zellen zeigen keine meBbare AchE-Aktivit/it im Gegensatz zu Kornplernent-unempfindlichen Zellen [42], und das AchE-Protein fehlt in der Zellmembran der PNHE [9]. Die gesteigerte Lysierbarkeit der PNH-ZelIen war damit jedoch ebenso wenig erkl/irt wie durch erh6hte Antik6rperbindung oder Aktivierung der ersten 3 Komplementkomponenten [63]. Bemerkenswert war lediglich eine besonders starke C3 Beladung aller PNH-Erythrozyten [58] in vitro. Was ist aber nun die Ursache fiir die H/imolys e n .9

Bereits 1900 entdeckte Bordet, dab die Lyse

P. Blaas et al. : Paroxysmalen/ichtlicheH/imoglobinurie von Erythrozyten ausblieb, wenn Komplement und Zielzelle der gleichen Spezies angeh6ren [7]. Die Natur dieses Ph/inomens, auch ,,homologe Speziesrestriktion" genannt [27], wurde in den letzten Jahren aufgeklfirt. Die Komplement-Sequenz wird Spezies-spezifisch auf 2 Stufen inhibiert, um Erythrozyten vor der Komplementangriffsphase zu schfitzen [72]. In der frfihen Aktivierungsphase reduziert der ,, decay accelerating factor, D A F " die Komplementlyse auf der Stufe des C3. DAF hemmt die Bildung der klassisch oder alternativ gebildeten C3-Konvertase [52]. Bei PNH-Erythrozyten, -Thrombozyten und -Granulozyten fehlt diese DAF-Aktivit/it [50, 53]. Damit konnte bei der PNH erstmals ein Defekt auf molekularer Ebene definiert werden. Interessanterweise wird der DAF-Defekt erst wfihrend der Reifung der Zellen im Knochenmark erworben; D A F ist auf erythropoietischen Zellen noch nachweisbar [51]. PNH-Typ III Erythrozyten werden unabh/ingig von C3 durch die sp/iten Komponenten wesentlich besser lysiert als normale oder Typ I und Typ IIZellen [57, 66]. Dieser Defekt ist unabh/ingig von DAF, da PNH Typ II- ebenso wie PNH Typ IIIZellen DAF-defekt sind, aber nur PNH-Typ IIIZellen die vermehrte Lysierbarkeit aufweisen. PNH-Typ III-E mfissen demnach noch einen zweiten Defekt haben. Im homologen System werden die terminalen Komponenten durch ein Membranprotein, dem sog. ,,C8 binding protein, C8bp" reguliert [67]. Das C8bp fehlt in der Membran von PNH-Typ III Erythrozyten und bedingt die verst/irkte Lysierbarkeit der Zellen [29]. Doch nicht nur Lyse auch Zellstimulation dutch die Komplement Komponenten C5b-9 wird durch C8bp reguliert. C8bp fehlt bei PNH-Patienten in der Membran von Leukozyten und insbesondere Thrombozyten [4]. Dadurch werden die Thrombozyten zu erh6hter Thromboxan A2 und Serotonin-Freisetzung stimuliert. Da Thromboxan ein potenter P1/ittchenaggregator ist, und Serotonin infolge P1/ittchenaggregation entsteht, k6nnte der C8bp-Defekt auf Thrombozyten die ausgepr/igte Thromboseneigung der PNH Patienten gut erkl/iren [4]. Wie es zu dem Defekt von C8bp und dem anderer Membranproteine (DAF, Acetylcholinesterase, lymphocyte function associated antigen 3 (LFA3) [70]) bei der PNt-I kommt, ist noch unklar. Alle Proteine, die auf PNH-Zellen fehlen, werden fiber einen PhosphatidyMnositol-Anker (PI) an die Membran gebunden [17, 30, 70]. Die Ankopplung des PIAnkers erfolgt posttranslational fiber mehrere enzymatische Reaktionen [10]. Ffir DAF wurde gezeigt, dab die Information ffir das Membranpro-

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Laborparameter Bei den Laborparametern zeigt sich das Bild einer h/imolytischen An/imie. Die An/imie kann wechselnd ausgeprfigt sein, ist aber meistens schwer (70-80 glib/l). Die Erythrozyten sind vermindert (in schweren F/illen unter 2 Millionen), es besteht eine Retikulozytose von durchschnittlich 50-100%o. Indirektes Bilirubin und LDH sind erh6ht, Haptoglobin meist bis unter die Nachweisgrenze vermindert. Im Blutausstrich sind Anisozytose, Poikilozytose und Polychromasie zu sehen. Elektronenmikroskopische Aufnahmen zeigen bei Erythrozyten Einschlul3k6rperchen und an der Zellmembran narbige Ver/inderungen [44]. Der Coombs-Test ist negativ. Die Patienten leiden oft unter Eisenmangel, da grol3e Mengen Eisen w/ihrend der intravasalen Hfimolyse in den Urin verlorengehen. Im Urinsediment sind freie H/imosiderinschollen mit der Berliner-Blau-F/irbung nachweisbar. Ferner finden sich als Ausdruck 1/inger bestehender chronischer H/imolyse intrazellulfire H/imosiderinablagerungen. In fiber 50% der F/ille besteht eine mehr oder weniger ausgepr/igte Granulo- und Thrombozytopenie. Die Leukozyten k6nnen unter 1500/mm 3, die Thrombozyten unter 50 000/mm 3 absinken. Die alkalische Leukozytenphosphatase [45] und die erythrozyt/ire Acetylcholinesterase [2] sind erniedrigt. Das Knochenmark zeigt eine Hyperplasie zugunsten einer gesteigerten Erythropoiese. Granulound Megakaryopoiese k6nnen vermindert sein. Im peripheren Blut ist die Zahl der zirkulierenden roten Vorlfiuferzellen (BFU-Es) vermindert [65]. Ein hypo- bis aplastisches Knochenmark findet sich oft zu Beginn der Erkrankung und kann das einzige Symptom sein. Oft vergeht eine lange Zeit bis zur Diagnosestellung einer PNH, deshalb sollte bei jeder unklaren An/imie eine PNH in Betracht gezogen werden.

Diagnostische Tests Zwei Tests stehen zur Diagnostik der PNH zur Verffigung. Zum einen der Sfiure-Serum-Test (S/iure-H/imolyse-Test; Ham-Test [32]). Bei anges/iuertem Serum (pH-Maximum 6,7) kommt es zu einer Komplement-vermittelten Lyse der PNHErythrozyten. Ein positives Ergebnis in diesem Test kann bei der sehr seltenen kongenitalen dys-

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P. Blaas et al. : Paroxysmale n/ichtliche H/imoglobinurie

erythropoietischen An/imie Typ II (HEMPAS) mit 2-3 von 5 getesteten Komplementspendern vorkommen [11]. Diese Erkrankung 1/iBt sich aber u.a. durch die typische Mehrkernigkeit der Erythrozyten im Knochenmark von der PNH abgrenzen. Auch bei der heredit/iren Sphfirozytose kann der Test positiv sein; allerdings mit einer maximalen Hfimolyse bei pH 5,8. Bei einer Kontrolle mit inaktiviertem Spenderserum (Komplementinaktivierung) ist jedoch bei der Sph/irozytose eine Komplement-unabh/ingige Hfimolyse zu beobachten - im Gegensatz zur PNH. Als zweiter Test steht der Sucrose-Test [33] zur Verffigung. Er beruht darauf, dab in einem Medium niedriger Ionenst/irke Komplement an die Erythrozyten adsorbiert wird. Es empfiehlt sich zur sicheren Diagnostik der PNH stets beide Tests (auch wiederholt) durchzuffihren, ferner die alkalische Leukozytenphosphatase (ALP-Index

[Paroxysmal nocturnal hemoglobinuria].

Paroxysmal nocturnal hemoglobinuria, first described in the late 19th century, is an acquired disorder characterized by hemoglobinemia and hemoglobinu...
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