Leitthema HNO 2014 · 62:335–341 DOI 10.1007/s00106-014-2842-4 Online publiziert: 11. April 2014 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

J. Büntzel Klinik für HNO-Erkrankungen, Kopf-Hals-Chirurgie, Interdisziplinäre Palliativstation, Südharz Klinikum Nordhausen gGmbH, Nordhausen

Palliativmedizin in der HNO-Heilkunde Das palliativmedizinische Know-how unseres Faches sollte auch zum Wohle der vielen anderen Patienten in die multiprofessionellen Palliativteams hineingetragen werden. Eine Verbesserung der Symptome im Bereich von Kommunikation, Ernährung, Ästhetik u. a. bietet eine Chance zur Wahrung an Autonomie und Lebensqualität, die von den betroffenen Patienten und ihren Angehörigen dankbar angenommen wird.

Aufgaben Die WHO definiert Palliativmedizin sehr umfassend. Die offizielle Übersetzung der deutschen Fachgesellschaft lautet: „Palliativmedizin/Palliative Care ist ein Ansatz zur Verbesserung der Lebensqualität von Patienten und ihren Familien, die mit Problemen konfrontiert sind, welche mit einer lebensbedrohlichen Erkrankung einhergehen. Dies geschieht durch Vorbeugen und Lindern von Leiden durch frühzeitige Erkennung, sorgfältige Einschätzung und Behandlung von Schmerzen sowie anderen Problemen körperlicher, psychosozialer und spiritueller Art. Palliativmedizin F ermöglicht Linderung von Schmerzen und anderen belastenden Symptomen, F bejaht das Leben und erkennt Sterben als normalen Prozess an, F beabsichtigt weder die Beschleunigung noch Verzögerung des Todes, F integriert psychologische und spirituelle Aspekte der Betreuung,

F bietet Unterstützung, um Patienten zu helfen, ihr Leben so aktiv wie möglich bis zum Tod zu gestalten, F bietet Angehörigen Unterstützung während der Erkrankung des Patienten und in der Trauerzeit, F beruht auf einem Teamansatz, um den Bedürfnissen der Patienten und ihrer Familien zu begegnen, auch durch Beratung in der Trauerzeit, falls notwendig, F fördert Lebensqualität und kann möglicherweise auch den Verlauf der Erkrankung positiv beeinflussen, F kommt frühzeitig im Krankheitsverlauf zur Anwendung, auch in Verbindung mit anderen Therapien, die eine Lebensverlängerung zum Ziel haben, wie z. B. Chemotherapie oder Bestrahlung, und schließt Untersuchungen ein, die notwendig sind um belastende Komplikationen besser zu verstehen und zu behandeln“ [1]. Nach Vorstellung der Arbeitsweisen, Inhalte und Grundlagen des akademisch jungen Faches Palliativmedizin soll mit dem vorliegenden Manuskript 2 Hauptfragen nachgegangen werden: F Wo und wie benötigt der HNOArzt für die Betreuung seiner Patienten fundierte palliativmedizinische Kenntnisse? F An welcher Stelle kann die Palliativmedizin durch die Integration typischen HNO-Wissens Fortschritte in der Versorgung ihrer Patienten machen? Die dargestellte und angestrebte Vernetzung der beiden Fächer soll uns zurück

auf unser Grundanliegen führen – die ganzheitliche Versorgung der uns anvertrauten Patienten. Unser Hauptarbeitsmittel ist dabei das offene persönliche Gespräch und die klinische Beobachtung.

Grundlagen Formelle Grundlage für die Betreuung am Lebensende sind die „Grundsätze der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung“, deren aktuelle Fassung zuletzt 2011 veröffentlicht wurde [2].

Ziele Die eingangs zitierte Definition der Palliativmedizin spiegelt den mehrdimensionalen Ansatz von Palliative Care in der Betreuung schwerstkranker Patienten wider (. Abb. 1). Neben der medizinisch- und pflegerisch-symptomatischen Behandlung haben die spirituellen, sozialen und psychischen Probleme eine gleichrangige Bedeutung. Auch wenn der Patient unser eigentlicher „Auftraggeber“ ist, zielt die palliativmedizinische Betreuung auf die Begleitung des gesamten in Not geratenen Systems „Patient, Angehörige, Umgebung“. Dieser Anspruch benötigt in der täglichen Umsetzung die Arbeit in einem multiprofessionellen Team, zu dem neben Pflegenden und Ärzten, Psychologen und Seelsorger sowie andere medizinische Berufsgruppen gehören. Aber auch ehrenamtliche Helfer werden systematisch in die Hauptvortrag im Rahmen der 85. Jahresversammlung der Deutschen Gesellschaft für HalsNasen-Ohren-Heilkunde, Kopf-Hals-Chirurgie e. V., Dortmund 28.05.–01.06.2014. HNO 5 · 2014 

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Belastende Symptome

Pflegeprobleme Patient

Juristische Fragen

Sinnfragen

Abb. 1 8 Mehrdimensionales Modell zum Inhalt von Palliative Care

Arbeit des Palliativteams integriert. In der Regel sind diese Laien als Hospizbegleiter auf den Umgang mit Schwerstkranken vorbereitet worden. Die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedern des Palliativteams erfolgt strukturiert in Teambesprechungen. Ziele und Umstände der Betreuung werden gemeinsam definiert, die Umsetzung erfolgt in der Verantwortung des fachlichen Leiters, i. d. R. eines Facharztes mit der Zusatzweiterbildung Palliativmedizin.

Versorgungsstrukturen Palliativmediziner haben in Deutschland neben einem klinischen Facharzt i. d. R. eine einjährige Zusatzweiterbildung absolviert und sich einer Prüfung vor der zuständigen Landesärztekammer unterzogen. Alternativ kann eine 160-stündige curriculare Weiterbildung mit Abschlussprüfung absolviert werden. Pflegende und Vertreter anderer medizinischer Berufsgruppen haben eine analoge Zusatzweiterbildung in zeitlich ähnlichem Umfang zu absolvieren, wenn sie in einem Palliativteam tätig werden wollen [3]. Palliativmedizin wird sowohl ambulant als auch stationär durchgeführt, insbesondere am Lebensende gilt der Grundsatz, dass vor jeder stationären Behandlung die ambulanten Behandlungsansätze ausgeschöpft sein sollten. Neben der allgemeinen ambulanten Palliativversorgung durch niedergelassene Haus- und Fachärzte gibt es seit 2007 in Deutschland das Recht des Patienten auf ein spezialisiertes ambulantes Versorgungssystem (SAPV), das durch multiprofessionelle Palliati-

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ve-Care-Teams ergänzend zur Verbesserung der Situation am Lebensende eines Patienten angeboten werden soll. Bis zum Jahr 2013 ist insbesondere in ländlichen Bereichen ein flächendeckend vollständiges Versorgungsangebot in der Bundesrepublik noch nicht erreicht. Im stationären Bereich wird Palliativmedizin ebenfalls durch alle klinischen Fachdisziplinen gelebt und durchgeführt. Die spezielle Komplexversorgung wiederum wird auf interdisziplinären Palliativstationen angeboten, in denen ein Team gesondert für dieses Patientenklientel mit räumlichen, personellen und fachlichen Reserven zur Verfügung steht. Stationäre Hospize hingegen sind spezielle Pflegeeinrichtungen für Patienten am Ende ihres Lebens. Betreuungsteams in stationären Hospizen werden i. d. R. pflegerisch geleitet, und der Hausarzt steht als betreuender Mediziner zur Seite. Von diesen professionellen Angeboten abzugrenzen sind Begleitungen durch ambulante Hospiz- und Palliativberatungsdienste, die in erster Linie durch ehrenamtliche Helfer erbracht werden. Während die Begleitung durch den ambulanten Hospizdienst oftmals am Lebensende eine wertvolle Ergänzung zu professionellen Hilfsangeboten darstellt, ist zu früheren Zeitpunkten die Hinzuziehung von Mitgliedern der Selbsthilfegruppen von großer Bedeutung. Sie haben einen anderen Zugang zu den persönlichen, sozialen und spirituellen Problemen unserer Patienten und bauen Brücken zur gewohnten Umgebung. D Grundlage eines jeden individuellen

Behandlungsansatzes ist der formulierte oder mutmaßliche Wille eines Patienten. Somit spielen in der Palliativmedizin die Patientenverfügung und die eventuelle Betreuungsvollmacht eine besonders große Rolle [4]. Von palliativmedizinischen Behandlungsangeboten abzugrenzen sind die palliativen Behandlungsansätze, unter denen Formen der Grundbehandlung verstanden werden, die keine Kuration eines Leidens mehr zum Ziel haben, sondern eine Lebenszeitverlängerung. Eine palliativmedizinische Indikation hingegen er-

gibt sich immer aus dem Ziel der Verbesserung oder Linderung eines bestimmten Symptoms. Diese palliativen Behandlungsansätze fallen oftmals in den gleichen Lebensabschnitt, werden aber i. d. R. in der Verantwortung des Grundbehandlers, d. h. des Kopf-Hals-Onkologen oder Strahlentherapeuten durchgeführt. Die . Tab. 1 fasst exemplarische Verfahren aus den verschiedenen Bereichen zusammen.

HNO-spezifische Aspekte Jährlich erkranken in Deutschland etwa 20.000 Einwohner an einem KopfHals-Karzinom. Die Hälfte von ihnen wird an ihrer Krankheit in den kommenden 5 Jahren sterben. Die fachliche Betreuung dieser Patienten und die Begleitung von ihnen ist die Alltagssituation, in der sich praktische HNO-Heilkunde und Palliativmedizin am häufigsten berühren. An dieser Aussage hat sich in den vergangenen 50 Jahren nichts verändert [5]. Verändert haben sich die Behandlungsmodalitäten und dennoch müssen die Patienten in der Restzeit ihres Lebens mit den Folgen der Krankheit und der stattgehabten Behandlung leben. Oftmals schränken diese Folgen die Lebensqualität erheblich ein. Es sind mindestens 3 sehr zentrale HNO-Probleme der Lebensqualität, die aus Sicht der Palliativmedizin einer besonderen Beachtung bedürfen: Kommunikation, Ernährung und Atemnot. Nach Laryngektomie steht trotz aller Fortschritte in der Rehabilitation unverändert die eingeschränkte Kommunikation im Vordergrund der Beschwerden. Von den lokalen Symptomen stört danach die Schluckstörung und Mundtrockenheit am meisten [6]. Nach einer primär organerhaltenden Chirurgie führen die Schluckstörungen die Liste der Beschwerden an. Aspirationsneigung und rezidivierende Infekte der zentralen Atemwege werden hierbei häufiger als beeinträchtigende Symptomkomplexe gesehen [7]. Auch alternative Konzepte, die über eine primäre Strahlen(chemo)therapie den Organerhalt zum Ziel haben, sind mit einer erheblichen Spättoxizität behaf-

tet. Mundtrockenheit, Verlust des Schmeckens, Zahnprobleme, ein erhebliches interstitielles Ödem und eine Vernarbung sind für das posttherapeutische Bild charakteristisch [8]. Welche Symptome treffen unsere Patienten am Lebensende am häufigsten? Wir haben die Aufnahmegründe von HNO-Tumorpatienten auf der interdisziplinären Palliativstation analysiert und sehen hierbei die Trias Dysphagie/Mangelernährung, Luftnot und Schmerz im Vordergrund. Arrosionsblutungen, septische Zustände und Wundprobleme sind seltener, führen aber auch regelmäßig zur Aufnahme [9].

Mangelernährung Bereits zum Aufnahmezeitpunkt haben 75% unserer Patienten eine Malnutrition, in der Situation der begrenzten Lebenszeit bekommt diese jedoch eine andere inhaltliche Bedeutung. Zum einen müssen wir der Nahrungsaufnahme vielmehr ihre soziale Komponente für Patient und Betreuenden zurückgeben, d. h. auf eine strikte Umsetzung der möglichst oralen Ernährung achten. Die anzutreffende Inappetenz ist manchmal Folge einer zusätzlichen PEG-Ernährung, seltener auch der parenteralen Kalorienzufuhr. Gelegentlich helfen niedrig dosierte Steroide zum Anstoßen des Appetits.

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Auf eine strikte Umsetzung der möglichst oralen Ernährung ist zu achten Die aufgenommene Energie und Flüssigkeit sind in der Palliativsituation zweitrangig, das Schmecken und die eingegangene Sozialbeziehung stehen im Vordergrund. Eine konsequente Umsetzung dieses Therapiegedankens erfordert die verstärkte Einbeziehung von Logopäden in das multiprofessionelle Palliative-Care-Team, die neben den Schluck- und Stimmübungen auch einen großen Teil der psychosozialen Begleitung absichern können. Eine Mikroaspiration sollte kein Grund sein, auf eine logopädische Übungsbehandlung zur Verbesserung der oralen Nahrungsaufnahme für Palliativpatienten zu verzichten.

Leitthema Zum zweiten müssen wir darauf achten, dass Ernährung und Flüssigkeitszufuhr nicht zur Belastung für den Patienten kardial (und mental) werden. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährungsmedizin empfiehlt eine künstliche Ernährung über PEG oder Portsystem nur dann, wenn eine Lebensverlängerung von 2–3 Monaten für den Patienten absehbar ist. In diesem Fall ist auf eine ausgewogene Ernährung mit ausreichender Energiezufuhr zu achten. Die Flüssigkeitskalkulation muss auch hier sehr vorsichtig erfolgen [10, 11, 12].

Schmerzen Patienten mit Tumoren der Kopf-HalsRegion berichten über 2 Formen von lokalem Schmerz. Neben dem eigentlichen Tumorschmerz wird oft ein Narbenschmerz beklagt, der neuropathische Züge trägt oder ein Mixed-Pain-Geschehen ist. Die Narbenbildung tritt häufig erst Jahre nach der Grundbehandlung auf und ist sowohl in der Schluckstraße als auch in den Weichteilen des Halses zu beobachten. Die Behandlung dieser Schmerzen folgt den Leitlinien der Fachgesellschaften [13], jedoch gibt es einige Besonderheiten zu beachten bzw. mit den Kollegen der Schmerztherapie zu besprechen: F Aufgrund der Schluckstörungen unserer Tumorpatienten sollten enterale Opiate möglichst PEG gängig sein. Retardierte Formen müssen stabil die Magenpassage überstehen. Diarrhö oder Obstipation sind bei künstlicher Ernährung (oral und enteral) häufig und sollten regelmäßig erfragt werden. F Aufgrund der ausgeprägten Mundtrockenheit ist bei der Wahl eines kurz wirksamen Opiats auf eine mukosale Applikation mit nicht gestörter Schleimhaut zu achten. Wir bevorzugen rektale oder nasale Anwendungen bei Schmerzspitzen. Bukkale und sublinguale Applikationen sind oft nur verzögert wirksam. F Bei ausgeprägter Kachexie sinkt die Wirkung des lipophilen Schmerzpflasters. Die transdermalen Systeme von Fentanyl und Buprenorphin benötigen eine entsprechende subkutane Schicht zur optimalen Wirksam-

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Zusammenfassung · Abstract HNO 2014 · 62:335–341  DOI 10.1007/s00106-014-2842-4 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014 J. Büntzel

Palliativmedizin in der HNO-Heilkunde Zusammenfassung Ziel der Palliativmedizin ist die ganzheitliche Betreuung von Patienten mit begrenzter Lebenserwartung. Medizinische, pflegerische, spirituelle und soziale Probleme sollen dabei in ihrer Bedeutung wahrgenommen und entsprechende Hilfe durch ein Team verschiedener Professionen angeboten werden. Die Betreuung umfasst neben dem Patienten oftmals die Angehörigen auch über den Tod des Patienten hinaus. Die Hälfte der Tumorpatienten wird an ihrem Tumorleiden in den 5 Jahren nach der Diagnose sterben. Medizinische Hauptthemen der Qualität am Lebensende sind bei ihnen oft die Kommunikationsprobleme nach Laryngektomie oder Tracheotomie, Störungen des Essens und Trinkens nach Chirurgie und Bestrahlung, ödematöse Verän-

derungen im Gesicht und am Hals mit funktionellen und kosmetischen Belastungen, exulzerierte Wunden, die stark riechen und oft zu einer sozialen Isolierung führen. Allgemeine Symptome, die am Lebensende auftreten, sind u. a. Schmerzen, Angstzustände, Dyspnoe sowie akut auftretende Blutungen. Alle Maßnahmen sind in der letzten Lebensphase kritisch hinsichtlich ihres wirklichen Effekts zu hinterfragen. Es muss strikt auf die Einhaltung des Patientenwillens (Patientenverfügung) geachtet werden. Schlüsselwörter Palliativmedizin · Kopf-Hals-Tumoren · Lebensende · Lebensqualität · Psychosoziale Probleme

Palliative care in otolaryngology Abstract The aim of palliative care is to improve the quality of life (QOL) of patients with a limited life expectancy in a comprehensive multidisciplinary approach. It encompasses consideration of medical, physical, psychosocial and spiritual problems, including treatment and help from a team of various professionals. Palliative care often extents to the patient’s families and may continue after the death of the patient. Half of all head and neck cancer patients will die of their malignancy within 5 years of diagnosis. The primary medical issues affecting QOL at the end of life are communication problems due to laryngectomy or tracheostomy, disturbed eating and drinking due to surgery and radiotherapy, edema-

keit. Dies ist insbesondere bei Neueinstellungen in der Palliativphase zu beachten. Durch die Integration nichtmedikamentöser Verfahren (Physiotherapie, Naturheilkunde) lässt sich häufig eine Stabilisierung der Schmerzsituation erreichen [14].

Atemnot Atemnot und Erstickungsangst sind der dritte große Komplex, der häufig zu Krisensituationen bei Palliativpatienten unseres Fachs führt. Wahrscheinlich

tous changes of the face and neck with resultant functional and cosmetic consequences, as well as strong-smelling ulcerated wounds, which often lead to social isolation. General symptoms occurring at the end of life include pain, anxiety, different types of dyspnea and acute bleeding. All therapeutic approaches applied during the last phase of life must be questioned regarding their real efficacy and side effects. Consideration of the patient’s wishes is of the highest priority. Keywords Palliative care · Head neck cancer · End of life · Quality of life · Psychosocial problems

kann gerade die HNO-Heilkunde hier zu einer Versachlichung der teilweise emotionalen Debatte innerhalb der deutschen Ärzteschaft beitragen. Bausewein und Simon haben jüngst im Deutschen Ärzteblatt die Sicht der Palliativmediziner zusammengefasst und sich bei therapeutischen Empfehlungen sehr auf den konservativen Bereich fokussiert [15]. Zur Erleichterung der Atemarbeit empfehlen sie in der Palliativsituation die Nutzung von niedrig dosiertem Morphin und Benzodiazepinen als Anxiolytika. Insbesondere zum Durchbrechen des Circulus vitiosus zwischen Dyspnoe und Angst ist diese

Tab. 1  Palliative Therapieansätze für Kopf-Hals-Karzinome Chirurgie Laserdebulking Photodynamische Therapie Vaporisation Elektrochirurgie

Strahlentherapie Zweitbestrahlung Brachytherapie Protonentherapie  

Medikamentenkombination hoch geeignet. Antidepressiva, Sauerstoff und Kortison werden kontrovers diskutiert. In der Praxis hat sich die Gabe von niedrig dosiertem Sauerstoff auch zur Beruhigung des Patienten durchgesetzt, Steroide haben ihren Platz in der medikamentösen Behandlung einer Obstruktion. Aus der Praxis ebenfalls etabliert ist die Nutzung von Butylscopolamin als ein medikamentöser Behandlungsversuch des terminalen Rasselns [16].

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Zur Erleichterung der Atemarbeit werden niedrig dosiertes Morphin und Benzodiazepine empfohlen Gerade für jene Patienten mit einer Verlegung der oberen Atemwege ist es uns aber auch wichtig, die Ursache zu erkennen und die Möglichkeit interventioneller oder chirurgischer Maßnahmen auch für den Palliativpatienten abzuwägen. Aus chirurgischer Sicht erscheint die Tracheotomie ein probates Mittel, um Atemnot zu beseitigen. In der Diskussion mit Palliativpatienten und ihren Angehörigen lernt man aber, dass hier die Angstschwelle am größten ist, und deshalb sollte dieses Vorgehen nur dem Ausnahmefall vorbehalten bleiben. Bei einer Obstruktion durch Weichteilgewebe ist zunächst die Frage der endochirurgischen Resektion zu klären. Tumorbedingte oder ödematöse Obstruktionen lassen sich so oft gut im Pharynx und Larynx beseitigen und eine normale Atmung sichern. In den tieferen Atemwegen lässt sich das Ergebnis der Wiedereröffnung durch die Platzierung eines Stents absichern. Diese bedürfen wegen der fehlenden ziliaren Funktion einer besonderen Pflege, damit es nicht zu einer Verborkung in den Tagen nach der Platzierung kommt. Eine Kombination aus Tracheostoma und intratra-

Medikamentöse Therapie Docetaxel Cisplatin, Carboplatin Mitomycin Cetuximab

chealen bzw. intrabronchialem Stent ist unbedingt zu vermeiden. Auch für andere obstruktive Ursachen wie einen Pleuraerguss oder malignen Aszites haben van Oorschot et al. [17] ein ähnliches Vorgehen, d. h. überlegte Diagnostik und anschließende ggf. invasive therapeutische Maßnahmen berechtigt angemahnt.

Kommunikationsverlust Jede Manipulation an den Atemwegen, insbesondere die Tracheotomie, ist zunächst mit dem einschneidenden Verlust der eigenen Stimme verbunden. Dieser Verlust an Kommunikation bedeutet in den letzten Lebensmonaten eine erhebliche Erschwerung sozialer Beziehungen, d. h. ist mit einer sozialen Isolation gleichzusetzen. Im Rahmen meiner wöchentlichen Visite mit unserer Seelsorgerin bei den Tumorpatienten unserer Klinik klagte ein Betroffener: „Es bleibt alles in mir drin …“, Bilanzierung und Biographiearbeit sind für jeden Patienten wichtig, wir müssen sie ihm ermöglichen. Die Einbeziehung des Seelsorgers, alternativ auch des Psychoonkologen darf nicht nur auf der Palliativstation erfolgen. Neben der Hilfe für die Betroffenen bietet dieser Schritt auch Möglichkeiten zur seelischen Entlastung von Ärzten und Pflegenden.

Lymphödem Tumoren im HNO-Gebiet gehen am Lebensende mit deutlichen Veränderungen der Ästhetik einher, die durchaus auch die sozialen Kontakte erheblich einschränken können. Das sekundäre Lymphödem spielt dabei eine entscheidende Rolle. Es beruht neben der vermehrten Produktion von interstitieller Flüssigkeit (z. B. durch lokale Entzündungsreize) auf einem erschwerten Abtransport. Ursache hierfür sind Vernarbungen nach Chirurgie und

Strahlentherapie. Bei begrenzter Lebenserwartung sollten alle medikamentösen und physikalischen Maßnahmen ausgeschöpft werden, die zu einer Verminderung des Ödems führen. Im Bereich der Medikamente haben lediglich die Glukokortikoide einen guten, aber kurzfristigen Erfolg. Auch von Natriumselenit ist eine antiödematöse Wirkung im Kopf-HalsBereich bekannt. Physikalisch kann mit der manuellen Lymphdrainage sowie dem elastischen Lymphtaping ein kontinuierlicher Rückfluss unterstützt werden. Die . Abb. 2 zeigt eine mögliche Form des Tapings im Hals- und Gesichtsbereich.

Wunden Ebenfalls für die Umgebung erheblich belastend ist ein penetranter Geruch, der von offenen und zerfallenden Wunden ausgeht. Trotz mehrfach täglicher Wundverbände und penibler Sauberkeit kann es zu Situationen kommen, in denen lokale Antibiotika (z. B. Amoxicillin plus Clavulansäure), Kompressen mit Aktivkohle, chlorophyllhaltige Wundpflege und eine dezente Aromatherapie notwendig sind, um den Kranken nicht in die totale Insolation zu drängen. Derartige Wunden können im Einzelfall auch eine Indikation zum Tumordebulking und der anschließenden plastischen Deckung trotz nichtresezierbaren Tumors darstellen [18, 19]. Eine zweite Indikation für ein palliativ-onkochirurgisches Vorgehen ist das Vorliegen von Fisteln aus den oberen Speisewegen.

Blutungen Blutungen sind wohl von allen Symptomen neben der Atemnot mit der größten Angst von Betroffenen, Angehörigen, Pflegenden und Ärzten belastet. Dabei treten zumindest die heftigeren arteriellen Arrosionsblutungen eher selten auf; in unserem Krankengut waren es

[Palliative care in otolaryngology].

The aim of palliative care is to improve the quality of life (QOL) of patients with a limited life expectancy in a comprehensive multidisciplinary app...
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