246 Der interesseante Fall

Krankengeschichte



Berichtet wird über einen 64-jährigen Patienten, welcher sich mit seit 4 Wochen bestehender und progredienter Dysphonie in unserer Klinik vorstellte. Dyspnoe, Stridor oder Schluckschmerzen bestanden zu keiner Zeit. In der indirekten mikrolaryngoskopischen Untersuchung zeigte sich eine klinisch an einen klassischen Stimmlippenpolypen erinnernde, kugelige, glatt begrenzte Raumforderung der medialen Stimmlippenkante links am Übergang zwischen dem vorderen und ▶  Abb. 1), mittleren Stimmlippendrittel ( ● die ein Phonationshindernis darstellte. Eine mikrostroboskopische Untersuchung war technisch aufgrund der Glottisschlussinsuffizienz von ca. 6 mm über die gesamte Länge technisch nicht möglich. In der Vorgeschichte bestand ein Nikotinabusus bis vor 38 Jahren (ca. 20 pack years). Nebenbefundlich nahm der Pa­ tient aufgrund einer Refluxerkrankung Pantozol 20 mg 1-0-1 ein. Eine berufliche Sprechbelastung wurde verneint. Unter der Annahme eines Stimmlippenpolypen führten wir 3 Wochen später eine Abtragung der Raumforderung in der direkten Mikrolaryngoskopie durch. Intraoperativ tastete sich der Tumor derb, war jedoch klar auf die mediale Kante der Stimmlippe begrenzt und lies sich makroskopisch komplett entfernen. Die histopathologische Aufarbeitung erbrachte die Diagnose eines submukosal gelegenen, ulzerierten, osteoklastischen Riesenzelltumors mit Sitz innerhalb der Stimmlippe ohne Kontakt zum Kehlkopf▶  Abb. 2). Anhand der CD 68-Poskelett ( ●

sitivität ließen sich osteoklastäre Riesenzellen nachweisen, welche infiltrierend wuchsen. Immunhistochemisch waren die Tumorzellen ferner Vimentin positiv und negativ für Aktin, Myogenin und Desmin, was für einen mesenchymalen Tumor spricht. Aufgrund des großen Anteils an proliferierenden interstitiellen spindelzelligen Zellen (25–30 %), der Anhäufung von p53 in ihren Zellkernen und der deutlichen Pleomorphie musste der Tumor als maligne eingestuft werden. Daraufhin wurde eine Staging-Untersuchung eingeleitet i. S. einer CT Hals-Untersuchung, Röntgen Thorax-Aufnahme, Sonografie des Halses und des Abdomens, welches keinen Anhalt für Metastasierung erbrachte. Ferner wurde eine Mitbeteiligung des Kehlkopfskeletts durch eine CT-Untersuchung ausgeschlossen. Eine Tumorformel konnte für diese Tumorentität nicht angegeben werden, da die TNM-Klassifikation für Larynx-Tumoren nur für Karzinome gilt. Ein Hyperparathyreoidismus konnte ausgeschlossen werden. Der Patient wurde daraufhin in unserer interdiszplinären Tumorkonferenz vorgea

Diskussion



Riesenzelltumoren machen 5 % aller primären Knochentumoren aus und sind ­üblicherweise im Bereich des Achsenskelettes (distale Femur oder proximale Tibia) lokalisiert. Nur etwa 2 % aller ­Riesenzelltumoren treten im Kopf-Hals-­ Bereich auf. Dann sind sie gewöhnlich im Gesichtsschädel inkl. der Nasennebenhöhlen oder der Schädelbasis anzutreffen (Werner JA et al., Head Neck. 1997 Mar; 19: 153–157. Wieneke JA et al., Mod ­Pathol. 2001 Dec; 14: 1209–1215). ­Riesenzelltumoren des Larynx entstehen typischerweise im knorpeligen Skelett des Kehlkopfs, besonders in Bereichen von altersbedingter endochondraler Ossifikation bei männlichen Patienten mittleren Alters (Wieneke JA et al. Mod Pathol.

b

c

d

Abb. 1  Präoperativer laryngoskopischer Befund eines 63-jährigen Patienten.

Abb. 2  a Histologie des Riesenzelltumors der Stimmlippe (Übersicht; Haematoxylin-Eosin Färbung; Masstabe = 1000*m). Die Pfeile markieren eine tumorös bedingte Ulzeration im mukosalen Platten­ epithel der Stimmlippe. b Vergrößerung aus a (Haematoxylin-Eosin: Masstab = 50*m). Der Tumor wir aufgebaut aus mehrkernigen ­Riesenzellen, die in einem mononukleären Hintergrund zur Darstellung kommen. c ­Immunhistologie, CD68. Selektiv dargestellt sind die mehrkernigen Riesenzellen. c I­mmunhistologie, ­Ki-67. Die mononukleäre Zellen befinden sich im Zellzyklus, während die ­Riesenzellen keine Positivität zeigen.

 Froboese N et al. Kasuistik: Osteoklastischer Riesenzelltumor der …  Laryngo-Rhino-Otol 2015; 94: 246–247 ∙ DOI  10.1055/s-0034-1385945

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Kasuistik: Osteoklastischer Riesenzelltumor der Stimmlippe – eine sehr seltene Ursache für Heiserkeit

stellt, wo man sich bei einer mikroskopisch inkompletten Resektion (R1-Resektion) für eine kurative Therapie in Form einer Laserchordektomie entschied. Nur im Falle eines Rezidivs sollte eine zusätzliche Bestrahlungstherapie erfolgen. Nach problemloser Laserchordektomie konnte eine komplette Resektion erzielt werden. Erfreulicherweise fand sich bereits 2 Wochen postoperativ ein sehr zufriedenstellendes stimmliches Ergebnis. Es zeigten sich reguläre Wundverhältnisse, die Stimmqualität war nur gering einge▶  Abb. 3). schränkt ( ●

Abb. 3  Im postoperativen Befund ist die ehemalige Abtragungsstelle des Tumors nur noch als Fibrinbelag erkennbar.

2001 Dec; 14: 1209–1215). Im Jahr 1972 berichteten Salm und Sissons erstmals von einer Studie mit 10 Weichteiltumoren, welche histopathologisch das Muster eines Riesenzelltumors des Knochens aufwiesen. Sie nannten diese Tumoren ­„giant cell tumors of the soft tissue“. Im ­Jahr 1999 schlugen Folpe und Kollegen vor, diese Tumoren als „soft tissue giant cell tumor of low malignant potential“ neu zu klassifizieren, um das maligne Potenzial zu würdigen (Rochanawutanon M et al., Ear Nose Throat J. 2011 May; 90: 226–230). Auch der Tumor unseres Pa­ tienten zeigte sich als extraskelettaler Riesenzelltumor/Weichteil- Riesenzelltumor des Larynx, der eine erhebliche Pleomorphie in der spindelzelligen Komponente aufweist, sodass der Tumor als ­maligne eingestuft wurde. Dies deckt sich mit der Klassifikation von Folpe und Kollegen (Rochanawutanon M et al., Ear Nose ­Throat J. 2011 May; 90: 226–230).

Die nichtepithelialen Tumoren, zu denen auch der osteoklastäre Riesenzelltumor des Kehlkopfskeletts zählt, machen weniger als 2 % alle Kehlkopfneoplasien aus (Wieneke JA et al., Mod Pathol. 2001 Dec; 14: 1209–1215). Bisher sind lediglich 31 Fälle eines osteoklastären Riesenzelltumor des Kehlkopfs beschrieben. 30 dieser Tumoren gehen direkt vom Larynxskelett aus und nur einer entsprang direkt von der Stimmlippe und hatte keinen Kontakt zum Larynxskelett, wie bei unserem ­Patienten (Rochanawutanon M et al., Ear Nose Throat J. 2011 May; 90: 226–230,­ Wieneke JA et al., Dec; 14: 1209–1215). Mutmaßlich könnte ein versprengtes embryonales ­Gewebe dafür verantwortlich sein. Klinisch machen sich die Riesenzelltumoren des Kehlkopfes, je nach Lokalisation und Größe, durch eine mehr oder minder ausgeprägte Heiserkeit oder Obstruktion der Atemwege bemerkbar. Auch bei unserem Patienten war eine persistierende Heiserkeit das richtungsweisende Symptom. Zu den Differenzialdiagnosen der Riesenzelltumoren des Larynx bzw. der Stimmlippe gehören u. a. reparative Riesenzellgranulome, braune Tumoren bei Hyper­ parathyreoidismus, Fremdkörperreaktionen und Karzinome mit Riesenzellen (z. B. das sarkomatride Karzinom) (Wienek Ja et al., Mod Pathol. 2001 Dec; 14: 1209– 1215). Eine Veränderung durch einen Hyperparathyreoidismus wurde laborchemisch und anamnestisch, ebenso wie regenerativ granulomatöse Veränderungen ausgeschlossen. Hinsichtlich der Thera-

pie dieser seltenen Tumoren besteht angesichts der geringen Fallzahl noch kein Goldstandard. In der zusammenfassenden Durchsicht der verfügbaren Literatur kommt der isolierten chirurgischen Resektion, wie bei unserem Patienten, die größte Bedeutung zu. Die Prognose erscheint bei diesem Vorgehen günstig (Werner JA et al., Head Neck. 1997 Mar; 19: 153–157., Wieneke JA et al., Mod Pathol. 2001 Dec; 14: 1209–1215). Es wird von einer Rezidiv-freien Nachbeobachtungsphase von 11 Jahren nach alleiniger kompletter chirurgischer Resektion berichtet. In unserem Fall bleibt dies noch zu beobachten. Von anderen Autoren wird eine adjuvante Radiatio oder Chemo­therapie empfohlen, da Riesenzelltumoren des Larynx ein aggressiveres Wachstumsmuster als in den langen Röhrenknochen zeigten (Werner JA et al., Head Neck. 1997 Mar; 19: 153–157., Wieneke JA et al., Mod ­Pathol. 2001 Dec; 14: 1209–1215). Anhand des geschilderten Falls kann ­eindrucksvoll gezeigt werden, dass einseitige Tumoren der Stimmlippen, auch wenn sie glatt begrenzt sind, immer ­histologisch abzuklären sind, um auch seltene maligne Tumorentitäten, wie einen osteoklastischen Riesenzelltumor, frühzeitig zu erkennen und adäquat therapieren zu können.

Interessenkonflikt: Keine Interessenkonflikt angegeben. N. Froboese, T. Barth, S. Brosch, R. Reiter, Ulm

 Froboese N et al. Kasuistik: Osteoklastischer Riesenzelltumor der …  Laryngo-Rhino-Otol 2015; 94: 246–247 ∙ DOI  10.1055/s-0034-1385945

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Der interesseante Fall 247

[Osteoclastic giant cell tumor of the vocal cord].

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