Aus den Sektionen – Arbeitsgemeinschaft für Endoprothetik

Die Gonarthrose des jüngeren Patienten – wen sollte man knieendoprothetisch versorgen, wen nicht? Osteoarthritis of the Knee in the Young Patient – Who should Receive Total Knee Arthroplasty and Who should Not?

Autoren

D. Dornacher, T. Kappe, H. Reichel

Institut

Orthopädische Universitätsklinik Ulm am RKU, Universität Ulm

Schlüsselwörter " Knietotalendoprothese l " Gonarthrose l " junger Patient l " Patientenzufriedenheit l " kniegelenknahe Osteotol mien

Zusammenfassung

Abstract

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Die Zahl der Knieendoprothesen-Implantationen bei jüngeren Patienten hat in den letzten Jahren in verschiedenen Ländern ständig zugenommen, obwohl bekannt ist, dass in der Altergruppe unter 55 Jahren die Patientenzufriedenheit nach Knieendoprothetik geringer und die Revisionsrate höher ist als bei älteren Patienten. Solange eine zufriedenstellende Schmerzreduktion und Funktionsverbesserung durch alternative Maßnahmen erzielt werden kann, sollte bei jüngeren Patienten daher der endoprothetische Ersatz nach Möglichkeit vermieden werden. Bei jungen Patienten mit unikompartimenteller Gonarthrose und teilweise erhaltenem Gelenkspalt sollte bei entsprechender Deformität eine knienahe Korrekturosteotomie, ggf. kombiniert mit knorpelchirurgischen Maßnahmen, wenn immer möglich bevorzugt werden. Sollten diese Verfahren aufgrund einer fortgeschrittenen unikompartimentellen Arthrose keine Aussicht auf Erfolg haben, kann die Implantation einer unikondylären Prothese auch bei jüngeren Patienten erwogen werden. Bei fortgeschrittener Gonarthrose in mehr als 1 Kompartiment oder begleitender manifester tibiofemoraler Instabilität ist die totalendoprothetische Versorgung bei jüngeren Patienten in Ausnahmefällen indiziert. Stärkster Prädiktor für die postoperative Patientenzufriedenheit ist, insbesondere auch in dieser Altersgruppe, eine realistische Erwartungshaltung des Patienten.

The incidence of total knee arthroplasty in young patients continues to rise in certain countries despite evidence of decreased patient satisfaction and increased likelihood for revision in patients 55 years of age or less. As long as sufficient pain relief and functional improvement can be obtained by alternative means, total knee arthroplasty should be avoided whenever possible. In young patients with unicompartmental osteoarthritis, and a partially conserved joint space, correctional osteotomy around the knee accompanied by cartilage surgery should be preferred in the presence of the respective deformity. In cases of advanced unicompartmental arthritis, unicompartmental arthroplasty should be considered even in younger patients. Only if advanced arthritic changes in more than one compartment or accompanying tibiofemoral instability are present in younger patients, is total knee arthroplasty indicated in selected cases. The strongest predictor of satisfaction even in younger patients is, however, a realistic expectation about the outcome of surgery.

Einleitung

sche Potenzial des jüngeren Patienten erlaubt bei der orthopädischen Behandlung der Gonarthrose ein differenziertes Herangehen und schafft gute Voraussetzungen für gelenkerhaltende Verfahren. Trotzdem deuten die Daten aus Studien und Registern darauf hin, dass speziell bei jüngeren Patienten die Rate der KTEP-Implantationen in verschiedenen Ländern stetig ansteigt.

Key words " total knee arthroplasty l " osteoarthritis of the knee l " young patient l " patient satisfaction l " osteotomy around the knee l

Bibliografie DOI http://dx.doi.org/ 10.1055/s-0034-1368532 Z Orthop Unfall 2014; 152: 270–275 © Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York · ISSN 1864‑6697 Korrespondenzadresse Dr. Daniel Dornacher Orthopädische Universitätsklinik Ulm am RKU Universität Ulm Oberer Eselsberg 45 89081 Ulm Tel.: 07 31/1 77 51 13 Fax: 07 31/1 77 11 86 [email protected]

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Eine mittelgradige Gonarthrose des jüngeren Patienten, insbesondere bei Patienten unter 50 Jahren, stellt per se keine Indikation zur Implantation einer Knietotalendoprothese (KTEP) dar. Generell ist die Indikation zur KTEP bei jüngeren Patienten mit größter Zurückhaltung zu stellen. Das biologi-

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Betrachtet man die aktuelle Versorgungsrealität, so wird in verschiedenen Ländern ein deutlicher Trend bei der operativen Behandlung der Gonarthrose des jüngeren Patienten erkennbar: In Nordamerika war neben einem allgemeinen Anstieg der Implantationszahlen von KTEPs in den Jahren 2001 bis 2007 eine klare Tendenz zur Versorgung zunehmend jüngerer Patienten festzustellen [1]. Die Autoren konnten auf Datenbanken des Canadian Institute for Health Information (CIHI) für den Bundesstaat Ontario und des Nationwide Inpatient Sample (NIS) der Vereinigten Staaten zurückgreifen. Die Datenbank des NIS bildet 96% der Gesamtbevölkerung der USA ab. Im oben genannten Zeitraum zeigte sich der stärkste Anstieg der Implantationen in der Altersgruppe zwischen 50 bis 59 Jahren: In den USA stiegen die primären KTEPs in dieser Altersgruppe von 2001 bis 2007 um 82%, im kanadischen Bundesstaat Ontario gar um 118 % an. Zur zukünftigen Entwicklung der Knieendoprothetik liegen statistische Berechnungen für das US-amerikanische Gesundheitswesen vor. Für das Jahr 2016 wurde prognostiziert, dass mehr als die Hälfte der Patienten, die aller Voraussicht nach eine KTEP erhalten werden, jünger sein werden als 65 Jahre. Die am stärksten wachsende Nachfrage nach einem primären Kniegelenkersatz wird für die Altersgruppe zwischen 45 und 54 Jahren vorhergesagt. Speziell in dieser Altersgruppe wird ein Anstieg der absoluten Implantationszahlen von 59 000 im Jahre 2006 auf 994 000 bis ins Jahr 2030 erwartet. Dies bedeutet eine Steigerung um den Faktor 17 [2]. In anderen Gesundheitssystemen mit etablierten Endoprothesenregistern zeigt sich dieser Trend zumindest ansatzweise: Gemäß dem Bericht des Australian Orthopedic Association National Joint Replacement Register (AOANJRR) aus dem Jahr 2013 stieg in Australien von 2003 bis 2012 die Zahl der primär implantierten KTEPs über alle Altersgruppen um 92,4 %. Von 2003 bis 2008 stieg dabei der Anteil der Patienten unter 65 Jahren von 30 auf 34 %. In den letzten Jahren blieb der Anteil der Patienten unter 55 Jahren stabil (6,8 % in 2012), während der Anteil der eigentlichen „Zielaltersgruppe“ für den endoprothetischen Ersatz (75–84 Jahre) von ca. 30 % auf 23 % zurückging [3]. In Europa bestätigen Daten des Schwedischen Endoprothesenregisters (Swedish Arthroplasty Register, SKAR) eine ähnliche Entwicklung: Von 1998 bis 2007 stieg die Zahl der primären KTEP-Implantationen bei Patienten unter 55 Jahren auf das 5-Fache. Im Jahr 2000 wurde die valgisierende, hohe tibiale Osteotomie (HTO) als bis dahin häufigster Eingriff bei Patienten mit Gonarthrose unter 55 Jahren durch die KTEP abgelöst. Der Trend, anstelle einer gelenkerhaltenden Therapie beim jungen Patienten einen Gelenkersatz anzubieten, wird von den Autoren als Paradigmenwechsel bei der Behandlung der Gonarthrose dargestellt. Es wird befürchtet, dass Behandlungsalternativen für jüngere Patienten gar vollständig in Vergessenheit geraten könnten [4]. Für die Bundesrepublik Deutschland liegen von 2005 bis 2008 detaillierte Daten über die KTEP-Primärimplantationen in verschiedenen Altergruppen über die Bundesqualitätssicherungsstelle (BQS) vor. Neben dem allgemeinen Anstieg der Zahl der erfassten KTEP-Erstimplantationen von ca. 119 000 im Jahr 2005 auf 146 000 im Jahr 2008 ist auch in Deutschland ein Trend zur Behandlung immer jüngerer Patienten zu erkennen: Während 2005 11,3 % der Primärimplantationen bei Patienten erfolgten, die jünger als 60 Jahre waren, stieg der Anteil dieser Patienten im Jahr 2008 auf 13,1 %. Aufgrund der Zunahme der Implantationszahlen über alle Altergruppen, bedeutet dies bei Patienten

unter 60 Jahren eine Steigerung von 13 396 primären KTEPs im Jahr 2005 auf 19 157 Implantationen im Jahr 2008 [5].

Spezielle Aspekte der Knieendoprothetik beim jungen Patienten !

In früheren Untersuchungen zu klinischen Ergebnissen und Standzeiten von KTEPs bei jüngeren Patienten wurden gute Ergebnisse auch für die Behandlung dieser Patientengruppen beschrieben. Diese Studien schlossen jedoch relativ wenige Patienten ein, die in hoch spezialisierten Zentren versorgt und dort nachuntersucht wurden [6–9]. Im Gegensatz dazu zeigen Nachuntersuchungen, bei denen auf umfangreiche Patientenregister zurückgegriffen werden konnte, einen Zusammenhang zwischen einer höheren Versagensrate und jüngerem Lebensalter [10–11]. Durch landesweit erhobene Daten aus dem Finnischen Endoprothesenregister (Finnish Arthroplasty Register) ist das deutlich frühere Versagen einer primären KTEP bei Patienten, die zum Zeitpunkt der Implantation jünger als 55 Jahre waren, belegt [11]. Das Finnische Endoprothesenregister erfasst ca. 96 % aller Primärimplantationen in Finnland. Entsprechend konnten über 32 000 KTEPs, die von 1997 bis 2004 implantiert wurden, über einen mittleren Zeitraum von 3,9 Jahren (1–8 Jahren) im Hinblick auf die altersabhängigen Standzeiten untersucht werden. Auffallend ist, dass in der Altersgruppe der über 65-Jährigen 5 Jahre nach der Implantation 97 % der Endoprothesen noch ohne Revision waren, während im gleichen Zeitraum in der Altersgruppe unter 55 Jahren lediglich 92 % der Primärendoprothesen nicht revidiert wurden. Die Wahrscheinlichkeit für die Revision einer KTEP (Infektionen ausgenommen) war im Beobachtungszeitraum bei unter 55-Jährigen im Vergleich zu den über 65-Jährigen um den Faktor 2,9 höher. Die Autoren argumentieren, dass die früheren Revisionen bei jüngeren Patienten dem allgemein höheren Aktivitätsgrad geschuldet sind. Die höhere Zahl zyklischer Belastungen der oft noch im Berufsleben stehenden und sportlich aktiveren, jüngeren Patienten limitiere die Standzeit. Eine weitere Ursache für die früheren Revisionen wird im höheren funktionellen Anspruch der jüngeren Patienten an die KTEP gesehen. Diese Patienten seien häufiger mit dem klinischen Ergebnis unzufrieden, was wiederum zu einer früheren Revision beitragen könnte [12]. Eine bedeutende Rolle für die postoperative Zufriedenheit nach Implantation einer KTEP scheint – vor allem bei jüngeren Patienten – die präoperative Erwartungshaltung zu spielen [13–15]. Bourne et al. erhoben bei 1703 Patienten vor und nach Primärimplantation wiederholt Daten zur Patientenzufriedenheit mittels WOMAC-Score und einem auf die Zufriedenheit abzielenden Fragebogen. Insgesamt waren 19% der Patienten mit dem postoperativen Ergebnis unzufrieden [13]. Baker et al. konnten anhand 8231 beantworteter Patientenfragebögen (Oxford Knee Score: OKS) zeigen, dass über alle Altersgruppen hinweg lediglich 81,8 % mit dem postoperativen Ergebnis zufrieden waren. Hierbei waren insbesondere Patienten unter 65 Jahren nach Implantation einer KTEP seltener zufrieden als ältere Patienten [14]. Die Frage der Patientenzufriedenheit nach Implantation einer KTEP speziell bei jüngeren Patienten beleuchteten Parvizi et al. Die im Mittel 54 Jahre alten Patienten (n = 661, Altersspanne 19 bis 60 Jahre) wurden 1 bis 4 Jahre nach Primärimplantation durch ein unabhängiges Institut befragt. Ein Drittel der Patienten berichtete über noch vorhandene residuelle Symptome und relevante Einschränkungen [15].

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Internationale und nationale Versorgungsrealität

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Diese Patientengruppe wurde 1 bis 5 Jahre nach der KTEP-Implantation zusätzlich bez. ihrer Rückkehr ins Berufsleben befragt. Von den Patienten, die in den 3 Monaten vor dem Eingriff noch am Arbeitsplatz waren, kehrten 98% wieder ins Erwerbsleben zurück, 89 % an den vorherigen Arbeitsplatz [16]. In einer Arbeit von Williams et al. wurden bei 2456 Patienten 6 Monate und 2 Jahre nach knieendoprothetischer Versorgung Daten für Funktionsscores (OKS, EQ-5D) und Zufriedenheitsscores erhoben. Obwohl sich postoperativ ein Trend zu besseren funktionellen Ergebnissen bei jüngeren Patienten zeigte, waren insbesondere die jüngsten Patienten in der Gruppe unter 55 Jahren die am wenigsten zufriedenen. Die Autoren folgern, dass die Empfehlung zur KTEP bei jungen Patienten mit Zurückhaltung gestellt werden sollte [17]. Allen oben zitierten Arbeiten ist gemeinsam, dass die präoperative Erwartungshaltung sich als stärkster Prädiktor der postoperativen Patientenzufriedenheit herausgestellt hat. Mehr als deutlich scheinen Patienten mit einer präoperativ hohen Erwartungshaltung nach dem Eingriff weniger zufrieden zu sein. Sollte die Notwendigkeit bestehen, jüngere Patienten mit einer KTEP zu versorgen, so müssen die postoperativen Erwartungen realistisch und für den Patienten verständlich formuliert werden.

Tab. 1 Indikationen und Kontraindikationen der valgisierenden hohen Tibiaosteotomie bzw. der Knietotalendoprothese bei Gonarthrosepatienten unter 50 Jahren. valgisierende hohe Tibiaosteo-

Knietotalendoprothese

tomie Indikationen unikompartimentelle Degeneration Gonarthrose Grad II–III n. Kellgren u. Lawrence medial klinische Varusdeformität keine höhergradige Bandinstabilität ROM mind. E/F 0/10/120° höherer Aktivitätsanspruch Kontraindikationen wie KTEP, aber zusätzlich: Knorpelschäden kontralateral Außenmeniskusverlust Übergewicht eingeschränkter ROM (s. o.) rheumatoide Arthritis Nikotinabusus osteoporotische Knochenqualität

Indikationen bi- oder trikompartimentelle Degeneration Gonarthrose Grad III–IV n. Kellgren u. Lawrence medial und lateral jegliche Beinachse auch höhergradige Bandinstabilität ROM < E/F 0/10/120° geringerer Aktivitätsanspruch Kontraindikationen floride Entzündungen Insuffizienz des Streckapparats neuromuskuläre Gelenkinstabilitäten manifeste psychische Erkrankung schwere Depression zu große Erwartungshaltung

ROM: Range of Motion; E: Extension; F: Flexion

Behandlung der Gonarthrose des jüngeren Patienten mittels gelenkerhaltender Eingriffe !

Bei jüngeren Patienten muss sich der Operateur bewusst sein, dass er meist einen im Erwerbsleben stehenden Patienten mit körperlichem Aktivitätsanspruch behandelt. Die Kniegelenkfunktion nach einer entlastenden Osteotomie mit Erhalt des na" Tab. 1) und türlichen Gelenks ist bei korrekter Indikation (l Durchführung der Osteotomie der eines endoprothetisch ersetzten Gelenks überlegen [18]. Dies gilt insbesondere, wenn noch sportliche Ansprüche bestehen. In einer aktuellen Metaanalyse wurden die Langzeitergebnisse nach Implantation einer unikondylären Endoprothese (UKA) mit der HTO bei der Behandlung der Gonarthrose verglichen. Es wurden 89 Studien mit der Fragestellung nach dem klinischen Outcome und den Überlebenszeiten der Verfahren eingeschlossen. Die Autoren konnten im 5- bis 12-Jahres-Zeitraum für die UKA zwar klinisch bessere Ergebnisse zeigen, diese wurden jedoch mit einer nennenswerten Reduktion körperlicher und sportlicher Belastungen nach der UKA erkauft. Die Autoren folgerten, dass die valgisierende HTO für den jüngeren Patienten, der eine leichte Einschränkung seiner sportlicher Aktivitäten akzeptiert, das besser geeignete Verfahren ist. Der größte Vorteil der HTO für den jüngeren, aktiven Patienten ist der Erhalt des eigenen Gelenks mit dadurch eher geringerem Funktionsverlust. Ein weiterer, wesentlicher Vorteil eines gelenkerhaltenden Eingriffs beim jüngeren Patienten mit einer Gonarthrose wird im möglichen Aufschub des endoprothetischen Ersatzes um etwa 10 Jahre gesehen [18]. Der jüngere Gonarthrosepatient wird trotz gelenkerhaltender Behandlung mittels einer entlastenden Osteotomie mit hoher Wahrscheinlichkeit mittel- bis langfristig einen endoprothetischen Ersatz benötigen. Der Patient muss präoperativ darüber informiert sein, dass auch die gelenkerhaltende Behandlung wahrscheinlich in eine Endoprothesenimplantation münden wird, aber eben deutlich später, idealerweise zum Ende des Erwerbslebens. Meding et al. untersuchten Standzeiten und Funktion von primären KTEPs, die als Folgeeingriff nach vorheriger HTO

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implantiert wurden. Unter mehr als 5000 Knietotalendoprothesen fanden sich 39 Patienten, die bilateral mittels einer KTEP versorgt wurden und im Mittel 8,7 Jahre vorher eine unilaterale HTO erhielten. Hierbei wurde die endoprothetische Versorgung bei 32 dieser Patienten bilateral-simultan durchgeführt. Zwischen den mittels HTO voroperierten und nicht voroperierten Kniegelenken zeigten sich funktionell im Knee Society Score sowie in der Kaplan-Meier-Analyse nach im Mittel 14 Jahren (3–21 Jahre) keine relevanten Differenzen [19]. Die medial öffnende, valgisierende HTO hat sich als Standardverfahren der mittelgradigen medialen unikompartimentellen Gonarthrose etabliert. Bis auf operationstechnische Besonderheiten, die am Kniegelenk sowie an der proximalen Tibia nach vorheriger medial öffnender HTO berücksichtigt werden müssen (Patella baja, Bandsituation, ggf. erhöhter tibialer Slope), kann eine spätere KTEP-Implantation nach der HTO ohne wesentliche Abweichungen vom Standard durchgeführt werden [20]. In der eigenen Klinik wurden in den Jahren 2009 bis 2012 insgesamt 1257 primäre KTEPs implantiert. Nur in 14 Fällen waren die Patienten bei der Primärimplantation jünger als 50 Jahre. Bei diesen Patienten war der Kniegelenkersatz aufgrund einer primären oder sekundären Gonarthrose mit höhergradiger ligamentärer Instabilität oder radiologisch fortgeschrittener Arthrose (Stadium IV nach Kellgren und Lawrence, „bone-on-bone“) in mehr als einem Kompartiment indiziert. Demgegenüber standen in diesem Zeitraum 139 Patienten mit einer unikompartimentellen mittelgradigen Gonarthrose (Stadium II nach Kellgren und Lawrence), die mittels einer valgisierenden, hohen tibialen Osteotomie oder einer varisierenden, suprakondylären Osteotomie gelenkerhaltend behandelt wurden. Von diesen 139 Patienten waren über 2 Drittel (105 Patienten) jünger als 50 Jahre. Nach einer hohen tibialen, valgisierenden Osteotomie bei unikompartimenteller medialer Arthrose konnten alle 43 in eine Studie eingeschlossenen Patienten an den ursprünglichen Arbeitsplatz nach normaler Rekonvaleszenz zurückkehren, die Intensität der beruflichen Belastung musste nicht wesentlich reduziert werden. Die Aktivitätsscores (Lysholm, Tegner, Naal) waren

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Abb. 2 a bis d a, b Subluxierende Varusgonarthrose bei einer 49-jährigen adipösen Patientin, in einer vorangegangenen Arthroskopie wurden drittgradige Knorpelschäden auch im lateralen Kompartiment dokumentiert.

2 Jahre postoperativ mindestens auf dem präoperativen Niveau oder besser. Folgerichtig konnten 92% der Patienten ihre sportlichen Aktivitäten – wenn auch auf etwas niedrigerem Niveau – wieder aufnehmen [21].

Welcher jüngere Patient sollte nun knieendoprothetisch versorgt werden und welcher nicht? !

Wenn immer möglich, sollte beim jungen Patienten unter 50 Jahren der Gelenkersatz vermieden werden. Sind die degenerativen, nicht vollschichtigen Knorpelläsionen auf ein Kompartiment beschränkt, sollte ein gelenkerhaltender Eingriff zur Entlastung des " Abb. 1). Bei umbetroffenen Kompartiments erwogen werden (l schriebenen, auch vollschichtigen Knorpeldefekten mit stabilem Randbereich sind zusätzliche knorpelchirurgische Maßnahmen möglich. Relevant für die Entscheidung zwischen HTO und KTEP

c, d Versorgung mit einem bikompartimentellen ungekoppelten Oberflächenersatz.

ist eher das globale Ausmaß der Arthrose im jeweiligen Kompartiment als der lokale Grad des Knorpelschadens. Das Kniegelenk sollte bandstabil sein. Eine Insuffizienz des vorderen Kreuzbands stellt eine relative Kontraindikation dar, eine vom Patienten beklagte, subjektive Instabilität schließt eine Osteotomie mit Veränderung der Achsverhältnisse in der Regel aus. Das kontralaterale Kompartiment sollte intakt sein, die Bewegungseinschränkung über ein moderates Streckdefizit von 10° nicht hinausgehen. Liegt klinisch eine Varusdeformität mit bis drittgradiger medialer Gonarthrose ohne Kontraindikationen vor, empfehlen wir dem jüngeren Patienten eine medial öffnende HTO mit Korrektur der Mikulicz-Linie auf den Fujisawa-Punkt, bei größeren Korrekturen ggf. unter Verwendung von autogenen Transplantaten (Beckenkamm). Bei viertgradiger medialer Gonarthrose oder einem BMI von über 30 kg/m2 sollte mit dem Patienten die Relativität des Eingriffs kritisch besprochen werden. Im Vorfeld einer möglichen Osteotomie kann die probatorische Simulation einer Entlastung

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Abb. 1 a bis c a Präoperative a.–p.-Belastungsaufnahme des rechten Kniegelenks eines 51-jährigen Kfz-Mechanikers. Mit dem Patienten wurde bei beruflichem Aktivitätsanspruch eine gelenkerhaltende Behandlung besprochen. b Die zur Indikationssicherung durchgeführte Arthroskopie zeigte zweitgradige Knorpelveränderungen im medialen Kompartiment, bei bestehender Varusachse und lateral intakten Knorpelverhältnissen wurde die valgisierende HTO in gleicher Sitzung durchgeführt. c Das Implantat wurde 2 Jahre später entfernt. Der Patient ist beschwerdefrei und arbeitet vollschichtig an seinem früheren Arbeitsplatz.

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Abb. 3 a bis d a, b Fortgeschrittene posttraumatische Varusgonarthrose bei einem 48-jährigen Patienten, Zustand nach VKB-Plastik vor 12 Jahren.

mittels Valgisationsorthese durchgeführt werden. Sollte die unikompartimentelle Arthrose zu weit fortgeschritten sein, kann eine unikondyläre Prothese erwogen werden. Bei Vorliegen einer dritt- oder viertgradigen tibiofemoralen, bikompartimentellen Arthrose und Ausreizung konservativer Optionen kann beim Patienten unter 50 Jahren die Indikation zur totalendoprothetischen Versorgung gestellt werden. Diese Indikation sollte jedoch Ausnahmen vorbehalten sein wie fortgeschrittenen primären und sekundären Gonarthrosen (z. B. bei rheumatoider Arthritis oder nach Trauma), ausgeheilten postinfektiösen Zuständen oder Gonarthrosen bei hochgradiger Instabilität, meist nach vorangegangener operativer Stabilisierung. Hier ist bei entsprechendem Leidensdruck auch bei jungen Pa" Abb. 2 tienten die KTEP meist das einzige sinnvolle Verfahren (l und 3). Da ein junger Patient i. d. R. höhere Ansprüche an die postoperative Funktion des Kniegelenks stellt, müssen vor Implantation einer KTEP mit dem Patienten wirklichkeitsnahe postoperative Ziele besprochen werden. Eine überzogene Erwartungshaltung seitens des Patienten kann als relative Kontraindikation betrachtet werden. Dies trifft ebenso auf Patienten mit manifesten psychischen Erkrankungen oder einer schweren Depression zu. In der Literatur werden nach KTEP-Implantation bei jüngeren Patienten zufriedenstellende Ergebnisse im Kurzzeitverlauf berichtet, die mittel- bis langfristigen Ergebnisse sind allerdings schlechter als bei älteren Patienten [22]. Infolge der allgemein höheren körperlichen Aktivität zeigen sich bei jüngeren Patienten vermehrt Osteolysen und Lockerungen, sodass reduzierte Standzeiten, höhere Raten aseptischer Lockerung und auch septische Komplikationen bei der Indikationsstellung zu berücksichtigen und mit dem Patienten zu besprechen sind [8, 12, 23]. Interessenkonflikt: Nein

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c, d Versorgung mit einem trikompartimentellen ungekoppelten Oberflächenersatz.

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[Osteoarthritis of the knee in the young patient--who should receive total knee arthroplasty and who should not?].

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