Kasuistik | Case report

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Orthotope Lebertransplantation bei polyzystischer Leberdegeneration mit massiver Hepatomegalie Orthotopic liver transplantation for polycystic liver disease with massive hepatomegaly

Autoren

N.M. Dreger1 G.M. Kaiser1 J.W. Treckmann1 Z. Mathé1 T. Benkö1 A. Paul1

Institut

1 Universitätsklinikum Essen, Klinik für Allgemeinchirurgie, Viszeral- und Transplantationschirurgie, Essen,

Deutschland

Anamnese und klinischer Befund: Ein 51-jähriger Patient (126 kg, 192 cm) stellte sich 14 Jahren nach Diagnose einer isolierten polyzystischen Leberdegeneration im Transplantationszentrum vor. Es bestand eine massive Hepatomegalie, die kardiopulmonale Beschwerden verursachte. Therapie und Verlauf: Der Hepatektomie folgte eine orthotope Lebertransplantation mit CavaErsatz, die Spenderleber stammte von einer 73-

jährigen Frau (erweiterte Spenderkriterien). Trotz Gewichts der Eigenleber von 22 kg wurde während der Transplantation auf einen CavaShunt verzichtet. 18 Monate nach Transplantation erfreut sich der Patient eines sehr guten Allgemeinzustandes bei stabiler Leberfunktion. Folgerung: Diese Kasuistik belegt Wert und Erfolg einer Transplantation bei Patienten mit enormer Hepatomegalie im Zuge einer polyzstischen Lebererkrankung.

Hepatologie, Transplantationsmedizin Kasuistik | Case report

Schlüsselwörter polyzystische Leberdegeneration orthotope Lebertransplantation Hepatomegalie

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Keywords polycystic liver disease orthotopic liver transplantation hepatomegaly

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Einleitung ▼ Die isolierte polyzystische Leberdegeneration ist eine seltene Erkrankung, die in der Mehrzahl der Fälle asymptomatisch verläuft. Jedoch kann auf Grund ihrer Progredienz mit zunehmendem Alter eine bedrohliche Hepatomegalie entstehen.

Kasuistik ▼ Anamnese Der 51-jähriger Patient (126 kg, 192 cm) stellte sich mit stark progredienter polyzystischer Lebererkrankung zur Evaluation einer orthotopen Lebertransplantation (OLT) vor. Die Progredienz der Erkrankung wurde über 14 Jahre lediglich durch jährliche CT-Abdomen-Aufnahmen beobachtet. Beklagt wurden neben zunehmenden abdominellen Schmerzen ein intermittierender Pruritus, stark eingeschränkte Belastbarkeit aufgrund wiederkehrender Dyspnoe sowie Einschränkungen in der Mobilität. Auch der Vater des Patienten wies eine polyzystische Lebererkrankung auf.

Körperlicher Untersuchungsbefund Bei der körperlichen Untersuchung wurde ein pralles Abdomen mit massiv vergrößerter Leber festgestellt. Ikterus und Aszites bestanden nicht. n

Klinisch-chemische Untersuchungen Im Labor fand sich eine Erhöhung der alkalischen Phosphatase (AP, 268 U/l) und der γ-Glutamyltransferase (γ-GT, 923 U/l). Diese werden als mögliches Korrelat für die Aktivierung der Cholangiozyten angesehen [6]. Ebenso konnten ein leicht erhöhtes Gesamt-Bilirubin (1,3 mg/dl) sowie erhöhtes direktes Bilirubin (0,5 mg/dl) nachgewiesen werden. Die Syntheseleistung der Leber war präoperativ unauffällig.

Ergänzende Untersuchungen Die Computertomographie des Abdomens zeigte eine von großen Zysten (max. 21,3 cm Durchmesser) durchsetzte und dadurch massiv vergrößerte Leber mit Rarefizierung des Lebergewebes. Der Durchmesser betrug maximal 49 cm und in der Medioklavikularlinie 44 cm. Durch Verdrängung ergab sich ein Zwerchfellhochstand und eine Impression des rechten Herzvorhofes. Die Milz wurde vom linken Leberlappen komprimiert sowie das Pankreas in den rechten Oberbauch verdrängt. Die rechte Niere und Nebenniere waren nach median (ventral der Aorta) verlagert (q Abb. 1). In den restlichen parenchymatösen Organen waren keine Zysten nachweisbar.

eingereicht 14.05.2013 akzeptiert 18.07.2013 Bibliografie DOI 10.1055/s-0033-1349654 Dtsch Med Wochenschr 0 2013; 1380 0:2407–2409 · © Georg Thieme Verlag KG · Stuttgart · New York · ISSN 0012-04721439-4 13 Korrespondenz Prof. Dr. Gernot M. Kaiser Klinik für Allgemein-, Viszeralund Transplantationschirurgie, Universitätsklinikum Essen Hufelandstr. 55 45147 Essen, Deutschland Tel. +49 201/723-84028 Fax +49 201/723-1142 eMail Gernot.Kaiser@ uk-essen.de

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Zusammenfassung ▼

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Abb. 2 Nahaufnahme der explantierten Zystenleber.

Abb. 1 Polyzystische Leber im präoperativen CT (coronarer Schnitt, arterielle Phase). Pfeil: Impression des rechten Herzvorhofes, Stern: nach median verlagerte rechte Niere.

Die Ösophago-Gastro-Duodenoskopie bis in das proximale Jejunum ergab eine deutliche Kompression des Antrums (mit Magenflüssigkeit) sowie des Bulbus im Sinne einer funktionellen Magenausgangsstenose. In der histologisch-mikroskopischen Untersuchung der explantierten Leber waren die Zysten von einem einfachen abgeflachten Epithel ausgekleidet. Erkennbar waren außerdem Gangproliferate sowie Gallengangsmikrozysten vom Typ des Meyenburg-Komplexes, die als Ausgangspunkt der Zystenentstehung angesehen werden und mit der polyzystischen Leberdegeneration assoziiert sind [6]. Auffällig waren ebenfalls Leberparenchymareale mit vermehrtem Bindegewebe und Zeichen einer uncharakteristischen chronischen Entzündung.

Therapie und Verlauf In Zusammenschau der Anamnese, des klinischen Befundes sowie der im weiteren Behandlungsverlauf erhobenen Befunde stellten wir die Indikation zur Transplantation. Der Patient wurde mit einem Lab-MELD-Score von 10 (Kreatinin 1,13 mg/dl; Bilirubin 1,50 mg/dl; INR 1,08) sowie durch Erfüllung der matchMELD-Standardkriterien mit einem Exceptional-MELD von 20 bei Eurotransplant auf der Transplantationswarteliste gemeldet. Vom Zentrum wurde das Transplantat einer 73-jährigen Spenderin angeboten (erweiterte Spenderkriterien; [11, 13]). Die massive Hepatomegalie erschwerte die Hepatektomie erheblich. Um weiteres Präparieren zu ermöglichen, wurden daher im Bereich des rechten Leberlappens 2 Zysten mit insgesamt über 4 l Flüssigkeit eröffnet. Die explantierte Leber wog insgesamt 22 kg (17 % des Körpergewichtes; q Abb. 2). Es erfolgte eine OLT mit Cava-Ersatz, anschließend wurden sowohl Pfortader als auch Arteria hepatica in End-zu-End-Technik anastomosiert (30 min warme Ischämiezeit). Während der Operation wurden 2 Erythrozytenkonzentrate transfundiert.

Postoperativ zeigte das Transplantat eine regelrechte Perfusion, die Transaminasen wiesen am Operationstag einen Peak auf (Glutamat-Oxalacetat-Transaminase (GOT) 518 U/l, GlutamatPyruvat-Transaminase (GPT) 383 U/l) und normalisierten sich im Verlauf. Unter immunsuppressiver Therapie mit Prednison, Mycophenolat-Mofetil und Tacrolimus trat 21 Tage nach Transplantation eine akute zelluläre Abstoßungsreaktion auf, welche erfolgreich mittels Kortison-Stoßtherapie behandelt wurde. Zuletzt befand sich der Patient 18 Monate nach Transplantation in sehr gutem Allgemeinzustand mit guten Perfusionsverhältnissen der Leber. Die Laborwerte waren normwertig und sprachen für eine regelrechte Leberfunktion.

Diskussion ▼ Die isolierte polyzystische Lebererkrankung (PCLD) ist definiert als sporadisch auftretende oder autosomal-dominant vererbte Erkrankung, die sich durch multiple Leberzysten biliären Ursprungs bei fehlender Zystenbeteiligung anderer Organe auszeichnet. Bisher sind hierfür als verantwortlich identifizierte Gene PRKCSH und Sec63 zu nennen [14]. Risikofaktoren für das Wachstum und die Anzahl der Zysten sind Alter und weibliches Geschlecht – besonders Multipara und jahrelange Einnahme oraler Kontrazeptiva gelten als Trigger, was eine hormonelle Komponente in der Genese der PCLD vermuten lässt [7]. Die Inzidenz der PCLD liegt unter 0,01 %, obgleich man von einer hohen Dunkelziffer auf Grund häufigen asymptomatischen Verlaufes (> 80 %) ausgehen muss [10]. Epidemiologisch kommt die PCLD seltener vor als die mit einer Nierenbeteiligung vergesellschaftete, autosomal-dominant vererbte polyzystische Nierenkrankheit (ADPKD), welche eine Prävalenz von 0,1–0,2 % aufweist [7]. Zu den klassischen Symptomen zählen abdominelle Schmerzen, Dyspnoe, ein frühes Sättigungsgefühl, Pruritus und das Auftreten von Ödemen bei Kompression der Vena cava inferior. Als Komplikationen können weiterhin Zystenrupturen, Einblutungen oder Infektionen des Zysteninhaltes auftreten. Als extrahe-

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Diagnostisches Mittel der Wahl ist die Sonographie, obgleich CT und MRT eine höhere Sensitivität und Genauigkeit bei der Bestimmung der Zystenanzahl und Größe aufweisen. Als Diagnosekriterium für die isolierte PCLD gilt in sporadischen Fällen der Nachweis von 20 Zysten [8]. Bei positiver Familienanamnese und einem Alter  40Jahren der Nachweis von > 3 Zysten erforderlich [12]. Laborchemisch ist eine Erhöhung von γ-GT und AP charakteristisch, wobei der Grad der Erhöhung mit der Aktivität der Erkrankung korreliert. Totales Bilirubin und direktes Bilirubin sind selten erhöht, meist erst in einem fortgeschrittenem Stadium. Der Tumormarker CA19–9 ist in 45 % der Fälle erhöht, ist jedoch nicht als Zeichen einer malignen Transformation zu interpretieren, sondern vielmehr als Korrelat für die Aktivität des Zystenepithels, welches CA19–9 produziert [6]. Der therapeutische Schwerpunkt liegt je nach Schweregrad bei interventionellen Methoden wie Zystenaspiration kombiniert mit anschließender Sklerotherapie (Ethanol, Minocyclin oder Tetrazyclin), Zystenfenestration, segmentaler Leberteilresektion und als Ultima Ratio Lebertransplantation [6, 7, 8]. Konservative Methoden wie die Gabe von Somatostatin-Analoga (Octreotid, Lanreotid) und die dadurch vermittelte Verringerung des cAMPLevels, Verminderung der Flüssigkeitssekretion sowie Zellproliferation von Cholangiozyten oder die systemische Gabe von mammalian-Target-of-Rapamycin(-mTOR)-Inhibitoren (Sirolimus, Everolimus) stellen Alternativen in der Therapie dar, befinden sich aber noch in der klinischen Evaluation [3, 4, 5, 8]. Die Lebertransplantation ist bei strenger Indikationsstellung die einzige kurative Therapieoption [7]. Da die Syntheseleistung der Leber bei zugrundeliegender PCLD meist bis zuletzt stabil ist, spiegelt der Lab-MELD-Score die Dringlichkeit einer Transplantation oft nicht wider, weshalb die Wichtigkeit des ExceptionalMELD-Score in diesem Kontext zu unterstreichen ist [1, 2]. Auch bei zunehmendem Organmangel in Deutschland [9] ist bei einer zu erwartenden 5-Jahres-Überlebensrate von bis zu 92 % bei der PCLD [6] weiterhin eine gute und gerechtfertigte Indikation zur OLT gegeben.

Konsequenz für Klinik und Praxis 3Da mittels Sonografie eine einfache und schnelle Diagnosestellung der polyzystische Lebererkrankung möglich ist, sollte bei symptomatischer Erkrankung eine frühzeitige Anbindung an ein spezialisiertes Zentrum erfolgen. 3Durch zeitgerechte Indikationsstellung zur orthotopen Lebertransplantation kann die Hepatektomie durch eine weniger stark ausgeprägte Hepatomegalie erleichtert und somit das perioperative Risiko für den Patienten verringert werden.

Abstract

Orthotopic liver transplantation for polycystic liver disease with massive hepatomegaly ▼ History: A 51-year-old man (126 kg, 192 cm) with massive hepatomegaly causing cardiopulmonary symptoms was referred to our transplant center 14 years after initial diagnosis of polycystic liver disease. Treatment and course: Uneventful hepatectomy was followed by orthotopic liver transplantation using caval replacement. Donor liver came from a 73-year-old woman (extended criteria donor organ offer). A portocaval shunting was not established during transplantation although the explanted liver weighed 22 kg. 18 months after transplantation liver function is stable and the patient enjoys normal quality of life. Conclusion: This case report demonstrates the value and success of transplantation for patients suffering from enormous hepatomegaly due to polycystic liver disease. Literatur 1 Arrazola L, Moonka D, Gish R et al. Model for end-stage liver disease (MELD) exception for polycystic liver disease. Liver Transpl 2006; 12: S110–S111 2 Bundesärztekammer. Richtlinien für die Wartelistenführung und Organvermittlung zur Lebertransplantation. http://www.bundesaerztekammer.de/downloads/RiliOrgaLeber20130308.pdf (letzer Zugriff: 14.10.2013) 3 Chrispijn M, Drenth JP. Everolimus and long acting octreotide as a volume reducing treatment of polycystic livers (ELATE): study protocol for a randomized controlled trial. Trials 2011; 12: 246 4 Chrispijn M, Gevers TJ, Hol JC et al. Everolimus does not further reduce polycystic liver volume when added to long acting octreotide: Results from a randomized controlled trial. J Hepatol 2013; 59: 153– 159 5 Chrispijn M, Nevens F, Gevers TJ et al. The long-term outcome of patients with polycystic liver disease treated with lanreotide. Aliment Pharmacol Ther 2012; 35: 266–274 6 Drenth JP, Chrispijn M, Nagorney DM et al. Medical and surgical treatment options for polycystic liver disease. Hepatology 2010; 52: 2223–2230 7 Everson GT, Taylor MR, Doctor RB. Polycystic disease of the liver. Hepatology 2004; 40: 774–782 8 Gevers TJ, Drenth JP. Diagnosis and management of polycystic liver disease. Nat Rev Gastroenterol Hepatol 2013; 10: 101–108 9 Kaiser GM, Heuer M, Stanjek M et al. Organspendeprozess an einem Krankenhaus mit Maximalversorgung. Dtsch Med Wochenschr 2010; 135: 2065–2070 10 Karhunen PJ, Tenhu M. Adult polycystic liver and kidney diseases are separate entities. Clin Genet 1986; 30: 29–37 11 Mathé Z, Paul A, Molmenti EP et al. Liver transplantation with donors over the expected lifespan in the model for end-staged liver disease era: is Mother Nature punishing us?. Liver Int 2011; 31: 1054–1061 12 Qian Q, Li A, King BF et al. Clinical profile of autosomal dominant polycystic liver disease. Hepatology 2003; 37: 164–171 13 Radunz S, Paul A, Nowak K et al. Liver transplantation using donor organs with markedly elevated liver enzymes: how far can we go?. Liver Int 2011; 31: 1021–1027 14 Waanders E, Venselaar H, te Morsche RH et al. Secondary and tertiary structure modeling reveals effects of novel mutations in polycystic liver disease genes PRKCSH and SEC63. Clin Genet 2010; 78: 47–56

Autorenerklärung: Die Autoren erklären, dass sie keine finanzielle Verbindung mit einer Firma haben, deren Produkt in diesem Beitrag eine Rolle spielt (oder mit einer Firma, die ein Konkurrenzprodukt vertreibt).

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patische Abnormalitäten, wenn auch nur vereinzelt beschrieben, sind Mitralklappenprolaps und -insuffizienz sowie intrakranielle Aneurysmen zu nennen [7].

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[Orthotopic liver transplantation for polycystic liver disease with massive hepatomegaly].

A 51-year-old man (126 kg, 192 cm) with massive hepatomegaly causing cardiopulmonary symptoms was referred to our transplant center 14 years after ini...
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