Schwerpunkt Schmerz 2014 · 28:14–24 DOI 10.1007/s00482-013-1383-1 Online publiziert: 19. Februar 2014 © Deutsche Schmerzgesellschaft e.V.   Published by Springer-Verlag Berlin Heidelberg all rights reserved 2014

B. Messerer · A. Sandner-Kiesling Universitätsklinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin, Medizinische Universität Graz,   LKH-Universitätsklinikum Graz

Organisation des Schmerzmanagements bei Kindern Österreichische interdisziplinäre Handlungsempfehlungen zum perioperativen Schmerzmanagement bei Kindern

Dem Thema Schmerz wurde in den letzten Jahren sowohl von konservativen als auch von invasiv-chirurgischen Fächern zu wenig Bedeutung beigemessen, wie Erhebungen der vergangenen Jahre in österreichischen und deutschen Krankenhäusern zeigen [1, 2]. Dieses Thema umfasst Selbst- und Fremdwahrnehmung, Dokumentation, Therapie und Schulung. Eine suffiziente, mit entsprechender Patientenzufriedenheit verbundene Schmerztherapie ist nach wie vor bei Erwachsenen nicht selbstverständlich. Bei Kindern ist die Situation noch prekärer [3 – 5]. Das Erstellen von Leitlinien und die alleinige Einführung der Schmerzmessung oder spezifischer Techniken der Schmerztherapie führten auch im Kindesalter bisher zu keiner nachhaltigen Verbesserung der postoperativen Schmerztherapie [6]. A. Donabedian legte 3 Qualitätsdimensionen fest: Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität [7]. Die Strukturqualität beinhaltet schriftlich festgelegte Voraussetzungen und Rahmenbedingungen in einer Abteilung. Die Prozessqualität bezieht sich auf die Umsetzung der Strukturkriterien in der Praxis, somit im klinischen Alltag, die Ergebnisqualität bezieht sich auf die Resultate der Erhebungen und damit auf den Grad der Zielerreichung. Ziel dieses Artikels ist es, aufzuzeigen, welche Strukturen und Abläufe in einer

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Abteilung zu optimieren sind, um letztlich die Patienten- und Mitarbeiterzufriedenheit bzw. -sicherheit zu verbessern. Auch im Kindes- und Jugendalter liegt der entscheidende Schritt in Richtung „effektives Schmerzmanagement“ in der interdisziplinären schriftlichen Festlegung eines Schmerzkonzepts nach den angeführten Kriterien.

Verantwortlichkeiten Schmerzmanagement umfasst die Erkennung, Erfassung, Therapie und Prophylaxe von Schmerzen jeglicher Art. Grundvoraussetzung für ein erfolgreiches Konzept ist neben der Umsetzung der Erkenntnisse der modernen Schmerztherapie eine personelle Kontinuität besonders in der pflegerischen Betreuung sowie eine gute Kooperation im multiprofessionellen Team [8, 9, 10]. Übergeordnete Rahmenvereinbarungen zur Durchführung der Schmerztherapie sollten von den beteiligten Fachdisziplinen gemeinsam erarbeitet und schriftlich festgehalten werden. Eine klare Zuordnung von Verantwortlichkeiten (z. B.: Welche Fachabteilung ist wann für eine Schmerztherapie zuständig?) und eine strukturierte Informationsvermittlung zwischen allen an der Schmerztherapie beteiligten Berufsgruppen und Fachdis-

ziplinen sind eine wesentliche Grundvoraussetzung für ein erfolgreiches Konzept. Interventionsgrenzen und Anweisungen müssen klar definiert sein, damit das Pflegepersonal ein Bedarfsmedikament fremdverantwortlich direkt verabreichen und nichtmedikamentöse schmerzreduzierende Maßnahmen eigenverantwortlich durchführen kann. Eindeutige Verantwortlichkeiten wirken sich positiv auf die Zufriedenheit der Mitarbeiter aus [11]. Neben den Leitern der beteiligten medizinischen Fachdisziplinen bzw. Berufsgruppen sind auch die ärztliche Direktion, die Pflegedirektion und die Verwaltungsleitung per Vertrag einzubinden.

Schmerzanamnese (präoperativ) Jeder Patient sollte bei der Aufnahme nach aktuell bestehenden Schmerzen befragt werden. Liegen Schmerzen vor, ist zu dokumentieren, seit wann diese Schmerzen bestehen. Festzuhalten sind weiterhin die Lokalisation der Schmerzen, die Schmerzintensität, der Schmerzcharakter und welche Schmerzmedikamente oder schmerzlindernden Maßnahmen bisher mit welchem Erfolg angewendet wurden. Ein inadäquat behandelter akuter Schmerz kann über die Entstehung eines Schmerzgedächtnisses zu einer Schmerzchronifizierung führen [12 – 14]. Je län-

ger ein Schmerz dauert, desto mehr physische und psychische Funktionen werden erfasst. Letztendlich sind alle Lebensbereiche durch den Schmerz verändert, was mit weitreichenden ökonomischen und die gesamte Familie betreffenden sozialen Konsequenzen verbunden ist [15 – 17]. Starke präoperative Schmerzen wirken sich auch auf die postoperative Schmerzintensität aus [18]. Die Fähigkeit, mit Schmerz umzugehen und Schmerz zu äußern, ist altersabhängig [19]. Über die Schmerzantizipation in den ersten 3 Lebensmonaten können wir keine Aussage machen. Ab dem vierten Lebensmonat kommt es zum Auftreten von Traurigkeit und Ärger als Reaktion auf Schmerz. Ab dem sechsten Monat entwickelt sich die Furcht vor schmerzhaften Empfindungen. McGrath u. McAlpine zeigten, dass Kinder im Alter von 18–24 Monaten das Wort „schmerzen“ im Sinne von „wehtun“ zur Schmerzbeschreibung gebrauchen. Erst 3- bis 5-Jährige beginnen Schmerz emotional zu beschreiben („schlimm“, „wahnsinnig“). Mit 5–7 Jahren kann die Schmerzintensität besser differenziert werden. Einem Kind ist es erst dann möglich, zu erklären, warum ein Schmerz „wehtut“. Ab 11 Jahren ist ein Kind in der Lage, eine Schmerzintensität genau zu bewerten. Die Fähigkeit, Schmerzen zu verbalisieren, ist somit je nach Alter sehr unterschiedlich [20]. Kinder können aber wichtige Informationen über ihr Schmerzerleben geben, wenn die richtigen Worte dafür gefunden werden. Diese können beim Aufnahmegespräch von den Eltern erfragt werden.

Schmerzanamnesen bei kognitiv eingeschränkten Kindern Man muss diese Kinder mit ihren besonderen Bedürfnissen dort abholen, wo sie in ihrer Entwicklung stehen. Die Schmerzanamnese mit den betreuenden Personen gewinnt noch mehr an Bedeutung. Kommunikation, Motorik, Wahrnehmung, Sozialverhalten und emotionales Verhalten werden erfasst. Es ist wichtig, diese Kinder „kennenzulernen“ und über vorbestehende Schmerzen wie auch ihre Therapie genaue Kenntnis zu haben [21]: F Liegen Bewegungsschmerzen/-einschränkungen vor?

F Hat das Kind Beschwerden beim Kauen/Schlucken? F Treten Beschwerden beim Stuhlgang/ Wasserlassen auf? F Hat das Kind Schmerzen bei Berührung? F Bestehen plötzlich einschießende Schmerzen? F Welche Schmerzmittel wurden oder werden mit Erfolg verwendet? F Liegen Begleiterkrankungen vor, die mögliche Schmerzen erklären könnten? F Bestehen Anzeichen für Schmerz/ Angst/Wohlbefinden? Wie verhält sich das Kind dabei? F Welche Maßnahmen führen zur Schmerz- und Angstlinderung? F Was hilft dem Kind bei bestehenden Schmerzen? F Was verschlimmert Schmerzen? F Was beruhigt das Kind?

Psychosoziale Faktoren Professionelle Mitarbeiter im perioperativen Schmerzmanagement wissen, dass das postoperative Schmerzmanagement auch durch psychosoziale Faktoren mitbestimmt werden kann. Dazu gehören ein erhöhtes Angstniveau, eine vorliegende Depression, fehlende soziale Unterstützung, eine problematische Familiensituation und besondere Lebensereignisse, z. B. der Verlust einer Bezugsperson. Frühzeitig sollten hier Sozialarbeiter und Psychologen hinzugezogen werden. Eine große Bedeutung beim Umgang mit Schmerz hat auch das Vorbildverhalten von Familienangehörigen in Bezug auf schmerzhafte Situationen [22, 23].

Information und Aufklärung Aktuelle Studien zeigen, dass nahezu ein Drittel aller Eltern die Risiken einer postoperativen Schmerztherapie unterschätzen [24]. Fortier et al. [25] bestätigen, dass die Mehrzahl der Kinder zwischen dem siebten und 17. Lebensjahr umfassend vor chirurgischen Eingriffen informiert werden will. Unsere Aufgabe ist es, diese Information auf eine ehrliche, einfache und klare Art und Weise anzubieten. Eltern soll ihre Rolle bei der Schmerzbehandlung und seelischen Unterstützung

ihres Kindes verdeutlicht werden [26]. Präoperative Informationen und Schulungen erhöhen das Wissen des Patienten über den zu erwartenden postoperativen Schmerzverlauf wie auch die Möglichkeiten der Schmerztherapie. Anzusprechen sind spezielle Risiken und mögliche Komplikationen, Erfolgsaussichten, Vor- und Nachteile der geplanten Maßnahmen und Behandlungsalternativen. Falsche Vorstellungen bezüglich einer physischen und psychischen Abhängigkeit sowie Toleranzentwicklung von starken Schmerzmitteln sind zu beseitigen um eine positivere Einstellung hinsichtlich der Einnahme von Schmerzmedikamenten zu erzielen [27]. Je nach operativem Eingriff kann auch ein regionalanästhesiologisches Verfahren zur Schmerzreduktion angeboten werden. Sollten die zu erwartenden Schmerzen voraussichtlich stärker sein und länger bestehen, so ist auf die Durchführbarkeit einer patientenkon­ trollierten Schmerztherapie hinzuweisen. Bereits präoperativ müssen das Verfahren und die Risiken erläutert sowie genaue Instruktionen zur korrekten Bedienung gegeben werden. Auf den Stellenwert und die verschiedenen nichtmedikamentösen Therapieformen sollte hingewiesen werden. Im Rahmen des ärztlichen Aufklärungsgesprächs lassen sich bestehende Ängste reduzieren, aber auch falsche Erwartungshaltungen abbauen [28 – 30]. Es sollte angesprochen werden, dass eine absolute Schmerzfreiheit unmittelbar nach einer Operation nicht immer möglich ist, oberstes Ziel aber eine größtmögliche Schmerzreduktion sei. Durch die Pflegefachkräfte erfolgt die Aufklärung über die regelmäßige Schmerzerfassung mittels Schmerzmessinstrumenten. Patienten bzw. Eltern werden eindringlich aufgefordert, sich bei dazwischen auftretenden Schmerzen sofort zu melden. Eine ideale Informationsübermittlung ist das Überreichen einer Informationsbroschüre an die Patienten bzw. Eltern. Basierend auf dieser geschriebenen Information erfolgt die weiterführende mündliche Aufklärung durch die einzelnen Fachdisziplinen oder Berufsgruppen über den Schmerzverlauf, die TherapieDer Schmerz 1 · 2014 

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Zusammenfassung · Abstract Schmerz 2014 · 28:14–24  DOI 10.1007/s00482-013-1383-1 © Deutsche Schmerzgesellschaft e.V. Published by Springer-Verlag Berlin Heidelberg - all rights reserved 2014 B. Messerer · A. Sandner-Kiesling

Organisation des Schmerzmanagements bei Kindern. Österreichische interdisziplinäre Handlungsempfehlungen zum perioperativen Schmerzmanagement bei Kindern Zusammenfassung Hintergrund.  Das postoperative Schmerzmanagement ist nach wie vor stark verbesserungsfähig, für Kinder gilt dies in besonderem Maße. Ziel dieses Artikels ist es, aufzuzeigen, welche Strukturen und Abläufe zu optimieren sind, um letztlich die Zufriedenheit und Sicherheit der Patienten zu verbessern. Verantwortlichkeiten.  Grundvoraussetzungen sind u. a. personelle Kontinuität sowie eine gute Kooperation im multiprofessionellen Team. Auch eine klare Zuordnung von Zuständigkeiten ist von wesentlicher Bedeutung. Anamnese und Aufklärung.  Bei der Aufnahme sollte jeder Patient nach aktuell bestehenden Schmerzen befragt werden. Die Patienten bzw. ihre Eltern müssen auf verständliche Weise über die Schmerztherapie

informiert werden. Anzusprechen sind mögliche Komplikationen, Erfolgsaussichten, Vorund Nachteile der geplanten Maßnahmen und Behandlungsalternativen. Umsetzung.  Die Umsetzung benötigt viel Aufmerksamkeit. Die Einführung klar definierter Abläufe und gründliche Schulungen tragen entschieden mehr zu einem erfolgreichen Schmerzmanagement bei als die alleinige Etablierung einer Schmerzmessung oder die Einführung spezieller Techniken. Erfassung und Dokumentation.  Da die Schmerzintensität nur indirekt beschrieben werden kann, ist ihre Erfassung bei Kindern schwierig. Bis zum Ende des vierten Lebensjahrs erfolgt eine Fremdbeurteilung. Goldstandard der Schmerzmessung ist aber die Selbsteinschätzung mit entsprechenden Ska-

len. Sie ist bei älteren Kindern möglich. Für die Kontrolle und Optimierung der Schmerztherapie sind die routinemäßige Aufzeichnung der Schmerzwerte sowie die zeitna-  he Dokumentation aller schmerztherapeu-  tischen Maßnahmen unerlässlich. Ergebnisqualität.  Ob tatsächlich eine Verbesserung der Akutschmerztherapie bei Kindern erreicht wurde, lässt sich nur durch eine standardisierte Erhebung und Analyse der Therapiequalität erfassen. Zu diesem Zweck wurde QUIPSInfant entwickelt. Schlüsselwörter Schmerzmessung · Kind · Qualitätsverbesserung · Therapieergebnisse · Qualitätssicherung im Gesundheitswesen

Organization of pediatric pain management. Austrian interdisciplinary recommendations for pediatric perioperative pain management Abstract Background.  Postoperative pain management is still in need of vast improvement, especially for children. The aim of this article is to demonstrate which structures and processes must be optimized to ultimately improve patient satisfaction and safety. Responsibilities.  Basic prerequisites are among others personnel continuity and good cooperation in a multiprofessional team. A clear assignment of responsibilities is also of essential importance. Patient history and informed consent.  On admission every patient should be questioned on the currently existing pain. Patients or the parents must be informed about the pain therapy in a comprehensible manner. Possible complications, chances of suc-

möglichkeiten und die Möglichkeiten der Schmerzerfassung.

Umsetzung Die Umsetzung ist der heikelste Punkt. Sie benötigt viel Aufmerksamkeit, Motivation, Sorgfalt und Geduld. Allen an der Schmerztherapie beteiligten Mitarbeitern muss bewusst gemacht werden, dass ein Schmerzkonzept nur dann erfolgreich sein kann, wenn es ein Anliegen al-

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cess, advantages and disadvantages of the planned procedure and alternative forms of treatment must be discussed. Implementation.  The implementation needs a great deal of consideration. The introduction of clearly defined pathways and thorough schooling contribute more to successful pain management than the establishment of pain measurement or the use of special techniques alone. Evaluation and documentation.  Because pain intensity can only be described indirectly it is difficult to assess in children. Assessment is made by another person until children are 5 years old. The gold standard in pain measurement is, however, self-estimation using appropriate scales which is possi-

ler ist und alle bereit sind, sich aktiv einzubringen und mitzuarbeiten. Für eine erfolgreiche Umsetzung müssen alle an der Schmerztherapie beteiligten Mitarbeiter geschult und informiert werden, Informationsmaterialien schriftlich zur Verfügung gestellt werden und Ansprechpartner genannt werden [31]. Auftretende Probleme sollten umgehend diskutiert und interdisziplinär gelöst werden. Die Einführung klar definierter Abläufe und eine genaue Schulung aller

ble for older children. The routinely carried out representation of pain values and prompt documentation of all pain therapeutic measures are indispensible for the control and optimization of pain therapy. Quality of results.  Whether improvements in acute pediatric pain therapy will actually be achieved can only be realized by standardized compilation and analysis of the quality of therapy. For this purpose QUIPSInfant was developed. Keywords Pain, measurement · Child · Quality improvement · Treatment outcome · Quality assurance, health care

Mitarbeiter tragen entschieden mehr zu einem erfolgreichen Schmerzmanagement bei als die alleinige Etablierung einer Schmerzmessung oder die Einführung spezieller Techniken. Die Mitarbeiterschulung zielt auf eine nachhaltige Durchdringung des medizinischen Personals mit den Inhalten und den Zielen des Gesamtpakets „Schmerzmanagement“. Sie erfolgt entweder im eigenen Arbeitsbereich durch interdisziplinär stattfindende Veranstaltungen,

in Form klinikweiter Weiterbildungsveranstaltungen zu speziellen Themen oder durch landesweite Fortbildungsinitiativen.

Schmerzerfassung (postoperativ) Schmerzmessung Kinder jeden Alters haben, wie alle anderen Patienten, einen Anspruch auf eine adäquate Schmerztherapie [32]. Die Voraussetzung dafür ist die „Sichtbarmachung“ des Schmerzes [33 – 37]. Denn nur wenn Schmerz erhoben und dokumentiert wird, wird er auch therapiert. Die Intensität von Schmerzen kann nicht direkt gemessen, sondern nur indirekt beschrieben werden. Das macht die Erfassung umso schwieriger, je jünger die Patienten sind. Eine einfache Möglichkeit, Schmerz zu erfassen, ist der Einsatz von Schmerzskalen. Bei der Auswahl eines geeigneten Instruments müssen das Alter, der jeweilige kognitive Entwicklungsstand des Kindes, die Sprache, ethnische bzw. kulturelle Faktoren und der Verwendungszweck berücksichtigt werden [38 – 40]. Wichtige Aspekte bei der Auswahl eines Instruments sind die Zuverlässigkeit, Gültigkeit (Validität) sowie auch die Praktikabilität und Akzeptanz durch den Anwender im klinischen Alltag [41]. Die Pflegefachkräfte stehen bei der Schmerzbehandlung an vorderster Front und sollten durch eine technisch einfache Erhebung entlastet werden [42]. Eine umständliche und unübersichtliche Skala mit einer komplizierten Auswertung wird selten eingesetzt und führt darüber hinaus häufig zu Fehlern. Um eine richtige Anwendung der Schmerzmessinstrumente sicherzustellen, müssen regelmäßige Schulungen durchgeführt werden [15, 43]. Je geübter der Anwender, desto besser ist die Aussagekraft der Schmerzerfassung. Zuständig und befugt zur Schmerzerfassung sind Ärzte, diplomiertes Pflegepersonal, klinische Psychologen, Physio- und Ergotherapeuten.

Fremdbeurteilungsskalen

Unter 3 Jahren ist die Schmerzerfassung eine große Herausforderung und pro-

blematisch, da eine Selbsteinschätzung nicht möglich ist. Diese Kinder können Schmerzen noch nicht mit Worten ausdrücken [44]. Schwierigkeiten bereitet die Unterscheidung von Schmerz und Stress mit anderen Ursachen. Neugeborene, Säuglinge und kleine Kinder weinen sehr oft. Hunger, Durst, fehlende Zuwendung, eine nasse Windel, Lärm oder grelles Licht sind die häufigsten Ursachen dafür, dass sich ein Kind unwohl fühlt. Während eines stationären Aufenthalts kommen noch andere Faktoren hinzu, wie eine ungewohnte Umgebung, Sonden, Drainagen, Verbände und allerlei Manipulationen. Hinter jedem Weinen können jedoch auch Schmerzen stecken. Zur Bestimmung der einzuschätzenden Schmerzstärke werden dann Verhaltensmuster herangezogen, die man aus Erfahrung mit Schmerz in Verbindung bringt [45]. Für nichtbeatmete Neugeborene und Kinder bis zum Ende des vierten Lebensjahrs bietet sich die kindliche Unbehagens- und Schmerzskala (KUSS) nach Büttner et al. [46] an. Nach dieser Skala werden der Gesichtsausdruck, die Rumpfund Beinhaltung, das Vorliegen einer motorischen Unruhe und Weinen beobachtet (. Tab. 1). Die Verhaltensaspekte werden über 15 s beobachtet und dann mit jeweils 0–2 Punkten bewertet und zu einem Gesamtwert addiert. Schläft ein Kind, muss es zur Erhebung des KUSS-Werts nicht aufgeweckt werden. Ein schlafendes Kind hat keinen akuten Schmerzmittelbedarf. Die KUSS hat eine hohe Spezifität, Sensitivität, Reliabilität und Validität. Sie ermöglicht eine Schmerzerfassung unabhängig von falsch interpretierbaren Vitalparametern, ist einfach und mit einem geringen Zeitaufwand durchzuführen. Sie hat einen definierten Cut-off-Wert von 4 Punkten, ab dem eine Intervention erforderlich ist [46]. Ein entsprechend einfaches Tool wäre die englische Face-Legs-Activity-CryConsolability(FLACC)-Skala (s. unten, [47]). Da diese aber in der deutschen Sprache nicht validiert ist, wird der KUSS, bei kognitiv nicht beeinträchtigten Kindern, der Vorzug gegeben.

Schwerpunkt Tab. 1  Kindliche Unbehagens- und Schmerzskala (KUSS) nach Büttner [46] zur Fremd­

beurteilung von Schmerzen bei Neugeborenen, Säuglingen und Kindern bis zum Ende   des vierten Lebensjahrs Beobachtung Weinen

Bewertung =0 Punkte Gar nicht

Gesichtsausdruck

Punkte =1 Punkt Stöhnen; Jammern; Wimmern Mund verzerrt

Rumpfhaltung

Entspannt; lächelt Neutral

Beinhaltung

Neutral

Strampelnd; tretend

Motorische Unruhe

Nicht   vorhanden

Mäßig

Unstet



=2 Punkte Schreien



Mund und Augen grimassieren Aufbäumen,   Krümmen An den Körper   gezogen Ruhelos



Addition der Punkte



     

Der Gesichtsausdruck, die Rumpf- und Beinhaltung, das Vorliegen einer motorischen Unruhe und Weinen werden über 15 s beobachtet, mit jeweils 0–2 Punkten bewertet und zu einem Gesamtwert addiert: 0 entspricht keinem Schmerz, 10 dem stärksten vorstellbaren Schmerz. Ab einem Cut-off-Wert von 4 Punkten ist eine Intervention erforderlich.

Selbstbeurteilungsskalen

Die Selbsteinschätzung ist der Goldstandard der Schmerzmessung [3]. Ab dem vierten bis sechsten Lebensjahr ist sie aufgrund der Entwicklung bei Kindern möglich [42, 48]. Kinder sind nun in der Lage, zwischen „Schmerz“ und „Schmerzfreiheit“ zu unterscheiden [49]. Entscheidend ist dabei, dass der Untersucher eine kindgerechte Sprache wählt, die das Kind verstehen kann. Zu bedenken ist auch, dass Kinder gegenüber Fremden oft Schmerzen verleugnen. Daher ist es wichtig, zuerst ein Vertrauensverhältnis zum Kind aufzubauen. Darüber hinaus werden Schmerzen von Kindern meist dementiert, wenn sie Angst davor haben, eine Spritze für ihre Behandlung zu erhalten. Zur Selbstbeurteilung stehen altersabhängig mehrere Skalen zu Verfügung. Gesichterskalen.  Mit ihrer Hilfe können Kinder ab dem vierten Lebensjahr ausdrücken, wie sehr ihnen etwas „wehtut“. Kinder dieser Altersgruppe sind in der Lage, das Ausmaß ihrer Schmerzen einem Bild bzw. Symbol zuzuordnen [42]. Vor allem jüngere Kinder bevorzugen eine Gesichterskala, da das Auswählen eines Gesichts viel einfacher ist als zu zählen oder Zahlen zu kategorisieren [50 – 52]. Die Skalen weisen 6 Gesichter auf, die jeweils eine unterschiedliche Schmerzexpression aufweisen.

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Zwei Formen von Gesichterskalen können unterschieden werden: solche mit einem neutralen und solche mit einem lachenden Gesicht an erster Stelle als Ausdruck für Schmerzfreiheit [53, 54]. Bereits Bieri et al. [55] realisierten 1990 das Pro­ blem mit der Darstellung von Lachen und Weinen in Schmerzskalen. Der lachende Smiley ist nicht so sehr Ausdruck von Schmerzfreiheit, sondern drückt vielmehr das Empfinden „Fröhlichkeit, Heiterkeit“ aus. Der Smiley mit den Tränen, der für stärkste Schmerzen steht, wird eher mit Traurigkeit in Verbindung gebracht und insbesondere von Jungen („Jungen weinen nicht“) auch bei stärksten Schmerzen selten gewählt. Das neutrale Gesicht steht in der Smiley-Skala erst an dritter Stelle und entspricht somit einem Schmerzwert von 4. Chambers et al. [51, 56] zeigten in ihrer Arbeit, dass die mittels Smiley erhobenen Schmerzwerte höher sind. Ein Schmerztool mit einem neutralen Gesicht an erster Stelle ist die validierte Faces Pain Scale – Revised (FPS-R) nach Hicks (. Abb. 1, [42]). Ein wichtiger Bestandteil dieser Skala ist die kurze, aber sehr präzise Anwenderanleitung, die in insgesamt 47 Sprachen zur Verfügung steht ([57], . Infobox 1). Damit kann sie auch bei nichtdeutschsprachigen Kindern angewendet werden. Für unverfälschte Resultate muss die Gesichterskala dem Kind nach diesem Schema vorgestellt werden [57]. Das Kind wird

dann aufgefordert, auf das Gesicht zu zeigen, welches am ehesten seinen momentanen Schmerzen entspricht. Jedem dieser Gesichter ist eine gerade Zahl von 0–10 zugeordnet, wobei das linke Gesicht für 0 (kein Schmerz) steht und das ganz rechte für 10 (stärkster vorstellbarer Schmerz). Visuelle Analogskala (VAS).  Kinder ab dem neunten Lebensjahr und Jugendliche können Schmerzlokalisation, -intensität und -qualität gut beurteilen. Die visuelle Analogskala (VAS) kann ab diesem Alter verlässlich eingesetzt werden [52, 58]. Es handelt sich um eine 10 cm lange Linie, deren Endpunkte extreme Zustände (kein Schmerz; unerträglicher Schmerz) darstellen. Das Kind markiert die entsprechende Stelle, die der Stärke seiner momentan empfundenen Schmerzen subjektiv entspricht. Ein korrespondierender Zahlenwert [zwischen 0 und 10 (cm)/100 (mm)] kann dann auf einer Skala auf der Rückseite abgelesen werden. Die VAS zeigt deutliche Schwächen in der Erfassung geringer Veränderungen der Schmerzintensität. Numerische Rating-Skala (NRS).  Die numerische Rating-Skala (NRS) ist eine 11- oder 101-Punkte-Skala, die dem Patienten entweder grafisch oder wörtlich angeboten wird. Dieser ordnet dann, seiner subjektiv erlebten Schmerzintensität entsprechend, eine Zahl zu. Null bedeutet, dass kein Schmerz vorliegt, 10 bzw. 100 repräsentiert den stärksten vorstellbaren Schmerz. Die NRS ist ein valides und zuverlässiges Messinstrument zur Einschätzung akuter Schmerzen bei Kindern zwischen 8 und 17 Jahren [52, 59]. Die NRS weist eine geringe Fehlerquote, eine hohe Akzeptanz, eine einfache Handhabung und eine hohe Sensitivität auf [60, 61]. Um die Anzahl der Messinstrumente im Kindesalter zu beschränken, wird zur Selbstbeurteilung von Schmerz die FPS-R empfohlen. Der Vorteil dieser Skala liegt auch darin, dass sie zur Erhebung der Ergebnisqualität herangezogen wird.

Schmerzmessung bei kognitiv beeinträchtigten Kindern

Die postoperative Schmerzerfassung bei Kindern mit intellektueller Beeinträchti-

Infobox 1  Anwenderanleitung der Faces Pain Scale – Revised (FPS-R)

Abb. 1 8 Faces Pain Scale – Revised (FPS-R) nach Hicks. Diese Selbstbeurteilungsskala kann bei Kindern ab dem vierten Lebensjahr angewendet werden. Das neutrale Gesicht als Zeichen für Schmerzfreiheit steht hier an erster Stelle der Skala. Das Gesicht ganz rechts bedeutet sehr starke Schmerzen. Für unverfälschte Resultate muss diese Gesichterskala dem Kind nach einem klar definierten Schema vorgestellt werden. (Adaptiert nach [42])

gung fordert Ärzte und Pflegekräfte gleichermaßen heraus. Kinder mit mäßiger bis schwerer intellektueller Einschränkung sind im Allgemeinen nicht in der Lage, Schmerz einzuschätzen und ausreichend zu kommunizieren. Bedürfnisse, Wünsche und Interessen werden v. a. bei mehrfach behinderten Kindern meist nonverbal über eine eigene Ausdrucksweise mitgeteilt. Diese­ ist sehr individuell und betrifft natürlich auch das Verhalten bei Schmerzen. Die eingeschränkte oder fehlende verbale Kommunikation ist aber eine der wichtigsten Hürden auf dem Weg zu einer qualitativ hochwertigen medizinischen Versorgung [35, 62, 63 – 68]. Eine ungewohnte Umgebung mit unbekannten Menschen verunsichert diese spezielle Patientengruppe meist und verursacht Anspannung, Unruhe und Angst. Das Wissen um dieses Verhalten erfordert eine kompetente Vorgehensweise: Vertrauen gewinnen, das Eingehen auf individuelle Bedürfnisse, die Anwesenheit der Bezugsperson und das Belassen eines Lieblingsspielzeugs oder einer Kuscheldecke tragen zum Wohlbefinden der Kinder bei und minimieren Angst und Stress [69]. Um die Betreuung der Kinder mit einer intellektuellen Beeinträchtigung zu verbessern, ist das Erkennen, Bewerten und Analysieren von Schmerzen so früh wie möglich erforderlich [15, 33, 44, 70]. Neugeborene, Säuglinge und Kinder bis zum Ende des vierten Lebensjahrs können Schmerzen noch nicht verbalisieren. Als Fremdbeurteilungsskala kommt in dieser Altersgruppe die KUSS nach Büttner et al. [46] zur Anwendung. Im weiteren Verlauf kann bei leichter kognitiver Beeinträchtigung zumindest begleitend die FPS-R nach Hicks et al. [42] eingesetzt

werden, in dem Wissen, dass die Fähigkeit zur Selbsteinschätzung meist überbewertet wird [68, 71]. Zur Beurteilung postoperativer Schmerzen bei kognitiv beeinträchtigten Kindern und Jugendlichen im Alter zwischen 4 und 19 Jahren ist die revidierte FLACC-Skala (r-FLACC-Skala) geeignet (. Tab. 2; [68, 72, 73]). Die FLACC-Skala wurde ursprünglich als einfache Fremdbeurteilungsskala für Kleinkinder entworfen, die aufgrund ihrer kognitiven Entwicklung ihren Schmerz noch nicht selbst beurteilen können [47]. Gesichtsausdruck, Beine, Aktivität, Weinen und die Möglichkeit des Tröstens bzw. Beruhigens werden zur Beurteilung herangezogen. Diese 5 Kategorien können auch zuverlässig bei Kindern mit einer intellektuellen Beeinträchtigung zur Schmerzerfassung herangezogen werden [74, 75]. Um auf ihre speziellen Verhaltensweisen einzugehen, wurde die FLACC-Skala überarbeitet. Die häufigsten individuellen Schmerzindikatoren wurden in die Skala mit aufgenommen, z. B. verbaler Gefühlsausbruch, Zittern, erhöhter Muskeltonus und verändertes Atemverhalten. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, noch nicht angeführte Verhaltensmuster in den entsprechenden Kategorien zusätzlich anzuführen. Dieses Vorgehen ist bei jenen Kindern essenziell, die ein unübliches Schmerzverhalten zeigen, z. B. Lachen bei stärksten Schmerzen, Zusammenklatschen der Hände, Gezappel, Zornausbruch, Aggressivität, Schreien, Schnappen nach Luft oder ein selbstverletzendes Verhalten. Durch Befragung der Eltern bzw. Betreuer kann man schon präoperativ grundlegende und spezielle Verhaltensweisen festhalten.

Für unverfälschte Resultate muss die Gesichterskala dem Kind nach diesem Schema vorgestellt werden (. Abb. 1; [50]). Die Anleitung steht in insgesamt 47 Sprachen zur Verfügung. Deutsch (revidiert 2004): Wählen Sie die Formulierung „wehtun“ oder „Schmerzen“, je nachdem, was zu dem jeweiligen Kind am besten zu passen scheint. (Vermeiden sie Wörter wie „glücklich“ und „traurig“). Diese Gesichter zeigen, wie weh etwas tun kann (wie sehr etwas schmerzen kann). Dieses Gesicht hier (auf das Gesicht ganz links zeigen) zeigt, dass es gar nicht wehtut (schmerzt). Die anderen Gesichter zeigen, dass es mehr und mehr wehtut (schmerzt; auf die Gesichter der Reihe nach zeigen), bis hin zu diesem Gesicht, das zeigt, dass es ganz stark wehtut (schmerzt). Zeig mir mal das Gesicht, dass am besten zeigt, wie sehr es Dir (gerade) wehtut (wie stark deine Schmerzen gerade sind). Vergeben Sie die Punkte 0, 2, 4, 6, 8 oder 10 für die Gesichter von links nach rechts, sodass 0 „keinen Schmerz“ und 10 „sehr starke Schmerzen“ bedeutet.

Vergleichbar der KUSS nach Büttner werden bei der r-FLACC-Skala die 5 Kategorien mit 0–2 Punkten bewertet. Die Faces Pain Scale – Revised von Hicks, die KUSS und die r-FLACC-Skala haben eine einheitliche Metrik zwischen 0 und 10, was die Dokumentation und das Erstellen von Therapieschemata vereinfacht [42, 76]. Aufgrund der Kürze und Einfachheit ist die r-FLACC-Skala für den routinemäßigen täglichen Einsatz sehr gut geeignet [67, 68, 76].

Was soll bei der Schmerzmessung erfasst werden? Sobald Kinder kognitiv so weit entwickelt sind, sollte neben dem Ruheschmerz auch immer der operationsspezifische Belastungsschmerz (Schmerz­ angabe nach Aufforderung zur physiologischen Belastung bzw. Aktivierung der schmerzeingeschränkten Körperregion unter Vermeidung passiver Manöver) bestimmt und aufgezeichnet werDer Schmerz 1 · 2014 

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Schwerpunkt Tab. 2  Revidierte Face-Legs-Activity-Cry-Consolability(r-FLACC)-Skala Beobachtung Gesichtsausdruck („face“)

Beine („legs“)

Aktivität („activity“)

Weinen („cry“)

Trösten/Beruhigen   („consolability“)

Bewertung 0 Punkte Kein besonderer Ausdruck; kein Lächeln

  Normale, entspannte Position (normale Anspannung/Bewegung)   Stilles Liegen; normale Position; bewegt sich problemlos (regelmäßige/rhythmische Atmung)   Kein Weinen oder Verbalisieren

  Zufrieden; entspannt

   

Punkte 1 Punkt 2 Punkte Gelegentliches Grimassieren/StirnPermanentes Grimassieren/Stirnrunzeln; runzeln; zurückgezogen; desinteres- häufiges Kinnzittern; angespannter Kiefer (ansiert (erscheint traurig/besorgt) gespannt schauendes Gesicht, Gesichtsausdruck von Angst und Panik)     Unruhig, angespannt, ruhelos   Beine angezogen/strampeln; (Anstieg spas(gelegentlich Zuckungen/Tremor) tischer Bewegungen, permanenter Tremor/ Zuckungen)     Sich drehend und wendend; schau- Sich krümmend; steife/zuckende Bewegungen kelnde Bewegungen (angespannte, (starkes Agitieren, Kopfschlagen; Zittern, keine vorsichtige Bewegungen; mäßig Starre; Atem anhalten, Keuchen oder scharfes agitiert, z. B. Kopfbewegungen vor Einatmen; sehr oberflächliche, kurze Atmung) und zurück; oberflächliche, kurze Atmung, gelegentliches Seufzen)     Stöhnt und jammert; gelegentKontinuierliches Weinen/Schreien/Schluchzen; liches Klagen (gelegentlich verbaler häufiges Klagen (wiederholte Ausbrüche, perAusbruch, permanente Lautäußemanente Lautäußerungen) rung)     Beruhigt sich durch gelegentliche Schwer zu trösten/zu beruhigen (schiebt BeBerührung/Umarmung/Ansprezugsperson/Betreuer weg; wehrt sich gegen Verchen; ablenkbar sorgung; wehrt sich gegen Beruhigungsversuch)     Addition der Punkte













In Klammer stehen die häufigsten individuellen Verhaltensweisen für kognitiv beeinträchtigte Kinder nach Malviya et al. [68]. Eine Validierung für die deutsche Sprache steht noch aus.

den, um schmerzbedingte Funktionsbeeinträchtigungen zu erkennen [77]. Diesen wird im postoperativen Setting eine besondere Bedeutung für eine erfolgreiche Rehabilitation, die Verhinderung von Komplikationen und die Vorbeugung einer Schmerzchronifizierung beigemessen [78 – 81].

Häufigkeit der Durchführung Die Erhebung erfolgt im Rahmen der Pflegevisiten (mindestens 3-mal täglich). In der Nacht wird durch die Pflegefachkräfte das Schmerzgeschehen weiter beobachtet; die Patienten werden aufgefordert, sich bei auftretenden Schmerzen sofort zu melden. Die erste Messung wird bei der Aufnahme des Patienten durchgeführt, die letzte vor der Entlassung. Eine Schmerzmessung sollte auch bei physiotherapeutischen und ergotherapeutischen Maßnahmen und bei Schmerzäußerung sowie auch 30 bis spätestens 60 min nach einer

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Intervention zur Überprüfung der Therapieeffektivität erfolgen [82, 83].

Schmerzdokumentation Für eine gute Schmerztherapie sind die routinemäßige Messung und Aufzeichnung erhobener Schmerzwerte wie auch die zeitnahe Dokumentation aller schmerztherapeutischen Maßnahmen auch im Kindesalter unerlässlich [84 – ­86]. Die Effektivität einer eingeleiteten Schmerztherapie kann so kontrolliert, optimiert und strukturiert überwacht werden [87 – 90]. Durch eine regelmäßige Erhebung können Phasen einer unzureichenden Analgesie aufgedeckt werden [91]. Zusätzlich kann eine zu hohe Dosierung durch das frühzeitige Erkennen von Nebenwirkungen reaktiv mit einer Dosisreduktion korrigiert werden. Standardisierte, einheitliche Messinstrumente und Überwachungsprotokolle sind die Grundlage einer qualitativ hochwertigen Dokumentation [92].

Schmerz muss genauso wie Blutdruck, Herzfrequenz, Atemfrequenz und Sauerstoffsättigung als fünfter Vitalparameter regelmäßig erfasst und dokumentiert werden [36, 93]. Mularski et al. [94] konnten jedoch zeigen, dass eine Schmerzmessung als fünfter Vitalparameter allein keinerlei Verbesserung der Patientenversorgung zur Folge hat. Auch Meissner vermerkt, dass eine alleinige Orientierung an der Schmerzintensität bzw. an deren Reduktion zu keiner Verbesserung der Schmerztherapie führt [80]. Die Erklärungen sieht er in einer zu geringen Beachtung der erhobenen Werte, in einer einseitigen Konzentrierung auf schmerzmedizinische Unterversorgung und in einer Ignorierung von Therapienebenwirkungen, die den Nutzen der Schmerzreduktion zunichtemachen können. Ziel sollte es sein, dass neben der eindimensionalen Reduktion der Schmerzintensität, die verschiedenen Aspekte der postoperativen Rehabilitation interdisziplinär beachtet werden.

Eine konsequente Dokumentation stellt sicher, dass alle Mitglieder eines interdisziplinären Teams ausreichend informiert sind, um auf dieser Grundlage schmerztherapeutische Interventionen einzuleiten oder zu verändern. Sie ist unerlässlich zur Qualitätssicherung [86].

Dokumentation von therapiebedingten Nebenwirkungen Eine gute Schmerztherapie muss für den Patienten möglichst effektiv und zugleich sicher sein. Neben der Erfassung von Schmerzen müssen auch wichtige therapieassoziierte Nebenwirkungen, z. B. Übelkeit/Erbrechen, Harnverhalten, Obstipation, Juckreiz oder Sedierung, erhoben und dokumentiert werden, um adäquate Maßnahmen zur Linderung oder Behebung frühzeitig einleiten zu können.

Interventionsgrenzen Festgelegte Interventionsgrenzen erwecken den Eindruck eines starren, fixen Regimes. Der Vorteil liegt aber in der Möglichkeit der Entwicklung einfacher, klar strukturierter, rasch umsetzbarer Therapiestrategien [95]. In der postoperativen Akutphase werden Behandlungsschemata verwendet, die an die zu erwartende Schmerzintensität angepasst sind. Die Basisschmerztherapie beinhaltet ein Nichtopioid, das regelmäßig verabreicht wird. Zusätzlich muss immer ein Bedarfsanalgetikum auf der Patientenkurve verordnet sein, das die zuständigen Pflegefachkräfte eigenständig ab dem definierten Cut-offWert applizieren. Der Cut-off-Wert der KUSS ist validiert und beträgt ≥4. Da es bei der FPS-R keine ungeraden Zahlen gibt, liegt der Cut-off-Wert bei dieser Skala ebenfalls bei ≥4. Wird die NRS verwendet, beträgt der Cut-off-Wert für den Ruheschmerz ≥3 und für den Belastungs-/Bewegungsschmerz ≥5 [2, 96].

Entlassung Zur Gewährleistung einer adäquaten Fortführung der Schmerztherapie müssen die Patienten bzw. Eltern genaue Anweisungen zu einer noch erforderlichen

Schmerzmedikation erhalten. Der entlassende Arzt hat dafür Sorge zu tragen, dass die notwendige Schmerzmittelversorgung zu Hause gesichert ist. Der Patient und die Eltern müssen darauf hingewiesen werden, dass bei weiterhin bestehenden Schmerzen eine Wiedervorstellung an der Klinik oder beim Hausarzt/Kinderarzt erfolgen muss. Im Arztbrief sollten folgende Informationen weitergegeben werden: F eventuell noch bestehende Schmerzen und deren Lokalisation F eventuell das Tool zur Schmerzerfassung F Schmerzintensität der letzten stationären Behandlungstage F empfohlenes Analgetikum mit Dosierung, Häufigkeit der Einnahme und maximale Länge der Einnahme

Ergebnisqualität Ob wirklich eine Verbesserung der Akutschmerztherapie bei Kindern durch eine Optimierung der Struktur- und Prozessqualität erreicht wurde, lässt sich nur durch eine standardisierte Erhebung und Analyse von Daten zur Therapiequalität erfassen [97]. Für Erwachsene steht dafür schon seit Jahren die Qualitätsverbesserung der postoperativen Schmerztherapie (QUIPS) zur Verfügung [80], die von deutschen und österreichischen Fachgesellschaften und Berufsverbänden der Anästhesisten und Chirurgen unterstützt wird [98]. Für eine Verbesserung der post­ operativen Schmerztherapie ist es essenziell, Fallstricke zu erkennen. Eingriffspezifisch lassen sich dann bestehende Konzepte optimieren. Meissner et al. [80] zeigten 2008 in ihrer Untersuchung, dass die schmerzhaftesten Operationen orthopädische und unfallchirur­ gische Eingriffe sowie auch laparoskopische Appendektomien sind. Dieses Ergebnis wurde in einer großen Datenanalyse bestätigt [99]. Am ersten postoperativen Tag wurden 50.523 Patienten gebeten, ihren stärksten Schmerz seit der Operation zu bewerten. Zu den 40 Eingriffen mit den höchsten Schmerzwerten gehörten 22 orthopädische/traumatologische Operationen sowie „kleine chirurgische Eingriffe“ wie Appendekto-

mie, Cholezystektomie, Hämorrhoidektomie und Tonsillektomie. Bei Kindern ist die Datenlage noch sehr eingeschränkt. Stewart et al. [100] untersuchten sowohl die Stärke als auch die Dauer postoperativer Schmerzen und erhoben den Schmerzmittelbedarf von Kindern nach Tonsillektomie, Orchidopexie und Leistenhernienoperation. Es zeigte sich, dass Kinder nach einer Tonsillektomie 7 Tage – viele aber durchwegs auch in der zweiten postoperativen Woche – signifikante Schmerzen und Funktionseinschränkungen hatten. Nach einer Orchidopexie klingt der Schmerz bereits nach dem ersten postoperativen Tag ab. Eine normale Aktivität ist nach einer Woche gegeben. Nach operativer Korrektur einer Leistenhernie zeigten die Kinder jedoch bereits nach 4 Tagen eine normale Funktion. Um die Ergebnisqualität auch bei Kindern messen zu können, wurde in Anlehnung an QUIPS der QUIPS bei Kindern (QUIPSInfant) entwickelt [101]. Erfasst werden neben dem Erfolg der Schmerztherapie auch potenzielle Nebenwirkungen. Der QUIPSInfant gliedert sich in 3 Bereiche: F Mit den demografischen Daten werden Alter, Geschlecht, American-Society-of-Anesthesiologists(ASA)-Status, durchgeführte Operation und die betreuende Station erfasst. F Die Erhebung von Prozessparametern wie Prämedikation, Art der Narkose und Schmerztherapie im Aufwachraum und auf der Bettenstation gestattet eine Defizitanalyse. F Zentraler Punkt als Feedback der Ergebnisqualität ist der Patientenfragebogen. Er wird am ersten postoperativen Tag an alle Kinder verteilt, die ihren Schmerz selbst beurteilen können. Das bedeutet, dass eine Teilnahme ab dem vierten Lebensjahr möglich ist [42, 48]. Der Fragebogen enthält 11 Fragen, die die Schmerzintensität (Schmerz bei Alltagsaktivitäten wie Mobilisation, Waschen; Maximalschmerz postoperativ, Schmerz in Ruhe zum Zeitpunkt der Befragung) anhand der Faces Pain Scale – Revised [15], die funktionelle Beeinträchtigung, die analgetikainduzierten Der Schmerz 1 · 2014 

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Schwerpunkt Nebenwirkungen, den Schmerzmittelbedarf und die Aufklärungsqualität erfassen. Dokumentiert wird auch die Art der Fragenbeantwortung, ob selbst oder mit Hilfe. Die Befragungssituation stellt eine Kovariable dar. Um standardisierte Erhebungsbedingungen zu gewährleisten, wurden schriftliche Richtlinien erstellt und Schulungen durchgeführt. Nur so ist eine objektive und zuverlässige Datenerfassung gewährleistet. Die Eingabe der erhobenen Parameter wird online durchgeführt und dauert höchstens 10 min. Die Daten werden anonymisiert analysiert und an die beteiligten Kliniken rückgemeldet, inklusive der Möglichkeit eines automatischen Benchmarks. Dies ermöglicht eine kontinuierliche Verlaufsbeobachtung und damit eine Überprüfung der eigenen Schmerztherapie. Auswirkungen von Interventionen sowie die Einführung von Medikamenten oder Operationstechniken lassen sich beobachten. Die bisher durchgeführten Anwendertests (multizentrisch an 10 Kliniken) haben gezeigt, dass QUIPSInfant sich im klinischen Alltag bewährt. Die Teilnahme an QUIPSInfant bedeutet, dass ein Krankenhaus ernsthaft an der Qualitätseinschätzung aus Patientensicht interessiert ist. Ungelöst ist noch die Erfassung der Ergebnisqualität bei jenen Kindern, die nicht befragt werden können (

[Organization of pediatric pain management: Austrian interdisciplinary recommendations for pediatric perioperative pain management].

Postoperative pain management is still in need of vast improvement, especially for children. The aim of this article is to demonstrate which structure...
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